Spitzel im Namen des Gesetzes

Die Pläne der großen Koalition für eine allgemeine Kronzeugenregelung

in (23.10.2007)

Der Begriff "Kronzeuge" ist irreführend. KronzeugInnen sind nicht pimär ZeugInnen, sondern Beschuldigte. Beschuldigte, denen vor der Gerichtsverhandlung ein Handel um Strafe vorgeschlagen wird:

Durch eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und durch Aussagen über andere "verdächtige" Personen können sie ihre eigene Lage verbessern und im besten Fall sogar straffrei ausgehen. Also sind KronzeugInnen eigentlich nachträglich angeheuerte Spitzel, die den Staat mit Informationen versorgen, um sich dadurch selbst von einer Verfolgung freizukaufen.

Seit wann gibt es KronzeugInnen?

Spitzel und KronzeugInnen gibt es schon lange. Auch in Deutschland. Einer von ihnen war der ehemalige KPD-Funktionär Ernst Rambow.1 Er wurde von den Nazis 1933 wegen kommunistischer Aktivitäten verhaftet und machte anschließend detaillierte Angaben über den Geheimapparat der KPD. 1940 wurde er aus der Haft entlassen und geriet in illegale KPD-Kreise, wo er sich als Gestapo-Spitzel betätigte. Ein bedeutendes Treffen illegaler AktivistInnen am 4.7.1944 wurde von ihm verraten und die Betroffenen verhaftet. Durch seine Aussagen wurden noch im letzten Kriegsjahr über 280 WiderstandskämpferInnen, KPD- und SPD-Mitglieder an die Gestapo ausgeliefert, viele von ihnen wurden anschließend hingerichtet. Im Nationalsozialismus war Denunziation ein Massenphänomen. Neben dem staatlich gesteuerten Spitzelwesen, das v.a. auf langfristige Unterwanderung und Beobachtung politischer Gegner und deren Strukturen ausgerichtet war, existierte auch ein die Gesellschaft durchziehendes System freiwilliger Anzeigen und "Privatbespitzelungen", das durch den Staat gefördert wurde. Im Westdeutschland der 1970er Jahre hatte der Einsatz von KronzeugInnen im Rahmen der Terroristen-Hysterie Konjunktur. KronzeugInnen wurden als Hilfsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft eingesetzt, wenn die Beweise nicht ausreichten. Karl-Heinz Ruhland, Gerhard Müller, Jürgen Bodeux und Siegfried Nonne sind nur einige Namen berühmter KronzeugInnen, die aus dem Umfeld der RAF oder der "Bewegung 2.Juni" kamen und für die Verfolgung und Verurteilung etlicher ihrer früheren MitkämpferInnen und für unfaire Verfahren gegen diese stehen. Sie wurden im Vorfeld ihrer eigenen Prozesse von den Ermittlungsbehörden unter Druck gesetzt, ihnen wurden Vergünstigungen versprochen und sie machten daraufhin höchst zweifelhafte Aussagen, woraufhin sie selbst mit geringen Strafen davonkamen. Einige ihrer Aussagen wurden später von ihnen widerrufen. Die von den KronzeugInnen belasteten Personen wurden trotzdem verurteilt und verbrachten viele Jahre ihres Lebens im Gefängnis.

Was ist die Kronzeugenregelung?

1989 wurde die "Kronzeugenregelung" gesetzlich festgeschrieben.2 Für bestimmte Straftaten, die man in das Umfeld des Terrorismus und der organisierten Kriminalität rechnete (§§ 129/ 129a StGB), konnte die Strafe nun trotz erwiesener Schuld gemildert werden, wenn der/die TäterIn zur Aufklärung "dieser oder ähnlicher" Straftaten beigetragen hatte. Die Regelung sollte zunächst nur wenige Jahre gelten und durch ihre "Anreizfunktion" für StraftäterInnen die Verbrechensaufklärung fördern. Darüber hinaus sollte sie zu Unsicherheit in kriminellen Kreisen führen: gemeinsam agierende StraftäterInnen sollten sich nicht mehr auf ihr gegenseitiges Schweigen vor Gericht verlassen können. In der Praxis erwiesen sich beide Annahmen als falsch. Eine Anreizfunktion gab es für aussagebereite TäterInnen im Rahmen der Strafzumessung ohnehin und eine Verunsicherung in der kriminellen Szene war nicht festzustellen. Die Kronzeugenregelung sorgte auch keinesfalls für Ermittlungserfolge, sondern für starke Kritik, da sich die so erlangten Aussagen als unzuverlässig herausstellten. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde sie deshalb nicht verlängert, sodass sie seit 1999 nicht mehr gilt. Übrig geblieben ist die sog. "kleine Kronzeugenregelungen" im Betäubungsmittelgesetz (§ 31 BtMG - Aufklärungshilfe), der viele PraktikerInnen ebenfalls kritisch gegenüberstehen.

Was ist geplant?

Nun ist eine Neuauflage geplant, wovon unterdessen sämtliche bekannte Vereinigungen von RichterInnen und StrafverteidigerInnen hierzulande abraten.3 Über die bisherige Regelung hinaus soll allen StraftäterInnen - unabhängig von der Deliktsart - die Möglichkeit gegeben werden, entgegen den Strafvorgaben im Strafgesetzbuch eine Strafmilderung zu erreichen, wenn sie andere verraten oder Informationen über irgendwelche Straftaten weitergeben. Damit ginge die neue allgemeine Kronzeugenregelung weit über die alte hinaus. Sie hätte gravierende und kaum zu überblickende Auswirkungen - nicht nur wie bisher auf die Verfolgung von Terrorismus und Betäubungsmittelstraftaten - sondern auf die gesamte Strafverfolgung. Alle EinbrecherInnen müssten fortan durch die Polizei darüber belehrt werden, dass sie Straffreiheit erlangen könnten, wenn sie zufällig wissen, ob ihr/e NachbarIn ohne Führerschein Auto fahre und ähnliches. Sogar bei Mord könnte man mit lediglich fünf Jahren Haft beehrt werden, wenn man genügend Informationen über andere Personen preisgibt. Natürlich würden nicht alle StraftäterInnen davon profitieren, sondern nur einige. Es würden diejenigen sein, die genügend belastendes Material über andere in der Hinterhand haben, weil sie tief in kriminelle Strukturen verwickelt sind. Geprügelte Frauen, die ihre Männer im Schlaf umbringen, müssten hingegen auch weiterhin lebenslang hinter Gitter. Außer natürlich, sie haben, bevor sie ihren Mann umbrachten, vorsorglich darauf geachtet, ob ihre Kinder Drogen verkaufen, um dies gleich nach ihrer Verhaftung der Polizei mitzuteilen.

Kritik an der Neuauflage

Abgesehen davon, dass die Kronzeugenregelung eklatant gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt (schweigende und unwissende TäterInnen werden schlechter behandelt als aussagebereite InformationslieferantInnen), widerspricht sie auch der in einem Rechtsstaat unerlässlichen Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens. Im Strafgesetzbuch sind genau definierten Delikten festgesetzte Strafen zugeordnet. Eine bestimmte unerlaubte Handlung hat eine bestimmte staatliche Reaktion zur Folge. Fortan soll ein mit der eigentlichen Tat in keinem Zusammenhang stehender Grund (Aufklärung ganz anderer Straftaten) plötzlich dazu führen, dass dieselbe unerlaubte Handlung keinerlei oder viel geringere Folgen für bestimmte TäterInnen hat. Dies wäre ein Rechtsbruch in Gesetzesform. Die Folge wären Geheimverfahren neben der eigentlichen Hauptverhandlung und ohne Beteiligung des Gerichts, die Gefahr von falschen Beschuldigungen und dadurch ein Anstieg von richterlichen Fehlurteilen. Die Verfolgung und Verurteilung Unschuldiger sowie eine Einteilung der Prozesse in "Freund- und Feindprozesse" wären kaum vermeidbar. Dies liest sich wie ein unrealistisches Horrorszenario. Dennoch ist die geplante allgemeine Kronzeugenregelung trotz aller Kritik bittere Wirklichkeit. Trotz der unrühmlichen Geschichte der Kronzeugenregelung in und seit den 1970er Jahren. Und trotz der noch viel längeren unrühmlichen Geschichte von Denunziantentum und Bespitzelung, die Deutschland durch den Nationalsozialismus in einzigartiger Dimension aufzuweisen hat. Wenn heute die Bundesregierung auf die Idee käme, für Auskünfte aller Art, die auf irgendwelche eventuellen Gesetzesverstöße hindeuten könnten, eine finanzielle Belohnung auszusetzen... die Erinnerung an öffentliche Aushänge in den Jahren des Nationalsozialismus würde sich unweigerlich aufdrängen. Die Kronzeugenregelung bezweckt ähnliches, nur dass sie sich nicht an die Gesamtbevölkerung richtet, sondern nur an diejenigen EinwohnerInnern, die straffällig geworden sind. Als Belohnung genügt dabei das Absehen von Strafe. Mit der Anwendung der Kronzeugenreglung werden StraftäterInnen vom Staat außerdem für staatliche Zwecke (Verbrechensaufklärung) eingesetzt. Es ist ein Handel, dessen Regeln ausschließlich durch den Staat vorgegeben werden, die KronzeugInnen wissen nicht, wie lange und gegen wie viele Personen sie "eingesetzt" werden sollen. Vielfach hat das Auftreten als KronzeugInnen für die Betroffenen erhebliche psychische Schäden und ein Leben in ständiger Angst zur Folge.4 Nach der Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Grundgesetz darf der Mensch für den Staat niemals Mittel zum Zweck sein - auch nicht in Zeiten von Terrorangst und (geschürter) Verbrechenshysterie.

Einordnung in die aktuelle Strafrechtsentwicklung

Die allgemeine Kronzeugenregelung reiht sich in eine bedenkliche Entwicklung ein. Weitere Konzepte zur Verschärfung und Entgrenzung des Strafrechts, die ihren Ursprung im Nationalsozialismus haben, sind z.B. die Vorverlagerung der Strafbarkeit auf die Gesinnungsebene, das Aufweichen einer starken Strafverteidigung, das Infragestellen des Folterverbots, die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die Diskussion über ein Freund-Feind-Strafrecht. All dies ist - natürlich in veränderter Form - in Deutschland immer noch oder wieder aktuell. Es heißt, in einem Rechtsstaat sollten Straftaten aufgeklärt werden. In einem Rechtsstaat sollten die RichterInnen die Wahrheit suchen. In einem Rechtsstaat sollten Verantwortliche verfolgt und vor Gericht gestellt werden. Aber in einem Rechtsstaat darf dies alles nicht um jeden Preis geschehen. Und in Deutschland sollte dies nicht um den Preis eines Rückfalls in schwärzeste Kapitel der deutschen (Strafrechts-)Geschichte geschehen. Isabel Erdem studiert Jura in Trier mit dem Schwerpunkt Kriminologie / Strafprozessrecht 1 Infos aus: Mohr, Markus, Spitzel, 99 ff. 2 StGBuaÄndG 1989 (BGBl. I S. 1059). 3 Kritisch u. a.: Deutscher Richterbund, Neue Richtervereinigung, Bundesrechtsanwaltskammer, Deutscher Anwaltverein. 4 z.B. Ali Cetiner im Düsseldorfer PKK-Prozess 1989-1994 und Siegfried Nonne im Herrhausen-Verfahren 1992.