Ölpreis- und Kriegstreiber

Rohöl kostete am 22. April 118 US-Dollar pro Barrel (159 Liter). Bald werden es 150 Dollar sein. Börsenfachleute halten sogar 200 Dollar

für möglich - falls das dollarbasierte weltweite Finanzsystem nicht bereits vorher zusammenstürzt, wie es das aktuelle Global Europe Anticipation Bulletin bereits für Ende 2008 vorhersagt. Der durch Finanzspekulationen zum Multi-Milliardär gewordene George Soros teilte dem Börsen-Sender Bloomsberg Television mit, er erwarte einen unaufhaltsamen Verfall des Dollar und der US-Staatsanleihen, weil die USA ihre Führungsrolle in der Weltwirtschaft endgültig verloren hätten.

Daß Heizöl und Benzin in Deutschland noch bezahlbar sind, liegt an der Kaufkraft des Euro. Doch auch in Euro gerechnet wurde Erdöl teurer: Sein Preis stieg seit 2002 fast auf das Fünffache. Marktforscher und Handel bieten viele Erklärungen: den Krieg der USA gegen den ölreichen Irak; den Streit mit Iran, dem Land mit den drittgrößten Ölreserven; die als "instabil" bewerteten politischen Verhältnisse der Ölländer Venezuela und Nigeria; die heftig steigende Nachfrage der Wachstumsnationen China und Indien (China erzielte im vorigen Jahr mit einem Brutto-Inlandsprodukt von 2,3 Billionen Euro ein Wachstum von 11,9 Prozent); die Profitsucht der Ölmultis; die Börsenspekulation; die Flucht aus dem Dollar in Öl, Gold und andere wertvolle Rohstoffe.

All das beeinflußt den Ölpreis, erklärt aber nicht dessen extreme Steigerungsraten. Iraks Ölförderung erreicht zwar gerade erst wieder 15 Prozent der Vorkriegskapazität. Iran hingegen steigert, wie alle Mitglieder der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), seine Fördermengen stets nachfragegemäß und erhöhte kürzlich seinen Exportanteil so drastisch, daß auf seinem heimischen Markt Benzin knapp wurde. Auch das sozialistisch planende Venezuela wird den Ölhahn nicht zudrehen. Das ausgeplünderte Nigeria wäre dazu gar nicht in der Lage. Öl ist genug auf dem Markt, eine baldige Verknappung ausgeschlossen.

Die Industrienationen brauchen zudem weniger Rohöl als früher. Sie nutzen vermehrt Gas, und das Energiesparen aus Kosten- und Klimaschutzgründen mindert die Ölnachfrage in fast gleichem Ausmaß, wie die Nutzung der Erneuerbaren Energien zunimmt. Und wenn die USA demnächst in ihre für sicher gehaltene Rezession eintreten, weniger produzieren und damit weniger Energie verbrauchen, wird das in der globalen Energiebilanz zusätzlich zu Buche schlagen. US-Amerikaner stellen zwar nur 4,5 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen aber 25 Prozent des globalen Energieaufkommens.

Treiben die Ölmultis den Rohölpreis? Nicht mehr als früher. Sie erzielen bereits Rekordgewinne. Exxon Mobil (USA) scheffelte im vorigen Jahr 40,6 Milliarden Dollar, Shell (Niederlande) 31 Milliarden Dollar. Die ungeheuren Überschüsse lassen sich nicht einmal mehr profitversprechend in der Ölindustrie reinvestieren. Staatseigene Ölgesellschaften haben ohnehin mehr Marktmacht, weil sie in die Schürfrechte an Ölfeldern eingreifen können. Beispiel: An Brasiliens Atlantikküste hat die staatliche Petrobras in den letzten Jahren gemeinsam mit Exxon, British Gas und Repsol Reserven entdeckt, die diejenigen Venezuelas übertreffen könnten. Die Regierung in Sao Paolo hat daraufhin die Anteile US-amerikanischer Firmen am heimischen Markt aufgekauft.

Die Spekulation an den Ölbörsen in New York und London begründet die Preisentwicklung ebenfalls nicht hinlänglich. Der dortige Handel reagiert seit Jahren eher auf die Veränderungen an den Devisenmärkten als auf das Verhältnis von Öl-Angebot und Öl-Nachfrage. Börsianer erwarten, daß der Wert des US-Dollars bis Ende des Jahres gegenüber dem Euro auf 1,75:1 absackt.

Das US-Imperium versucht zwar mittels Vergrößerung der Dollarmenge, seine Schulden, sein Handelsbilanzdefizit und seine Kriege vom Rest der Welt mitbezahlen zu lassen, aber mit abnehmendem Erfolg. Erdöl wird noch in US-Dollar notiert, doch im gleichen Zug, wie die Dollarmenge steigt und der Dollarwert fällt, reagieren die Ölförderer mit Preisaufschlägen. Die heraufziehende Finanzkrise ist also einer der Preistreiber.

Ein weiterer, bisher kaum beachteter Preistreiber hat einen englischen Namen: Peak Oil. Er bezeichnet den Scheitelpunkt, an dem die Hälfte der bereits erschlossenen und aller noch anzunehmenden Ölreserven der Erde gefördert und verbraucht worden ist. Peak Oil liegt, so scheint es, bald hinter uns. Große neue Ölfeldfunde gelten als ausgeschlossen.

Viele der bekannten und die meisten der bisher nur vermuteten Öllager werden sich nur unter großen Schwierigkeiten und mit dementsprechend hohen Kosten erschließen lassen, zum Beispiel wenn sie 2000 Meter unterm Meeresspiegel liegen. Technisch und ökologisch höchst problematisch und bei heutigen Preisen unwirtschaftlich wäre auch die Rohölabspaltung aus Ölsand und Ölschiefer der reichen Lagerstätten Kanadas und der nördlichen USA.

Öl gibt es noch genug, doch es wird bald Mangelware. Mit dieser Perspektive gestalten die Marktakteure den Ölpreis. Fachleute wie der Schweizer Geologe Walter Ziegler wünschen sich sogar, daß die wirtschaftlich noch nutzbaren Ölvorräte in 30 Jahren verbraucht sind, weil das Weltklima bis dahin vielleicht doch noch nicht unumkehrbar geschädigt sei. Aber sie warnen zugleich: Was dem Klima hilft, beschert der Menschheit katastrophale Kriege.

Und Kriegsängste treiben den Ölpreis. George W. Bush, übelster Warlord unserer Zeit, läßt seit Jahresbeginn Washingtons Strategische Ölreserve auffüllen. Im Februar waren 96,2 Prozent erreicht. Die Kapazitätsgrenze der USA beträgt eine Milliarde Barrel. Diese Menge dürfte inzwischen gebunkert sein. Nicht der Großeinkauf an sich trieb die Preise, sondern die im überlaufenden Arsenal sichtbar werdende Aggressivität. Seit Januar ziehen die USA auch Truppen um Iran zusammen, dem nächsten Öl-Dorado nach Irak. Der Krieg ums restliche Öl der Welt hat begonnen. Er treibt die Preise.