Ist Dummheit Pflicht?

Das zuerst: Dummheit hat keine feste Farbe. Sie kann schwarz, gelb, tiefrot,
rot, rosa oder grün sein. Auch Farbmischungen sind nicht selten, und auch farblos
kann sie sein, die Dummheit. Was aber alles nicht zwangsläufig bedeuten
muß, daß wir uns nicht gern auf eine Farbe festlegten, so sind wir eben; es
funktioniert nach dem Prinzip: Dumm ist immer der andere.
Aber wir wollen jetzt einmal nicht über Gregor Gysis in der medienkritischen
NDR-Sendung ZAPP dokumentiertes Mittun bei der Werbeaktion für
eine Crime- und Sperma-Politpostille befinden, dazu fällt uns außer »Lieber
schlecht vorkommen als gar nicht vorkommen« sowieso nichts ein. Also reden
wir über andere aktuelle Erscheinungsformen von Dummheit – die ja nun
erwiesenermaßen wirklich nicht wehtut, denn sonst müßte alle Welt ja mit
Ohrstöpseln herumlaufen, anders wäre das Wehgeschrei nicht auszuhalten.
Die Auswahl fällt bei dem Überangebot auch an veröffentlichter Dummheit
natürlich nicht leicht. Ja, das Angebot ist dermaßen reichhaltig, daß man meinen
könnte, Dummheit sei Pflicht. Und dabei berücksichtigt das Angebot
noch nicht einmal unsere eigene … Bertrand Russell kam einst zu dem Schluß,
angesichts der »großen Auswahl« sollte man »eigentlich im Leben niemals die
gleiche Dummheit zweimal machen«; nun gut, auch Philosophen irren …
Öffentliche Dummheiten können zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
ausgeprägt sein. Dieses sogenannte Gedenkjahr 2009 (seine ersten Monate
deuteten schon darauf hin) wird an seinem Ende mit besonders vielen Dummheiten
vielfältigster Art bepflastert worden sein. Und wieder werden die Ideologen
eigentlich konträrer versuchen, sich mit Dummheiten zu übertreffen und
sich dergestalt trefflich zu ergänzen. Obwohl sie in der Regel so tun, als ob siesich nicht zur Kenntnis nähmen oder ihre jeweiligen Äußerungen nichts, aber
auch gar nichts miteinander zu tun hätten. Hach, und wie sie haben!
Jüngst luden die Berliner GRÜNEN in Abgeordnetenhaus ein, der Titel der
Veranstaltung »Literatur als Kampfmittel des Sozialismus?!« Es darf wohl auch
ohne Kenntnis Bündnisgrüner Interna davon ausgegangen werden, daß die
Erfinder dieser als Tribunal angelegten Debatte im Vorfeld insbesondere stolz
darauf gewesen sein werden, daß ihnen im Titel die Kombination von Frageund
Ausrufezeichen eingefallen war. Geschenkt. Warum auf dem Podium Ines
Geipel und Erich Loest Platz genommen hatten, ist nicht unerklärbar, beide
erfüllten vollauf die Erwartungen der Veranstalter. Christoph Hein hielt sich,
wollen wir Presseberichten glauben, weitgehend zurück, er mag geahnt haben,
was da – wieder mal … – passieren würde. In einer Zeitung hieß es, er habe
»vielsagend« geschwiegen.
So mußte denn Elmar Faber, einst Chef des Aufbau-Verlages, den Hauptbuhmann
abgeben und seinen Buckel hinhalten. Und wie sah es mit Dummheiten
aus? Auf diese mußte nicht verzichtet werden, die waren garantiert – denn der
einstige Bundestagsabgeordnete Schulz-Pankow befand sich im Saale. Auf den
ist Verlaß. An diesem Tage nun trug er sich mit folgendem Satz – gerichtet an
Elmar Faber – in die Annalen ein: »Sie haben Linien-Literatur herausgegeben.«
In der gleichen Woche, als die Welt davon in Kenntnis gesetzt wurde, waren
auch Schulzens Entsprecher nicht faul, obwohl sie mit dem Handicap
auskommen müssen, daß die Welt an ihren Ansichten weniger teilnimmt. So
gesehen, darf davon ausgegangen werden, daß wir – sozusagen – eine Chronistenpflicht
erfüllen. Schulzens Antipoden äußern sich vorwiegend in dem von
einstigen Reisekadern herausgegebenen Periodikum Rotfuchs. Dort fand sich
letztens eine Art Gerichtsbericht aus Pirna, über den Schulz & Gen. hocherfreut
sein können: Vor 25 Jahren hatte ein heute 64jähriger mit einem selbstgebastelten
Flugzeug die DDR verlassen wollen, war vorher geschnappt worden,
Gefängnis, Freikauf; später machte er die IMs ausfindig und versuchte
sie zu erpressen, deshalb der Prozeß. Die »Rotfuchs«-Autoren aus Dresden
versehen ihre Geschichte unter anderem mit solchen Vokabeln beziehungsweise
(Ver-)Satzstücken (Hervorhebungen – W. S.):
»Der zuständigen Bezirksverwaltung des MfS Dresden wurde bekannt;
1984 erfolgte aus der Haft seine Übersiedlung in die BRD; Es ist anzunehmen,
daß Schlosser nun seine Hetze gegen die DDR noch steigern wird;
Durch sein Herumgereichtwerden an Schulen …; angebliche Geruchskonserve;
vermeintliche Haftschäden. Was die Zeugen betrifft, nur soviel: Beide
waren DDR-Bürger, die auf der Grundlage der Verfassung und der Gesetze
der DDR gehandelt haben. Im Paragraphen 225 des Strafgesetzbuches der DDRheißt es: Wer von Vorhaben, Vorbereitungen oder Ausführungen eines Verbrechens
glaubwürdig Kenntnis erhält, hat unverzüglich Anzeige bei den Sicherheitsorganen
zu erstatten. Unterlassung ist strafbar. Im dargestellten Fall
ging es nicht nur um ungesetzliches Verlassen der DDR, sondern auch um Gefährdung
der Luftsicherheit.« Da könnte man glatt ein Schulz werden.
Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Dummheit ist mitnichten
Pflicht, aber sie ist vermutlich unabdingbares Menschenrecht. Wir müssen
uns wohl in dieser Hinsicht an Mark Twain halten: »Das Recht auf Dummheit
gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit.«