30 Jahre Islamische Revolution

Fortschritt, Rückschritt, Stillstand

in (18.06.2009)
Revolutionen finden statt, wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen. Diese zutreffende Erklärung Lenins trifft auch auf die Islamische Revolution im Iran zu. Mohammed Reza Pahlewi, der letzte Monarch einer 2500 Jahre alten Herrschertradition, war nicht nur als Tyrann und als ein durch einen CIA-Putsch auf den Thron gehievter Monarch vom Volk verhasst. Er hatte auch Ende der 1970er Jahre keinen Halt innerhalb der Herrscherelite mehr.

Der „letzte Kaiser" von Iran hatte den Weg der absolutistischen Monarchie dem europäischen Weg der repräsentativen Monarchien vorgezogen. Dank sprudelnder Öleinnahmen in den 1970er Jahren war Reza Pahlewi der Illusion verfallen, er könne durch den Ausbau der Armee und umfangreicher Aufrüstung die Machtbasis für eine dauerhafte Alleinherrschaft klientelistisch, d. h. von oben nach unten und durch Geld und Posten ausbauen. Seine Strategie musste aber scheitern. Der Iran war im Unterschied zum Irak, zu Libyen oder zu den Scheichtümern am Persischen Golf schon lange keine Stammesgesellschaft mehr. Die Soldaten seiner neuen und auf 400 000 Mann rasant ausgebauten Armee waren Söhne der sozial und kulturell entwurzelten Bauern.

Der Konsumrausch und die importierte westliche Kultur mag zwar die Reichen und die herrschende Elite befriedigt haben, die Soldaten und die große Mehrheit traditionalistischer und durch die rasante Verwestlichung verunsicherter Iranerinnen und Iraner fanden jedoch im Islam und der eigenen Tradition den verlässlicheren Halt, den sie gerade brauchten. Die Spaltung der Gesellschaft in eine pseudo-modernisierte aber mächtige Minderheit und eine politisch religiös radikalisierte aber machtlose Mehrheit wurde unüberwindbar.

Schließlich folgte die überwältigende Mehrheit einschließlich der einfachen Soldaten dem Ruf einer Bewegungsallianz aus radikalen Mullahs und Intellektuellen, die mit ihrer Kritik der Verwestlichung und der aufgesetzten Scheinmodernisierung durch die Monarchie überall im Land Millionen Marginalisierte, Landflüchtige, Tagelöhner, traditionelle Händler und Mittelschichten, Studenten und Schüler mobilisierten und den Weg für den vergleichsweise gewaltlosen Sturz der Monarchie freilegten.

Den letzten Ausschlag für den Sturz der Monarchie und den Beginn einer revolutionären Umwälzung unter islamischem Vorzeichen gab allerdings Ayatollah Khomeini. Der charismatische Revolutionsführer trat, im Unterschied zu allen anderen politischen Führern, für die Abschaffung der Monarchie ein. Durch seine kompromisslose Haltung und die Ablehnung jedweder Versuche, die abgewirtschaftete Monarchie doch noch zu erhalten, gewann er bei allen Gegnern der Monarchie eine unerschütterliche Autorität und Legitimation, die er benötigte, um die Islamische Republik aus der Taufe zu heben.

Grundsätzlich wäre nach der Revolution auch die Entstehung einer islamisch demokratischen Republik möglich gewesen. Tatsächlich entstand aber ein islamischer Staat, der sich durch den „göttlichen Willen" legitimierte. Legislative (das Parlament) und Exekutive (der Präsident) sind im neuen politischen System dem Alleinvertretungsanspruch des Religionsführers untergeordnet, der sich im Zweifel gegen das Volk und auf seinen göttlichen Auftrag beziehen kann.

30 Jahre nach Abschaffung der Monarchie sitzt die neue islamische Herrschaftselite zwar machtpolitisch fest im Sattel, politisch hat sie sich aber in dieselbe Sackgasse hineinmanövriert, wie seinerzeit der Schah Reza Pahlewi. Auch sie hat sich die Fesseln eines rentiersstaatlich-klientelistischen Herrschaftssystems angelegt, das die Transformation Irans in die Moderne blockiert. Gegenwärtig ist eine Perspektive für Entwicklung und Demokratisierung der Gesellschaft, selbst im Rahmen eines islamischen Wertekodex und einer islamisch rechtsstaatlichen Verfassung, nicht in Sicht.[1]

Der Rentiersstaat orientalischer Prägung weist drei Merkmale auf: er steht in der Tradition des asiatisch-orientalischen Zentralismus und Despotismus, er finanziert sich nicht durch Steuern, sondern durch externe Finanzquellen, vor allem durch die Ölrenteneinnahmen, und er verfügt auch über das Privileg, die eigene Machtbasis selbst zusammen zu schmieden, sie ist also in der Lage, klientelistische Abhängigkeitsbeziehungen zu kreieren. Der Monarchie gelang zwar die Schaffung einer loyalen Machtbasis, sie war allerdings nicht stark genug, um das Regime von Schah Reza Pahlewi vor politischen Turbulenzen nachhaltig zu schützen.

 

Die neuen islamischen Machthaber erfreuten sich dagegen einer unvergleichbar größeren sozialen Trägerschaft mit revolutionärem Impetus. Es gelang ihnen, ihren islamischen Staat im ersten Jahrzehnt nach der Revolution von 1979 trotz oder gerade wegen eines acht Jahre andauernden Krieges gegen den Irak unter Saddam Hussein zu festigen. Es entstand eine zweigeteilte, zahlenmäßig annähernd gleich große Gesellschaft: eine den neuen Machthabern loyale klassenübergreifende islamische Gesellschaft mit traditionalistisch orientierten sozialen Schichten. Diese Gesellschaft war privilegiert, hatte also direkten Zugang zu den Öleinnahmen, zu staatlichen Institutionen, zu Machtorganen, zu staatlich kontrollierten Wirtschaftsunternehmen und sonstigen Vorteilen. Und eine zweite ebenfalls klassenübergreifende, der Moderne zugeneigte Gesellschaft jenseits der islamischen Loyalitätsbeziehungen, d. h. ohne Zugang zu Öleinnahmen, ohne politische Rechte und ohne Einflussmöglichkeiten. Für diese parallelen Gesellschaften machten authentische Begriffe die Runde: Khodi und Ghaire Khodie (die von uns und die Anderen, die nicht zu uns gehören). Da die Grenzen zwischen beiden Gesellschaften fließend sind, war und ist es einer beträchtlichen Zahl besonders cleverer geldgieriger Charaktere, Spekulanten und korrupten Personen möglich gewesen Loyalitäten vorzutäuschen, um umso dreister an den Renteneinnahmen zu partizipieren.

Inzwischen ist der ursprünglich politisch halbwegs homogene islamische Teil der Gesellschaft in mindestens drei konkurrierende Lager zerfallen, in das reformistische, das pragmatisch konservative und das konservativ radikale Lager. Das islamische Reformlager unter dem Präsidenten Mohammad Khatami unternahm nach seinem überraschenden Sieg 1997 den zaghaften Versuch, die durch Korruption durchsetzten rentiersstaatlich-klientelistischen Strukturen durch rechtsstaatliche zu ersetzen. Obwohl Khatami aus beiden Gesellschaftsteilen mit ca. 80 % der Stimmen gewählt wurde, scheiterte er vor allem an der Blockadepolitik der konservativ-radikalen Kräfte und der uneingeschränkten Macht des Revolutionsführers. Eine wichtige Rolle spielte wohl auch die mangelnde Entschlossenheit des Präsidenten, der aus Angst, das System insgesamt zu gefährden, fast immer den Kürzeren zog. Des weiteren versäumte die Reformbewegung, wenigstens ein vorzeigbares soziales Projekt, wie z. B eine gesetzliche Krankenversicherung oder Arbeitslosenversicherung etc., in die Diskussion zu bringen und auch durchzusetzen. Stattdessen beschränkte sie sich auf politische Reformen, somit lediglich auf das Herzensanliegen der Intellektuellen, die eher dazu führten, die konkurrierenden konservativen Strömungen gegen den Präsidenten und die politischen Reformen, wie beispielsweise ein neues Pressegesetz, das mehr Meinungsfreiheit bringen sollte, zu verbünden. Zwar sind Reformen im politischem System und eine Demokratisierung der Islamischen Republik unabdingbar. Jedoch müssen sie mit dringenden sozialen Reformen verknüpft und in einer Allianz mit im Machtapparat verankerten Strömungen auch machtpolitisch abgesichert werden.

 

Genau im sozialpolitischen Vakuum ansetzend, konnte der populistische Bürgermeister von Teheran, Ahmadinedschad, mit dem Slogan, er werde die Öleinnahmen auf die Essenstische der Menschen bringen, die enttäuschte Bevölkerung überraschend für sich mobilisieren. Mit dem neuen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wurde seit dessen Wahlsieg 2005 das alte System des unkontrollierten Zugangs zu den Öleinnahmen zielstrebig restauriert, um es für die Absicherung der eigenen sozialen Basis für die nächste Präsidentenwahl konsequent auszubauen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Nutznießer des Systems erneut zu einer Mehrheit bei der nächsten Präsidentenwahl im Juni dieses Jahres verhelfen könnten.

Die Politik und vor allem die Verwendung der Öleinnahmen folgen in diesem System nicht der Logik einer soliden ökonomischen Entwicklung und zum Wohl des gesamten Volkes, sondern vielmehr der Logik der Erweiterung der eigenen Machtbasis. Die ökonomischen und sozialen Folgen dieser Politik des konservativ-radikalen Lagers in den letzten vier Jahren sind daher für Iran verhängnisvoll: steigende Inflation, Bodenspekulation, sich vergrößernde Kluft zwischen Armen und Reichen, wachsendes Misstrauen der Menschen gegenüber der Elite der Islamischen Republik und eine sich ausbreitende Resignation in der Opposition, im gegenwärtigen Stillstand weiter verharren zu müssen. Dieses Ergebnis einer in die Sackgasse geratenen gesellschaftlichen Transformation nach dem Sturz des Pahlawi-Regimes steht in krassem Widerspruch zu den gesellschaftlichen Reform- und Transformationspotentialen des Landes in ökonomischer, kultureller und intellektueller Hinsicht. Diese Entwicklung war, wie eingangs erwähnt, keineswegs zwingend.

Irans Bürgertum war angesichts staatskapitalistisch-zentralistischer Strukturen zwar ökonomisch immer schwach, politisch jedoch aufgrund dessen aktiver Teilnahme an mehreren politischen Umwälzungen im 20.Jahrhundert der ökonomischen Entwicklung weit voraus. Das iranische Bürgertum beteiligte sich an der ersten Revolution zur Abschaffung der absoluten Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts und an der Demokratisierung und Nationalisierung der Ölindustrie in den 1950er Jahren. Zum politisch einflussreichen Bürgertum gehörten national verankerte Industrielle und Händler sowie Intellektuelle aus allen Schichten und Berufszweigen. Doch scheiterte dieses Lager teilweise auch an eigener Entscheidungsschwäche und an der Risikobereitschaft seiner politischen Eliten immer dort, wo Standhaftigkeit gefordert war, nämlich bei der Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit:

zum einen bei dem Verbot der wichtigsten linksliberalen Tageszeitung „Ayandegan" ein halbes Jahr nach der Revolution, die sich zu der auflagenstärksten Zeitung und zum Sprachrohr des laizistischen Lagers entwickelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt standen sich die Protagonisten der radikal-islamischen wie auch der islamisch-liberalen Ordnung als reale Optionen gegenüber. Der islamisch-liberale und charismatische Mehdi Basargan, der erste Ministerpräsident nach der Revolution mit Rückhalt in allen bürgerlichen Schichten, versäumte es allerdings, sein politisches Schicksal mit dem Erhalt der Tageszeitung „Ayandegan" und der Verteidigung der Pressefreiheit zu verknüpfen. Die Chancen, den Kampf zu gewinnen, standen angesichts der noch ungebrochenen Stimmung für Freiheit und Demokratie nicht schlecht. Mit dem Verbot der Zeitung wurde der hegemoniale Elan für die Demokratie jedoch durch Angst und Unsicherheit verdrängt, die dadurch erst Recht forcierte Islamisierung überrollte alsbald auch Bazargan selbst und seine einflussreiche Freiheitsbewegung.

Zum zweiten fand sich der 2001 gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählte Staatspräsident Mohammad Khatami, trotz einzigartig starker Stimmung für Meinungsfreiheit und Demokratisierung des Systems, ziemlich geräuschlos damit ab, dass sein dem Parlament vorgelegter Entwurf für ein neues Pressegesetz auf eine Anordnung des Revolutionsführers hin von der Tagesordnung abgesetzt und nicht einmal im Parlament diskutiert werden durfte. Angesichts dieser Schmach hätte Khatami das Risiko einer offenen Auseinandersetzung mit dem absolutistischen Anspruch des Revolutionsführers auf sich nehmen und zurücktreten müssen. Denn die Chancen einer machtvollen Unterstützung durch das Volk, um den Revolutionsführer zur Rücknahme des religiösen Dekrets zu bewegen, standen m. E. nicht schlecht. Immerhin hatten auch Angehörige der Machtorgane (Revolutionswächter und Armee) mit großer Mehrheit wenige Wochen zuvor für Khatami gestimmt. Die Folge der fehlenden Entschlossenheit des Präsidenten selbst bei der Durchsetzung von einem der wichtigsten Projekte politischer Reformen(dazu wie oben begründet das Fehlen komplementärer sozialer Reformprojekte) war die abermalige Stärkung des islamisch-antidemokratischen Lagers innerhalb des Systems und der Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit.

Pressefreiheit ist ein hohes Gut und ein fundamentales Prinzip der Demokratie. Daher ist sie auch unverhandelbar. Verteidiger der Demokratie, die darüber hinwegsehen, haben längst verloren. Deshalb hätte es sich in beiden Fällen gelohnt, einen Machtkampf zu riskieren, zumal die Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten sehr wahrscheinlich war. Bazargan und Khatami haben sich jedoch trotz jeweils politisch günstiger Bedingungen 1979 bzw. 2001 vor einem Machtkampf mit dem konservativ-radikalen Lager gescheut und verloren. Mossadegh bestand 1951 im Kampf gegen die Monarchie kompromisslos auf der Trennung zwischen Regierung und Monarchie und gewann ihn, weil er durch seinen Rücktritt seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellte und die Bevölkerungsmehrheit spektakulär auf seine Seite zog. Der Schah akzeptierte in einem unblutigen Kampf Mossadeghs Forderung. Achtundzwanzig Jahre später zwang Ayatollah Khomeini, in der Hauptsache dank seiner Standhaftigkeit und mit der Unterstützung der Bevölkerung, den Schah zum Rücktritt und schließlich zum Verlassen des Landes. Die charismatische Führung sorgte dafür, dass die islamische Revolution, im Unterschied zu allen anderen Revolutionen, nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, sondern vergleichsweise unblutig stattfand.

Dreißig Jahre islamische Revolution im Iran war und ist voller Widersprüche. Diese Zeit ist bei einer rückblickenden Betrachtung gekennzeichnet durch teils Fortschritte, teils Rückschritte und schließlich auch teils Stillstand: Zu den tatsächlichen Fortschritten gehören die Alphabetisierung, der Ausbau der Bildungseinrichtungen, der drastisch steigende Anteil der Frauen aus allen sozialen Schichten an den Schulen und Universitäten, flächendeckende Erschließung der ländlichen Regionen und Versorgung von nahezu allen Dörfern mit Straßenverbindungen, Strom, sauberem Wasser sowie der Ausbau des Gesundheitswesens mit einer, wenn auch sehr bescheidenen Grundversorgung bei einer beinahe Verdreifachung der Bevölkerungszahl. Positiv zu erwähnen ist auch die Entwicklung der iranischen Zivilgesellschaft, vor allem während der achtjährigen Präsidentschaft von Mohammad Khatami. Als eindeutige Rückschritte sind die im Grunde zusammenhängenden Erscheinungen wie die Ausweitung der Korruption als Ergebnis klientelistischer Strukturen zu nennen. Hinzu kommen Phänomene wie Werteverfall, wachsendes Misstrauen, Opportunismus, Perspektivlosigkeit bei der Jugend einerseits, Entpolitisierung, Verbreitung von Sucht und konsumistischen Neigungen andererseits. Zu den Rückschritten zählt auch die steigende Schere zwischen Arm und Reich, und die Isolation Irans von einem Teil der Welt mit allen ihren Folgen für die Menschen und die Wirtschaft des Landes. Hinsichtlich der politischen und ökonomischen Entwicklung hat die Zeit im Iran offensichtlich stillgestanden. Trotz einer weiterhin lebendigen Zivilgesellschaft tritt die Demokratisierung der Gesellschaft auf der Stelle, Menschenrechtsverletzungen, Pressezensur, polizeistaatliche Willkür sind an der Tagesordnung. Und trotz einer quantitativen Entwicklung der Inlandsproduktion bleibt die wirtschaftliche Entwicklung Irans weit hinter den eigenen Potentialen zurück. Hier ist der Iran über die Nachahmung von ökologisch längst überholten westlichen Produktions- und Konsummustern dazu noch mit deutlich höherer Energieintensität und schlechterer Qualität nicht hinausgekommen.

Nun steht die Überwindung der Selbstblockade der Islamischen Republik auf der politischen Agenda. Sie setzt allerdings voraus, dass der Kompetenzbereich des Revolutionsführers auf religiöse Fragen reduziert und die demokratischen Institutionen, wie das Parlament und der Präsident, entscheidend gestärkt werden. Im Iran bestimmen nach wie vor Persönlichkeiten und nicht Parteiprogramme das politische Geschehen. Mohammad Khatami ist trotz Vertrauensverlusts immer noch die glaubwürdigste und charismatischste Persönlichkeit, die den Reformprozess voranbringen könnte. Für die größte politische Herausforderung nach der Revolution reicht jedoch das Reformlager allein nicht aus. Erforderlich und durchaus auch realistisch wäre eine Allianz mit den Moderaten aus dem konservativ-radikalen Lager, die auch in den Machtinstitutionen des Landes über eine starke Basis verfügen. Eine derartige Allianz ist aber heute (drei Wochen vor der Wahl) nicht in Sicht. Khatami hat seine Kandidatur längst zurückgezogen.

Vier Personen stellen sich zur Wahl: der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der vom Revolutionsführer Ayatollah Khamenei unterstützt wird und somit als Kandidat des „Systems" gilt. Trotz seiner wirtschafts- und außenpolitisch ruinösen Politik und einer breiten Allianz aller, die weder kurz- und langfristig zu den Nutznießern seiner klientelistischen Almosenpolitik zählen, hat Ahmadinedschad gute Chancen, gewählt zu werden. Es sind immer noch viele, zu viele Wähler, die dem Populismus eines Politikers vom Schlage Ahmadinedschads auf den Leim gehen. Typisch für seine Politik sind die Wahlgeschenke bei allen seinen Reisen in die Provinz, die er in den Vorwahlmonaten verstärkt unternommen hat. Auch die Millionen Staatsangestellten köderte er mit einer Gehaltserhöhung drei Monate vor dem Wahltermin. Es ist auch von einer Zuwendung von 50 - 100 US-Dollar pro Kopf die Rede, die demnächst der Bevölkerung gewährt werden soll. Außerdem stehen die Bassidjis, eine halb öffentliche paramilitärische Basisorganisation mit Hunderttausenden aktiver Mitglieder, die als Hüter der Revolution gelten, hinter dem amtierenden Präsidenten. Hinzu kommt, dass auch das staatliche Fernsehen ohne Umschweife für die Wahl Ahmadinedschads wirbt. Als Alternative zu Ahmadinedschad stehen drei Gegenkandidaten zur Auswahl:

Mohssen Rezai, sicherlich der Überraschungskandidat, der erst sechs Wochen vor der Wahl seine Kandidatur bekannt gab. Er war seit 1981 16 Jahre lang der Oberkommandierende der paramilitärischen Revolutionswächter, der sich im iranisch-irakischen Krieg einen Namen gemacht hat. Rezai gehört politisch zum konservativ bürgerlichen Lager des Systems um Rafsandjani und könnte auch Ahmadinedschads Wahlchancen schmälern, da Millionen Wähler im Umfeld des Machtapparats in Rezai einen weiteren Kandidaten ihres Vertrauens zur Auswahl hätten. Rezai hat übrigens die klarsten und realistischsten außenpolitischen Vorstellungen. Er plädiert für die Versöhnung mit den USA und für eine gemeinsame Urananreicherung mit Beteiligung von USA; EU und Russland, jedoch auf iranischem Boden. Des weiteren befürwortet er eine regionale Sicherheitsstruktur. Dennoch scheint er keine echten Wahlchancen zu haben.

Ein weiterer Kandidat, der dem Reformlager zugerechnet werden kann, ist Ayatollah Mehdi Karubi, der ehemalige Parlamentspräsident, der offensichtlich über finanzkräftige Unterstützer aus Händlerkreisen verfügt, jedoch nicht über die Glaubwürdigkeit und das Charisma von Mohammad Khatami verfügt. Karubi werden wenig Chancen eingeräumt, obwohl sich ein Teil bekannter Persönlichkeiten aus dem Reformlager für seine Wahl stark macht.

Der Hauptgegner Ahmadinedschads ist jedoch inzwischen eindeutig Mir Hussein Mussawi aus dem Reformlager, der sich selbst als konservativen Reformer bezeichnet. Mussawi war in den 1980er Jahren während des iranisch-irakischen Krieges Ministerpräsident. Ihm wird allgemein ein gutes Management der acht Jahre andauernden Kriegswirtschaft bescheinigt. Im übrigen vermisst man bei ihm die Eigenschaften eines Politikers, der das Reformlager auf Vordermann bringen und die Menschen mitreißen kann. Selbst Khatami-Anhänger haben sich widerwillig hinter Mussawi gestellt und führen nun, mangels Alternativen und um Ahmadinedschad zu verhindern, eine Wahlkampagne für ihn. Mussawi steht nicht zuletzt wegen professioneller Unterstützung aus dem Khatami-Lager und der offiziellen Rückendeckung des Ex-Präsidenten nun hoch im Kurs. Bei einer kürzlich durchgeführten Wählerbefragung sind 48 % für den Reformkandidaten Mussawi und 43 % für den amtiereneden Präsidenten. Insofern ist ein Sieg Mussawis im zweiten Wahlgang trotz mancher Zweifel an seiner Person durchaus in den Bereich des Möglichen gerückt, wohl auch deshalb, weil die Mehrheit der Iraner entschlossen zu sein scheint, Ahmadinedschad auf jeden Fall abwählen zu wollen. Die unverhohlenen Wahlmanipulationen durch Geldgeschenke könnten letztlich für ihn zum Bumerang werden.

 

Ende Mai 2009

Der Beitrag ist die aktualisierte und erweiterte Fassung eines Textes, der in Deutsch in „Freitag Online" vom 13.02.2009 und in Persisch in mehreren Internetportals veröffentlicht wurde. Er ist inhaltlich auch eine wichtige Ergänzung zum INAMO-Beitrag des Verfassers „Irans wirtschaftliche Miseren" in INAMO Nr. 54 vom Sommer 2008



[1] Ausführlicher dazu s. Massarrat, Mohssen, 2008: Irans wirtschaftliche Miseren, in: INAMO 54.