Merkel allein zu Haus

Die olympischen Spiele sind Geschichte, und die Kanzlerin ist nicht dort
gewesen. Dabei hatte sie zwei Monate zuvor gar nicht genug kriegen
können vom Sport. Alles, was aufgelaufen war an Terminen, hatte sie
sausen lassen, um schon das Vorrundenspiel – das Vorrunden-Spiel! – bei
der Fußballeuropameisterschaft zwischen Deutschland und Österreich
in Wien nicht zu verpassen, und ein paar Tage später saß sie selbstverständlich
bei der Partie gegen die Türkei auf der Tribüne und wieder ein
paar Tage später noch selbstverständlicher beim Endspiel gegen Spanien.
Dreimal zum Fußball! Und mit wieviel Emotionen, nicht wahr.

Und nun das. Kein Olympia. Bush war dort, Sarkozy war dort, Putin
war dort, und knapp hundert weitere gekrönte und ungekrönte Häupter
hatten den Weg nach Peking gefunden, aber bei der Kanzlerin »kollidierte
die Eröffnung mit dem Urlaub«.


Es ist ein seltsames Spiel, das Angela Merkel spielt. Ein irgendwie getriebenes,
unoffenes, wenig entschlossenes. Ihr amerikanischer Freund
Bush ist geradeheraus. Am Tag vor seiner Abreise nach China ließ er
noch einmal alles vom Stapel, was er an Klagen über die Menschenrechtsverhältnisse
im Olympialand parat hat, dann fläzte er sich lässig
stundenlang auf der Ehrentribüne im »Vogelnest«, dem großen Zentralstadion
der Spiele, gab den völlig gelassenen, zum Rhythmus der Einmarschmusik
mit den Füßen wippenden und Fähnchen schwenkenden
Fan, erhob sich, als die USA-Mannschaft ins Stadion kam, zum Jubel,
ließ sich tags darauf beim Händeschütteln mit Chinas Staatsoberhaupt
Hu Jintao ablichten und beschloß seinen Peking-Trip mit einem Besuchbei den fröhlichen, siegesgewissen Athletinnen und Athleten seines Landes.
Hinter jedem einzelnen Bild eine klare, unmißverständliche Interessenlage.
Und die Botschaft: Alles an seinem Platz, alles zu seiner Zeit.


Aber bei der Kanzlerin? Sie vermischt alles mit allem und düpiert damit
alle, die sie nur düpieren kann. Der chinesischen Führung gegenüber
will sie Entschlossenheit demonstrieren, aber es ist am Ende doch
nur Feigheit, denn alle wissen, daß die deutsche Wirtschaft China braucht,
alle wissen, daß die großen Weltfragen ohne China nicht zu lösen sind,
und schon überhaupt kein Geheimnis ist es, daß man Entschlossenheit
in China am besten im direkten Gespräch deutlich macht und nicht per
Abmeldung in den Urlaub.


Der deutschen Wirtschaft signalisiert sie, daß sie selber zusehen soll,
wie sie ihre Beziehungen zu China geregelt bekommt. Und die deutschen
Sportlerinnen und Sportler, nach Peking gereist zum weltweit anerkannt
größten Sportereignis überhaupt, läßt sie spüren, daß sie ihr herzlich
egal sind. Ist ja keine Fußball-EM, schließlich.


Daß die China-Verkniffenheit der Kanzlerin nicht deren Privatsache
ist, hat der deutsche Sport schon seit März erfahren müssen. Da hatte es
die Unruhen in Tibet gegeben, und von Stund an war den deutschen Athletinnen
und Athleten aufgebürdet, zu leisten, wozu sich die Politik als
unfähig erwiesen hatte: wirksamen Protest nach China zu tragen. Kein
Porträt einer potentiellen Medaillengewinnerin, kein Gespräch mit einem
möglichen Sieger, bei dem nicht nach Tibet-Bändchen am Arm oder
Protestbademänteln oder in den Taschen geballten Fäusten gefragt worden
wäre. Nicht die sportliche Leistung, suggerierte man, würde zählen,
sondern die politische Haltung. Haben die, die das betrieben haben, gewußt,
wie nahe sie damit an Maos China waren? Wo es Zeiten gab, da die
politische Linie alles bedeutete und die fachliche Leistung nichts?


Geschadet hat das alles nicht China, sondern Deutschland selbst.
Auch im Sport. Der Fußball kann ohne den Jubel der Kanzlerin leben –
die meisten anderen Sportarten hingegen können es nicht. Sie brauchen
dringend Hilfe. Der Einbruch im Schwimmen, überspielt nur durch die
Leistung der Britta Steffen; die fast durchgängige Abstinenz der Deutschen
in den Entscheidungen der Leichtathletik; die miserablen Resultate
in einer deutschen Traditionssportart wie dem Rudern – das alles ist
Ausdruck einer seit vielen Jahren vernachlässigten Nachwuchsarbeit,
des nahezu völligen Fehlens eines durchdachten Konzepts für den Breitensport.
Olympiamedaillen – man mag sie mögen oder nicht – sind nun
einmal Spiegel von Sportpolitik, von Interesse am Sport, von Förderung
des Sports.


Nun ist ihr Urlaub vorbei, und die Kanzlerin kämpft für den Eintritt
Georgiens in die NATO. Der Düpierung Pekings läßt sie die DüpierungMoskaus folgen. Da ist sie nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form
wieder hautnah bei Bush und Sarkozy. Aber egal, ob solo oder im Chor:
Woher nur nimmt sie die Idee, daß China- und Rußlandphobie gut für
Deutschland sein könnten?