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Geschlechtsauswahl in den USA

In den USA erregen Verfahren für die Geschlechtsauswahl immer mehr Aufsehen. Die Anzeichen häufen sich, dass die Selektion des Geschlechts bald zur Normalität werden könnte.

 

Seit einigen Jahren erregen in den USA neue Verfahren zur Geschlechtsauswahl Aufsehen, die in der modernen Reproduktionsmedizin eingesetzt werden können. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass in den USA die Selektion des Geschlechts zur Normalität werden könnte: Die neuen Methoden gehören inzwischen zum Standardrepertoire von Reproduktionskliniken; Massenmedien breiten sich über das Thema aus; und in Internetforen organisieren sich enttäuschte Eltern, die das Kind mit dem „falschen“ Geschlecht bekommen haben. Höchste Zeit für eine feministische Kritik, die nicht in die Falle tappt, eine Trennlinie zwischen guter „westlicher“ und schlechter „asiatischer“ Geschlechtsselektion zu ziehen.

GID 192, Februar 2009, S.29-33

In den 1990er Jahren kamen zwei neue Verfahren der Geschlechtsauswahl auf, MicroSort und Geschlechtsselektion via Präimplantationsdiagnostik.
Das Verfahren namens „MicroSort“ kommt bei künstlicher Insemination oder bei In-vitro-Fertilisation (IVF) zum Einsatz und „sortiert“ die Spermien nach X- und Y-Chromosomen - allerdings nicht hunderprozentig. Die Methode erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, ein Kind des erwünschten Geschlechts zu bekommen. MicroSort wurde vom US-Landwirtschafts-Ministerium entwickelt, um Bullenspermien zu bearbeiten. Seit 1995 gab es dann Tests am Menschen. Das Institut Genetics and IVF in Virginia verfügt über die exklusive Lizenz, diese Technik am Menschen anzuwenden und verfügt über zwei Labore, die mit dieser Methode arbeiten - eines in Virginia und eines in Kalifornien. Eine Reihe kooperierender Reproduktions-kliniken in den USA bieten diese Methode an, schicken die Spermien ein und erhalten sie gefroren und „sortiert“ zurück.(1) Wenn eine Frau im Anschluss an ein solches Verfahren schwanger wird, besteht Genetics and IVF zufolge eine 91-prozentige Wahrscheinlichkeit, ein Mädchen zu bekommen, wenn sie ein X-Spermien-Sample verwendet. Bei einem Y-Sample besteht die 76-prozentige Chance, einen Jungen auszutragen. Die Spermiensortierung kostet 3.400 US-Dollar, was noch nicht die zusätzlichen Kosten für die reproduktionsmedizinischen Verfahren beinhaltet. Durchschnittlich verwenden die Paare MicroSort dreimal hintereinander, bis es zu einer Schwangerschaft kommt - oder sie die Behandlung aufgeben.
Die zweite in Reproduktionskliniken angebotene Methode ist die Untersuchung des Geschlechts via Präimplantationsdiagnostik (PID). Diese Methode hat eine IVF-Behandlung zur Voraussetzung. Nur derjenige Embryo oder diejenigen Embryonen mit dem bevorzugten Geschlecht werden in die Gebärmutter eingesetzt. PID wurde erstmals 1990 an Menschen getestet. Bis Ende der 1990er entwickelte sich PID in den USA zu einer Routinemethode für diejenigen Paare, die IVF nutzen, um Embryonen nach chromosomal oder genetisch bedingten Krankheiten oder Behinderungen untersuchen zu lassen. Reproduktions-kliniken bieten die Kombination von IVF mit PID zur Geschlechtsselektion für etwa 20.000 US-Dollar an. PID ist zwar sehr genau bei der Bestimmung des Geschlechts, es hängt aber von den üblichen „Erfolgsraten“ bei IVF ab, ob das Paar dann tatsächlich ein Kind bekommt.


Entscheidung für statt gegen

MicroSort und PID sind nicht die ersten medizinischen Technologien der Geschlechtsauswahl. Mit dem Aufkommen der Pränataldiagnostik gab es bereits in den späten 1970er Jahren eine erste Generation von Verfahren. Der Einsatz von Ultraschall und Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), um das Geschlecht zu bestimmen - bei „negativem“ Ergebnis gefolgt von einem Schwangerschaftsabbruch - ist jedoch wegen der Abtreibungsfrage sehr umstritten.
Vieles unterscheidet die erste von der zweiten Generation der Geschlechtsauswahlmethoden: Der Einsatz von Pränataldiagnostik und Amniozentese war eher eine unvorhergesehene Folge der zunehmenden medizinischen Überwachung der Schwangerschaft; die zweite Generation wurde demgegenüber im Kontext der neuen Reproduktionstechnologien möglich. Die erste Generation der Methoden hatte den Ruch der aktiven Verneinung eines Kindes mit einem bestimmten Geschlecht, die zweite Generation erlaubt dagegen eine Vorauswahl und erscheint in einem positiveren Licht, als Entscheidung „für“ statt „gegen“ ein bestimmtes Kind.
Insbesondere aber - eine zentrale Frage für die US-amerikanische Diskussion - umgehen die neuen Methoden das Problem der Abtreibung, weil sie vor einer Schwangerschaft angewandt werden. Es bleibt zwar dennoch ethisch umstritten, ob insbesondere die PID für „nicht-medizinische“ Zwecke, also zur reinen Geschlechtsauswahl (wenn es nicht um den Ausschluss einer mit einem Geschlecht assoziierten Krankheit geht) gefördert werden sollte. Insgesamt ist das Klima aber so, dass inzwischen viele Reproduktionskliniken in diesen lukrati-ven Markt eingestiegen sind, diese Dienstleistung offen anbieten und dafür werben. Spirit, ein Magazin der Southwest Airlines, berichtete, dass Dr. Jeffrey Steinberg, der Reproduktionskliniken in Los Angeles, Las Vegas und Mexico betreibt, seine Einnahmen vervierfachte, nachdem er PID für Geschlechtsselektion angeboten hatte.(2)2006 veröffentlichte das Forschungsinstitut Genetics & Public Policy Center die Ergebnisse einer Umfrage bei 415 Reproduktionskliniken in den USA: 42 Prozent der untersuchten Kliniken boten PID für nicht medizinisch begründete Geschlechtsauswahl an.(3)


Medien, Marketing und Selbsthilfe

Es ist für das Feld der Reproduktionsmedizin typisch, dass Massenmedien und populärwissenschaftliche Bü-cher einen Trend setzen beziehungsweise ihn auch herbeireden. Sie tun dies, indem sie viel über neue Methoden berichten, berühmte Mediziner zu Wort kommen lassen oder rechtliche und ethische Aspekte diskutieren.(4) Dies gilt auch für die Technologien der Geschlechtsauswahl. Printmedien wie New York Times Magazine, Newsweek, Vogue, Fortune oder Time Magazine oder das TV-Programm 60 Minutes von CBS News stellten in den letzten Jahren in Features und Artikeln die neuen Methoden als bereits selbstverständliche Realität dar. Medien-KonsumentInnen erhalten die Botschaft, dass sich Geschlechtsauswahl automatisch etablieren müsse, weil die Technologien existieren und bekommen keine Hinweise auf die soziokulturellen Hintergründe ihrer Nutzung.
Die meisten medialen Beiträge beziehen zwar auch übliche kritische Metaphern zu Reproduktionstechnologien ein: „Wollen Sie ein perfektes Designer Baby?“, fragt 60 Minutes Report.(5) Und Newsweek titelt: „Schöne neue Babies“ - mit Verweis auf die „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley.(6) Es handelt sich hier aber nicht um eine ernsthafte Diskussion möglicher negativer Implikationen der Geschlechtsauswahl. Die Medien unterschlagen weitgehend, dass diese Verfahren die teure, oft beschwerliche und nicht risikofreie Reproduktionsmedizin voraussetzen. Meistens stellen sie diese Technologien als Ausweitung der elterlichen Wahlfreiheit dar und wählen besonders wenig umstrittene Fallbeispiele aus. Es geht um persönliche Geschichten, bei denen die Methoden mit Erfolg angewandt wurden und bei denen „normale“ Eltern anscheinend triftige Gründe für ihren Wunsch nach einem Kind mit einem spezifischen Geschlecht hatten. Typi-scherweise ist dies der Wunsch nach einer Tochter nach der Geburt mehrerer Jungen in einer Familie.
Zu diesem Medienhype gesellt sich dann noch das direkte Marketing, durch welches bestimmte Begriffe und Themen gesetzt wurden. So spielte bei der Propaganda der Geschlechtsauswahl als „family balancing“ das Marketing des Genetics and IVF Institute eine wichtige Rolle. Nahegelegt wird, dass Familien mit Kindern nur einen Geschlechts unausgewogen oder unvollständig seien. Die Werbeanzeigen für MicroSort wiederum erklären, die Geschlechtsauswahl helfe bei der „gender variety“ (Vielfalt der Geschlechter).
In Internetforen haben sich inzwischen potenzielle KundInnen für die Methoden der Geschlechtsauswahl zusammengetan und entwickeln eine kollektive Identität auf der Grundlage ihres Wunsches nach einem Kind mit einem bestimmten Geschlecht.(7) Die Internet-Unterstützungs-Foren machen die neuen Geschlechtsauswahlmethoden nicht nur populär, sondern sie demonstrieren und schüren auch die Nachfrage danach. Selbsthilfeforen ermöglichen es, offen über die Pläne zu sprechen, solche Verfahren anzuwenden oder aber in einem „gender disappointment“-Forum der Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, dass ein Kind mit einem unerwünschten Geschlecht geboren wurde. Vorreiterin dieser Bewegung ist Jennifer Merrill Thompson mit ihrem Buch „Chasing the Gender Dream“.(8) Im Vorwort betont sie, wie wichtig ihr der Austausch mit Gleichgesinnten der Online-Community war, die ebenso von diesem Wunsch „besessen“ waren.


Geschlechterstereotype

Grundlage der Bestrebungen dieser Community ist die Vorstellung, dass das biologische Geschlecht wählbar, das soziale Geschlecht aber davon abhängig und festgeschrieben ist. Die neuen Methoden der Geschlechts-auswahl bauen auf einer Genetifizierung von Geschlecht auf. Die Idee feststehender Geschlechtsstereotype ist die Voraussetzung dafür, dass sich diese Technologien etablieren können. Dabei erstreckt sich diese Identitäts-politik nicht nur auf das erwartete Kind und dessen Eigenschaften selbst, sondern auch auf die Identität als Eltern. Jeniffer Merrill Thompson beispielsweise erklärt: „Ich wollte nicht nur eine ‚Jungen-Mama’ sein“. Das TV-Programm CBS News Early Show zitiert Monique Collins, Teilnehmerin einer klinischen Studie zu MicroSort folgendermaßen: „Ich wollte jemanden zum Barbie-Puppen-Spielen haben und zum shoppen gehen.“(9) Auch diejenigen, die von ihrem Traum einer starken Tochter sprechen und damit unter Umständen auch feministische Ideen verbinden, bauen an be-stimmten Geschlechtszuschreibungen mit. Denn die KonsumentInnen der neuen Verfahren wählen nicht nur das biologische Geschlecht des Embryos aus, sondern sie tun dies auf der Grundlage von Vorstellungen, wie sich ein Kind eines bestimmten Geschlechts entwickeln wird.


Falsche Grenzziehungen

Eine weitere Bedingung für die Etablierung der Geschlechtsauswahl in den USA als normale medizinische Methode ist die Abgrenzung von Geschlechtsauswahl in anderen Nationen und Kulturen, insbesondere in Indien und China. Die Methoden werden legitimiert, indem man sich darauf beruft, dass westliche Gesellschaften beide Geschlechter gleichermaßen respektierten und keine diskriminierende Haltung einnähmen. Eine Form, dieses „Othering“ zu betreiben - also das Andere als negatives Gegenstück zum positiven Eigenen aufzubauen - sind unterschiedliche Sprachregelungen. Wenn es um Indien oder China geht, ist üblicherweise die Rede von „sex selection“ (sex = biologisches Geschlecht). In den USA ist dagegen der Begriff „gender selection“ weit verbreitet (gender = soziales Geschlecht). Gender gilt als positiv besetzter Begriff, den viele mit Programmen zur Frauenförderung verbinden. Diese plakative und undifferenzierte Gegenüberstellung von guten westlichen und diskrimi-nierenden östlichen Praktiken verhindert es, gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung überall vorzugehen und gemeinsam alternative moralische und ethische Prinzipien zu entwickeln - jenseits von „family balancing“ ebenso wie der Bevorzugung von Söhnen.
Die Berichte über die Anderen sind üblicherweise sehr drastisch und verallgemeinernd, um die eigenen Handlungen als kulturell höherwertig und progressiv präsentieren zu können. Exemplarisch für diesen Blick ist etwa das schon in den 1980er Jahren erschienene Buch von Elizabeth Bumiller, in dem sie über selektive Abtreibungen in der upper class von Bombay schreibt.(10) Sie beschreibt diese Praxis als das „Schlachten weiblicher Babies“ und sieht dies als Beweis für „tausende von Jahren der Vorurteile und Diskriminierung“ aller Frauen in Indien. Aus Kreisen der professionellen Bioethik kommt Unterstützung für diese Unterscheidung. So erklären Dickens et. al. in einer Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe, Geschlechtsauswahl für „family balancing“ beruhe nicht auf der kulturellen Diskriminierung eines Geschlechts und sei im Gegensatz zur Bevorzugung von Söhnen legitim.(11)
Die Unterscheidung in westliche und östliche Praktiken ist nicht nur deswegen problematisch, weil die Argumente kultureller Differenz dazu dienen, westliche Überlegenheit zu behaupten, sondern auch, weil die behaupteten kulturellen Grenzen gar nicht mehr mit geopolitischen Grenzen übereinstimmen. Die gezielte Vermarktung der neuen Geschlechtsauswahlmethoden an MigrantInnen-Communities in den USA, bei denen die Geburt von Söhnen bevorzugt wird, macht dies deutlich. Zudem sind die Faktoren für die Nutzung von Geschlechtsauswahl-Metho-den in Indien nicht einfach „kulturell“ und rückwärtsgewandt, sondern haben vielfache, auch moderne Hintergründe. So zeigt eine Studie von Rupsa Mallik, dass es ge-rade die oberen sozialen Schichten in Indien waren - also diejenigen, die auf „Modernisierung“ setzen und Zugang zu Bildung, Technologien und Massenmedien haben - die die Geschlechtsbestimmung und selektive Abtreibung etabliert haben. „Die von ihnen entwickelten frauenfeindlichen Normen wurden auch von Gemeinschaften in Indien übernommen, die traditionellerweise egalitärer waren und förderten auch hier die Diskriminierung von Frauen.“(12) Auch ökonomische Faktoren spielen bei den Verfahren der Geschlechtsauswahl in Indien eine Rolle. So ist es eine US-amerikanische Firma, General Electric, die den größten Marktanteil für Ultraschallgeräte in Indien innehat. Als der Oberste Gerichtshof in Indien im Jahr 2001 Maßnahmen ergriff, um das Gesetz von 1994 zum Verbot der Geschlechtsauswahl durchzusetzen, forderte er Firmen wie Wipro GE, Philips Medical Systems und Siemens dazu auf, sie darüber zu informieren, wer in den letzten Jahren Ultraschallgeräte gekauft hatte.(13) Inzwischen haben aber auch die neuen Methoden, die ohne selektive Abtreibung auskommen, in Indien Fuß gefasst. Grund für das Wachstum dieses Marktes ist unter anderem, dass es inzwischen auch einen „Reproduktionsmedizin-Tourismus“ aus den USA nach Indien gibt, um dort billigere Angebote in Anspruch zu nehmen. Tatsächlich sind die Faktoren, die Geschlechtsauswahl weltweit befördern, zunehmend komplexer sowie glo-bal miteinander verwoben und einfache Erklärungen über kulturelle oder auch ökonomische Differenzen sind dafür unangemessen.


Welche reproduktiven Rechte?

Schließlich ist auch ein liberales, auf die Freiheit des Konsums bezogenes Verständnis individueller reproduktiver Rechte ein weiterer Faktor dafür, dass sich Verfahren der Geschlechtsselektion in den USA etablieren können. John A. Robertson, Vorsitzender des Ethik-Kommittees der ASRM (Amerikanische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin) befürwortet die Geschlechtsauswahl via PID mit Rekurs auf die reproduktiven Rechte und erklärt: „Auch das Recht, bestimmte Eigenschaften eines Kindes durch negativen Ausschluss oder positive Selektion auswählen zu können, leitet sich aus dem Recht auf reproduktive Entscheidungsfreiheit ab; denn die Entscheidung sich fortzupflanzen hängt oft davon ab, ob das Kind die entsprechenden Eigenschaften haben wird.“(14) Dorothy Roberts, Juristin und aktiv in der Bewegung für soziale Gerechtigkeit, wendet ein, dass diese fundamental liberale Vorstellung reproduktiver Rechte das Recht auf Freiheit über das auf Gleichheit stellt.(15) Denn diese Freiheit ignoriert die Machtverhältnisse, innerhalb derer sich Möglichkeiten in Bezug auf die Fortpflanzung ausgestalten. Zum einen haben Menschen mit wenig Einkommen nur Zugang zu den älteren billigeren Verfahren, also zu selektiver Abtreibung - und sind dem moralischen Vorwurf der Abtreibungsgegner ausgeliefert. Und ganz allgemein dienen diese Technologien letztendlich sozialen Normen, die beschränkend sind, indem sie darauf abzielen, das nicht Normale, das nicht Erwünschte zu beschränken und zu verhindern.
Anne Kerr und Sarah Cunningham-Burley haben herausgestellt, dass „die Körper den Normen unterworfen bleiben, wenn die Möglichkeiten, die es gibt, um sie zu erschaffen den üblichen Konventionen von Schönheit und Gesundheit folgen - und Fortpflanzung bleibt ein verhängnisvoller Prozess, wenn es möglich ist, das Uner-
wünschte zugunsten der Norm zu eliminieren.“(16) Insofern, so folgert Dorothy Roberts „kann die vom Markt beeinflusste Expansion der reproduktiven Genetik auch Freiheiten einschränken und nicht nur erweitern.“ Und weiter: „Das Geschlecht, die Fähigkeiten und die Hautfarbe von Kindern auszuwählen spiegelt die sozialen Ungleichheiten wieder, die mit diesen Zuschreibungen verbunden werden und kann ein ungerechtes Wertesystem bestärken, das einige mehr bevorteilt als andere.“
Um den neuesten Trends der Geschlechtsauswahl in den USA entgegenzutreten, ist es wichtig, diese Stimmen in die Debatte einzubringen.


Übersetzung, Bearbeitung und Kürzung: Susanne Schultz




Fußnoten:
(1) Das Verfahren besteht darin, erst das Sperma zu färben; dann wird eine durchflusszytrometische Zellsortierung angewendet. Sie basiert darauf, dass X-Spermien mehr floureszierendes Färbemittel binden als Y-Spermien.
(2) Huff, C. 2006: Custom Kids in: South West Airlines Spirit, April
(3) Baruch, S. et al. 2006: Genetic testing of embryos: practices and perspectives of U.S. IVF clinics in: Fertility and Sterility, September, 5.
(4) Vgl. Thompson c. 2005: „Making Parents: The Ontological Choreo-graphy of Reproductive Technologies. Cambridge, Massachusetts and London, MIT Press.
(5) www.cbsnews.com/stories/2004/04/13/60II/main611618.shtml
(6) Kalb, Claudia, 2004: Brave New Babies, Newsweek, January 26.
(7) Z.B. „determining sex“ und „disappointed about gender“ auf babycenter.com; „gender determination“ auf ivillage.com; „gender disappointment“ und weitere Foren auf „in-gender.com“
(8) 2004, Imperial Beach, CA: Aventine Press. Untertitel: Eine vollständige Anleitung dazu, mit den neuesten Technologien der Geschlechts-auswahl rosa oder blau zu empfangen von einer, die das erlebt hat.
(9) www.cbsnews.com/stories/2002/11/06/earlyshow/contributors/emily senay/main528404.shtml
(10) Elizabeth Bumiller: May You be the Mother of a Hundred Sons, 1990, Random House: New York
(11) Dickens, B.M et. al.: Sex selection: Treating different cases differently in: International Journal of Gynecology and Obstetrics 90: 171-177
(12) Mallik, Rupsa 2003: Negative Choice, Seminar 532, December.
(13) Gupte, Manisha 2003: A Walk Down Memory Lane: An Insider’s reflection on the Campaign Against Sex Selective Abortions. In: Background Materials on Sex Selection, Rajani Bhatia u.a. (Hg.), www.
gjga.org
(14) Robertson, John 1998: Liberty, Identity, and Human Cloning in: Texas Law Review 76 (6): 1371-1456
(15) Roberts, Dorothy 1997: Killing the Black Body: Race Reproduction and the Meaning of Liberty. New York
(16) Kerr, Anne and Sarah Cunningham-Burley 2000: On Ambivalence and Risk: Reflexive Modernity and the New Human Genetics. Sociology 34(2), 283-304




 


Schlaglichter: Erfahrungen einer Aktivistin

Erstmals beschäftigte ich mich mit dem Thema Geschlechtsauswahl Mitte der 1990er Jahre in Indien, als ich als Studentin und Aktivistin bei der Organisation „Forum for Women’s Health“ (Forum für Frauengesundheit) in Mumbai mitmachte. Auch wenn Geschlechtsauswahl nicht das Hauptthema des Forums war, stieß ich doch auf Dokumente einer jahrzehntealten Kampagne und hörte aus erster Hand, welche Aktivitäten die Frauenbewegungen dazu entwickelt hatten. Zurück in den USA engagierte ich mich zum Thema und kritisierte zusammen mit anderen Aktivistinnen Geschlechtsauswahl als Form geschlechtsspezifischer Gewalt.
2003 verteilten wir ein Faltblatt während einer Konferenz südasiatischer Organisationen und Communites in den USA. Ziel der „Aarohan 2003“-Konferenz war, etwas gegen Gewalt gegen Frauen zu tun. In dem Faltblatt beschrieben wir Geschlechtsauswahl als Form geschlechtsspezifischer Gewalt: „Die Bevorzugung von Söhnen ist Nebenprodukt eines allgegenwärtigen patriarchalen Systems. Leider geht es hier nicht um eine harmlose persönliche Vorliebe, denn die Bevorzugung männlichen Nachwuchses ist im allgemeinen verbunden mit der Vernachlässigung und Misshandlung von Töchtern.“
2001 kündigte ein Artikel in der New York Times an, dass das Ethik-Kommittee der ASRM (American Society of Reproductive Medicine) der Geschlechtsauswahl durch Präimplantationsdiagnostik (PID) zustimmen würde. Die Richtlinien des Ethikkommittees sind allerdings für die Reproduktionskliniken, die Mitglieder der ASRM sind, nicht verbindlich. Tatsächlich schrieb kurz darauf der Vorsitzende des Kommittees, John Robertson, einen Brief an Norbert Gleicher, den Direktor des Center for Human Reproduction mit neun Kliniken in New York und Chicago, und befürwortete die PID zur Geschlechtsauswahl. Gleicher begann direkt danach, diese Methode in seinen Kliniken zu vermarkten. Zusammen mit fünf Aktivistinnen gegen Geschlechtsauswahl in den USA schrieb ich einen Protestbrief an die Mitglieder des Ethikkommittes, der von über 90 Einzelpersonen und Organisationen unterzeichnet war. Daraufhin entzogen Mitglieder des Ethik-Kommittees Robertson die Unterstützung. Im Februar 2002 informierte die New York Times, dass das Ethik-Kommittee diese Position zurücknahm und nun - wie bereits 1999 - wieder empfahl, Paaren eher von der Geschlechtsauswahl via PID abzuraten. Es gebe das „Risiko eines nicht vertretbaren Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern und eines gesellschaftlichen Schadens und zudem das Problem, dass Ressourcen von tatsächlichem medizinischem Bedarf abgezogen werden“.
Nach dieser Auseinandersetzung mit dem Ethik-Kommittee der ASRM war ich an einer Reihe von weiteren Aktivitäten beteiligt, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und gegen die zunehmende Selbstverständlichkeit dieser Methode in der US-Reproduktionsmedizin zu protestieren. So war ich auch Mitgründerin einer Kampagne zur Beendigung der Geschlechtsselektion (www.endsexselection.org). Allerdings stellte sich heraus, dass dieses Anliegen längst nicht alle Feminis-tinnen in den USA teilen. Liberale Feministinnen erklärten es eher zu einer individuellen und privaten Entscheidung und reduzierten das Thema auf eine Frage der Wahlfreiheit. Zudem musste sich die Kampagne in den USA einigen Herausforderungen stellen, nicht zuletzt der Tatsache, dass es keine eindeutige Bevorzugung von Jungen bei dem Einsatz dieser Methode gibt. Es wird abgeleitet, dass es in den USA keine geschlechterdiskriminierende Anwendung der Methode gibt. Dennoch lässt mir die Vorstellung keine Ruhe, dass es viele im „liberalen“ westlichen Kontext für vernachlässigbar halten, sich kritisch mit Geschlechtsselektion zu beschäftigen. Es ist wichtig, Geschlechtsauswahl mehr als bisher in die Diskussionen der Frauen- und auch der Queer-Bewegungen aufzunehmen.

(Rajani Bhatia)