Frauenbefreiung mit Marx?

Sozialistischer und marxistischer Feminismus ?Versuch einer Bestandsaufnahme und Diskussion in Publikationen der letzten Jahre

In den letzten zehn Jahren hat das Thema in deutschen marxistisch bzw. sozialistisch orientierten Zeitungen und Zeitschriften kaum eine Rolle gespielt, . . .

Angesichts der immer krasser zutage tretenden Widersprüche des kapitalistischen Systems und der damit einhergehenden Verschlechterung der sozialen Lage kann eine Renaissance des Marxismus nicht ausbleiben. Das beweist nicht zuletzt das Interesse der Öffentlichkeit an Jubiläen wie dem 125. Todes- und dem 190. Geburtstag von Karl Marx in diesem Jahr. Dass der Marxismus auch beträchtlichen Einfluß auf den Feminismus hatte und etliche Feministinnen im Westen seit 1968 um einen „marxistischen Standpunkt“ rangen, ist weniger bekannt. In den 70er und vor allem 80er Jahren gab es dazu eine Reihe von Veröffentlichungen auch auf dem (west)deutschen Buchmarkt. In den letzten zehn Jahren hat das Thema in deutschen marxistisch bzw. sozialistisch orientierten Zeitungen und Zeitschriften wie „junge Welt”, „Unsere Zeit“, „Marxistische Blätter“, „Neues Deutschland“, „konkret“ und„RotFuchs“ kaum eine Rolle gespielt, sind Vertreterinnen dieser Richtung dort so gut wie nicht zu Wort gekommen. Zugleich wird dort über Feminismus, wenn überhaupt, oft mit frappierender Unkenntnis diskutiert, als sei er nicht schon seit langem ein ernst zu nehmender Forschungsgegenstand. In der marxistischen Zeitschrift „RotFuchs“ verfocht eine Autorin kürzlich (Heft März 2008) in einem ganzseitigen Artikel die in gewissen „orthodoxen“ Kreisen traditionelle Ablehnung „des Feminismus“ bei gleichzeitiger, offen zutage tretender Ahnungslosigkeit. 1 Das Internetlexikon Wikipedia präsentiert zu den Stichworten„marxistischer Feminismus“ bzw. „Marxist Feminism“ nur kurze, nichtssagende und teilweise irreführende Artikel. Aufklärung tut also dringend not.

Unterschätzte Problematik

Die Theoretiker(innen) der Arbeiterbewegung, wie Engels, Bebel und Zetkin, gingen davon aus, dass die„Frauenfrage“ durch Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln quasi automatisch gelöst werde. Tatsächlich blieb aber die Benachteiligung von Frauen auch im Sozialismus bis zu einem gewissen Grade bestehen, was etwa in der DDR – nicht ohne Rat- und Hilflosigkeit- durchaus erkannt und diskutiert wurde. Es ergab sich die (eher im Westen so gestellte) Frage, ob nicht eine Weiterentwicklung des Marxismus unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Frauen notwendig ist – eine Frage, mit der sich in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Theoretiker(inne)n beschäftigt haben. Dabei sind sie zu verschiedenen, einander widersprechenden Resultaten gekommen. Zentral in diesen Theorien sind die Begriffe „Geschlechterverhältnisse“ und „Reproduktion“. Die „Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens“ definierte Friedrich Engels wie folgt: „Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung.“ 2 Diese Definition betrachtet Frigga Haug als „Ausgangsbasis für eine Theorie der Geschlechterverhältnisse“ 3 Fest steht, dass die Reproduktions- von den Produktionsverhältnissen geprägt sind und nicht unabhängig von diesen betrachtet werden können. („Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der Reproduktion“, so Marx im „Kapital“, „Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion.“ 4 Inwieweit die Reproduktion auf die Produktion zurückwirkt, läßt sich viel schwieriger klären. Feministinnen fassen unter „Reproduktion“ vor allem die (vorwiegend von Frauen geleistete) Hausarbeit, wie die Geburt und Betreuung von Kindern, die Führung des Haushalts und die Versorgung der Familie. „Sozialistischer und marxistischer Feminismus. Positionsentwicklungen in den letzten 35 Jahren“ ist der Titel einer Publikation der„AG Marxismus“ Wien. 5 Sie befaßt sich mit sozialistisch- und marxistisch- feministischen Theorien, die seit Ende der 60er Jahre in Westeuropa und den USA verstärkt hervorgebracht wurden und an Einfluß gewannen. Diese Theorien unterscheiden sich vom„radikalen“ und vom„liberalen“ Feminismus dadurch, dass sie im Kapitalismus „eine der Wurzeln der Frauenunterdrückung“ sehen und im politischen Kampf eine antikapitalistische Haltung einnehmen, wie die Autorin Maria Pachinger erläutert. Als Feministinnen und Feministen seien „all jene Frauen und Männer“ zu betrachten, die „einen aktiven Kampf um Frauenbefreiung (...) führen, der die Überwindung von Sexismus und Frauenunterdrückung zum Ziel hat“. 6 Die Institutionalisierung des Feminismus seit den 80er Jahren hält Pachinger für „hauptsächlich reaktionär“, obwohl sie nicht durchweg negativ zu betrachten sei und auch Positives gebracht habe. Sie führte u. a. zu einer Akademisierung des Feminismus, durch die sich die Zahl der Publikationen zu Frauen- und Geschlechterfragen „explosionsartig“ vermehrt hat. Gleich eingangs erläutert die Autorin die Unterschiede zwischen sozialistischem und marxistischem Feminismus. Der sozialistische Feminismus stehe dem Marxismus kritisch bis ablehnend gegenüber, werfe ihm Reduktionismus und „Geschlechtsblindheit“ vor. Er betrachte die Geschlechterverhältnisse als gleichrangig mit den Klassenverhältnissen- Kapitalismus und Patriarchat ergänzten und beeinflußten sich (Zwei-Systeme-Theorie). Der marxistische Feminismus hingegen bestreite, dass es ein Patriarchat gebe, das dem Kapitalismus als System gleichgesetzt werden könnte. Er betont die Klassen- und damit Interessenunterschiede zwischen den Frauen und versucht, die Marxsche Theorie konsequent auf das Problem der Frauenunterdrückung anzuwenden. Als weitere aktuelle Spielart nennt Pachinger den „materialistischen Feminismus“ mit Vertreterinnen wie Rosemary Hennessy, Chrys Ingraham und Lise Vogel. Tonangebend seien dabei wie heute allgemein „der postmoderne, poststrukturalistische und postkoloniale Diskurs, die allesamt auf Differenz, Dekonstruktion und Dezentralisierung setzen“ 7 Im Einzelnen stellt die Publikation die feministischen Theoretikerinnen Christine Delphy, Heidi Hartmann, Frigga Haug, Mariarosa Dalla Costa, Nancy Hartsock, Michèle Barrett, Johanna Brenner und Martha E. Gimenez vor. Die französische Soziologin Christine Delphy wurde wegen ihres Einflusses auf sozialistische Feministinnen wie Heidi Hartmann in die Auswahl aufgenommen. Sie war Mitbegründerin des „Mouvement de Libération de la Femme“ (MLF) und der Zeitschrift „Nouvelles questions féministes“ (zusammen mit Simone de Beauvoir). Ihr Werk „Der Hauptfeind“, in dem sie ihre feministischen Grundpositionen darlegte, erschien 1970. Auch sie sprach bereits von einem „materialistischen Feminismus“. Ihrer Ansicht nach stellt das Patriarchat ein eigenes ökonomisches Ausbeutungssystem neben dem Kapitalismus dar (das entspricht der sogenannten Dual-Systems-Theorie). Sie kritisierte den Marxismus, weil er die Frauenunterdrückung v. a. als ideologisches Phänomen, zu wenig aus der ökonomischen Perspektive betrachte, und distanzierte sich von den kommunistischen Parteien wie der Französische KP, denen sie eine patriarchalische Politik vorwarf. Die von den Frauen geleistete Hausarbeit werde in den ökonomischen Analysen des Kapitalismus vernachlässigt. Diese Überzeugung bekräftigte sie 2004 in einem Aufruf („Den Elan des Feminismus wiederfinden!“) in der Zeitschrift „Le Monde diplomatique“, in dem es heißt: „Die offenkundige Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt stützt sich auf die Ausbeutung der Hausarbeit der Frauen, die von ihnen zu 90 Prozent geleistet wird.“ 8 Diese Ausbeutung sei Teil der Grundstruktur des sozialen Systems, wie die Gliederung in soziale Klassen. Die Aufteilung der Hausarbeit scheine zwar das Resultat interindividueller Verhandlungen der Paare zu sein, doch in Wirklichkeit verberge sich dahinter die patriarchalische Organisation unserer Gesellschaft. Die US-amerikanische Ökonomin Heidi Hartmann ist Professorin für Women Studies an der George Washington University in Washington. In ihrem Aufsatz „Marxismus und Feminismus: Eine unglückliche Ehe“ (dt. 1983) versuchte sie, eine Bilanz der bisherigen Theorien sozialistischer Feministinnen zu ziehen und deren Mängel aufzuzeigen. Sie bezweifelte die These der frühen Marxisten, dass sich die Befreiung der Frauen durch ihre Einbeziehung in die Industrie erreichen lasse, und stellte (ebenso wie zuvor Simone de Beauvoir) Engels’ Theorie, dass die Frauenunterdrückung mit der Entstehung des Privateigentums begonnen hätte, in Frage. Die Solidarität der Männer sei klassenübergreifend; auch der Arbeiter neige dazu, sich als Mann eher mit dem Kapitalisten als mit seiner Klassengenossin zu identifizieren – dies sei als Patriarchat zu begreifen. Die Männer der Arbeiterklasse verrieten ihre Genossinnen, um in den Genuss von Privilegien und Vorurteilen zu kommen. Männer hätten „ein materielles Interesse an der weiteren Ausbeutung der Frauen“. Das Patriarchat ist für sie eine „gesellschaftliche und historische Struktur“, sie spricht von einer „Partnerschaft von Patriarchat und Kapitalismus“, vom „Patriarchalen Kapitalismus“. Frauen seien keine doppelt freien Lohnarbeiter – sie seien nicht frei, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, da diese, ebenso wie ihre Sexualität, teilweise von den Männern kontrolliert werde. Sie sollten daher den Kampf gegen den Kapitalismus mit dem Kampf gegen das Patriarchat verbinden. Mariarosa Dalla Costa, die an der Universität Padua Politische Theorie lehrt, gründete die erste feministische APO-Organisation, „Lotta feminista“. Mit ihrem Aufsatz „Die Frauen und der gesellschaftliche Umsturz“ (1972, dt. 1973) brachte sie die sogenannte „Hausarbeitsdebatte“ in Gang. Sie versuchte zu beweisen, dass Hausarbeit Mehrwert schaffe und ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise sei. Ein theoretischer Kunstgriff, durch den sie die Hausfrauen in die Arbeiterklasse und in den revolutionären Kampf einbinden wollte. Den Kampf der Hausfrauen, z. B. in Form von Streiks, sah sie als entscheidende Größe, um das kapitalistische System zu stürzen. Diese illusorischen Vorstellungen stießen natürlich auch innerhalb der Frauenbewegung auf Kritik. Die Diskussion über die – von Dalla Costa vorgeschlagene- Entlohnung von Hausarbeit wird bis heute geführt und von konservativen Parteien wie der CDU (aber auch innerhalb der Partei „Die Linke“ von Christa Müller) aufgegriffen. Eine solche „Herdprämie“ hätte allerdings zur Folge, Frauen noch mehr an den Haushalt zu binden. Marxistische Feministinnen orientieren deshalb auf eine Vergesellschaftung der Hausarbeit, wie sie bereits von August Bebel, später auch von Lenin und Alexandra Kollontai, gefordert und in den sozialistischen Ländern teilweise (aber nicht ausreichend) realisiert wurde. Das Verdienst von Dalla Costa besteht darin, die bis dahin auch unter Linken missachtete Hausarbeit in den Blickpunkt gerückt zu haben. In dem von Frigga Haug herausgegebenen „Historisch- kritischen Wörterbuch des Feminismus“ weist übrigens Lise Vogel darauf hin, dass sich 1940 schon Mary Inman, damals Mitglied der Kommunistischen Partei der USA, mit diesem Thema beschäftigt hatte. 9 In der Bundesrepublik prägte die Soziologieprofessorin Maria Mies, heute Mitglied von ATTAC, Ende der 70er Jahre den polemischen und strittigen Begriff „Hausfrauisierung“, der die strukturelle Entwertung weiblicher Arbeit im Kapitalismus, aber auch die Kolonialpolitik und den Neokolonialismus in der „Dritten Welt“ umfasst. Die Hausarbeitsdebatte wurde weltweit mit einiger Intensität geführt. Auch die Bürgerrechtskämpferin Angela Davis, heute Professorin im Feminist Studies Department an der Universität von Santa Cruz, widmete der „Housework“ ein Kapitel ihrer 1981 erschienenen feministischen Publikation „Women, Race and Class“ (dt. „Rassismus und Sexismus. Schwarze Frauen und Klassenkampf in den USA“, 1982). 10 Michèle Barrett, Professorin für Moderne Literatur und Kulturtheorie an der Queen Mary University in London, fand mit ihrem Werk „Das unterstellte Geschlecht” (1980, dt. 1983) auch hierzulande Aufmerksamkeit. Darin widersprach sie Hartmanns Dual-Systems- Theorie. Es sei unzulänglich, das Spezifische der Frauenunterdrückung aus den Reproduktionsbedürfnissen des Kapitalismus erklären zu wollen, denn die kapitalistische Produktionsweise funktioniere geschlechtsneutral. Die Hausarbeit sei zwar für die gegenwärtige Reproduktion der Arbeitskraft von enormer Bedeutung, dies müsse aber nicht zwangsläufig der Fall sein. Sie kritisierte den Patriarchatsbegriff als ahistorisch; die Geschlechterverhältnisse hätten vorwiegend eine ideologische Funktion, dabei müsse die Rolle des Staats und der Politik beachtet werden. Die Spaltung der Arbeiterklasse an der Geschlechterlinie habe sich, ähnlich der Spaltung in „Rassen“ und Nationen, als effektiv für den Kapitalismus erwiesen. Die Unterdrückung der Frauen werde durch den Sexismus der männlichen Arbeiter gestützt - man könne in diesem Punkt der Arbeiterbewegung den Vorwurf der Komplizenschaft mit dem Bürgertum nicht ersparen. Für Barrett ist die Geschlechterideologie das Hauptantriebsmittel, mit dem die Frauenunterdrückung im Kapitalismus durchgesetzt und aufrechterhalten wurde. Aber auch die Frauen selbst reproduzierten Geschlechterrollen und konstituierten sich scheinbar freiwillig als untergeordnete Subjekte. Rein abstrakt-theoretisch sei das Problem nicht zu lösen, sondern müsse auf der empirischen Ebene konkret historisch untersucht werden. Johanna Brenner, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Portland State University in Oregon, trat im Jahr 2000 mit ihrem Werk „Women and the Politics of Class“ hervor, das eine Anzahl von Aufsätzen enthält, die sie im Laufe von 16 Jahren u. a. für die Zeitschrift „Monthly Review“ geschrieben hatte. Sie formulierte als ihr Ziel, antikapitalistische Ideen und Perspektiven in den Feminismus wie auch feministische Ideen in den Sozialismus einzubringen und forderte eine feministische Erneuerung von Marx. Gegen den von Barrett erhobenen Vorwurf der Komplizenschaft der männlichen Arbeiter mit den Kapitalisten argumentierte sie, die Kapitalisten hätten die Frauen schon immer bewußt als Billigkonkurrenz benutzt, um die gewerkschaftliche organisierten Arbeiter unter Druck zu setzen; daraus erklärten sich frühere frauenfeindliche Reaktionen der Gewerkschaften und Organisationen. Für die Arbeiter hätten weniger ideologische als materielle Gründe, nämlich die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, eine Rolle gespielt. Sie hielt eine historische Untersuchung der Geschlechterverhältnisse für notwendig. So sei die Reproduktion vor allem im 19. Jahrhundert stark durch biologische Faktoren geprägt worden, von denen Frauen heute unabhängiger sind – obwohl sie immer noch unter dem Druck der Verantwortung für die soziale Reproduktion (Haushalt, Kinder- und Altenbetreuung) stehen. Brenner wies darauf hin, dass der Abbau von Sozialleistungen zu höheren Belastungen für Frauen führt, da sie diese durch zusätzliche Arbeit im Haushalt kompensieren müssen. Sie erkannte auch, dass bürgerliche Frauen und Arbeiterinnen (nicht im Sinne von Klassen, sondern von sozialen Schichten) verschiedene politische Interessen haben. Während „Mittelklasse“- Frauen um größere Karrieremöglichkeiten und Machtpositionen kämpfen, geht es bei Arbeiterinnen meist um den Lebensunterhalt, um die bare Existenz. Kritisch sieht Brenner auch die Institutionalisierung der Frauenbewegung, die der ständigen Begleitung und Korrektur von der Basis bedürfe, da sie sonst dem vom System ausgeübten Anpassungsdruck erliege. Nancy Hartsock ist Professorin für Politische Theorie an der University of Washington in Seattle. Der von ihr mitbegründete sogenannte „Standpunktfeminismus“ (Standpoint feminism) geht davon aus, dass die Welt, das kapitalistische System, ebenso die Frauenunterdrückung, von einem bestimmten Standpunkt aus erkennbar, analysierbar und veränderbar sei. Hartsock („The Feminist Standpoint“, 1983) wollte einen feministischen historischen Materialismus entwickeln und stützte sich dabei auf Marx und Lukács. Sie kritisierte, dass Marx die Situation der Frauen bei seinen Analysen weitgehend vernachlässigt habe. Ihrer Ansicht nach haben Frauen gemeinsame Interessen über Klassengrenzen hinweg - sie könnten sich demnach einen spezifischen feministischen Erkenntnisstandpunkt, analog zum Klassenstandpunkt, erarbeiten. Hartsock betonte noch in den 80er und 90er Jahren die Notwendigkeit des politischen Kampfes und schrieb sogar von der Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution. In ihrer Schrift „The Feminist Standpoint Revisited“ (1998) stellte sie ihre Position erneut dar und ging dabei auf die Kritik von poststrukturalistischer Seite ein, die darauf hingewiesen hatte, dass es einen einheitlichen „Standpunkt“ von Frauen jenseits von Klasse, Bildungsstand, Nationalität, Hautfarbe usw. nicht geben könne. Die Standpunkt-Feministinnen, zu denen auch Donna Haraway gehört, korrigierten daraufhin ihre Theorie in einigen Punkten. Die bekannteste Vertreterin des sozialistischen Feminismus in der Bundesrepublik Deutschland ist Frigga Haug, bis 2001 Professorin für Soziologie an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Die Mitherausgeberin und Redakteurin der Zeitschrift „Das Argument“, Redakteurin des „Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus“ und des „Forums Kritische Psychologie“ ist seit kurzem Mitglied der Partei „Die Linke“. Sie betrachtet sich selbst als marxistische Feministin. Aus dem noch unvollendeten „Historisch- Kritischen Wörterbuch des Marxismus“ hat sie 2003 einen ersten Band des sogenannten „Historisch-kritischen Wörterbuchs des Feminismus“ zusammengestellt, an dem etliche an Marx geschulte Feministinnen, wie Martha E. Gimenez, Donna Haraway und Rosemary Hennessy, mitgearbeitet haben. Haug vertritt die Auffassung, dass die Geschlechter- ebenso wie die Produktionsverhältnisse analysiert werden müssten – ja, sie seien auch Produktionsverhältnisse. Ausführlich erläutert sie diese Position, die im Grunde der Dual-Systems-Theorie entspricht, in ihrem „Wörterbuch des Feminismus“. Wörtlich meint sie dort u. a., „dass die Geschlechterverhältnisse immer auch Produktionsverhältnisse“ seien und beruft sich auf Marx, der einmal notierte, dass die kapitalistische Produktionsweise aufgrund der notwendigen Reproduktion in gewisser Weise „durch außerhalb ihrer Entwicklungsstufe liegende Produktionsweisen“ mitbedingt werde. Haug hat 1980 die „Opfer-Täter“-Debatte begonnen, nach der Frauen nicht nur Opfer des Patriarchats sind, sondern dieses auch mittragen und unterstützen, eine These, die später von Christina Thürmer – Rohr aufgegriffen wurde. Im „Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung“ (2003) hat Haug das Kapitel über „Sozialistischen Feminismus“ verfasst. Dort unterbreitet sie ihre Erkenntnis, in der Frauenbewegung müssten „marxistische Begriffe neu gedacht werden“. 11 Sie kritisiert marxistische Klassikerinnen wie Clara Zetkin, die auf einer „Frauenfrage“ und einer „Frauenpolitik“ insistiert hätten. Theoretikerinnen aus sozialistischen Ländern erwähnt sie nicht. Ansonsten konstatiert sie, sozialistische Feministinnen seien „einsam“ geworden, weil sie sich sowohl mit der Arbeiterbewegung als auch mit der autonomen Frauenbewegung angelegt hätten. Martha E. Gimenez ist Professorin der Soziologie an der University of Colorado in Boulder. In ihren Schriften wie „Marxism and Feminism“ (1975) bezog sie sich vor allem das, was sie als Marxsche „Methodologie“ bezeichnet. Gegen den Vorwurf der „Geschlechtsblindheit“ von Marx brachte sie vor, dass die kapitalistische Produktionsweise selbst „geschlechtsblind“ sei: „Ob Kapitalisten männlich, weiblich, weiß, farbig, jung oder alt oder was immer sind, ist bedeutungslos für die Funktionsweise des Kapitalismus.“ Die Klasse, die die Produktionsmittel besitze, kontrolliere jedoch auch die Bedingungen für die physische und soziale Reproduktion der eigentumslosen Klassen. Deren Möglichkeiten, ihre soziale Reproduktion zu gestalten, seien durch die Produktion stark eingeengt. Geschlechter- und Produktionsverhältnisse seien nicht gleichzusetzen, wenngleich die Art der Produktion die Art der Reproduktion mitbestimme. Die Ursache der sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern könne „nicht in den Intentionen und Motiven der Männer gefunden werden“. Sexismus und Rassismus seien nicht unabdingbar für den Kapitalismus, jedoch als Ideologien dazu geeignet, die Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern. Deshalb müsste der feministische Kampf mit dem Kampf der Arbeiter(innen)klasse verbunden werden.

Resümee

Maria Pachinger kommt in ihrem Überblick über die Theorien des sozialistischen und des marxistischen Feminismus zu dem Schluss, dass sich die tradierten Geschlechterverhältnisse für den Kapitalismus als praktisch erwiesen hätten. Frauen würden immer noch als Haussklavinnen fungieren, die gratis Reproduktionsarbeit leisten und als Lohnarbeiterinnen effektiver auszubeuten sind. Die Frauenunterdrückung sei tatsächlich wichtig für die Kapitalakkumulation, zumal unbezahlte Hausarbeit und gering bezahlte Lohnarbeit der Frauen ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor für den Kapitalismus sind und Einfluss auf das allgemeine Lohnniveau und damit auch auf den Profit haben. Die Unterdrückung von Frauen sei jedoch nicht konstitutiv für den Kapitalismus, nicht zwingend notwendig für sein Funktionieren. Aber bedeutet das nicht, dass Frauen theoretisch im Kapitalismus den gleichen Status wie Männer erreichen könnten, und wird damit nicht bürgerlichen Feministinnen recht gegeben, die „lediglich“ gegen die Diskriminierung innerhalb des Systems kämpfen? Pachinger ist im Gegenteil davon überzeugt, dass der Versuch der Frauenbefreiung innerhalb des kapitalistischen Systems in eine „Sackgasse“ führe. Wenn Marxist(inn)en konstatieren, der Kapitalismus könne seiner Funktionsweise nach auch ohne Frauenunterdrückung existieren, muss allerdings hinzugefügt werden, dass er in der Praxis nie ohne sie funktioniert hat, selbst wenn die Frauen, vor allem in den reichen westlichen Ländern, immer mehr Rechte und Möglichkeiten für sich erkämpfen konnten. Die theoretische „Geschlechtsblindheit“ bzw. – neutralität der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie von Marx analysiert wurde, kontrastiert mit der massiven Ungleichbehandlung und Schlechterstellung der Frauen auf der ganzen (kapitalistischen) Welt, sodass es nicht erstaunlich ist, dass linke Feministinnen immer wieder versucht haben, den Marxismus zu ergänzen und zu „verbessern“. Daher wird auch von „neomarxistischem“ Feminismus gesprochen. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Arbeit der Frauen und ihre Situation insgesamt im Werk von Marx und Engels, abgesehen von Engels’ umstrittener Studie „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (1884), kaum Beachtung gefunden haben. Zu behaupten, „dass in der Theorie von Marx und Engels die Erniedrigung, Knechtung, Verlassenheit und der würdelose Status der Frauen keine Rolle spielen“, 12 wie Hanna Behrend es tat, ist jedoch übertrieben. Die meisten in Frage kommenden Zitate der marxistischen Klassiker wurden von Feministinnen mit großem Eifer aufgespürt und ausgebeutet – manchmal auch missverstanden –, das Ergebnis war jedoch alles in allem mager, unbefriedigend und machte weitere Analysen und neue Fragestellungen notwendig. Dass Marx der Situation der Frauen so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, während er andere Probleme, wie Kolonialismus, Religion, Kultur, Wohnverhältnisse etc. näher untersuchte, ist nicht nur ein Schönheitsfehler, sondern ein gravierendes Problem. Seine Theorie über den Kapitalismus wird dadurch aber weder falsifiziert noch relativiert. Die in der Publikation von Maria Pachinger vorgestellten Theoretikerinnen stammen sämtlich aus Westeuropa und Nordamerika. Das sei kein Zufall, sondern liege am „Sprachproblem“, so die Autorin. 13 Überdies gebe es in den imperialistischen Ländern mehr Freiraum für die Beschäftigung mit Theorie. Das erklärt freilich nicht, warum auch Theoretiker(innen) aus sozialistischen Ländern ausgeklammert werden. Der Grund liegt vermutlich einerseits darin, dass es dort offiziell keinen „Feminismus“ gab, (aber sehr wohl eine im Westen weitgehend ignorierte Frauenforschung und auch marxistisch begründete Analysen zur Stellung der Frau in der sozialistischen Gesellschaft), andererseits in der trotzkistischen Abneigung gegenüber dem „realen Sozialismus“. Französische Theoretiker(innen) sind deutlich unterrepräsentiert, obwohl doch gerade in der französischen linken Intelligenz die Schriften von Marx und Engels intensiv rezipiert wurden, u. a. auch von Simone de Beauvoir („Das andere Geschlecht“). Dabei spielt das von der Autorin erwähnte „Sprachproblem“ kaum eine Rolle, da viele dieser Schriften ins Deutsche übersetzt worden sind. Die Studie der AG Marxismus Wien hat eine theoretische, vor allem aber auch eine ideologische, richtungsweisende Funktion, soll quasi ein Lehrbuch sein – ausgehend von der Überzeugung, dass marxistische Bewegungen und Organisationen nicht darum herumkommen, sich auf dem Gebiet des Feminismus eine klare theoretische Position zu erarbeiten, auch in Hinblick darauf, bürgerlichen, unmarxistischen Theorien entgegentreten zu können. Anders das „Historisch-kritische Wörterbuch des Feminismus“ und das umfangreiche „Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung“ (736 S.) – beide sind weniger deutlich und homogen in ihrer ideologischen Ausrichtung. Im „Wörterbuch“ stammen aber wesentliche Artikel, wie der über die „Geschlechterverhältnisse“, von der Herausgeberin Frigga Haug, die damit die Tendenz des Bandes bestimmt hat. Deutlich wird in jedem Fall, dass feministische Theorien inzwischen so zahlreich und kompliziert geworden sind, dass sie Nicht- Akademiker(inne)n kaum noch zugänglich erscheinen. Auch daraus resultiert ihre geringe Verbreitung und eine unzureichende Beschäftigung mit dem Problem des marxistischen Feminismus, nicht zuletzt unter Kommunist(innen)en. Symptomatisch dafür ist, dass etwa das Buch Maria Pachingers über sozialistischen und marxistischen Feminismus in den mehr als zwei Jahren seit seiner Veröffentlichung kaum Beachtung in unseren Medien gefunden hat; in der Tageszeitung „junge Welt“ etwa erschien nur eine kurze, oberflächliche Rezension. 14 Aufmerksam registriert wurde dagegen das Erscheinen des „Historisch- kritischen Wörterbuchs des Feminismus“, aber auch dazu gab kaum substanzielle bzw. gar kritische Besprechungen in den linken Medien. Von ausländischen Feministinnen begrüßt, wurde es von bürgerlicher Seite u. a. als unvollständig und fehlerhaft angegriffen. 15 Angesichts solcher Defizite zeigt sich, dass eine Renaissance des Marxismus mit einer Renaissance des marxistischen Feminismus einhergehen muss. Ein Ende der von Frigga Haug diagnostizierten „Einsamkeit“ marxistischer und sozialistischer Feministinnen hierzulande ist jedoch nicht abzusehen.

Fußnoten

1 Marta Kokoschko: In einer Gesellschaft ohne Ausbeutung bedarf es keines feministischen Erklärungsmusters. Der soziale Inhalt der Frauenfrage. In RotFuchs März 2008, S. 10. In dem Beitrag stellt die Autorin fest, sie habe keine Vorurteile gegen „den Feminismus“, lehne aber „den derzeitigen BRD-Feminismus aus wissenschaftlichen Gründen ab“. Eine Begründung dafür gibt sie nicht, was schon deshalb unmöglich ist, weil es „den derzeitigen BRD- Feminismus“ so gar nicht gibt. 2 Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. MEW 21, S. 47 f. 3 Frigga Haug: Geschlechterverhältnisse. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus (Bd. 1), Hamburg 2003, Sp. 451. 4 Karl Marx: Das Kapital. MEW 23, S. 591. 5 2007 ist die AG Marxismus in der „Revolutionär Sozialistischen Organisation“ aufgegangen. Es handelt sich um trotzkistische Organisationen. 6 Maria Pachinger: Sozialistischer und marxistischer Feminismus. Positionsentwicklungen in den letzten 35 Jahren. Marxismus Nr. 27, Wien 2005, S. 9. 7 Ebd. S. 15. 8 Christine Delphy: Retrouver l’élan du féminisme. In: Le Monde diplomatique, Mai 2004. www.monde-diplomatique.fr/2004/05/DELPHY/11173 9 Lise Vogel: Hausarbeitsdebatte. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus, a. a. O., Sp. 542. Bei der erwähnten Publikation handelt es sich um Mary Inman: In Woman’s Defense. Los Angeles 1940. 10 Dieses Kapitel unter dem Titel „The Approaching Obsolescence of Housework: A Working-Class Perspective“ ist auf der Internetseite von marxist.org nachzulesen: www.marxists.org/subject/women/authors/davis-angela/housework.htm 11 Ruth Becker, Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S. 49. 12 Hanna Behrend: Marxismus und Feminismus – inkompatibel oder verwandt? In: UTOPIE kreativ, H. 109/110 (November/Dezember 1999), S. 162. Die Autorin leitet daraus ab, „die frauenfeindliche politische Praxis in marxistisch orientierten Parteien, in realsozialistischen Staaten und bei den Linken im allgemeinen“ sei „demnach kein Zufall“ (ebd.). 13 Maria Pachinger, a. a. O., S. 9. 14 Claudia Wangerin: Marx als Präzisionswerkszeug. In: junge Welt, 20. 1.2006, S. 15. 15 U. a. Rolf Löchel: Etikettenschwindel. Frigga Haug hat kein historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus herausgegeben. literaturkritik.de. Rezensionsforum für Literatur und für Kulturwissenschaft: www.literaturkritik. de/public/rezension.php?rez_id=6715&ausgabe=200401

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