Vom Regen in die Traufe?

Ehegattensplitting und Familiensplitting

in (20.05.2008)

Das Ehegattensplitting, das auf bald fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken kann, wird seit jeher kritisiert.

Inzwischen hat die Debatte über Alternativen zum Ehegattensplitting Kreise erreicht, die bisher zu den vehementesten Verfechtern einer Beibehaltung dieser Besteuerung gehörten. Die CDU fordert in ihrem neuen Grundsatzprogramm die Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zum Familiensplitting. Die Überlegungen haben bereits 2006 viel Wirbel verursacht und Forderungen nach Alternativen zum Ehegattensplitting neue Beachtung verschafft. Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht keine Reform des Ehegattensplittings vor,1 die Debatte wird vorerst theoretisch bleiben. Die Familienministerin Ursula von der Leyen hat trotzdem angekündigt, noch 2007 im Rahmen der Evaluation familienpolitischer Leistungen Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Ehegattensplittings vorzulegen.2 Die Evaluation der Familienleistungen durch das Familienministerium habe ergeben, dass nur 60% aller Ehepaare, die vom Ehegattensplitting profitieren, Kinder haben. Deswegen, so die Ministerin, müsse man darüber nachdenken, wie auch Eltern ohne Trauschein besser gefördert werden könnten. Der Koalitionspartner SPD hat bereits erklärt, ein Familiensplitting sei mit ihm nicht umsetzbar. Deshalb wird das Ehegattensplitting auch in der 16. Legislaturperiode unangetastet bleiben. Veränderungen sind allerdings längst überfällig, wenngleich ein Wechsel zum Familiensplitting die diskriminierenden Wirkungen des Ehegattensplittings eher verstetigen anstatt beseitigen würde.

Feministische Kritik am Ehegattensplitting

Bei der steuerlichen Zusammenveranlagung, auch Ehegattensplitting genannt, werden die Einkünfte, welche die Eheleute erzielt haben, zunächst zusammengerechnet. Das gemeinsame zu versteuernde Einkommen wird durch zwei geteilt, und die Steuerlast dieses hälftigen Betrages errechnet und verdoppelt.3 Die steuerliche Entlastung ist damit abhängig von zwei Faktoren: der Einkommensdifferenz zwischen den Partnern und der Höhe des gemeinsam erzielten Einkommens. Je größer die Einkommensdifferenz zwischen den Ehegatten, desto größer ist die Steuerersparnis des Paares. Verdienen beide gleich viel, tritt keine Ersparnis ein. Der Grund ist die Progression der Einkommensbesteuerung, das heißt, mit steigendem zu versteuernden Einkommen erhöht sich der anzuwendende Steuersatz. 2005 betrug die höchste Entlastung für eine Alleinverdienerehe mit einem zu versteuernden Einkommen von 120.000 Euro 9032 Euro.4 Wenn die Ehegattin bzw. der Ehegatte einen "Zuverdienst" in Höhe von 10% des Haushaltseinkommens erzielt, halbiert sich der Splittingvorteil nahezu. Vom Splittingverfahren profitieren im Ergebnis also Einverdienstehen mit hohem Einkommen.5 Die Zweiverdienstehe mit geringem Einkommensunterschied profitiert deutlich geringer vom Splitting, Paare mit gleich hohem Einkommen haben gar nichts davon. So wird durch das Splitting im Ergebnis die klassische Ernährerehe gefördert, in der die Ehefrau nicht erwerbstätig ist oder allenfalls einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht. Die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen wird durch das Ehegattensplitting abgewertet, denn der Splittingvorteil muss zunächst zurückverdient werden. So fördert und zementiert das Ehegattensplitting die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern und ist auch verfassungsrechtlich problematisch, weil es dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 GG) widerspricht. Nach einer Studie entfallen wegen der spezifischen Wirkungsweise des Ehegattensplittings auch 69 % des gesamten Splittingvolumens auf Einverdienstehen, die aber nur 39 % aller ehelichen Gemeinschaften ausmachen.6 Wegen der unterschiedlichen Ehe- und Familienkonstellationen, sowie den Einkommensunterschieden in Ost- und Westdeutschland geht außerdem ein Großteil des Splittingvolumens in den Westen. 2003 waren es 93% (19, 3 Mrd. Euro) des Splittingvolumens von ca. 20 Mrd. Euro, die in den alten Bundesländern anfielen.

Ehe- statt Familienförderung

Ein weiteres Argument der KritikerInnen ist, dass das Ehegattensplitting nicht an das Vorhandensein von Kindern anknüpft, sondern nur an den Familienstand und die unterschiedliche Einkommenshöhe von Eheleuten. Selbst wenn man das Splitting als Familienleistung begreift, wird es durch den sozialen Wandel und die zunehmende Pluralisierung der Lebensweisen immer ungerechter, weil Familie und Ehe nicht mehr notwendigerweise eine Einheit bilden. So erreicht das Splitting zwar auch kinderlose Ehepaare, nicht aber Familien "ohne Trauschein". Diese Argumentation feministischer KritikerInnen am Splitting hat sich vor dem Hintergrund der derzeit starken familienpolitischen Debatte als anschlussfähiger erwiesen als die gleichstellungspolitischen Bedenken. Der Vorschlag des Familiensplittings greift die familienbezogene Kritik also scheinbar auf - während alle anderen Probleme des Ehegattensplittings unangetastet bleiben. Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft wird steuerrechtlich (trotz Unterhaltspflichten der LebenspartnerInnen) anders behandelt. Der Bundesfinanzhof hat diese Ungleichbehandlung als nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden angesehen,7 der Streit ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Dabei hat der Gesetzgeber Spielräume, Ehe und Lebenspartnerschaft rechtlich weiter anzunähern, dies hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit betont.8 Diese Spielräume sollen aus politischen Gründen ungenutzt bleiben, betonten VertreterInnen der Union bei einer Bundestagsdebatte im Juni 2007.

Familiensplitting als Alternative?

Die Forderungen nach einem Familiensplitting nach dem Vorbild Frankreichs gehen von einem Familientarifsplitting aus. Dabei wird das Ehegattensplitting so erweitert, dass das zu versteuernde Einkommen nicht durch zwei geteilt, sondern der Divisor in Abhängigkeit von der Kinderzahl erhöht wird. In Frankreich wird der Divisor für das erste und zweite Kind um jeweils 0,5, ab dem dritten Kind um jeweils 1 erhöht. Dadurch sinkt der anzuwendende Steuertarif insbesondere für Familien mit mehreren Kindern. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Auswirkungen der Einführung des Familiensplittings in Deutschland berechnet.9 Im Ergebnis bewirkt die Reform eine Entlastung Besserverdienender mit mehreren Kindern, Familien mit geringem oder durchschnittlichem Einkommen profitieren im Vergleich zu heute nicht. Würde das Familiensplitting das bisher im Einkommensteuerrecht verankerte Kindergeld ersetzen, wären gering bzw. durchschnittlich verdienende Familien sogar benachteiligt. Bereits die Suggestion des Wortes Familiensplitting, besonders familienfreundlich zu sein, ist irreführend. Gleichstellungspolitisch brächte das Familiensplitting keine Impulse - Veränderungen der Erwerbstätigkeit von Ehefrauen nach Einführung des Familiensplittings konnte das DIW nicht prognostizieren. Darauf deutet auch die Untersuchung von Miriam Beblo, Denis Beninger und Francois Laisney hin, die keinen Einfluss eines Familiensplittings auf das Arbeitsangebot von Frauen feststellten.10 Die Ergebnisse verwundern nicht, denn ein Familientarifsplitting führt die problematische Wirkungsweise des Ehegattensplittings fort bzw. verstärkt sie potentiell noch. Verheiratete Paare würden auch bei einem Familiensplitting weiter gemeinsam besteuert, die Wirkungsweise des Ehegattensplittings bliebe für sie erhalten. Dies ist auch der Grund, warum auch konservative PolitikerInnen gegenüber dem Familiensplitting offen sind, denn es bietet einen Weg der grundsätzlichen Beibehaltung des Ehegattensplittings durch die Hintertür. Die Erwerbsbeteiligung von Müttern mit mehreren Kindern ist in Deutschland bereits jetzt gering11 - durch ein Familiensplitting würde sich daran im Ergebnis wenig ändern.

Kosten von Familien- und Ehegattensplitting

Für die Reformdebatte sind auch die Kosten von Ehegattensplitting und einem Familiensplitting relevant. Beide Instrumente sind sehr kostenintensiv, also von erheblicher Relevanz für das Steueraufkommen. Der durch das Ehegattensplitting verursachte Verlust an Steuereinnahmen wird mit etwa 22 Milliarden Euro beziffert.12 Die Einführung eines Familiensplittings verursacht je nach Ausgestaltung einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von 1,74 Milliarden Euro (bei einem Faktor von 0,5 pro Kind).13 Nach Informationen des Bundesministeriums der Finanzen könnte ein Familiensplitting nach französischem Modell sogar bis zu 10 Mrd. Euro mehr kosten. Wer eine Ausweitung des Ehegattensplittings zum Familiensplitting möchte, muss bedenken, dass eine Gegenfinanzierung dieser erheblichen Mehrausgaben notwendig ist. Hier würde besonders das auch im Einkommensteuerrecht verankerte Kindergeld in die Gefahr geraten, zur Manövriermasse der Finanzierung des Familiensplittings zu werden, so dass im Ergebnis sogar eine Verschlechterung der ökonomischen Situation von Familien mit geringem Einkommen zu befürchten wäre. Zwar ist eine Abschaffung des Kindergeldes nicht zu erwarten bzw. nicht verfassungsgemäß, denn es stellt laut Bundesverfassungsgericht keine beliebige Sozialleistung dar, sondern ist die verfasssungsrechtlich gebotene Berücksichtigung des Existenzminimums des Kindes im Steuerrecht.14 Wie ernst diese Vorgabe politisch genommen wird, lässt die durch die Große Koalition 2006 beschlossene Senkung des Höchstalters beim Kindergeldbezug von 27 auf 25 Jahre erkennen und der Vorschlag der SPD, zur Finanzierung des Ausbaus der Krippenplätze auf die nächste Kindergelderhöhung zu verzichten.15

Individualbesteuerung - der bessere Weg

Die diskriminierenden Wirkungen des Ehegattensplittings machen eine Reform überfällig. Die Alternative zum Ehegattensplitting ist aber nicht das Familiensplitting, sondern die Individualbesteuerung. Die Individualbesteuerung stellt eine weitgehend von Einkommen oder Steuersatz der PartnerIn unabhängige Besteuerung sicher. Damit würden die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings auf Erwerbsaufnahme und Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen vermieden. Denkbar wäre ein Modell, das grundsätzlich individuell besteuert, aber den steuerlichen Grundfreibetrag (in Höhe von EUR 7.680) übertragbar gestaltet. Dies ist allerdings zwingend notwendig, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Existenzminimum aller Familienmitglieder von der Besteuerung zu verschonen ist.16 Angesichts der Tatsache, dass Kindergeld und Kinderfreibetrag am Existenzminimum für Kinder und der allgemeine Unterhaltsabzug, der derzeit für eingetragene Lebenspartner/-innen und andere Paare gilt, ebenfalls am Existenzminimum orientiert sind, wäre diese Regelung der Ehegattenbesteuerung auch konsequent.

Alte Zöpfe abschneiden

Aufgrund des sozialen Wandels hat das Ehegattensplitting zunehmend ein Legitimationsproblem, weil Ehe und traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter nicht mehr als die Basis der Familie angesehen werden können und sollten. Die Einführung eines Familiensplittings würde die problematischen Wirkungen des Ehegattensplittings fortsetzen und verstärken. Deshalb ist weiterhin für eine Individualisierung der Ehegattenbesteuerung zu plädieren, die steuerliche Anreize gegen eine Erwerbstätigkeit von Ehefrauen am ehesten beseitigen kann. Aber auch wegen der zu erwartenden starken Entlastung Besserverdienender bei weitgehend ausbleibenden Förderungseffekten für gering- bzw. durchschnittlich verdienende Familien ist das Familiensplitting problematisch. Familienförderung, welche alle Familien erreichen will, muss stärker über Transferleistungen und Rechtsansprüche auf Dienstleistungen und Infrastruktur ausgestaltet werden, von denen im Gegensatz zu Steuerfreibeträgen und anderen Instrumenten der Steuerpolitik, alle Familien gleichermaßen profitieren. Zusammenfassend ist die Forderung nach einem Familiensplitting ein Scheingefecht, um unter dem Deckmantel der Familienfreundlichkeit und scheinbarer Modernisierung einen zunehmend überflüssigen ideologischen Zopf nicht abschneiden zu müssen.

Weiterführende Literatur:

  • Bach, Stefan / Buslei, Hermann, Fiskalische Wirkungen einer Reform der Ehegattenbesteuerung, DIW Wochenbericht 2003, Nr. 22.
  • Sacksofsky, Ute, Steuerung der Familie durch Steuern, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 1896-1903.
  • Steiner, Viktor / Wrohlich, Katharina, Introducing Family Tax Splitting in Germany: How Would It Affect the Income Distribution and Work Incentives?, DIW Berlin, August 2006, http://www.diw.de/deutsch/produkte/publikationen/diskussionspapiere/docs/papers/dp612.pdf
  • Spangenberg, Ulrike, Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerklassen, 2005, http://www.g-i-s-a.de/res.php?id=410
  • Vollmer, Franziska, Das Ehegattensplitting, 1998. 1 Allerdings ist eine Reform der Lohnsteuerklassenkombination III/V im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 geplant. 2 Frankfurter Rundschau v. 13. 1. 2007, 3. 3 § 32 a Abs. 5 EStG. 4 Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE "Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings", Bundestags-Drucksache 16/2231. 5 Vollmer 1998; Spangenberg 2005. 6 Bach / Buslei 2003, 345-353. 7 BFH v. 20.7.2006, NJW 2006, S. 3310-3312. 8 BVerfGE 105, 313 (342, 351). 9 Steiner / Wrohlich 2006. 10 Beblo / Beninger / Laisney, Reformalternativen der Besteuerung von Familien, in: Althammer/Klammer, Ehe und Familie in der Steuerrechts- und Sozialordnung, 108. 11 Bothfeld, Arbeitsmarkt, in: Bothfeld/Klammer/Klenner/Leiber/Thiel/Ziegler, WSI FrauenDatenReport 2005 Handbuch zur wirtschaftlichen und sozialen Situation von Frauen, 2005, 172. 12 Bach/Buslei 2003. 13 Bergs u.a.: Reformoptionen der Familienbesteuerung. Aufkommens-, Verteilungs- und Arbeitsangebotseffekte, Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut der Universität zu Köln, Finanzwissenschaftliche Diskussionsbeiträge Nr. 06-8, 2006, 12. 14 BVerfG NJW 1990, 2869-2876; BVerfG NJW 1999, 557 ff. 15 SPD Februar 2007, http://www.spd.de/show/1705479/260207_kinderbetreuung.pdf 16 BVerfGE 87, 153-181.