Kriminelle Lohndrücker

Versuche von Unternehmen, die Gewerkschaften mit Hilfe „gelber“ Organisationen zu schwächen, haben eine lange Tradition. Doch die Dreistigkeit nimmt zu. Ein Beitrag für die Konferenz >>Arbeits-Unrecht in Deutschland<< am 14.März 09 in Köln.

Die aktuellen Skandale um die von Siemens mitfinanzierte „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ (AUB) und die Pseudogewerkschaft für Briefträger, GNBZ, machen klar: Einige Konzerne schrecken auch vor kriminellen Machenschaften nicht zurück, um die Organisationsfähigkeit der Gewerkschaften zu schwächen.

Jahrelang hat das in der Bundesrepublik kaum eine Rolle gespielt. Doch vor dem Hintergrund des veränderten Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit nimmt die Dreistigkeit wieder zu.

Ungute Tradition

Der Strategie von Unternehmern, willfährige Beschäftigtenorganisationen zu fördern und so die Belegschaften zu spalten ist fast so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Großbritannien, Frankreich und später auch in Deutschland die ersten „nationalen“ oder „vaterländischen“ Arbeitervereine mit antisozialistischer Ausrichtung.

Die größtenteils direkt von den Unternehmern finanzierten Organisationen wurden in Abgrenzung zur „roten“, sozialistischen Arbeiterbewegung als „gelbe Gewerkschaften" bezeichnet. Anlass hierfür war ein Vorfall im französischen Monceau-Les-Mines im Jahr 1901, als Streikbrecher die eingeworfenen Fensterscheiben ihres Lokals mit gelber Pappe abdichteten. Seither gilt gelb als Symbol für Streikbruch und Verrat an den Kollegen.

Auf ihrem Höhepunkt zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren fast zehn Prozent der organisierten Beschäftigten in Deutschland Mitglied einer “gelben Gewerkschaft“. Vor allem in den Branchen mit neuen Technologien, wie der Elektrotechnik und der Chemieindustrie, gelang es den Unternehmern oftmals, eine unabhängige gewerkschaftliche Organisierung durch die Unterstützung „wirtschaftsfriedlicher“ Organisationen zu verhindern.

Zum Beispiel Siemens: Hier waren zeitweise vier von fünf Beschäftigten Mitglied eines arbeitgeberfreundlichen „Werkvereins“. Der Elektrokonzern hat in dieser Hinsicht also eine lange, ungute Tradition, die sich bis heute fortsetzt.1

„Gelbe Gewerkschaften“ heute

In der Bundesrepublik Deutschland haben von Unternehmern geförderte Beschäftigtenorganisationen lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Grundlage hierfür war zum einen die relative Stärke der Arbeiterbewegung, zum anderen das Interesse der Unternehmerschaft an stabilen Verhältnissen, die zum Beispiel durch die „Befriedungsfunktion“ der Flächentarifverträge erreicht wurde. Die einzige Nennenswerte Konkurrenz zu den DGB-Gewerkschaften kam in dieser Zeit von der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und dem Deutschen Beamtenbund (dbb). Mit beiden Organisationen hat es in den vergangenen Jahren eine Annäherung gegeben: Die DAG ging 2001 in ver.di auf und mit dem dbb pflegt die Dienstleistungsgewerkschaft heute eine intensive tarifpolitische Zusammenarbeit.

Obwohl sich DAG und dbb auf konservativere Schichten, größtenteils Angestellte und Beamte, stützten und für den DGB eine Konkurrenz von rechts darstellten, hatten sie stets einen anderen Charakter als direkt von den Unternehmern abhängige „Gewerkschaften“, die seit Ende der 1980er wieder eine größere Rolle spielen. Grundlage hierfür sind die Machtverluste des DGB.

Die durch den Zusammenbruch der Systemalternative in Osteuropa, die neoliberale Offensive, aber auch durch eigene Fehler bedingte Schwächung der Gewerkschaften hatte die einseitige Aufkündigung des bislang dominanten „sozialpartnerschaftlichen“ Arrangements durch die Unternehmer zur Konsequenz. Sie ist in der alten Form für die Kapitalbesitzer schlicht nicht mehr nötig und hindert (zumindest ein wenig) beim ungestörten Profite machen. Die Versuche, zahme „Hausgewerkschaften“ zu gründen und zu fördern, sind in Zusammenhang mit dieser strategischen Neuausrichtung zu sehen. Die kriminelle Energie und Dreistigkeit, mit der die Manager dabei vorgehen, ist allerdings frappierend.

„Christliches“ Lohndumping

Ein Faktor für die größere Rolle „gelber Gewerkschaften“ ist auch die von den Regierungen verschiedener Couleur betriebene Politik der „Deregulierung“ und Privatisierung. Denn dadurch werden ganze Branchen neu geschaffen, in denen die Gewerkschaften naturgemäß zunächst schwach vertreten sind. Zum Beispiel die Leiharbeit: Durch die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) unter „rot-grün“ im Jahr 2003 wurde ein dramatischer Zuwachs dieser Beschäftigungsverhältnisse befördert, die nach Schätzungen demnächst die Eine-Million-Marke überschreiten könnten2.

Als willfähriger Helfer stellten sich die „christlichen Gewerkschaften“ zur Verfügung. Der im AÜG festgeschriebene Grundsatz gleicher Bezahlung von Leiharbeitern konnte (und sollte!) per Tarifvertrag ausgehebelt werden. Die „Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit“ unterzeichnete flugs einen Tarifvertrag und setzte den DGB dadurch unter Druck. Der kurz darauf geschlossenen DGB-Tarif ist mit Stundenlöhnen ab 7,31 Euro schon miserabel. In vielen Betrieben wird er aber noch durch den um bis zu 15 Prozent niedrigeren „Christen“-Tarif unterlaufen.3

Auch in anderen Branchen, vor allem im Metallhandwerk, machen die „christlichen Gewerkschaften“ durch Dumpingtarifverträge von sich reden. Der Verlangen der IG Metall, der „Christlichen Gewerkschaft Metall“ (CGM) wegen fehlender Durchsetzungsfähigkeit die Tariffähigkeit abzuerkennen, wies das Bundesarbeitsgericht allerdings bereits im März 2006 ab – obwohl die CGM in machen der von ihr „vertretenen“ Belegschaften so gut wie keine Mitglieder hat.

„Gewerkschaft“ für Hungerlöhne

Befördert durch die Privatisierungspolitik ist die Entstehung der „Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste“ (GNBZ). Deren einziges Ziel ist ganz offensichtlich die Verhinderung des für allgemeinverbindlich erklärten Mindestlohns für Briefzusteller von 8,00 bis 9,80 Euro in der Stunde. Um diesen zu untergraben, schloss die GNBZ nicht nur einen Tarifvertrag mit Stundenlöhnen von 6,50 (Ost) und 7,50 Euro (West).

Die von dem ehemaligen Tengelmann-Topmanager Arno Doll formal erst am 10. Oktober 2007 gegründete „Gewerkschaft“ mobilisierte am Vortag gar zu einer Demonstration gegen den Mindestlohn nach Berlin. Dass an dieser eindeutig beschäftigtenfeindlichen Aktion etwa 1000 Mitarbeiter teilnahmen, zeigt vor allem deren extreme Abhängigkeit. Logistische Hilfe bei der Kundgebung leistete die Geschäftsleitung der seinerzeit mehrheitlich zum Axel-Springer-Verlag gehörenden PIN AG.4 Und nicht nur das: Für die GNBZ selbst gab es „erhebliche finanzielle Zuwendungen der Arbeitgeberseite“, wie das Kölner Arbeitsgericht kürzlich bestätigte.

Die Richter entschieden daher, dass es sich bei der Organisation nicht um eine Gewerkschaft handele, da es ihr an der für Gewerkschaften konstitutiven Gegnerunabhängigkeit und sozialen Mächtigkeit fehle (Az.: 14BV 324/08).5 Ver.di hat gegen die GNBZ zudem Strafanzeige wegen Bestechlichkeit und Untreue gestellt.

Abhängige „Unabhängige“

Besonders spendabel zeigte sich der – ohnehin in diverse Korruptionsskandale verwickelte – Siemens-Konzern, der der „Betriebsräteorganisation“ AUB über ihren mittlerweile inhaftierten Ex-Chef Wilhelm Schelsky Millionensummen zukommen ließ. Die 1974 als „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsräte“ bei Siemens in Erlangen entstandene Organisation versteht sich als Gegenpol zu den etablierten „Monopolgewerkschaften“. Sie stützt sich vor allem auf konservative Angestellte und konnte sich aufgrund der großzügigen finanziellen Unterstützung auch auf andere Unternehmen ausbreiten.

Die AUB lehnt Flächentarifverträge ab und will diese durch betriebsspezifische Regelungen ersetzen, weshalb sie von der IG Metall als „Lohndrücker-Gewerkschaft“ charakterisiert wird.6 In der Praxis hat die AUB vor allem die Wirkung, Mandate in Betriebsräten und Aufsichtsräten zu besetzen, wodurch diese für die ernsthafte Interessenvertretung der Belegschaften verloren gehen. Zuletzt machte eine gemeinsame Liste der „christlichen“ CGM und der AUB im März 2008 der IG Metall ein Aufsichtsratsmandat beim Autobauer Daimler streitig.7

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in seinem Urteil zum Siemens/AUB-Skandal vom 24. November nunmehr klargestellt: Die Finanzierung der AUB, die im Grunde nichts weiter als eine „Abteilung der Firma Siemens“ gewesen sei, war ein eindeutiger Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz und eine Missachtung der Tarifautonomie. Die Urteile – vier Jahre Freiheitsstrafe für Schelsky und zwei Jahre auf Bewährung für den ehemaligen Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer – fielen allerdings sehr milde aus. Sie zeigen zudem ein Problem in der deutschen Rechtsprechung: Statt eines Managers, der mehr oder weniger zufällig derjenige war, der seine Unterschrift unter den Bestechungvertrag setzte, hätten der Konzern und damit das „System Siemens“ insgesamt auf die Anklagebank gehört. Doch ein Unternehmensstrafrecht, das dies ermöglichen würde, existiert hierzulande nicht.

Fazit

Das Wiederaufkommen „gelber Gewerkschaften“ steht in Zusammenhang mit dem veränderten Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit sowie der Aufkündigung der „Sozialpartnerschaft“ durch die Unternehmer. Sie wird befördert durch die Politik der Deregulierung und Privatisierung, die „neue“ Branchen mit niedrigem gewerkschaftlichem Organisationsgrad schafft. Begünstigt wird die Entwicklung solcher Organisationen durch eine Belegschaftsstruktur mit vielen Angestellten (Siemens) oder extrem abhängigen, gering qualifizierten Beschäftigten (PIN).

Die Vorfälle dokumentieren ein hohes Maß an krimineller Energie– die juristischen Tatbestände reichen von Behinderung bzw. Beeinflussung von Betriebsräten (§119 Betriebsverfassungsgesetz) über Verstöße gegen die Tarifautonomie (Art.9 Grundgesetz) bis hin zu Veruntreuung und Bestechung. Doch obwohl diese Fälle besonders spektakulär sind, von ihnen geht nicht die größte Gefahr für die Rechte und Besitzstände der abhängig Beschäftigten aus. Weiter verbreitet und aus Unternehmenssicht effektiver dürfte die „Zähmung“ von Funktionären und Betriebsräten der DGB-Gewerkschaften sein.

Der Fall VW, bei dem Betriebsratsfürsten mit „Lustreisen“ und Zuwendungen zu einer unternehmensfreundlichen Politik bewegt wurden, ist sicher nur die Spitze des Eisbergs. Und dass Gewerkschafter ins Management wechseln – wie zuletzt Privatisierungsbefürworter und Ex-Transnet-Chef Norbert Hansen – ist mittlerweile eine alltägliche Erscheinung. Die vorherrschende Ideologie des „Co-Managements“, bei der sich Beschäftigtenvertreter den Unternehmensinteressen oftmals stärker verbunden fühlen als ihren Kollegen, befördert diese Entwicklung.

Der Artikel ist in BIG Business Crime 01/2009 erschienen. 

Fußnoten

1 Michael Kittner: Arbeitskampf – Recht, Geschichte, Gegenwart. München: Beck 2005, S.323 ff.
2 IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen: Sozialreport Zeitarbeit. Berlin 2007, S.15
3 WSI-Tarifhandbuch 2006. Frankfurt/Main: Bund-Verlag, S.61
4 Uli Röhm/Wilfried Voigt: Das Lohndumpingkartell – Großverlage bekämpfen den Post-Mindestlohn. Hamburg: VSA 2007, S.29 ff.
5 ver.di News 15, 8. November 2008, S.6
6 Wolfgang Schroeder/Viktoria Kalass/Samuel Greef: Kleine Gewerkschaften und Berufsverbände im Wandel. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung 2008, S.67
7 junge Welt 13. März 2008, S.5