Berlusconi bringt sich in Sicherheit

Die Neuauflage der Berlusconi-Regierung in Italien verfolgt vor allem den Zweck, die Herrschaft privilegierter Gruppen zu festigen. Dadurch wird

in einem Land, in dem die Mechanismen der balance of powers seit langem unter Druck stehen, die Demokratie weiter ausgehöhlt. Silvio Berlusconis Machtposition soll nicht nur de facto, sondern auch de jure verankert werden. Darin liegt der wahre Anspruch von Potenz und Herrschaft. Diesem Ziel dient ein Aktivismus ohnegleichen: Seit Anfang Mai überrollt die Rechtskoalition, angeführt von Berlusconis Partei namens "Volk der Freiheit", die Öffentlichkeit tagtäglich mit neuen Gesetzesvorlagen. Die in sich uneinige parlamentarische Opposition reagierte anfangs nur zaghaft; sie selbst hatte in ihrer Regierungszeit schon einige der sogenannten Reformen zur weiteren Liberalisierung des Arbeitsrechts und zu Sparmaßnahmen im nächsten Haushaltsentwurf geplant, und die neue konstruktive Atmosphäre zwischen Oppositionsführer Walter Veltroni (Demokratische Partei) und einem entdämonisierten Berlusconi, der im Wahlkampf Kreide gefressen hatte und dem man daraufhin sogar staatsmännisches Format bescheinigte, soll nicht gestört werden. Schließlich wird man mindestens fünf Jahre mit ihm auskommen müssen. Aber vielleicht wird es danach gar keine nennenswerte parlamentarische Opposition mehr geben, fürchten nicht wenige Linke.

Die Idylle währte nur kurz. Das Unbehagen wuchs schon angesichts der Gesetzentwürfe zum Thema "Sicherheit". Diese reichen von dem geplanten Straftatbestand des illegalen Aufenthalts, wodurch Hunderttausende Ausländer zu Kriminellen gemacht würden (ähnlich wie in Deutschland, das auch mit seiner Abschiebehaft von 18 Monaten als Vorbild dient), über den Einsatz von 3.000 Soldaten in zehn Großstädten zwecks Abschreckung der Bösen bis zu den Versuchen, die verbreitete white-collar-Kriminalität noch weiter als bisher der Strafverfolgung zu entziehen. In diesem Zusammenhang plant man unter anderem Verordnungen zur massiven Beschneidung von Abhörkompetenzen der Staatsanwaltschaft, zur Einschränkung der Berichterstattung in den Medien und auch - hört! hört! - zur Nichtverfolgung sogenannter weniger relevanter Straftaten, die vor 2002 begangen wurden und gesetzlich mit weniger als zehn Jahren Haft bedroht sind, zugunsten "großer Fälle", deren Verfolgung angeblich dem Volk am Herzen liegt.

Berlusconi zeigt mit dieser schon aus seiner ersten Regierungszeit bekannten "ad personam"-, also auf seine persönlichen Interessen ausgerichteten Gesetzgebung sein altes häßliches Gesicht eines "Kaiman", das der Regisseur Nanni Moretti in seinem gleichnamigen Film 2006 so treffend skizziert hatte. Noch einmal wagt er einen Versuch, die Spitzen der höchsten Institutionen des Landes juristisch unangreifbar zu machen. Den ersten Versuch aus dem Jahre 2003 hatte gleich 2004 das Verfassungsgericht scheitern lassen. Den zweiten unternahm jetzt der neue Justizminister Alfani. Hier geht es um den in Mailand laufenden Mills-Prozeß, in dem Berlusconi wegen schwerer Justiz-Bestechung angeschuldigt wurde, so daß er demnächst zu mindestens sechs Jahren Haft verurteilt werden könnte. Dadurch würde eine auch in Italien ungewöhnliche institutionelle Krisen-Situation entstehen, auch wenn ein Angeschuldigter erst nach einem Schuldspruch der dritten Instanz als schuldig gilt; bis dahin vergeht oft ein Jahrzehnt.

Die neue Schärfe der innenpolitischen Auseinandersetzung dieser Tage zerreißt zumindest einige Illusionen: Berlusconi bezeichnete soeben nicht nur die Mailänder Richter, sondern auch den Obersten Rat der Richterschaft als durchsetzt von "subversiven Revolutionären", die die demokratische Ordnung aus den Angeln heben wollten, indem sie sich über den Volkswillen hinwegsetzen, der ihm schließlich gerade über 17 Millionen Stimmen gegeben habe. Das heißt: Die Rechtsprechung soll vor der ihm vom Volk verliehenen Autorität Halt machen. Von Gewaltenteilung ist da keine Rede mehr.

Juristen und Journalisten, Opposition und Zivilgesellschaft kündigen erneut massiven Widerstand an. Seit dem 23. Juni protestiert man wieder vor den Gerichtsgebäuden. Die Demokratische Partei rief zu einer nationalen Kundgebung im Oktober auf. Doch ob sie bis dahin zu innerparteilicher Klarheit über die Oppositionsstrategie gelangt sein wird, ist zweifelhaft. Dazwischen der lange italienische Sommer, in dem die Wähler am Strand liegen und die Parlamentsmehrheit kaum beachtet rasch einige Entscheidungen durchlaufen lassen kann. Der gesamten Opposition stellt sich die Frage, ob sie die Fortsetzung eines bereits gesehenen Films tolerieren will, an dessen Ende demokratische Mechanismen nicht mehr greifen werden. Daß sich alle Italiener dieser Gefahr bewußt sind, ist kaum anzunehmen.

Seit fast 30 Jahren vernebelt Berlusconi mit seinem Medienimperium viele Millionen italienische Gehirne. Die Tragweite dieser Tatsache wird nicht immer ganz erfaßt. Ihm gelingt es jedenfalls, das auch in Italien verbreitete Gefühl wachsender sozialer Unsicherheit so zu lenken, daß der gemeine Telekonsument die Übel der "Globalisierung" nicht den Entscheidungen der Unternehmer und Geldanleger zuschreibt, sondern vor allem am Bild der illegalen Ausländer festmacht. Deren Lage ist, wie alles in Italien, voller Widersprüche.

Aufgrund rigider Einwanderungsquoten und absurder Bürokratie sind Flüchtlinge oft jahrelang in die Illegalität gezwungen. Bisher sah die Polizei im Alltag meist weg, denn ohne die Schwarzarbeit von Illegalen auf dem Feld, in der Kleinindustrie oder im Pflegesektor würde vieles nicht funktionieren - sagen jedenfalls die Nutznießer. Die meisten dieser Arbeitsimmigranten kommen - oft in frühkapitalistischen Ausbeutungs- und Wohnverhältnissen - bei "guten Katholiken" unter, manche gleiten in Kleinkriminalität und Prostitution ab, und das brave Bürgertum nimmt sie als ärgerliche Flecken wahr, die das Stadtbild verunzieren. Dagegen mehren sich seit Jahren Proteste vor allem im Norden Italiens. Auch das linksregierte Florenz verbannte im vorigen Herbst die scheibenwischenden Albaner von den Ampel-Kreuzungen, und in diesen Tagen trifft es die ambulanten Händler aus Afrika im ebenfalls linksregierten Venedig. Im März und April, kurz vor der Wahl, berichtete Abend für Abend selbst das öffentliche RAI-Fernsehen immer aufs Neue von Vergewaltigungen und Überfällen durch Ausländer. Die amtliche Kriminalstatistik war rückläufig, dessenungeachtet wurden Ängste und angeblich unzureichende Sicherheitsmaßnahmen zum propagandistischen Hauptthema hochgepuscht, wie es auch nördlich der Alpen in Wahlkampfzeiten geschieht, doch in Italien sind es nicht so sehr Ängste vor "Terroristen" als vor Zigeunern aus Rumänien. In unserem Medienzeitalter kommt es ja immer weniger auf die Realität selbst, sondern um so mehr auf deren Wahrnehmung an.

Im Mai, zeitgleich mit dem Beginn der neuen Herrschaft Berlusconis, erschienen zwei großartige politische Filme; sie sind sogar mit Staatsgeldern bezuschußt und in Cannes hochprämiert: "Gomorra" und "Il Divo". Obwohl sie noch nicht in deutschen Kinos laufen, will ich sie hier erwähnen, weil sie die entscheidenden Seiten der italienischen Tragik beleuchten: die Schwäche der demokratischen Institutionen des Staates und deren Ausnutzung durch die organisierten Kriminalität nicht nur im Süden, sondern im ganzen Land, von den Verflechtungen im Ausland ganz zu schweigen. Der Roman "Gomorra", der als Filmvorlage diente, wurde im vorigen Jahr in Italien schon 800.000 mal verkauft (deutsch bei dtv, 9.90 EUR. Der Autor des Bestsellers, der Endzwanziger Roberto Saviano, muß heute unter Polizeischutz leben. Roman und Film bieten ein schonungs- und fast hoffnungsloses Bild. Regisseur Matteo Garrone grenzt das Thema auf den desolaten neapolitanischen Stadtteil Scampia ein: flammendes Symbol einer Gesellschaft, die keine mehr ist, denn im hemmungslosen Kampf um schnelles Geld scheinen alle humanen Regungen ausgeschaltet zu sein.

In seinem meisterhaften neo-(sur)-realistischen Film "Il Divo" ("Der Göttliche", womit Giulio Andreotti gemeint ist, der siebenfache Regierungschef mit Beinamen wie "Die Sphinx", "Der Fuchs", "Schwarzer Papst" oder "Belzebub") zeichnet der junge Neapolitaner Paolo Sorrentino nicht nur ein aufregendes, schillerndes Bild des heute fast 90jährigen dienstältesten Politikers der Democrazia Cristiana, der seit Kriegsende bis in die 1990er Jahre die Geschicke Italiens entscheidend gelenkt hat. Er zeigt auch die Praxis der Macht und ihre dunklen Hintergründe während der vergangenen Jahrzehnte. Andreotti, der wohl einzige noch amtierende Politiker auf der Welt, dem ein solches Portrait zu Lebzeiten zuteil wird, hat keine gerichtlichen Schritte gegen den Film unternommen; er soll nur kommentiert haben, ganz so zynisch, wie er dort gezeigt werde, sei er in Wirklichkeit nicht. Er hat sich aber seinen zahlreichen Prozessen nicht entzogen, sondern sich als "unantastbar" nach geltenden Gesetzen erwiesen. Ihm folgte als Premierminister der Sozialdemokrat Bettino Craxi, der angeklagt und verurteilt wurde und sich der Strafe durch Flucht ins tunesische Exil entzog. Dann kam schon 1994 zum ersten Mal Berlusconi. Die alte DC-Herrschaft war zerbrochen.

Berlusconi geht es nun ums Ganze: um Straffreiheit, Unantastbarkeit, äußerste Machtvollkommenheit. Dem Gesetz nicht nur entkommen, sondern es selbst so gestalten können, daß man ihm nicht mehr unterliegt, und das unter dem Vorwand, dem öffentlichen Wohl zu dienen - das ist das Höchste, wie die lange Geschichte der Herrschaft zeigt. Dazu ist Berlusconi angetreten.