Großkonzerne und Kleinbauern

Auseinandersetzung in Brasilien kostete zwei Menschen das Leben

Die Auseinandersetzung zwischen der Landlosenbewegung MST und dem Agrar-Konzern Syngenta um eine GVO-Versuchsfarm im brasilianischen Bundesstaat Paraná haben mit dem Tod von zwei Menschen eine ...

GID, 183 - August 2007, S. 50 - 53

Die Auseinandersetzung zwischen der Landlosenbewegung MST und dem Agrar-Konzern Syngenta um eine GVO-Versuchsfarm im brasilianischen Bundesstaat Paraná haben mit dem Tod von zwei Menschen eine neue Qualität erreicht.

In Südbrasilien sind bei einer Auseinandersetzung zwischen Vertretern der Landlosenbewegung MST (Movimiento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) und Mitgliedern einer Sicherheitsfirma zwei Menschen getötet worden. Die von Syngenta angeheuerten Sicherheitsleute wollten die Aktivisten von einer Farm des Agro-Konzerns vertreiben - und zwar mit Waffengewalt, die Syngenta zufolge vertraglich untersagt worden war.
Die Aktivisten hatten am 21. Oktober 2007 die Versuchsfarm in Santa Teresa do Oeste in Cascavel (Paraná) besetzt. Auf ihr werden gentechnisch veränderte Soja- und Maispflanzen angebaut.
Laut Polizeibericht hat die Gruppe der zirka 150 MST-Mitglieder während ihrer Ankunft Feuerwerkskörper abgeschossen. Daraufhin seien die anwesenden Sicherheitsleute der Firma NF Security von der Farm verschwunden, später aber - bewaffnet und zu etwa 40 Personen - wiedergekehrt. Dann habe eine Schießerei begonnen, bei der ein MST-Mitglied sowie ein Sicherheitsmann getötet worden seien. Drei weitere Sicherheitsleute und sechs weitere Aktivisten seien verwundet worden, darunter eine Frau, die lebensgefährliche Verletzungen davontrug.
Der Polizeisprecher Celso Borges erklärte, es sei nicht klar, wer mit der Schießerei begonnen habe. Die Regierung von Paraná gab später bekannt, dass sieben Sicherheitsleute wegen Mordverdachtes verhaftet worden seien. Weitere Untersuchungen laufen.(1)

Schwelender Konflikt

Schon längere Zeit stehen die MST und die mit ihr eng verbundene internationale Kleinbauern-Bewegung "La Via Campesina" mit Syngenta im Konflikt. Dafür gibt es drei Hauptgründe: Erstens kritisieren die Organisationen den Standort der besagten Versuchsfarm. Seit Jahren schon wird die Legalität der Farm in der Nähe des Iguaçu-Nationalparks heftig diskutiert. Auch die Anwesenheit Syngentas in Brasilien überhaupt stellt einen Streitpunkt dar, weil, nach Ansicht der MST, die wirtschaftliche Macht der Großkonzerne Millionen von Kleinbauern in den Ruin treibt. Außerdem steht die von Syngenta engagierte Sicherheitsfirma im Verdacht, mit brasilianischen Paramilitärs zusammenzuarbeiten, die Aktivisten mit Waffengewalt angreifen und bedrohen.

GVO-Versuchsfelder

Syngenta hatte 1996 von der brasilianischen Biosicherheits-Kommission CTNBio die Erlaubnis bekommen, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auf den besagten Feldern anbauen zu dürfen. Damit hatte ein heftiger Rechtsstreit begonnen, da nun innerhalb einer in den Statuten des Nationalparks ausgewiesenen Pufferzone um das Naturschutzgebiet diese GVO gesät worden waren. Von März 2006 bis Juli 2007 waren die Felder von etwa 300 Aktivisten der Landlosenbewegung erstmals besetzt worden, um die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam zu machen. Dabei waren sie vom Gouverneur Paranás, Roberto Requião, und von der Umweltbehörde IBAMA unterstützt worden. Letztere hatte dem schweizerischen Konzern eine Geldstrafe für den Anbau auferlegt. Diese Geldstrafe war jedoch nur kurze Zeit später durch das Gericht des Bundesstaates Paraná mit der Begründung außer Kraft gesetzt worden, Syngenta habe von der zuständigen Institution CTNBio zurecht eine Erlaubnis für den GVO-Anbau bekommen. Tatsächlich hatte die Regierung von Präsident Lula da Silva die Reduzierung der Pufferzone in der Umgebung des Nationalparks von zehn Kilometern auf 500 Meter beschlossen.
Requião dagegen hatte damals - wie heute - vorgesehen, an diesem Ort ein Forschungszentrum für einheimisches Saatgut aufzubauen. Doch auch eine Enteignung, die er hatte durchsetzen können, war nach einem Einspruch Syngentas im Juli 2007 von einem Gericht wieder aufgehoben worden. Dieser gerichtliche Beschluss hatte auch für das vorläufige Ende der Besetzung im Sommer dieses Jahres gesorgt.

Kleinbauern gegen Großkonzerne

MST-Sprecherin Maria Mello beschreibt die Aktionen gegen Syngenta als Teil eines Kampfes der Bewegung gegen multinationale Konzerne. Die Konzerne blockierten die Durchsetzung einer Landreform in Brasilien. Derzeit seien 46 Prozent des brasilianischen Landes im Besitz von nur einem Prozent der Bevölkerung, sprich Großgrundbesitzern. Dem stehen 4,8 Millionen landlose Familien gegenüber. Mit einer Landreform, für die die Bewegung der Landlosen seit ihrer Gründung 1984 kämpft, sollen Gebiete von Großgrundbesitzern auf Bauern ohne Land umverteilt werden. Die MST sieht ihre Aufgabe darin, "die arme Landbevölkerung zu organisieren, ihr ihre Rechte bewusst zu machen und sich für Veränderung einzusetzen".(2) Die Bewegung versucht sich mit größeren Aktionen in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und so Druck auf die Regierung auszuüben.

Mit Gewalt für mehr Sicherheit?

Nicht erst nach dem jüngsten Vorfall sieht La Via Campesina eindeutige Hinweise auf die Zusammenarbeit Syngentas mit Paramilitärs. Der Sicherheitsdienst NF Security diene lediglich als Fassade. Darüber hinaus erhielten diese Paramilitärs Unterstützung von der Ländlichen Gesellschaft Region Ost (SRO) und der Bewegung der Ländlichen Produzenten (MPR), zwei Zusammenschlüsse brasilianischer Grundeigentümer. Wenn Aktivisten gezielt Farmen besetzen, Autobahnen blockieren und Felder anzünden, greifen die Landbesitzer zur Abwehr oft auf bewaffnete Milizen zurück. So waren Anfang Oktober bei der Sicherheitsdienstefirma NF illegale Waffen und Muniton gefunden worden, woraufhin eine Person aus der Firmendirektion festgenommen wurde.
Einige MST-Führer, darunter auch der als Keno bekannte Ermordete, waren in den letzten sechs Monaten von Paramilitärs, die dem Vernehmen nach für SRO, MPR und Syngenta arbeiteten, bedroht worden. "Wir sind sicher, dass sie kamen um Keno, Célia und mich zu töten", sagt Celso Barbosa, der gemeinsam mit Célia Aparecida Lourenço während der Schießerei am 21. Oktober von Milizen verfolgt wurde, aber entkommen konnte. Außerdem, fügte er hinzu, seien sie beide bereits seit Anfang des Jahres mit dem Tode bedroht worden.
Bereits am 18. Oktober, also drei Tage vor dem tödlichen Zusammentreffen von Aktivisten und Sicherheitskräften, waren gewalttätige Übergriffe seitens mit SRO, MPR und Syngenta verbundener Milizen öffentlich auf einer Audienz in Curitiba angeklagt worden.

Syngentas Verantwortung

Syngenta-Sprecher Medard Schoenmaeckers weist die Anschuldigung, es habe Anweisungen zur gewalttätigen Rückeroberung der Farm gegeben, mit dem Hinweis zurück, die Wachleute seien vertraglich zum Verzicht auf Waffen verpflichtet gewesen. Allerdings würde es wohl an ein Wunder grenzen, wenn sich im Vertrag Gewaltanwendung als Mittel der Wahl fände. Hinzu kommt, dass der Vorfall vom 21. Oktober nicht die erste Gewalthandlung war, mit der die Firma NF in Verbindung gebracht wurde.
Wenn Syngenta sicher gehen wollte, dass auch Kritiker ihrer Geschäftspolitik nicht durch Gewalt zu Schaden kommen, dann müsste der Konzern von vornherein auf die Zusammenarbeit mit einer fragwürdigen "Sicherheitsdienstefirma" verzichten. Oder, wenn solcherlei Vorfälle erst nach Vertragsunterzeichnung aufträten, dann müsste im Nachhinein noch einmal überdacht werden, ob der Dienst der Firma NF tatsächlich erhoffte Vorteile für Syngenta hätte. Schließlich ist die Anwendung von Waffengewalt während des Dienstes - wenn man sich auf die Aussagen Schoenmaeckers selbst beziehen will - ein Vertragsbruch.
In einer Stellungnahme Syngentas zum Vorfall heißt es: "Wir billigen die Vorgehensweise des Wachunternehmens nicht".(3) Glaubwürdig wäre diese Äußerung allerdings nur dann, wenn die Zusammenarbeit des Konzerns mit NF Security sorfort beendet worden wäre. Über einen solchen Entschluss ist allerdings bislang nichts bekannt. Diese Tatsache fördert den Verdacht, Syngenta sei ganz bewusst das Risiko eingegangen, dass Gegner des Agrar-Unternehmens vom Sicherheitsdienst mit Waffengewalt angegriffen würden.

Beschuldigte Campesinos

Brasilianische Nachrichtenportale wie The Globo News Network haben berichtet, beim Vorfall am 21. Oktober seien Geiseln von den Besetzern festgehalten worden. Diese Anschuldigung weist Via Campesina entschieden zurück, verbunden mit dem Vorwurf, es werde versucht, soziale Bewegungen zu kriminalisieren und damit zu schwächen. Die Veröffentlichung solcher unbestätigter Behauptungen sei beispielhaft. Sie solle lediglich verwischen, dass es die für ihre Rechte kämpfenden Aktivisten sind, die immer wieder Opfer von Gewalt werden.

Weltweite Unterstützung

"Hunderte Organisationen und Einzelpersonen beteiligten sich an Veranstaltungen oder sendeten Petitionen" aus Protest an den Übergriffen auf die Aktivisten, so Via Campesina auf ihrer Internetseite. In mindestens elf Ländern auf der Welt fanden Demonstrationen "vor den schweizerischen Botschaften, den brasilianischen Botschaften oder den Syngenta-Bürogebäuden" statt. Weitere öffentliche Aktionen rund um den Globus sind von der Organisation geplant.
Die MST-Mitglieder in Cascavel kämpfen weiterhin für eine Enteignung Syngentas. Zusammen mit den ortsansässigen Familien der benachbarten Siedlung Olga Benario und mit der Hilfe von Gouverneur Requião wollen sie den Aufbau des agro-ökologischen Zentrums erreichen, in welchem herkömmliche Samen zugunsten kleinbäuerlicher Familienbetriebe gezüchtet werden sollen. Dies würde die angrenzenden Felder und Naturschutzgebiete vor weiterer Kontamination durch GVO schützen und Paraná ein paar Schritte näher an die Landreform rücken.
Die Verantwortung Syngentas für die tödliche Auseinandersetzung lässt sich nicht bestreiten. Seit Jahren stellt die Anwesenheit des Konzerns mit seiner Geschäftspolitik nicht nur in Cascavel eine Bedrohung für die Umwelt und für die dort ansässigen Kleinbauern dar. Der Konzern nutzt die Dienste eines Wachunternehmens, welches immer wieder mit Paramilitärs in Verbindung gebracht wird und vor gewalttätigen Übergriffen nicht zurückschreckt. Auf diese Weise soll das Bestehen von GVO-Feldern verteidigt werden, die gegen den Willen der Ortsansässigen angelegt worden sind und ungeachtet der möglichen biologischen Folgen. Diese, wie auch die Folgen für ganze Bevölkerungsgruppen, sind bekannt. Auch bei Unternehmen, deren Handlungen seit Jahrzehnten für diese Probleme verantwortlich sind.
Es zeigt sich also, inwiefern ein weiterer Biotechnologie-Konzern dazu bereit ist, vorhandenes Wissen um die Auswirkungen solcher Geschäftspolitik einzusetzen. Er macht weiter.

Fußnoten:
(1) www.swissinfo.org/ger/swissinfo.html?siteSect=881&sid=8343656 (23.10.07); www.gmwatch.org/archive2.asp?arcid=8401 (21.10.07); www.genet-info.org; www.viacampesina.org
(2) Übersetzt und ergänzt von der Seite www.mst.org.br am 4. Juli 2006. Der Originaltext basiert auf Informationen aus dem Buch: "A história da luta pela terra e o MST", Mitsue Morissawa, Editora Expressão Popular, 2001.
(3) www.syngenta.com/de/index.aspx. (21.11.07)

Naima Blum absolviert ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr beim Gen-ethischen Netzwerk.