Die sogenannte Münchner Sicherheitskonferenz: Alter Hut auf neuen Köpfen

Es scheint zur „guten“ Tradition zu werden, dass die Verantwortlichen der alljährlich in München stattfindenden sogenannter NATO-Sicherheitskonferenz im Vorfeld zu verbalen Entgleisungen neigen, die aber zuverlässig darüber Auskunft geben, welche Denke in diesen Kreisen vorherrscht.

 Hatte sich der frühere Leiter, Horst Teltschik noch beklagt, dass die „Tragik der Demokratie“ darin bestehe, dass gegen seine Kriegstagung demonstriert werden darf, setzte der neue Konferenzleiter, Wolfgang Ischinger, noch eins drauf.

Mit Blick auf die aktuellen weltweiten Krisen schrieb er in der SZ vom 15.12.08 unter der Überschrift „Das Gute an der Krise“: „ … Die Europäische Union von heute wäre ohne die große Krise Europas, die zwei Weltkriege hervorgerufen hatte, nie zustande gekommen.“

Eine mehr als seltsame Sicht der Dinge. Da soll suggeriert werden, die beiden Weltkriege wurden nicht vom deutschen Großkapital und vom Hitlerfaschismus verursacht, sondern von einer „Krise in Europa“. Ohne die 55 Millionen Toten des zweiten Weltkrieges wäre also Europa gar nicht möglich gewesen?

Da liegt doch der Schluss nahe, dass ohne die Leichenberge in Afghanistan oder im Irak, auch der Fortbestand der NATO nicht möglich wäre. Wer so denkt macht klar: Krisen sind gut und Kriege nötig um zu besseren Verhältnissen zu kommen. Das war kein verbaler Ausrutscher, sondern eher eine selten offene Beschreibung des Grundtenors der „Sicherheits“-konferenz.

In der selben Zeitung schreiben dann eine Woche vor der Konferenz in einem gemeinsamen Artikel Angela Merkel und Nicolas Sarkozy über die „beunruhigenden Entwicklungen“, die den Hintergrund der NATO-Tagung bilden. Dabei machen sie eine interessante Aufzählung: Der Krieg im Kaukasus, der Konflikt im Nahen Osten, das iranische Nuklearprogramm, Pakistan, die Konflikte in Afrika und die Krise der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft.

In welcher Weise sich die NATO um die Krise der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft kümmern soll blieb offen. Aber nachdem inzwischen von Finanzexperten Derivate als finanzpolitische Massenvernichtungswaffen eingestuft werden, fühlt sich offenbar auch die NATO an dieser Front herausgefordert.

Offensichtlich ist der Hintergrund für diese geplante universelle Funktion der NATO die Erkenntnis, dass derzeit ein multiples Krisengeflecht des kapitalistischen Systems ein bedrohliches Ausmaß annimmt: Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die weltweite Armuts- und Hungerkrise, die Energie- und Umweltkrise und damit die strukturelle Krise des Wachstumsmodell des globalen Kapitalismus.

Immer deutlicher wird, dass die heutige kapitalistische Produktions- und Konsumtionsweise die Mehrheit der Menschen auf dem Globus von einer gleichberechtigten Nutzung der Naturressourcen und einem menschenwürdigen Leben ausschließt. Und deshalb soll die NATO, als militärischer Arm der kapitalistischen Metropolen, für die Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse gerüstet sein. 

Der genannte Artikel der SZ-Beilage zur Sicherheitskonferenz von Merkel und Sarkozy enthält einen flammenden Appell für die Osterweiterung der NATO, für den Ausbau der zivil-militärischen Mittel und der Beibehaltung der „nuklearen Abschreckung.“ „Wir werden eine iranische Nuklearbombe nicht zulassen“ heißt es darin ganz im Stil einer Zulassungsbehörde für Atomwaffen. Eine passende Antwort auf diese heuchlerische Position gab der Generaldirektor der internationalen Atomenergiebehörde, El Baradei, anlässlich der Konferenz: „Wenn führende Mächte der Welt glauben, ihre Sicherheit hänge davon ab, dass sie Atomwaffen besitzen, die unseren gesamten Planeten vernichten können, wenn sie ihre nuklearen Potentiale weiter modernisieren und sogar an ihrem tatsächlichen Einsatz forschen, wie können wir dann glaubwürdig von anderen Nationen erwarten, dass sie für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit für immer darauf verzichten, nach eben diesen Waffen zu streben? Die simple Antwort ist: Wir können es nicht.“ 

Der Forderung des deutschen Außenministers Steinmeier auf der Konferenz nach „einer „Welt ohne Atomwaffen“ haftet so lange der schale Geruch einer wahlkampfbedingten Arbeitsteilung mit der CDU an, solange es von seiner Partei keinerlei praktische Initiativen gibt, dass alle US-Atomwaffen aus der BRD abgezogen werden. 

Auch die Rede des Vertreters der US-Regierung machte wenig Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung der Politik der USA unter dem neuen Präsidenten. Vizepräsident Biden machte vor allem klar, dass die Hilfe der Europäer gefragt ist um den Afghanistankrieg zu gewinnen. Für dieses Ziel werden zunächst die US-Truppen dort verdoppelt.

Vorbei sind die Zeiten, da die USA die Pläne einer EU-Armee als gegen die Interessen der USA gerichtet sahen. Und auch in der EU hat man eingesehen, dass nur an der Seite der USA die eigenen Interessen in der Welt gewahrt werden können. Die dabei auftretenden Differenzen sind nicht die klassischen zwischenimperialistischen Rivalitäten, die zu den beiden Weltkriegen führten, sondern Meinungsverschiedenheiten darüber, mit welcher Strategie der globale Kapitalismus die Interessen der transnationalen Konzerne am besten durchsetzen kann.

Auf der so genannten Sicherheitskonferenz war man sich schnell einig, dass die militärischen Möglichkeiten dazu an ihre Grenzen stoßen. Siehe das sich abzeichnende Desaster in Afghanistan und im Irak.

Die Zeit der geostrategischen Alleingänge ist vorbei, Europa und Russland sollen stärker eingebunden und der militärische Imperialismus mit einer zivilen Komponente ergänzt werden Powersharing heißt die auf der „Siko“ ausgegebene Devise.

Die Versuche, Russland stärker in die Globalstrategie der NATO einzubinden, waren unüberhörbar. US-Vizepräsident Biden: „Ich lehne die Vorstellung ab, dass russische Stärke eine Schwäche der NATO bedeutet.“ Zum Hintergrund dieser Äußerung dürfte auch die logistische Hilfe Russlands für den Krieg der USA im Irak gehören. (Siehe auch Artikel von Willi Gerns in der UZ vom 13. 2.09) Denn weder ein Sieg der USA im Irak noch ein Erstarken islamistischer Bewegungen an seinen Südgrenzen durch einen Sieg der Taliban scheint für die russischen Führung eine besonders verlockende Aussicht.

Für die Klagen des USA-hörigen Präsidenten Afghanistans Karsai auf der Konferenz über unverhältnismäßig hohe Opfer unter der Zivilbevölkerung durch den US-Luftkrieg, hatten die Teilnehmer der US-Delegation nur ein gelangweiltes Schulterzucken übrig.Die USA erneuerten ihre Drohungen gegen den Iran und machten klar, dass ein Kontingent von 40 000 Mann US-Truppen für Jahrzehnte im Irak stationiert bleiben soll.

Der Hoffnungsträger Obama ließ in München wenig Hoffnung aufkommen. Die NATO, so wurde einhellig betont, gründe sich auf gemeinsame Werte, die zwar verteidigt, aber anderen nicht aufgezwungen werden sollten (Sarkozy).

Wie flexibel diese Werte gehandhabt werden, wurde in einem Kommentar von Ehud Barak, dem israelischen Verteidigungsminister, anlässlich der sogenannten Sicherheitskonferenz deutlich. Darin schreibt er, dass freie Wahlen der Sache auch schaden können, die sie eigentlich bewahren sollen. Und wörtlich: „Wahlen sind ein grundlegendes Instrument der Demokratie. Doch wo es an demokratischer Kultur mangelt, können sie letztlich einer Sache dienen, die im Widerspruch steht zu Freiheit und Frieden, zu jenen Werten also, die die Demokratie eigentlich bewahren soll.“

Dreister kann man es kaum sagen: Da wo Wahlergebnisse nicht den Vorstellungen der Herrschenden entsprechen, verkünden diese einen Mangel an politischer Kultur in diesem Land, was dann mit weißem Phosphor und Bombenterror gegen die Falschwähler korrigiert wird.

Man solle sich nicht täuschen, wurde auf der Gegenkundgebung von einer Rednerin gesagt: Das Massaker im Gazastreifen war ein NATO-Projekt. Finanziert, waffentechnisch ausgerüstet und legitimiert von den NATO-Staaten, die ihre schützende Hand über diesen Massenmord hielten.

So hat die „Sicherheitskonferenz“ einmal mehr klar gemacht: Sie ist nicht deshalb eine Kriegskonferenz, weil dort der Termin für den nächsten Krieg beschlossen wird, sondern weil dort jene politischen Strategien beraten werden, deren integraler Bestandteil Krieg, Rüstung und systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen Menschen ist.

 Deshalb heißt es folgerichtig im Aufruf zu den Gegenaktionen, den über 80 Organisationen, Parteien und Gewerkschaftsgremien unterzeichnet haben: „Die NATO dient den westlichen Industriestaaten dazu, deren ökonomischen Interessen auf dem gesamten Globus militärisch durchzusetzen und den ungehinderten Zugang zu den Märkten und Rohstoffen zu sichern.

Die fortschreitende Osterweiterung der NATO soll deren Einflusssphäre erweitern, z. B. Russland einkreisen und ihre militärische Übermacht zementieren …

Wir widersetzen uns einem kapitalistischen Machtsystem, das für Profit über Leichen geht, keinen Frieden ohne Krieg kennt und seine ökonomischen Interessen sowohl militärisch als auch über Institutionen wie WTO, IWF, Weltbank oder G8 durchsetzt.“

 Im Aufruf wird auch deutlich, dass diese Demonstration ein Auftakt für die Gegenaktionen zum NATO-Gipfel anlässlich des 60. Jahrestages der NATO Anfang April in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden ist.

Dass über 6 000, überwiegend Jugendliche, zur Demonstration kamen zeigt, dass die Antikriegsbewegung nicht auf einen Politikwechsel durch Obama, sondern auf die eigene Kraft vertraut und sich auch von den Repressalien eines massiven Polizeiaufgebotes nicht abschrecken lässt.

Die Flankierung der Abschlusskundgebung durch Scharfschützen auf dem Dach des Veranstaltungsortes der Sicherheitskonferenz war zwar beklemmend, konnte aber auch nicht verhindern, dass der Europaabgeordnete Tobias Pflüger den Preisträger der Eduard-von-Kleist-Medaille, die auf der Siko verliehen wurde, Henry Kissinger, in seiner Rede auf der Abschlusskundgebung zu Recht einen Kriegsverbrecher nannte.

Auf nach Strasbourg – das war das Schlusssignal einer erfolgreichen Antikriegsdemonstration.