Solidarität ist Selbsthilfe

Hefteditorial

»Horst Köhler macht den Deutschen Mut«. Ja, es war schon eine bemerkenswerte »Berliner Rede«, die die Schwäbische Zeitung so wie fast alle anderen Medien Ende März bejubelte. Der Bundespräsident fand in Zeiten der Krise klare Worte: »Jetzt erleben wir, dass es der Markt allein nicht richtet.« Weshalb man nun im reichen Norden ein Problem habe: »Heute stellt die Welt uns die Globale Soziale Frage.«

                Doch wo Leiden ist, naht die Katharsis, vorangetrieben vom mutigen Köhler: »Die internationalen Finanzmärkte brauchen eine neue Ordnung durch bessere Regeln, effektive Aufsicht und wirksame Haftung.« An konstruktiven Vorschlägen mangelt es dem Bundespräsidenten nicht. Es brauche eine neue Weltfinanzordnung, ein Bretton Woods II unter dem Dach der Vereinten Nationen, um so »eine grundsätzliche Reform der internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung voranzutreiben.« Köhlers hochgestecktes Ziel: »Globale öffentliche Güter wie internationale Finanzstabilität, Begrenzung der Erderwärmung und die Gewährleistung freien, fairen Handels« sollen »gemeinsam definiert und bereitgestellt werden.«

 

Wer so spricht wie Attac und die Linkspartei, bekommt den entsprechenden Beifall. »Wir können die Forderungen des Bundespräsidenten nur unterstützen«, lobte Oskar Lafontaine. Ob es ihn irritierte, dass auch Guido Westerwelle ganz begeistert war von der Köhlerschen Rede? Köhler habe mit seiner Rede »die Meinungsführerschaft« bei den Strategien zur Überwindung der Krise übernommen, so der FDP-Chef. Hinter dieser Rede könne sich »die übergroße Mehrheit der Deutschen versammeln«. Wie zum Beispiel der Schleyer-Nachfolger Dieter Hundt, der Köhler sekundierte: »Der zügellose Kapitalismus ist gescheitert«, weshalb man nun »eine Finanzmarktarchitektur mit strengen internationalen Regelungen und entsprechender Überwachung« benötige.

Wie kommt es, dass nun schon Arbeitgeberpräsidenten Töne hören lassen, wie sie bislang vor allem von Attac kamen? Um darüber Aufschluss zu erlangen, lohnt es, der Rede Köhlers ein wenig länger zu lauschen. Der deutschen Nation oberster Banker, der dem IWF von 2000 bis 2004 vorstand, hatte nämlich in aller Offenheit dargelegt, wie er und andere Vertreter der Elite den Markt zu zügeln gedenken: Nach neoliberalen Vorgaben, gepanzert mit der starken Hand des deutschen Staates, und vor allem zum eigenen Wohl.

Was Köhler nämlich auch sagte, geht so: »Als Exportnation sind wir auf freien Handel und möglichst viele Nationen angewiesen, die daran teilnehmen.« Weshalb der Bundespräsident auf die baldige Fortführung der Verhandlungen über Freihandel drängt. Damit deutsche Unternehmen endlich wieder mehr exportieren können. Denn, wie Köhler ganz richtig feststellt: »Es wäre ein geringeres Risiko gewesen, eine Eisenbahnlinie quer durch Afrika zu bauen, als in eine angesehene New Yorker Investmentbank zu investieren.« Und wäre vor allem auch Siemens zugute gekommen statt den Lehman Brothers. In diesem Zusammenhang gab Köhler auch eine interessante Definition des Solidaritätsgedankens: »Solidarität ist Selbsthilfe.« Für deutsche Unternehmen? Nicht auszuschließen, denn: »Eigennutz im 21. Jahrhundert heißt: sich umeinander kümmern.« Etwa indem man Eisenbahnlinien baut, nach einem nachhaltigen Public Private Partnership-Modell, dessen gänzlich uneigennützige Ausarbeitung Siemens schon in der Schublade liegen haben dürfte.

Noch weitere Bonmots von Köhler gefällig? »Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt.« Genau, insbesondere ALG II-EmpfängerInnen und andere Verschwendungssüchtige, die nun die Globale Soziale Frage stellen. »Auch vorübergehende staatliche Beteiligungen können nicht ausgeschlossen werden. Der Schutz des Privateigentums, das konstitutiv ist für Freiheit und Wohlstand, wird dadurch nicht berührt.« Soll heißen: Für Verluste haftet der Staat zu Lasten der Sozialausgaben, Gewinne streichen wie bisher die UnternehmerInnen ein. »Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt.« Wenn Meinungsführer Köhler den Deutschen und ihrem Staat Mut macht, ist das für alle anderen eine schlechte Nachricht.

 

Oskar Lafontaine hat mit einem starken Staat bekanntlich kein Problem. Und er möchte die Deutschen vor »Fremdarbeitern« schützen. Viele AntiFas nehmen ihm das bis heute übel. Just, als er bei der Krisen-Kundgebung in Frankfurt einen »Schutzschirm« forderte, musste er sich hinter einem solchen ducken, weil er mit Eiern beworfen wurde. Den Falschen hat es damit nicht getroffen. Noch richtiger wäre es aber, Köhler, Westerwelle und alle anderen Krisengewinnler, die auf den Hundt gekommen sind, mit dem Dreck zu bewerfen, den sie täglich in die Welt setzen.

 

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