Österreich liebt

Für das "Asyl-Kind" Arigona sind Herzen und Grenzen weit offen. Ein Kommentar.

"Asyl-Kind" heißt das jetzt im österreichischen Boulevard. Das, was bislang die adoleszente und längst auf die schiefe Bahn geratene Brut der "Asylanten" war. Den Hassbegriff "Asylant" hat zumindest das offizielle Deutschland mittlerweile weitgehend durch "Asylbewerber" ersetzt, in Österreich hingegen kommt er von Politikern bis zu Stermann & Grissemann allen immer noch ganz ungeniert über die Lippen. Arigona Zogaj, die 15-jährige Tochter kosovarischer Flüchtlinge, ist besagtes "Asyl-Kind", für das die Tageszeitung "Österreich" nicht allein mithilfe dieser Infantilisierung Mitleid heischt. Schlagzeilen wie "Mir geht es richtig schlecht" neben Bildern der in einer Ecke kauernden, hübschen Langhaarigen tun ein Übriges, um die von zahlreichen medialen und FPÖ/BZÖ-Hetzkampagnen herzlos gewordene Leserschaft zu rühren.
"Ich mag wieder nach Österreich", sagt auch "die kleine Albona", die mit Vater und Geschwistern schon in den Kosovo abgeschoben wurde. Ihre Mutter liegt mit einem Nervenzusammenbruch in einem österreichischen Krankenhaus, Schwester Arigona konnte vor der Abschiebung abtauchen und hat mit Selbstmord gedroht. "Österreich" ist Vater und Kindern in das 150-Seelen-Dorf gefolgt und berichtet von elenden Zuständen und abendlichen Tränen der Mutterlosen. Und ist dabei ganz besonders vom österreichischen Akzent der beiden Kleinen entzückt. Allerdings nicht exklusiv, der ORF war für die Primetime-ZIB vorher schon dort. Ein in allerhöchstem Maße unübliches Engagement, folgt man den "Illegalen" hierzulande sonst doch gewöhnlich kaum zum Flughafen, so ihre Ausweisung überhaupt je mediales Interesse findet.
Wie es um diese einmalige Solidarität bestellt ist, wenn das "Asyl-Kind" weniger ansehnlich und auch nur drei Jahre älter ist, zeigen auch prompt die Reaktionen auf die Bekanntgabe eines Gesetzesübertritts des ältesten Sohns der Familie. Günther Platter erzählt mit einer für einen Innenminister sehr bedenklichen datenschutzrechtlichen Nonchalance von einer "gefährlichen Drohung", mit der dieses Familienmitglied straffällig geworden sein soll. Und gleich am nächsten Tag stellt sich der Fall der aus ihrer Gemeinde gerissenen Familie für viele Frankenburger BürgerInnen auch schon wieder ganz anders dar. Wer sich in Österreich nicht an die Hausordnung hält, soll abgeschoben werden, spricht ÖVP-Landesrat Josef Stockinger eine weit verbreitete Überzeugung aus. Weit verbreitet in einem Land, das "Jugendsünden" im Bereich nationalsozialistischer Wiederbetätigung für durchaus lässlich hält. Und in dem eine "Rauferei unter Burschen", als die sich die Straftat von Arigonas Bruder letztlich entpuppte, beinahe einem Initiationsritus gelungener Integration gleichkommt.

Grauslich, wie Kanzler Gusenbauer diese Abschiebepraxis genannt hat, ist also vor allem die himmelschreiende Bigotterie, die sich hier zeigt. Die Verlogenheit, mit der diejenigen, die das neue Fremdenrechtspaket 2005 geschnürt und beschlossen haben, nun seine logischen Konsequenzen verurteilen. NGOs weisen seit langem unermüdlich auf die Fülle verfassungswidriger Bestimmungen, auf unmenschliche Härten und die immensen Rückschritte des neuen Fremdenrechts hin und fordern seine Evaluierung. Gibt es die nicht, sprich gibt es weiterhin bestenfalls humanitäre Einzelfalllösungen und kein generelles Bleiberecht, ist auch mit einem Gnadenakt für Arigona rein gar nichts besser geworden.
Wenige Wochen bevor Österreich Herz und Grenzen für das "Flüchtlings-Mädchen" öffnete, wollte die ÖVP den "friedlichen Protest" einer antiislamischen Anti-Moschee-Demonstration in Wien nicht alleine von der FPÖ vereinnahmt wissen und mobilisierte deshalb ebenfalls für die Kundgebung. Bei der Veranstaltung wurde "Hier marschiert der nationale Widerstand" gerufen und ein muslimischer Ladenbesitzer bedroht. Auch sonst ließ die Stimmung unmittelbar nach der Verhaftung der drei Terrorverdächtigen in Wien weit Schlimmeres befürchten, als die janusköpfige Rührseligkeit, die nun beim Fall Arigona aufstößt. Wahrscheinlich empfiehlt es sich deshalb, einmal nicht übertrieben zimperlich in der Wahl der Mittel im Kampf für eine bessere Welt zu sein und ausnahmsweise sogar die altbewährten Kinder und Tiere für die eigene Sache arbeiten zu lassen. Und dabei gar nicht erst mit "Österreich" zu fragen, "warum sie Österreich so liebt", die Arigona. Sondern die Gunst der Stunde zu nutzen und alles dafür zu tun, dass nicht nur die knapp 35.000 verbleibenden AsylbewerberInnen, deren Verfahren noch anhängig ist, soviel wie möglich von dieser neu entflammten Liebe spüren werden.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at