(K)eine Zukunft für Freie Radios?

Was der ‚BürgerfunkÂ’ für die Medienlandschaft bedeutet

in (01.12.2007)

Was der ‚BürgerfunkÂ’ für die Medienlandschaft bedeutet

Juni 2007. In Heiligendamm tagen Merkel, Bush, Putin und co., in Rostock und drumherum zeigen Zehntausende ihren kreativen Protest gegen das Gipfelspektakel. Für die Medien in Deutschland zweifellos das Event des Jahres: Bilder von Straßenschlachten und einem brennenden Auto in zig Einstellungen einerseits, stundenlange Hofberichterstattung über ‘Merkels KlimaerfolgÂ’ andererseits. Ein großer Teil der rund 5.000 akkreditierten JournalistInnen berichtete mangels direkter Informationen nur aus zweiter Hand über die Ereignisse. So fanden fehlerhafte Mitteilungen und (bewusste) Falschdarstellungen große Verbreitung, bis sie später teilweise korrigiert wurden.

Doch neben den Mainstreammedien gab es in Rostock auch eine selbstorganisierte Berichterstattung. Im radioforum.fm hatten sich freie RadiomacherInnen aus aller Welt zusammengefunden, um in zahlreichen Sprachen ein kontinuierliches alternatives Radioprogramm zur Übernahme für Freie Radiostationen anzubieten. So wurde auch ein deutschsprachiges 24-Stunden-Programm per Livestream ins Internet gestellt und zeitweilig von mehr als einem Dutzend Freier Radios übernommen und gesendet. Radioforum.fm ist ein gutes Beispiel dafür, was ‘GegenöffentlichkeitÂ’ heute sein kann: Engagiertes Radio, das seine Sympathie mit Bewegungen nicht verhehlt und der staatlichen PR skeptisch und kritisch gegenübertritt, aber auch die (eigene) Bewegung kritisch hinterfragt, Diskussionen anregt und führt. Vor allem aber wird über Themen berichtet, die sonst ignoriert werden. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Medienvielfalt geleistet.
Doch: Was sind eigentlich Freie Radios? Im föderalen Mediensystem der BRD existieren je nach Bundesland sehr unterschiedliche Regelungen zur Partizipation im Rundfunk. So existieren Offene Kanäle, Campusradios, Bürgerfunk, Aus- und Fortbildungskanäle und Nichtkommerzielle Lokalradios (NKL) nebeneinander, in manchen Bundesländern gibt es gar keins dieser medienrechtlichen Modelle. Insgesamt dürfte die Zahl der sogenannten ‘BürgermedienÂ’ etwa an die Hundert heranreichen. Im medienpolitischen Diskurs wird hier z.T. auch synonym von Freien Radios gesprochen.

Der Bundesverband Freier Radios (BFR) zählt aber nur 30 Mitglieder, die in sehr unterschiedlichen medienrechtlichen Formen tätig sind, und teilweise, wie etwa in Berlin, gar keine legale Sendepraxis haben. Freie Radios definieren sich im BFR als nichtkommerziell, basisdemokratisch, gesellschaftskritisch. Sie stellen ihre Medien insbesondere denjenigen Personen und Gruppen zur Verfügung, die gesellschaftlich marginalisiert, sexistisch und /oder rassistisch diskriminiert sind und deshalb zur herkömmlichen Medienproduktion keinen oder nur begrenzten Zugang haben.
Freie Radios sind im übrigen keine ganz neue Erscheinung: So wurde Radio Dreyeckland in Freiburg im Sommer 2007 30 Jahre alt, sechs Freie Radios in Hessen feiern in diesem Jahr ihr zehnjähriges Sendejubiläum. Doch nirgends konnte unbeschwert gefeiert werden, ist doch die Zukunft emanzipatorischer Radios unsicherer denn je.

Das hängt mit veränderten medienpolitischen Prämissen zusammen, die demokratische Beteiligung von BürgerInnen am Rundfunk nicht mehr als förderungswürdigen Zweck definieren, sondern lediglich als störenden Kostenfaktor betrachten. Das findet seinen Ausdruck in einer ganzen Reihe von Behinderungen, die von verschlechterten gesetzlichen Rahmenbedingungen bis zur Zurückhaltung von Fördergeldern und zur Benachteiligung bei Frequenzzuweisungen reichen. Bisweilen werden Offene Kanäle wie im Saarland auch gleich ersatzlos gestrichen.

Verbreiteter als die direkte Beschränkung ist der Druck über die finanziellen Hebel. Grundsätzlich sieht der Rundfunkstaatsvertrag die Möglichkeit vor, dass bis zu 2% der Rundfunkgebühren (sprich GEZ) für ‘BürgermedienÂ’ eingesetzt werden können. Die Umsetzung erfolgt in den Bundesländern unterschiedlich, aber immerhin werden in einigen Ländern tatsächlich Fördermittel aus diesem Topf an Freie Radios ausgezahlt. Das geänderte Rundfunkgesetz in Hessen lässt nun erwarten, dass die Beträge verringert werden.

Die medienpolitische Debatte in Hessen ist auch ein Beispiel für eine neue inhaltliche Definition. Mit der Einführung des ‘Nichtkommerziellen LokalfunksÂ’ sollte Anfang der 90er Jahre die publizistische Vielfalt erweitert werden, durch Zulassung von Radios, die frei von kommerziellen Interessen sind und die benachteiligten Gruppen der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Statt der Erweiterung der Meinungsvielfalt steht nun ein anderer Aspekt im Mittelpunkt: ‘Förderung von MedienkompetenzÂ’ heißt das neue Schlagwort. Darin sehen Landesmedienanstalten, rot-grüne PolitikerInnen und VerbandsvertreterInnen von ver.di bis zum Vertriebenenverband die gesellschaftlich wertvolle Aufgabe der ‘BürgermedienÂ’.

Auch wenn Freie Radios schon durch ihre bloße Existenz sehr umfassend Medienkompetenz fördern - vom bewussten Radio hören, über das selbst Radio machen bis zur gesamten Organisation des Sendebetriebs - sind sie in erster Linie Radiosender und keine akustischen Volkshochschulen.
Als Elemente der Vielfaltssicherung sind sie unverzichtbar. Wo sonst gibt es selbstgestaltete mehrsprachige Sendungen, Musikspecials aller möglichen Stilarten oder eben Aktionsradio zum G8-Gipfel?

Steffen Käthner
Der Autor arbeitet seit 1994 bei Radio Unerhört Marburg und ist im Bundesverband Freier Radios aktiv. Mehr Informationen: www.freie-radios.de und www.freie-radios.net