Forciertes Feindbild

Stefan Ziefle und Marwa Al-Radwany über die Hintergründe zunehmender Islamfeindlichkeit

In den letzten Jahren - besonders seit den Anschlägen vom 11. September 2001 - hat das Wort „Islam" eine derartige Symbolkraft bekommen, dass die bloße Nennung in der Öffentlichkeit schon tausendfache Assoziationen hervorruft. Zumeist sind diese negativ. Das belegen auch sozialwissenschaftliche Studien, laut denen die Zustimmung zu islamfeindlichen Äußerungen in den letzten Jahren stark zugenommen hat.

Dem Allensbacher Institut für Demoskopie zufolge bejahten 2006 mehr als die Hälfte der Deutschen Aussagen, nach denen „der Islam uns bedrohe" (56 Prozent) oder nach denen es „zu Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland" (58 Prozent) kommen werde. Ähnliches stellt die jährliche Heitmeyer-Studie des Bielefelder Instituts für Sozialforschung fest. Eine Studie im Auftrag der EU ergab 2005, dass rund 40 Prozent der Bundesbürger ihren Kindern dringend abraten würden, eine Muslima oder einen Muslim zu heiraten. Und 14 Prozent der Bundesbürger sahen laut einer Stern-Umfrage 2006 in den Muslimen eine Bedrohung, 55 Prozent sehen eine Bereicherung und Bedrohung zugleich.

Für die im Ausland lebenden Muslime materialisieren sich diese Zahlen in der täglichen Erfahrung von Ausgrenzung, Beleidigung und Erniedrigung im öffentlichen Raum. Besonders drastisch bekommen sie das in den Ländern zu spüren, in denen Attentate islamistischer Fundamentalisten verübt wurden: So wurden in London im Juli 2005 in den ersten drei Tagen nach den Anschlägen auf die U-Bahn der Polizei 180 rassistische Übergriffe auf Muslime gemeldet. Zudem wurden 58 Verbrechen mit islamophober Motivation (also z.B. Sachbeschädigung) registriert.

Systematisch aufgebaut

Das Feindbild Islam ist politisch gewollt und wird systematisch aufgebaut. An erster Stelle steht dabei die Politik, die nicht müde wird zu behaupten, dass der „Dschihad-Terrorismus mit seiner totalitären Ideologie" die „größte Bedrohung für die globale Sicherheit der Menschheit" sei, wie es der ehemalige Außenminister Joschka Fischer ausgedrückt hat.

Auch Staatsanwaltschaft und Innenministerien tragen zu dem Bild des Islams als Bedrohung bei: In Deutschland wurden seit dem 11. September weit über 70 Razzien in Moscheen und über 1400 Haus- und Bürodurchsuchungen durchgeführt. Die Medien berichteten ausgiebig. Kaum Erwähnung hingegen fand, dass dabei kein nennenswerter Straftatbestand festgestellt wurde.

Das passt in das allgemeine Bild der Rolle, die die Medien spielen. Ein gutes Beispiel ist die Zwangsehe: Rund 7 Prozent der Frauen aus türkischen Familien in Deutschland sollten nach einer Studie des Familienministeriums einen Mann heiraten, den sie nicht wollten. Laut dieser Studie besteht allerdings kein statistisch belegbarer Zusammenhang zwischen den Zwangsheiraten und dem Islam.
Vielmehr sei die Herkunft der Betroffenen entscheidend: Die Mehrheit kam aus ländlichen Gegenden. Islamische Rechtsgelehrte machten deutlich, dass Zwangsehen nicht mit dem Islam vereinbar seien. Das hinderte den Spiegel aber nicht, seinen Artikel über junge von Zwangsehen bedrohte Türkinnen mit „Allahs rechtlose Töchter" zu betiteln und den Artikel mit Koran-Zitaten abzurunden.

Genauso wird von den Medien das Bild der gewalttätigen Muslime forciert. So schrieb beispielsweise Thomas Osterkorn, Chefredakteur des Stern: „Fest steht: Nicht alle Muslime sind Terroristen. Fest steht aber auch: Fast alle Terroristen sind Muslime." Eine aufwändige Medienanalyse über das Islambild der beiden größten öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deuschland ergab: Im Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2006 sendeten ARD und ZDF 133 Magazinsendungen, Talkshows, Reportagen und Dokumentationen mit thematischem Zusammenhang zum Islam. Lediglich elf Sendungen befassten sich mit dem Alltagsleben/sozialen Themen der Muslime. Der größte Teil der Beiträge (40 Prozent) stand in Zusammenhang mit den Themen Terrorismus/Extremismus/internationale Konflikte. In 81 Prozent der Fälle wurde der Islam in Zusammenhang mit negativ konnotierten Themen präsentiert.

Ein weiteres typisches Beispiel für die mediale Repräsentation liefert die Anekdote Bekir Albogas, Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime. Er war zur Talkshow bei Sabine Christiansen eingeladen und wurde wenige Tage später wieder ausgeladen, weil seine Ansichten zu gemäßigt waren - man wollte einen radikaleren Muslim für die Sendung.

Islamfeindlichkeit als Rassismus

Die Islamfeindlichkeit hat in den letzten Jahren alle Merkmale des klassischen Rassismus angenommen. Denn Rassismus beginnt, in seiner frühesten Stufe, mit der Markierung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe als „anders". Gleich einem Scheinwerfer wird der Fokus auf diese Gruppe gerichtet und es werden Eigenschaften ausgemacht, die die Gruppe als eine Out-Group definiert, als ein Gegenpol zum „Wir". Im Fall der Islamophobie oder der Islamfeindlich ist diese Eigenschaft -  die im Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts noch biologisch festgemacht worden ist - die vermeintliche Zugehörigkeit zur Religion des Islam, wobei implizit eine quasi-ethnische oder pseudo-kulturelle Zugehörigkeit zu einer „Religionskultur Islam" gemeint wird. Nachdem diese Gruppe gesellschaftlich markiert und fokussiert wird, werden Beobachtungen von Eigenschaften und Taten immer im Zusammenhang der Gruppenzugehörigkeit gesehen („Türken handeln so, weil sie Muslime sind" etc.). Die Hervorhebung von Unterschieden und die Wertung dieser Unterschiede stellen die wesentlichen Elemente von Rassismus dar.

Diese Fokussierung alles Islamischen finden wir in der „Islamisierung" aller sozialen oder gesellschaftlichen Problemstellungen wie z.B. Homophobie, Frauenunterdrückung, Machismo, Jugendgewalt, Antisemitismus. Gesellschaftliche Ursachen, konkrete Bedingungen werden ausgeblendet, die Zugehörigkeit zu einer angeblichen „Rasse" (oder modern: zu einer angeblichen „ethno-kulturellen Gruppe") erklärt sämtliches Verhalten, das als „abnorm" (also anders) oder einfach nur negativ bewertet wird.

Die zur Definition der „Rasse" herangezogenen Merkmale sind willkürlich und unbedeutend. Bei der Hautpigmentierung ist offensichtlich und heutzutage unstrittig, dass es sich um eine wahllose Zuordnung handelt. Aber auch die Zugehörigkeit zu einer Religion kann keine Gruppe mit spezifischen Gruppeneigenschaften konstituieren.

Länder mit überwiegend islamischer Bevölkerung wie Iran, Irak, Pakistan, Marokko, Indonesien und Ägypten, um nur einige zu nennen, haben eine unterschiedliche Geschichte, unterschiedliche Staatsformen und unterschiedliche Traditionen. Und in verschiedenen Regionen gibt es verschiedene offizielle Auslegungen des Islams. Muslime in Südafrika oder Frankreich oder die Black-Power-Aktivisten, die in den USA der 1960er zum Islam konvertierten, haben nicht mehr kulturelle Gemeinsamkeiten mit anderen Muslimen als mit ihren Mitmenschen in den Ländern, in denen sie sozialisiert wurden.

Was Muslime hauptsächlich untereinander verbindet, ist der Bezug auf den gleichen religiösen Text. Schon bei den religiösen Riten kommt es zu erheblichen Unterschieden. Deswegen suchen die Vertreter der Islamfeindlichkeit die Besonderheiten des Islams im Koran. Aber die Unterschiede zu den anderen monotheistischen Weltreligionen sind minimal, die Gemeinsamkeiten überwiegen.

Wie die beiden anderen großen monotheistischen Religionen aus dem Nahen Osten, Judaismus und Christentum, beruft sich der Islam auf eine göttliche Offenbarung, vermittelt über einen Propheten und festgelegt in einer Heiligen Schrift. Ebenso wie die genannten anderen Religionen erhebt der Islam einen Anspruch auf alleinige und ewige Gültigkeit. Und ebenso wie die Thora und die Bibel ist der Koran in sich widersprüchlich und interpretationsbedürftig.

Auch die Suche nach reaktionärem Inhalt ist müßig. Natürlich ist der Koran ein Produkt seiner Zeit und drückt als solches auch Werte und Moralvorstellungen des 7. Jahrhunderts (unserer Zeitrechnung) aus. Aber ein kurzer Blick in den Quelltext des Judaismus und des Christentums, das Alte Testament, bringt ähnliche Aussagen zutage:
„Wer die Ehe bricht mit jemandes Weibes, der soll des Todes sterben, beide, Ehebrecher und Ehebrecherin, darum, dass er mit seines Nächsten Weibe die Ehe gebrochen hat." (3. Buch Mose, 20:10) „Welcher des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen." (3. Buch Mose 24:16) „Die Frau soll sich dem Mann unterordnen" (Epheser 5,22) oder: „Der Mann verfügt über den Leib der Frau" (Korinther 7,4).

Der Versuch, alle derartigen Passagen aus der Bibel aufzuzählen, würde den Umfang dieses Heftes bei weitem sprengen. Auch im Christentum gibt es Strömungen, die Passagen alter Texte hernehmen, um reaktionäre Handlungsanweisungen zu legitimieren. Der Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche ist zweifellos die Einzelperson, die weltweit am meisten das Bild von Frauen und Homosexuellen in der Gesellschaft und damit auch deren reale Lebensbedingungen (z.B. rigide Abtreibungsgesetze in den USA und Spanien oder Verfolgung und Unterdrückung in Polen) prägt. Über Islam und Frauenfeindlichkeit zu reden und dabei die Rolle der katholischen Kirche zu verschweigen, ist heuchlerisch.

Muslime als Sündenböcke

Aber die Islamfeindlichkeit übernimmt nicht nur die Strukturen des klassischen Rassismus, sondern auch dessen Funktion. Wenn soziale Probleme für Millionen Menschen drängender werden, wenn politische Maßnahmen zugunsten der Konzerne und der Reichen die Umfragewerte von Parteien abfallen lassen, dann forcieren diese nicht selten Debatten über „Leitkultur" und „Parallelgesellschaften": Ein gutes Beispiel hierfür lieferten CDU/CSU im Jahr 2004.

Zu Beginn des Jahres lag die Union noch in allen Umfragen deutlich vor der regierenden SPD. Angela Merkel sah wie die sichere Wahlsiegerin aus. Aber der Versuch, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit den Hartz-IV-Gesetzen zu ihrem Vorteil zu nutzen, scheiterte. Spätestens im Zuge der Montagsdemobewegung gegen die Gesetze wurde deutlich, dass die Union - durch ihre Zustimmung im Bundesrat - genauso viel Verantwortung dafür trug wie die SPD. Einige CDU-Politiker, allen voran Friedrich Merz und Roland Koch, kritisierten sogar, dass die Maßnahmen nicht weit genug gingen.

Als die Union daraufhin Woche für Woche in den Umfragen verlor, kam der Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh durch einen jungen Muslim gerade recht. Die Parteitage von CSU und CDU waren nun geprägt von der Wiederaufnahme der Debatte über „Leitkultur" und „Parallelgesellschaften". Ex-CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer erklärte: „In dieser Zeit der Globalisierung verspüren viele Menschen das Bedürfnis, Heimat zu haben und für sich eine Identität sicherzustellen." Ausländer, die hier leben, sollten sich „zu unserer christlich-humanistischen Tradition bekennen". Angela Merkel verkündete, Migranten seien „willkommen, wenn sie Gesetze respektieren, Deutsch lernen und keine Parallelgesellschaften ins Leben rufen." Es ginge um „die Verteidigung der christlichen Prägung unseres Landes", assistierte Edmund Stoiber.

Aber der Rassismus dient nicht nur als Sündenbock­ideologie zur Ablenkung von sozialen Fragen. Er dient auch als Rechtfertigung zur Rückkehr zur klassischen Kolonialpolitik nach außen. Die Einteilung in „wir" und „die Anderen", in „zivilisiert" und „barbarisch/rückständig", liefert, wie bereits vor 150 Jahren, eine wohlklingende, „humanitäre" Begründung für die Besetzung ganzer Landstriche und die Unterdrückung und Entmündigung der ansässigen Bevölkerung.

Da die hauptsächlichen Vorkommen der wichtigsten Ressource des modernen Kapitalismus, Öl, in Ländern mit muslimischen Bevölkerungen liegen, bietet sich Islamfeindlichkeit als Legitimationskontext für die Eroberung dieser Länder an. Islamophobie hat seit Anfang der 1990er Jahre den Antikommunismus des Kalten Krieges abgelöst. Die Anschläge vom 11. September 2001 gaben der Bush-Administration die Möglichkeit, völkerrechtswidrige Angriffskriege und ökonomisch-geostrategische Militäroperationen als notwendige Verteidigung der Sicherheit der „westlichen Welt" umzudeuten und damit den Widerstand gegen die Kriegspolitik zu erschweren.

Zur Autorin:
Marwa Al-Radwany ist Co-Autorin der Broschüre „Bilder-Weltbilder" und Mitbegründerin des „Netzwerks gegen Islamophobie und antimuslimischen Rassismus" der Initiative Grenzen-Los! e.V. Sie ist aktiv bei DIE LINKE.SDS in Potsdam.

Zum Autor:
Stefan Ziefle ist Sprecher der Bundes­arbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der LINKEN.