Mann schafft. Frau spielt.

Die Inszenierung von Männlichkeit im Fußball

Irgendetwas irritiert, wenn wir vor dem Fernsehapparat sitzen und 90 Minuten ein Spiel verfolgen. Es sind nicht die Regeln, die auch fußballresistente Menschen einigermaßen nachvollziehen können. Es ist auch nicht die jubelnde Masse im Hintergrund. Es ist durchaus verständlich, dass es euphorische Gefühle auslöst, wenn Menschen von einer Sache begeistert sind.
Vielmehr ist es die Inszenierung von Männlichkeit auf dem Fußballfeld, die einige Fragen aufwirft: Wieso küssen sich Männer nach einem Torschuss? Warum wird das als Kameradschaft gedeutet, die keinerlei sexuelle Konnotation hat? Wieso wird geweint, dies aber - im Gegensatz zur üblichen Tradition - als Zeichen von Männlichkeit interpretiert? Wieso werfen sich Männer übereinander, berühren einander auch an erogenen Zonen? Warum bleibt die Verbindung zwischen Homosexualität und Fußball aber ein Tabu? Oder zusammengefasst: Warum werden soziale Praktiken, die andernorts als mindestens homoerotisch - wenn nicht homosexuell - interpretiert werden, einzig und allein auf dem Fußballrasen als Zeichen "echter" - nämlich heterosexueller - Männlichkeit interpretiert? Diese Irritation macht es interessant, sich über das Phänomen der Konstruktion von Männlichkeit auf dem Spielfeld Gedanken zu machen.

Die Tagung "Mann schafft. Frau spielt - Geschlechterkonstruktionen im Fußball" die im April 2008 rechtzeitig vor der Europameisterschaft gemeinsam vom FH Campus Wien und dem Referat Genderforschung der Universität Wien veranstaltet wurde, hat sich in fünf Panels mit Fragen von Fußball und Geschlecht auseinandergesetzt. Marlen Bidwell-Steiner, Tosca Wendt und Katharina Miko haben internationale Gäste zu einer gemeinsamen Auseinandersetzung geladen. Das Panel zur Konstruktion von Männlichkeit war durch eine prinzipielle Einigkeit in der wissenschaftlichen Analyse geprägt. In kaum einem anderen Feld werden so viele Praktiken als "männlich" inszeniert und dies in einem generativen Sinne: Jede Praxis soll noch einmal beweisen, dass dieser Ort auch wirklich nur für Männer geeignet ist. Michael Meuser, renommierter deutscher Männlichkeitsforscher, startet seine Analyse nicht beim Profifußball: "Die herausragende Bedeutung, die dem Fußball als einem ernsten Spiel des Wettbewerbs für die Ausbildung des männlichen Habitus zukommt, erschließt sich, wenn man den Blick zunächst weg von den Profiligen und Fernsehinszenierungen wendet und ihn auf den alltäglichen Fußball richtet, den vornehmlich die Jungen in Schule und Freizeit spielen. Der Fußball ist für die Jungen eine bereitwillig ergriffene Gelegenheit, aktiv Grenzziehungen gegenüber den Mädchen vorzunehmen, wohingegen diese sich zumeist vergeblich darum bemühen, zu den (Fußball-)Spielen der Jungen zugelassen zu werden. Die Jungen (re-)produzieren den Fußball als männliches Territorium und verteidigen dieses gegen die Partizipationsbestrebungen der Mädchen. Zugleich bestätigen die Mädchen mit ihren Wünschen mitzuspielen den Jungen, dass sie ‚im BesitzÂ’ eines wertvollen Guts sind." Meuser leistet hier eine Analyse, die das Problem bei der Wurzel packt. Die Inszenierung von Männlichkeit fängt nicht beim 20h15 Spiel an, sondern im Sportunterricht an den Schulen. Der dort institutionalisierte Ausschluss von Frauen macht die weitere Entwicklung erst möglich. Trotzdem erklärt dies noch nicht ausreichend die ganz spezifische Ausprägung von Männlichkeitsinszenierung im Fußball. Diese zeigt sich auf zwei Ebenen: in der Ausschließlichkeit von Männern am Platz und in der Körperlichkeit zwischen ihnen.

Diese zwei hängen zwar eng miteinander zusammen, aber es gibt verschiedene Erklärungsansätze. Genauer gesagt, zumindest zwei, die sich nicht ganz einig sind. Ist das Berühren und die Emotionalität homosexuell oder nur homosozial zu lesen? Geht es hier also wirklich um Erotik und vielleicht sogar Sexualität? Oder geht es darum, die ausschließliche Vergemeinschaftung zwischen Männern zu erhalten?
Die Antwort ist nicht so einfach - und auch nicht so eindimensional. Michael Meuser ist überzeugt, dass der Ausschluss nicht nur gegen Frauen gerichtet ist. Es geht auch darum, sich von jeder nicht-heterosexuellen Männlichkeit abzugrenzen. Homophobe Sprechchöre bilden Hierarchien zwischen Männern. Die Gemeinschaft und die Zärtlichkeit funktioniert zwischen heterosexuellen Männern. Das (vermeintliche) Wissen, dass es keine homosexuelle Gemeinschaft ist, macht dies erst möglich. Die Abgrenzung im Sprechchor gegen schwule Männer reproduziert die Hierarchie zwischen dem homosexuellen und dem "wirklichen" Mann. Ulf Heidel, ein weiterer Referent der Tagung und Männlichkeitsforscher, vertritt die These, dass der Begriff Homoerotik fälschlich zu der Annahme führe, der Motivation zur Gemeinschaft zwischen den Männern liege ein subtiles oder unbewusstes
sexuelles Begehren zugrunde, welches keine andere authentische Äußerung finden dürfe. Diese Analyse findet ihren Ausdruck in dem vielleicht manchmal zu schnellen - wenngleich auch in manchen Fällen wahren - Sager: "In Wirklichkeit ist der ja schwul". Der Begriff "homosoziales Begehren" jedoch suggeriert, so Heidel, dass das männliche Zusammensein - ähnlich dem bekannteren Skript Stammtisch - als solches begehrt wird, ebenso wie die Teilnahme an der männlichen Dominanz, die damit einhergeht.
Eine Gegenthese - und auch Erklärungsversuch für die Sexualisierung - dazu ist, dass Männer wie David Beckham einen Wandel erzeugt haben. Dass die mittlerweile inflationär herbeigerufene "Metrosexualität" doch einen tieferen Wandel in der Welt des Fußballs bedeutet. Dass durch die zur Schau gestellte Nacktheit seines Oberkörpers und andere Sexualisierungen seines Körpers, traditionelle Männerbilder doch verändert werden. Es ist durchaus anzudenken, ob die Sexualisierung des männlichen Körpers tatsächlich das klassische Männerbild im Fußball verändert hat. Nichtsdestotrotz ist es offensichtlich, dass Beckham in den Boulevardblättern immer als liebender Ehemann und Vater inszeniert wird. Es scheint als ob die Sexualisierung - auch für ein schwules Publikum - immer wieder entkräftet werden muss. "Er ist ja eh familär", ist der unausgesprochene Subtext dieser Inszenierungen, die Beckham an der Seite der strahlenden Victoria und ihrer Kinder zeigen.
So bleibt noch eine letzte Frage zu beantworten. Wie ist es zu erklären, dass Männer sich durch Wettbewerb nicht entzweien, sondern zu einer Gemeinschaft wachsen? Dazu Michael Meuser: "Der Wettbewerb hat eine reziproke Struktur, es gibt ihn nur zwischen Gleichen; insofern schließt er eine wechselseitige Anerkennung ein. Der Wettbewerb impliziert Distinktion und Konjunktion. Die Distinktion gegenüber den Ausgeschlossenen, den Frauen, verbindet die ‚Eingeschlossenen‘, die Männer, mögen sie ansonsten auch zahlreiche (soziale) Unterschiede aufweisen. Nicht trotz, sondern gerade wegen der kompetitiven Struktur, wird die homosoziale Männergemeinschaft von Männern als der Ort erfahren, an dem eine ‚echte‘, ‚authentische‘ Männlichkeit gelebt werden kann. Der Wettbewerb entzweit die Männer nicht, er vergemeinschaftet sie."

Wie können wir resümieren? Otto Baric, der legendäre Trainer, Otto "Maximale", wie er im Superlativ genannt wird, hat in einem Interview in der Wiener Stadtzeitung "biber" jüngst zum wiederholten Male seine eindeutige Position vermittelt: "Ich habe nichts gegen Schwule, aber ich will zum Beispiel nicht, dass, wenn ich mit meiner Familie am Mittagstisch sitze, so einer dabei ist". Einfacher und prägnanter könnte man die Notwendigkeit der kritischen Fußballforschung nicht dokumentieren.
Dass Familie und heterosexuelle Reproduktion als Antipode und als hehres Beispiel gegen alternative Männlichkeit an Land gezogen wird, ist nicht neu. Es ist nur immer wieder erschreckend, wie sehr diese Dichotomie in allen gesellschaftlichen Bereichen und somit auch im Fußball erhalten bleibt. Der Fußball ist nicht ausschließlich männlich. Frauenfußball und Fankulturen haben mit diesem Vorurteil aufgeräumt. Ein Großteil der Beiträge der Tagung war sowieso den Frauenorten im Fußball gewidmet (Programm und Papers auf Nachfrage erhältlich beim Referat Genderforschung www.univie.ac.at/gender). Dort wo der Fussball rein männlich bleibt, ist es aber eine ganz spezifische Männlichkeit: sie ist heterosexuell und familiär-reproduktiv. Es wäre schön, wenn wir an diesem Knackpunkt eine Veränderung erleben. Eine, die komplexer ist als der Oberkörper eines David Beckham.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at