Die Internalisierung des Kommandos als Gewohnheit

Autonomie, Erkenntnis, Bewegung

Die Analyse einer Autonomie der ArbeiterInnenklasse, die Mario Tronti 1964 ausarbeitete, wurde später mit einer ganzen Periode und einem Milieu radikaler Politik in Italien identifiziert. Seine Argumentation verlief in etwa so: Während die Kapitalisten sich notwendiger Weise des Staates bedienen müssen, um die Sphäre des Klassenkampfes zu betreten, konnten die Kämpfe der Arbeiterklasse unabhängig von jeder gegebenen Form und von jeder Ebene der Repräsentation stattfinden. In Lenin in England weist er jeden Anspruch auf eine „unbedingte Notwendigkeit einer Vermittlung der Arbeiterklasse" zurück und insistiert im Gegenteil darauf, dass der Staat die kapitalistische Subjektivität selbst geworden sei. Anders gesagt: Die Subjektivierung des Kapitals besteht ebenso aus dem Gesetz wie aus einer Notwendigkeit, die durch Gesetz und Staat garantiert wird, wohingegen die Kämpfe der Arbeiterklasse, wenn auch nicht zufällig, so doch nicht determiniertsind.

Für Tronti stand darüberhinaus fest: „Am Anfang war der Klassenkampf. Auf der Ebene des sozial entwickelten Kapitals wird die kapitalistische Entwicklung den Kämpfen der Arbeiterklasse untergeordnet." Demnach war laut Tronti die Vereinheitlichung des Weltmarktes eine Folge der „Einheit der Bewegung der Arbeiterklasse aufglobaler Ebene." Später charakterisierte er diese „Einheit" als „Strategie der Verweigerung". In der Arbeitsverweigerung, der weit verbreiteten Nicht-Zusammenarbeitund der Ablehnung traditioneller Repräsentationsfomen der ArbeiterInnenklasse (wie Partei und Gewerkschaft), die die 1960er Jahre in Europa und anderswo prägten, sahen Tronti und andere OperaistInnen nicht das Ende der Klassenkämpfe, sondern eine andere Strategie.

Gegenwärtig ist das Thema der Autonomie in den Debatten um Migration, Grenzpolitiken und globalem Kapitalauch über Europa hinaus sehr wichtig geworden. In diesem Zusammenhang beinhaltet sie eine Betonung der strategisch-analytischen Priorität derBewegungen von Menschen gegenüber jenen des Kapitals. Die Kapitalflucht beruht immer auf der Organisierung differenzierter und segmentierter Märkte. Bezogen auf Trontis eingangs zitierte Formulierungen bedeutet das: Die Vereinheitlichung des globalen Kapitals - die „Globalisierung" - wurde durchweit verbreitete Verweigerung und Flucht von Menschen erzwungen. Diese Flucht entwickelte sich nicht nur als ein Exodus aus den Fabriken, wie ihn die Schriften der Gruppe Potere Operaio analysiert haben, sondern als gleichzeitiger Exodus von dort, was gemeinhin als „Dritte Welt" gilt. Die versuchte globale Reorganisierung von Finanzmärkten und Handel im späten 20. Jahrhundert reagierte ebenso wie die Grenzregime, die nach 1989 in den USA, Kanada, Australien und Europa errichtet wurden, auf die Bewegungen von Menschen aus der „Peripherie" ins „Zentrum". 

In den Diskussionen um Migration wurde der Begriff der Autonomie dann spezifischer sowohl analytisch als auch politisch verwendet. Erstens verweist er nicht nur auf den politisch-strategischen Vorrang der Bewegungen von Menschen gegenüber jenen des Kapitals und staatlicher Politiken, die dem Kapital eine strategische und subjektive Form verleihen. Darüber hinaus insistiert er darauf, dass Migration eine Strategie ist - eine Strategie, die innerhalb des begrenzten Raumes globaler politischer Ökonomien der Arbeit, des Geschlechts und des Begehrens - und zugleich gegen diesen Raum- ausgeübt wird. Was bei den Analysen solcher Strategien auf dem Spiel steht, wird zweitens offensichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie entscheidend Migrationspolitiken für die Organisation der differenzierten und segmentierten Arbeitsmärkte auf nationaler, regionaler und globaler Ebene sind - nichtzuletzt durch die Schaffung einer illegalisierten Schicht von ArbeiterInnen. Migration, insbesondere undokumentierte und illegalisierte, bedeutet Bewegungen angesichts globaler Spaltungen, die ebenso biopolitisch und affektiv wie ökonomisch und militärisch sind. Diese korrelieren mit einer Ordnung der Sichtbarkeit und der Erkenntnis.

Die affektive Ökonomie der Migrationspolitiken schließt eine Verabschiedung des Staates als Modell ein, hinter dem sich politisches Handeln und Denken immer versteckt. Bei jeder Politik der Grenzkontrolle geht es um die Kontrolle über die Grenzen des Politischen. Indem also der Akt der Migration als außerhalb des politischen Feldes gedacht wird, bleibt die Definition von Bewegung und Politik an dieOrganisierung demokratischer Repräsentation gebunden, und so auch das Terrain, auf dem Migration als zu kontrollieren, zu regulieren und zu vermitteln erscheint.

Die „Autonomie der Migration" beinhaltet ein Beharren darauf, dass Politik nicht das Eigentum des Staates und derjenigen sein muss, die das Denken und Handeln hinsichtlich dessen, was als das eigentlich Politische gilt, für sich beanspruchen können. Dies stellt auch eine Herausforderung für die souveränen und repräsentativen Dispositionen innerhalb der Linken dar - bis hin zur Konstruktion dessen, was es bedeutet, „AktivistIn" zu sein, Politik zu machen und Bewegungen und Kämpfe als solche anzuerkennen. 

Eine Frage, die sich im Anschluss daran auftut, ist die nach dem Verhältnis zwischen kognitiver Arbeit und Bewegungen, insbesondere insofern es die Beziehung zwischen Erkenntnis und Autonomie zum Ausdruck bringt. In seiner jüngsten Geschichte innerhalb radikaler Politik hat das Konzept der Autonomie sich nicht nur durch eine Distanz zum Staat, zu Formen der Vermittlung und zu repräsentativer Politik ausgezeichnet. Es hat darüber hinaus die Rolle der Erkenntnis in Frage gestellt und dabei die spezifische Rolle, die der kognitiven Arbeit seit dem Fordismus im Hinblick auf die Betriebsführung ebensowie auf die Repräsentation der Figur der ArbeiterInnenklasse zugeschriebenwurde.

Indem die Frage nach der Verlagerung von der formalen zur reellen Subsumtion unter das Kapital gestellt wurde, verwandelte sich das Verständnis der kognitiven ArbeiterInnen als eine unterschiedene und managerielle Schicht in seinen interessantesten Aspekten in eine Frage nach Formen der Ausbreitung kognitiver (und immaterieller) Arbeit. Und hier wird es entscheidend, ein kritisches Verständnis des philosophischen Konzepts der Autonomie zu reformulieren. Denn im spezifischen Kontext kognitiver Arbeit ist Autonomie aufs Engste mit Ausbeutung verknüpft. Mit anderen Worten, es geschieht genau durch Formen des Selbst-Managements, dass kognitive Arbeit als Arbeit mobilisiert und der Ausbeutung verfügbar gemacht wird. Wenn also der Übergang von formaler zu reeller Subsumtion etwas bedeuten soll, dann ist es die Internalisierung des Kommandos als Gewohnheit.

Verfolgt man also die Geschichte des Konzepts der Autonomie von den frühen Schriften Trontis zu seinen gegenwärtigen Anwendungen in den Debatten um Migration, so fällt die Ambivalenz dieses Begriffes ins Auge. Dass betrifft auch die Ausmaße, mit denen eine subalterne Analytik sich die Haltung aneignet, das „Unsichtbare sichtbar machen" zu wollen. Denn sie geht damit der Rolle der Repräsentation auf den Leim, die zuvor als Sache der intellektuellen Arbeit und als Zeichen ihrer manageriellen Ebene betrachtet wurde.

 

Eine ausführliche Version dieses Textes erschien als Autonomy, Recognition, Movement zuerst in Stevphen Shukaitis/ David Graeber/ ErikaBiddle (Hg.): Constituent Imagination: Militant Investigations/ Collective Theorization, Edinburgh/Oakland 2007(AK Press). Gekürzt und aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.

Der Text erscheint in Bildpunkt.Zeitschrift der IG Bildende Kunst,Wien, Frühjahr 2009, „Immaterielle Arbeit und ihr Material".