Heldenprüfung / neue Folge

Ein Hauch von Meuterei wg. „Mölders“ - und ein neuer, alter Bundeswehrheld ist dabei

Bevor im Krieg ein Finger sich am Abzug der Waffe krümmt, wird der Kopf dafür gedrillt. Vor den Kriegseinsätzen der Bundeswehr veröffentlichte die „VdK-Zeitung“ im Oktober 1994 einen damals kaum beachteten Artikel: „Zentrum Innere Führung stellt Lehr-Materialien zusammen / Reflexionen der Kriegsopfer gefragt“. Das Monatsorgan des Kriegsopferverbandes, das zur Kontaktaufnahme beim ZIF aufforderte, berichtete, daß „es bereits einen Gedankenaustausch angehender Generalstabsoffiziere mit kriegserfahrenen Offizieren, Ärzten, Seelsorgern und Psychologen gab. Und natürlich interessieren auch die Erfahrungen der Kriegsgeneration, wie Oberstleutnant Matyschock vom ZIF im Gespräch mit unserer Zeitung hervorhob.“ Inzwischen trainiert man im ZIF in Koblenz ungeniert bereits unter Weltkriegsbedingungen: Eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg diene dazu, so berichtet das Februarausgabe der Bundeswehr-Zeitschrift „Y“ unter der Überschrift „Grabenkrieg“, im Mittelpunkt stehende „Fragen der Motivation und Belastung der Soldaten“ zu klären. Kein Wunder, daß dann im selben Heft für die Ausstellung „Das Eiserne Kreuz“ im Preußenmuseum in Minden geworben wird. Die nach dem Bundeswehr-Autokennzeichen benannte Zeitschrift bemühte sich schon in den Dezember- und Januarausgaben sogar um „Helden“ aus dem politisch stärker kontaminierten Zweiten Weltkrieg. Ein solches Echo wird Jürgen Busche, der 2004 das Buch „Heldenprüfung - Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs“ vorlegte (jW, 22. September 2004), kaum erhofft haben als er nicht um verlorene Heldentenöre trauerte: „Heldenprüfung ist zu empfehlen, weil die deutsche Geschichte ... wieder den Einsatz deutscher Soldaten unter Kriegsbedingungen zu verzeichnen hat. Am Ende des 20. Jahrhunderts flogen Piloten der Luftwaffe Angriffe gegen feindliche Stellungen in Serbien. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kreuzen Schiffe der Bundesmarine ... am Horn von Afrika. In Afghanistan stehen Soldaten der Bundeswehr mit gefährlichem Auftrag ... Die deutsche Politik ist gegenwärtig weiter von pazifistischen Grundsätzen entfernt als je in der Geschichte der Bundesrepublik, aber zugleich waren die militärischen Leistungen der Deutschen im 20. Jahrhundert noch nie so sehr tabuisiert wie heute.“ Heldenverehrung dominierte zum Jahreswechsel die von Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr (Bw) herausgegebene Zeitschrift „Y“. Da meldet sich etwa ein Demonstrantenbekämpfer aus der „Heldenstadt“ Leipzig. Während der Bw-Mißhandlungsskandal von Coesfeld dem Dezemberheft nur wenige Zeilen wert war, präsentiert „Y“ seitenlang von der Bw entwickelte „starke, aber nicht tödliche Wirkmittel“ gegen „wilde Randalierer“: NLW, d.h. „Nicht letale Wirkmittel“ für die „Wandlung der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur Einsatzarmee“. Angepriesen wurden das „Wuchtgeschoß“ aus einer Moosgummiemischung mit Plastikkern sowie der „Advanced Taser“, der auf „bis zu sieben Metern Entfernung die Zielperson mit zwei Drähten und einem Elektroschock kampfunfähig“ macht. Generalmajor Roland Kather, Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision in Leipzig, erläutert, wie unter der Devise „firm and friendly“ nun „Soldaten auf Konflikte mit Demonstranten vorbereitet“ werden. Hätten das anno 1989 MfS und NVA in der „Heldenstadt“ auch bloß berücksichtigen sollen? Schwerpunkt des „Y“-Dezemberhefts ist das „Tubulente Leben“ von Generalleutnant a.D. Günther Rall („kämpfte immer an vorderster Front“), der präsentiert wird als „erfolgreichster Jagdflieger des Zweiten Weltkrieges“, Inspekteur Luftwaffe der Bundeswehr sowie Ständiger Vertreter im NATO-Militärausschuß. Mag sein, daß das sinnstiftend gemeint war; um einen Ersatz für das Flieger-Ass Werner Mölders zu schaffen. Denn im Januar 2005 hatte Bundeswehrminister Peter Struck entschieden, endlich einen Bundestagsbeschluß von 1998 umzusetzen und eine nach Mölders benannte Kaserne sowie das dessen Namen tragende Jagdgeschwader umzubenennen, da der von den Nazis hochdekorierte Mölders für Hitler an Francos Seite in den spanischen Bürgerkrieg eingegriffen hat. Da wäre einer wie Rall, der vom „Führer“ für seine Luftkämpfe (1943 rühmte der OKW-Bericht, wie Rall „Sowjetflugzeuge vernichtet“ hat) „Eichenlaub und Schwerter zum Ritterkreuz“ erhielt, vielleicht ein passender Ersatz. Obwohl sein Name später in der Bundeswehr verknüpft war mit dem des als „Starfighter“ bekanntgewordenen Kampfflugzeugs F-104, von dessen 916 Maschinen 292 abstürzten, was 115 Piloten in Friedenszeiten das Leben kostete. Neben dem ausführlichen Porträt des heute in Bayern seinen Ruhestand verbringenden Rall warb „Y“ für dessen gerade erschienene Erinnerungen der Jahre von 1938 bis 2004. Auch im Januarheft wurde – mit frivoler Anspielung auf ein Reinhard-May-Lied – unter dem Titel „Über den Wolken“ diese Autobiographie ausführlich angepriesen. Wes’ Geistes Kind der zum neuen Bw-Held stilisierte Rall ist, erfuhren die Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 19. März als in Form einer Traueranzeige dort eine von Generalleutnant a.D. Ernst Dieter Bernhard angezettelte stille Meuterei sichtbar wurde: Gegen die vom Minister veranlaßte Umbenennung protestierten dort mit Namen und teilweise mit Dienstgrad zahlreiche Soldaten: „Im Mitgefühl mit den Angehörigen des Jagdgeschwaders 74 der Bundeswehr, nach Aberkennung des Traditionsnamens ‚Werner Möders’, ehren wir in Hochachtung Oberst Werner Mölders ... Er bewies Charakter und Anstand in schwerer Zeit.“ Neben weiteren Generalen ehrt - so der Anzeigentext – diesen „vorbildlichen Soldaten“ auch ein gewisser „G. Rall“ (ohne Dienstgradbezeichnung). In Ausgabe 11/2005 von „Y“ wird es konkreter – da geht es dann um die Helden unserer Tage. Unter der Überschrift „Elite: Schule der Unsichtbaren“ schwärmt Christin-Désirée Rudolph: „Sie sind leise. Sie operieren professionell. An einem Ausbildungszentrum durchlaufen Spezialkräfte eine harte Schule, bis sie der Oculus Exercitus, das Auge des Herres, sind.“ In derselben Ausgabe des Magazins beschreibt Frank Schuldt dann die „Einsatzausbildung: Auftrag Krawall“: Demonstranten, Geiselnehmer und Terroristen – im bayerischen Wildflecken schlüpfen Wehrpflichtige in ungewohnte Rollen. Das Ziel: Soldaten realitätsnah auf den Einsatz in Krisengebieten vorzubereiten.“ Wir sind gespannt auf die nächste Fortsetzung der Heldenprüfung in „Y“. Dazu passend die tagung über die Rainer Blasius in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 13. April 2005 berichtete: „Wieviel ‚Held’ braucht der Mensch? Fallschirmspringer und Fliegerasse: Potsdamer Traditionssuche für die deutschen Streitkräfte“. [Verfasst: 22.November 2005]