Konsequent marxistische Positionen

Christel Wegner, die Stasi und der Realitätsverlust des DDR-Fanclubs

Öffentliche Debatten über die DDR bringen in der Regel deshalb keine neuen Erkenntnisse, weil die Beteiligten nach dem immer gleichen Muster agieren. Während Medien und staatstragende Parteien so .

... tun, als müsste der Kalte Krieg erst noch gewonnen werden, verteidigen autoritäre StaatssozialistInnen ihr diskreditiertes Modell gegen jede bessere Einsicht. Das ist bei der aktuellen Aufregung um Christel Wegners Panorama-Interview, die Stasi und die Linkspartei nicht anders. Leider zeigt der "Fall Wegner" auch, dass die Fans des "realen Sozialismus" fast 20 Jahre nach dessen Ende nichts dazu gelernt haben. Was ihr persönliches Problem wäre, wenn sie nicht durch ihre Borniertheit den PropagandistInnen des Antikommunismus in die Hände spielen würden. Für das Zentralorgan der DDR-NostalgikerInnen, die junge Welt, ist die Sache klar: Christel Wegner, die DKP und "alle antikapitalistischen Kräfte" sind Opfer einer durch das ARD-Magazin Panorama "losgetretenen Hetzkampagne". (jW, 18.2.08) Denn Stunden bevor die Interviewfragmente über den Sender gingen, habe Panorama in einer Presse-Erklärung behauptet: "Christel Wegner, Fraktionsmitglied von ,Die LINKE` im niedersächsischen Landtag und Mitglied der DKP, hat die Wiedereinführung der Staatssicherheit gefordert." Ohne weitere Prüfung wurde diese - falsche - Behauptung von diversen Medienorganen und PolitikerInnen unterschiedlicher Parteien übernommen und mit dem Ausdruck tiefster Empörung gegen die LINKE gewendet: Nun habe die Linkspartei ihr "demokratisches Mäntelchen" (Wenzel, Grüne) bzw. "ihre Masken" (Mc Allister, CDU) fallen lassen; sie habe gezeigt "wes Geistes Kind" sie sei (Koschyk, CSU, und Pofalla, CDU). Der kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christoph Waitz, bekam vor lauter Entrüstung keinen sinnvollen Satz mehr zustande: "Wer die Linkspartei unterstützt, bereitet unverbesserliche Kommunisten auf den Weg", war seine Presseinformation Nr. 202 überschrieben. So viel zur antikommunistischen Kampagne. Funktionieren konnte sie nur, weil Christel Wegner Panorama eine Vorlage geliefert hat, die nur noch ein bisschen manipulativ "zugespitzt" werden musste. Ihr Bekenntnis zum "revolutionären Umsturz" in allen Ehren - Wegners Vorstellungen über die Zeit danach sind offensichtlich von dem geprägt, was schon einmal gescheitert ist: "Ich denke nur, wenn man eine andere Gesellschaftsformation errichtet, dass man da so ein Organ wieder braucht, weil man sich auch davor schützen muss, dass andere Kräfte, reaktionäre Kräfte die Gelegenheit nutzen und so einen Staat von innen aufweichen." Bei der Wortfolge "so ein Organ wieder" wird jeder halbwegs informierte Mensch zwangsläufig an Erich Mielkes Spitzelsystem erinnert. Anders als Panorama behauptet, gehört die Schaffung "so eines Organs" nicht in Wegners Sofortprogramm. Die in ihren Aussagen dokumentierte Unfähigkeit, das Scheitern der DDR geistig zu verarbeiten, ist dennoch schlimm genug. Das wird in ihrer Bewertung des Mauerbaus noch deutlicher: "Der Bau der Mauer war in jedem Fall eine Maßnahme um sozusagen zu verhindern, dass weiterhin Westdeutsche in die DDR konnten. Einmal die Wirtschaft schädigen, indem sie billig eingekauft haben - das war ja so - auch um zu verhindern, dass irgendwelche Kräfte über die Grenze spazieren, die man da nicht haben wollte." Die Grenzbefestigungen der DDR als Schutzwall gegen unliebsame "Kräfte" aus dem Westen - das eiserne Festhalten an dieser Version mag für DKP-Hardliner ideologische Prinzipientreue beweisen; wer nicht als politisch unzurechnungsfähig gelten will, sollte spätestens am Anfang des 21. Jahrhunderts zugeben können, dass die Mauer in allererster Linie die massenhafte Abwanderung von DDR-BürgerInnen verhindern sollte und auch verhindert hat.

Wie blöd dürfen KommunistInnen sein?

In ihrer von der DKP-Wochenzeitung Unsere Zeit (22.2.08) dokumentierten persönlichen Erklärung hat Christel Wegner es vorgezogen, auf die Mauer nicht noch einmal einzugehen. Selbstkritisch räumt sie ein, sie sei "in dieses Gespräch (mit Panorama; Anm. ak) zu arglos hineingegangen. Dies tut mir leid." Auch wolle sie nicht "die Stasi zurück": "Meine Aussage im Interview bezog sich nicht auf die Stasi. Ich habe vielmehr gesagt, dass jeder Staat einen Geheimdienst hat und dies natürlich auch für einen sozialistischen Staat gilt." Selbstverständlich ausschließlich zur Abwehr staatsfeindlicher, in diesem Fall reaktionärer Kräfte. War das nicht auch die Rechtfertigung der Geheimdienstler jenes Staates, dem Wegner bis heute eisern die Treue hält?! Jeder nicht völlig vernagelte Mensch weiß im übrigen längst, dass die Praxis der Staatssicherheit eine völlig andere war: Objekt ihres Überwachungswahns waren eben keineswegs in erster Linie "reaktionäre Kräfte" oder westliche Saboteure, sondern - prophylaktisch - auch massenhaft Menschen, die in irgend einer Form "abweichenden Verhaltens" verdächtig erschienen. Sie unter Kontrolle zu halten, einzuschüchtern oder auch wegsperren zu lassen, gehörte zum Alltag der Stasi. Ein schon ziemlich spezieller Geheimdienst, um es vorsichtig zu formulieren. Für die kritiklosen Bewunderer des "realen Sozialismus" mag diese Einsicht besonders bitter sein. Aber wer sich ihr dauerhaft verschließt oder sie gar offensiv leugnet, gerät von einer Verlegenheit in die andere. So auch Christel Wegner: Gehört für sie eben noch ein Geheimdienst ganz "natürlich" zu "jedem Staat", verweist sie nur wenige Sätze später auf das Programm ihrer Partei: "Die DKP hat schon immer die Auflösung der Geheimdienste gefordert." Auch in der DDR? Das geschah vermutlich so im Geheimen, dass man bis heute nichts davon gehört hat. Haben Honecker und Mielke die wertvolle Anregung der westdeutschen Bruderpartei einfach in den Wind geschlagen? Wir werden es nie erfahren. Mancher Unsinn, den DDR-NostalgikerInnen zum Thema "realer Sozialismus" von sich geben, kann wohl nur psychologisch als Rechtfertigung der eigenen politischen Biografie verstanden werden. Dass Christel Wegners Bekenntnis allein durch ihr gerade gewonnenes Mandat im niedersächsischen Landtag für die Medien interessant wurde und sie ihre Position als "Persönlichkeit des öffentlichen Lebens" bedenkenlos in den Dienst der schlechten Sache stellte, ist nicht nur für die Partei DIE LINKE ärgerlich. Deren Distanzierung kam sofort, noch ehe klar war, was Wegner genau gesagt hatte. Schon zwei Tage nach der Panorama-Sendung forderte der Landesausschuss der Partei DIE LINKE in Niedersachsen die Rückgabe des Mandats. Der parlamentarische Geschäftsführer der LINKEN im Bundestag, Ulrich Maurer, erklärte kurz und bündig: "Wer Stasi und Mauer gut findet, hat in unseren Fraktionen nichts verloren." Leider beließ es die Führungsspitze der Partei nicht bei dieser Klarstellung, sondern trug durch Aufgeregtheiten zur weiteren Eskalation bei. Für Gregor Gysi sah Wegners Intervention "eher nach Verfassungsschutz aus" (Tagesspiegel, 17.2.08), und Bundeswahlkampfleiter Bodo Ramelow nutzte die Gelegenheit, um die Kandidatur von DKP-Mitgliedern auf Listen der LINKEN generell in Frage zu stellen; auf Bundesebene ist das aufgrund einer Gesetzesänderung - die von der LINKEN abgelehnt worden war - in Zukunft ohnehin nicht mehr möglich.

Christel Wegner, die Rosa Luxemburg von heute

Christel Wegner will derweil nicht nur ihr Landtagsmandat behalten, sie bekommt auch öffentlich Unterstützung. Die DKP solidarisiert sich, wenngleich deren Vorsitzender, Heinz Stehr, anmerkt, die Genossin habe das Interview zwar "in guter Absicht" gegeben, dabei aber "Fehler gemacht". (UZ, 22.2.08) Welche das seiner Ansicht nach waren, sagte er bisher nicht. Sehr viel weniger defensiv agieren die bereits zitierten Kommentatoren der jungen Welt. Der "Ost-Garde der ,Reformer`" in der Linkspartei komme der Skandal wie gerufen, glaubt Arnold Schölzel: "Nun ist die Gelegenheit da, den neu Hinzugekommen im Westen zu signalisieren: Wer bei DDR und ,Stasi` nicht den Kotau macht, wird von der Parteiführung gemeinsam mit Panorama und Spiegel politisch beseitigt. Die ,Stasi`-Affäre ist vor allem ein Signal an die eigene Partei." (jW, 16.2.08) Christel Wegner ist das Opfer einer Verschwörung, Mitglieder der LINKEN aber, die gegen sie Stellung beziehen, sind bestenfalls OpportunistInnen, findet Markus Bernhardt: "In vorauseilendem Gehorsam forderten indes auch Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform und der sich ebenso stets entschieden links gerierende BundessprecherInnenrat der Linksjugend ('solid) einen Mandatsverzicht Wegners." (jW, 18.2.08) Der vorläufige Gipfel des politischen Irrsinns ist die "Berliner Erklärung. Schluss mit der Hexenjagd. Solidarität mit Christel Wegner", die auf einer Veranstaltung der jungen Welt am 20. Februar von 200 Anwesenden verabschiedet wurde. Unter Punkt 3 dieses lesenswerten Dokuments, für das auf der Website der Zeitung um Unterstützung geworben wird, heißt es: "Frau Wegner hat nichts gesagt, was dieses unsolidarische Verhalten (der LINKEN; Anm. ak) rechtfertigen würde. Wir sehen in dem Vorgang vielmehr einen massiven und folgenschweren Angriff auf politische Positionen. Dieser gilt nicht einfach Frau Wegner oder der DKP, sondern signalisiert allen antikapitalistischen Kräften innerhalb der Linken, dass mit konsequent marxistischen Positionen in dieser Partei weder Politik noch Karriere zu machen ist." Unter Punkt 4 wird dann messerscharf analysiert, was hinter der Kampagne gegen Christel Wegner steckt: Es ist die "Angst führender Politiker und Medien, dass aufgrund sich zuspitzender sozialer Widersprüche der Wunsch auf grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung zunehmen wird. Rosa Luxemburg dürfte heute ein mit der Linken erkämpftes Landtagsmandat nicht behalten - wegen ihrer antikapitalistischen Positionen." Lässt sich der Realitätsverlust der realsozialistischen Glaubensgemeinschaft noch dümmer auf den Punkt bringen? Wahrscheinlich ja. Einstweilen bestaunen wir die "konsequent marxistischen Positionen" der Rosa Luxemburg von heute, Christel Wegner aus Buchholz in der Nordheide, und ihrer UnterstützerInnen in der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Ob Christel Wegner ihr Mandat behält oder nicht, ist für Nicht-Mitglieder der LINKEN zweitrangig. Eine sorgfältigere Auswahl der KandidatInnen wäre dennoch wünschenswert, nicht indem deren "Gesinnung" geprüft wird (so die Befürchtung der netzeitung, 15.2.08), sondern mit Hilfe eines noch zu entwickelnden (politischen) Intelligenztests. DKP-Mitglieder hätten dabei die Möglichkeit, die durch den Fall Wegner einmal mehr bestätigten Vorurteile gegen ihre Partei aktiv auszuräumen. Eine zu hohe Hürde? Dann eben ohne DKP. Js. aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 526/21.3.2008