Präzedenz-Patente

Weltweite Koalition gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren

Die Koalition um den Globalen Aufruf gegen Patente auf Pflanzen und Tiere wird am 23. Oktober in München gegen die zunehmende Patentierung von Saatgut, konventionellen Pflanzensorten und Nutztierrassen protestieren. Aus der ganzen Welt haben sich Bauernverbände und andere Gruppen dem Protest angeschlossen.

Interview mit Christoph Then

GID 190, Oktober 2008, S. 5-8


Die Koalition um den Globalen Aufruf gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren hat zu einer Demonstration in München aufgerufen. Warum?

Aktueller Anlass für die am 23. Oktober geplante Demonstration ist das Ende der Frist zum Einreichen von Stellungnahmen im Falle der so genannten Schrumpeltomate, einer Tomate mit verringertem Wassergehalt.(1) Die Schrumpeltomate dient als Beispiel für die zunehmend zu beobachtende Praxis, dass Patente nicht nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere erteilt werden, sondern auch auf solche, die mit konventionellen Methoden gezüchtet worden sind. Außerdem sollen 35.000 Unterschriften übergeben werden, die zur Unterstützung des Globalen Aufrufs gesammelt wurden.


Was macht diese neuen Patente so besonders?

Es ging bei den Auseinandersetzungen um die Patentierung von Leben bisher immer um gentechnisch veränderte Pflanzen. Diese Patente werden mittlerweile vom Europäischen Patentamt routinemäßig erteilt. Es gibt schon über tausend von ihnen. Jetzt geht es darum, ob auch Patente erteilt werden sollen auf Pflanzen und Tiere, die mit normalen Züchtungsmethoden, also konventionell ohne Gentechnik, gezüchtet wurden. Das ist eigentlich nach dem europäischen Patentrecht nicht möglich. Hier werden Patente auf im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren ausdrücklich verboten. Wenn derartige Patente erteilt werden, dann hat das einen ganz erheblichen Einfluss auch auf die Landwirtschaft in Europa. Hier werden bisher nur sehr wenig gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Wenn aber nun die Patente auch auf die normalen Pflanzen erteilt werden, dann geraten eben auch die durchschnittlichen europäischen Landwirte in die Abhängigkeit der Konzerne. Darüber hinaus sind die Patente nicht auf das Saatgut beschränkt, sondern sie gehen durch die gesamte Produktionskette. Bei der Tomate ist die Tomate selbst als Lebensmittel mitpatentiert. Ein anderer Präzedenzfall ist die Patentierung von Brokkoli. Dort sind die essbaren Teile der Pflanze mitpatentiert. Die Patente gehen also weit über die Frage der Patentierung von Saatgut hinaus und betreffen in gleicher Weise Landwirte, Lebensmittelverarbeiter und Verbraucher.


Und ganz konkret: Wenn jetzt ein Patent über die gesamte Verwertungskette erteilt wird - wie es ja bei dem Brokkoli der Fall ist -, würde das heißen, dass alle Ebenen Patentgebühren bezahlen müssen? Oder was sind ganz konkret die Folgen auf den verschiedenen Stufen?


Patente können immer auf zweierlei Art und Weise genutzt werden. Zum einen als Verbot. Das heißt, der Zugang zu bestimmtem Saatgut kann verwehrt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Patentinhaber sein Produkt, zum Beispiel sein Saatgut, exklusiv vermarkten will. Der Zugang wird den Mitbewerbern nicht gestattet, was beim Saatgut bedenklich ist, weil Züchtung darauf angewiesen ist, dass man Zugang zu anderen Sorten hat und dass es Austausch und Weiterentwicklung von bereits gezüchteten Sorten gibt. Die zweite Form wäre die, dass der Patentinhaber Geld haben will. Das wäre bei einem Schweinezüchter der Fall, der erst einmal eine Gebühr bezahlen muss, bevor er mit seinen Sauen Ferkel produzieren darf. Beides ist möglich: das Verbot der Nutzung und die Verteuerung der Ware durch neue Gebühren. Beispielhaft kann man das sehen an der gentechnisch veränderten Soja. Bei der werden einmal Lizenzgebühren erhoben für den Anbau, zum Beispiel in den USA. In den Ländern, wo die Lizenzgebühren für den Anbau rechtlich nicht möglich sind, wie das zum Beispiel in Argentinien der Fall ist, da versucht Monsanto die Ernte zu lizensieren. Der Konzern versucht, in den europäischen Häfen für die Verladung der Ernte Lizenzgebühren zu erheben. Man sieht also: Der Patentschutz erstreckt sich auf verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette, von dem Gen im Saatgut bis zum Lebensmittel.


Aber bisher ist es Monsanto nicht gelungen, das Patentrecht auf die gentechnisch veränderte Soja in den europäischen Häfen durchzusetzen.

Die Verfahren sind meines Wissens nicht abgeschlossen, aber bisher hat Monsanto das Recht nicht durchsetzen können. Auch wenn hier gar nicht klar ist, ob für argentinische Landwirte das europäische Recht überhaupt anwendbar ist. Wenn man von dem Patent dieser gentechnisch veränderten Sojabohne herangeht, ist die Sache ganz klar. Es erstreckt sich von dem Gen, über das Saatgut, über den Anbau der Pflanze auf die Pflanze selbst und auf Teile der Pflanze. Letzeres ist dann die Ernte. Das Patent ist so umfassend erteilt worden.


35.000 Unterschriften wurden gesammelt gegen die Patentierung von konventionellem Brokkoli. Das ist ja schon eine ganz schöne Menge. Die Resonanz stimmt mit dem Eindruck überein, den man leicht auf Veranstaltungen gewinnen kann: Patente auf Leben - damit lockt man viele Menschen hinter dem Ofen hervor.

Die Frage der Patentierung von Leben hat eine ethische Dimension. Lebewesen zu behandeln wie Erfindungen, das stellt einen Bruch in der europäischen Kultur dar. In den sozialen und ethischen Vorstellungen ist der Schöpfungsgedanke sehr wichtig. Dazu zählt auch die Vorstellung der Mitgeschöpflichkeit, dass man Teil der Natur ist und sich nicht über die Natur stellt, was der Fall ist, wenn man sie zu seiner Erfindung deklariert. Die Erklärung der Natur zur Erfindung ist neu und das ist es meiner Ansicht nach auch, was viele Menschen bewegt. So war es schon damals bei dem Widerstand gegen das europäische Patent auf die so genannte Krebsmaus, dem ersten Säugetier, das zunächst nur in den USA patentiert worden war. Es regte die Leute auf, dass man die Krebsmaus behandelte wie eine neu entwickelte Glühbirne. Und in der Landwirtschaft ist die Patentierung von Saatgut und Pflanzen ein ganz krasses Beispiel, wie Konzerne im globalen Kontext die Abhängigkeit der Landwirte verschärfen. Rechtsmittel, die ursprünglich für etwas anderes gedacht waren, nämlich zum Schutz von Erfindungen und Innovationen, werden missbraucht, um neue globale Abhängigkeiten zu schaffen, die unsere Lebensgrundlagen berühren. Ich glaube, es ist unmittelbar einsichtig, dass Patente auf Lebensmittel, die diese auch verteuern und verknappen können, eine erhebliche Gefahr für die Welternährung darstellen können und neue Abhängigkeiten für die Landwirte bringen. So kommt dabei auch der Gerechtigkeitsaspekt ganz stark zum Tragen. Auch deshalb finden diese Themen in der breiten Öffentlichkeit eine starke Aufmerksamkeit. Es ist aber leider so, dass die Politik diese Themen nie aktiv aufgegriffen hat. Es gibt zum Beispiel in der Bundesrepublik keine Initiative, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern. Die Diskussion findet statt, aber sie hat noch nicht die Ebene der politischen Entscheidungen erreicht.


Du hast gesagt, es gibt eine internationale Koalition. Der Aufruf gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren ist ja zunächst von einer Gruppe von Verbänden aus Europa gestartet worden. Aber wird die Koalition in anderen Ländern, auf anderen Kontinenten aktiv?


Tatsächlich ist es so, dass der Aufruf 2007 in Europa begonnen wurde. Mittlerweile haben sich aber mehr als fünfzig Bauernverbände aus der ganzen Welt angeschlossen. Auch in Europa sind große Bauernverbände dabei. Der italienische und der spanische Bauernverband, der Verband aus der Schweiz. Aber eben auch der größte indische Bauernverband oder relativ große Bauernverbände aus Argentinien und Brasilien gehören dazu. Man kann also zurecht sagen, dass der Aufruf Unterstützung aus dem globalen Zusammenhang erfährt, und es ist der Koalition gelungen, dieses Thema an die Bauernverbände heranzutragen und ihre Unterstützung zu gewinnen. Tatsächlich ist es so, dass das Europäische Patentamt noch relativ viel derartige Patente erteilt, ähnlich wie auch die Patentämter in den USA, in Japan oder Australien. In den Entwicklungsländern sind diese Patente jedoch viel, viel strittiger als in den industrialisierten Staaten, gerade weil der freie Austausch von Saatgut noch eine viel größere Bedeutung hat als für die Landwirte in Europa. Insofern ist das Thema dort noch viel heißer, es wird noch viel brennender diskutiert als hier bei uns. Was die Koalition jetzt, das heißt eben auch in 2009, versuchen wird, ist, diese Länder noch stärker in die Diskussionen zu integrieren.


Im Juli wurde das relativ bekannte Patent auf Schweine veröffentlicht. Es hat in den letzten Jahren in Deutschland eine erhöhte Aufmerksamkeit genossen, was wohl nicht zuletzt an der WDR-Dokumentation „Arme Sau” gelegen habe dürfte. Könntest Du einen Überblick geben, was es mit diesem Patentverfahren auf sich hat?

In dem Verfahren hatte die Firma Monsanto ein Verfahren zur Züchtung von Schweinen - wohlgemerkt, auch hier ist keine Gentechnik im Spiel - beansprucht. Es umfasste die Schweine selbst, Schweineherden, die nach bestimmten Kriterien gezüchtet beziehungsweise selektiert worden sind und ein genetisches Testverfahren. In der Entscheidung wurde nach meiner Einschätzung Augenwischerei betrieben. Zwar wurden tatsächlich die schlimmsten Ansprüche aus dem ursprünglichen Antrag herausgenommen, zum Beispiel die Schweine selbst. Auch die Herden stehen jetzt so explizit nicht mehr in der Patentschrift. Allerdings ist das Verfahren patentiert worden, also genau das, was eigentlich - nach der Europäischen Biopatentrichtlinie - nicht hätte patentiert werden dürfen. Denn das Verfahren dient dazu, Schweine zu untersuchen; da ist ja verhältnismäßig wenig Technik im Spiel. Aber, als sei das nicht schon schlimm genug, können auch die Nachkommen, die mit diesem Verfahren gezüchtet wurden, beansprucht werden, weil der europäische Gesetzgeber dies im Artikel 8 (2) der EU-Biopatentrichtlinie ermöglicht hat.


Mit den Patenten ist oft auch die Frage verbunden, ob sie für das Fortschreiten von Forschung und Entwicklung notwendig sind, oder ob sie in diesem Bereich eher Bremserfunktionen übernehmen. Zeigen Untersuchungsergebnisse eher ein einheitliches oder eher ein diffuses Bild?

Das Bild ist nicht einheitlich. Bei den Patenten auf menschliche Gene ist es Position des mainstream, dass die Entwicklung von Diagnose-Werkzeugen, also Gentests, durch die Patentierung behindert wird. Patente werden also zum Schaden von Ärzten und Patienten erteilt. Das ist relativ gut dokumentiert und auch von verschiedenen Autoren in verschiedenen wissenschaftlichen Magazinen publiziert. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, deren Bewertung in eine andere Richtung geht. Im Bereich der Pflanzenzüchtung ist es zum einen so, dass die Industrie immer noch das Bild aufrecht erhalten will, sie tue alles für die Welternährung, und dafür seien Patente notwendig. Auf der anderen Seite gibt es viele internationale und bedeutsame Stimmen, die die Wirkung der Patente ganz anders einschätzen. Zuletzt konnte man das bei dem Verfahren über das Brokkoli-Patent sehen. Dazu sind viele Stellungnahmen beim Europäischen Patentamt eingegangen. Das Bild war insofern eindeutig, als dass die Agrochemie-Konzerne natürlich die Patente auf die konventionell gezüchteten Pflanzen unbedingt haben wollten. Sobald die AutorInnen der Stellungnahmen aber etwas Distanz zu dieser Gruppe hatten, wird die Einschätzung in aller Regel nicht geteilt, dass die Patente erteilt werden sollten. Dies war zum Beispiel bei einem vor allem traditionell oder konventionell arbeitenden echten Saatgut-Unternehmen - Limagrain aus Frankreich - der Fall. Die Firma ist eine der letzten Züchtungsfirmen unter den weltweiten Top Ten im Saatgutverkauf. Kommt man zu den Landwirten oder ihren Organisationen, dann ist das Bild ganz klar: Sie wollen absolut keine Patente auf Saatgut. Daran sieht man schon, dass eine eigentlich sehr kleine, wenn auch wirtschaftlich sehr potente Gruppe der Gesellschaft eine Entwicklung aufgedrängt hat, die die Mehrheit so eigentlich gar nicht will.


Anderes Thema: Was wäre Deiner Meinung nach politisch am wichtigsten? Was sind die Kernforderungen der Koalition oder auch von Dir persönlich?

Die Europäische Biopatent-Richtlinie ist seit ihrer Verabschiedung sehr viel kritisiert worden, auch aus dem medizinischen Bereich. Dort hat sie, wie schon erwähnt, nachweislich Innovation und Entwicklung von Diagnoseverfahren behindert. Im Saatgutbereich muss man sagen, dass die Patentgesetzgebung absurd ist, wenn Patente nicht nur auf einzelne Pflanzen, sondern auch auf nachfolgende Produkte erteilt werden; sie reichen zum Beispiel bis zu einem Keks, der aus einer Pflanze hergestellt worden ist oder auch bis zum Ketchup - alles ist patentierbar. Dies steht in keinem Verhältnis zu der erfinderischen Leistung. Auch innerhalb des Europäischen Patentamtes wird das zunehmend so gesehen. Beide Organisationen müssen ihre rechtlichen Standards überprüfen: Die Europäische Union ihre Biopatentrichtlinie und das Europäische Patentamt. Die Bundesregierung - konkret das federführende Justiz- und das beteiligte Landwirtschaftsministerium - ist da natürlich stark eingebunden. Auf nationaler Ebene könnte sie bestimmte Unklarheiten beenden. Die EU-Richtlinie bietet bestimmte Spielräume und beruft sich zudem auf widersprüchliche Definitionen. Wenn Widersprüche auf dem Tisch liegen, hat der nationale Gesetzgeber die Möglichkeit, für Klärung zu sorgen. Genau an dieser Stelle kommen die aktuellen Fälle der Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere ins Spiel. Hier könnte die Bundesregierung sehr viel tun. Man könnte definieren, dass Patente sich nicht auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere erstrecken dürfen. Damit wäre schon sehr viel geholfen.


Wo stehen wir in zehn Jahren?

Es gibt meiner Meinung nach nur zwei Alternativen: Entweder man lässt alles so laufen, dann gerät die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie noch viel weiter in die Abhängigkeit von einzelnen Konzernen. Das würde auch heißen, dass der Welthunger vermutlich größer wird, weil Patente Lebensmittel eher teuer machen. Die aktuelle Hungerkrise ist ja auch eine Preis- und keine Ressourcenkrise. Oder man lenkt um. Dann muss man sich von derartigen Patenten, um die wir uns hier sorgen, verabschieden. Das Patentrecht würde sich wirklich weiterentwickeln und die Patente auf Pflanzen und Tiere wären nur eine historische Phase gewesen. Dann wären wir diese Patente los. Einen Mittelweg dazwischen sehe ich nicht.


Was hältst Du von der open-source-Biotechnologie, die in bestimmten Bereichen der öffentlichen Forschung entstanden ist? Zum Beispiel Bios in Australien (2) nimmt für sich in Anspruch, dass sie bestimmte Methoden für die Allgemeinheit sichert, indem sie - ähnlich den Systemen, wie sie in der Software-Branche eingesetzt werden - ein Schutzrecht reklamiert, aber gleichzeitig freigibt.

Im Moment habe ich nicht den Eindruck, dass das eine Bedeutung auf dem Markt hat. Um den Markt beeinflussen zu können, wird das viel zu selten angewendet. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Industrie ganz andere Summen in Patentanwälte und in Patentanträge investiert als die öffentliche Hand. Deswegen glaube ich, dass man klare gesetzliche Regelungen schaffen muss. Bisher spielt diese open-source-Geschichte in kleinen Teilbereichen eine Rolle, aber sie wird die Märkte und die biotechnologischen Entwicklungen nicht beeinflussen.


Wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führte Christof Potthof.


Fußnoten:
(1) Siehe auch den Beitrag „Schrumpeltomate patentierbar?” von Mute Schimpf in diesem Heft.
(2) Siehe im Netz unter: www.bios.net.