Kritisch studieren an Österreichs Universitäten?

Mit den ÖH-Wahlen treten wieder Fragen nach Möglichkeiten studentischer Mitbestimmung und Freiräumen an der Universität in den Vordergrund. Thomas Reithmayer rekapituliert die Veränderungen der universitären Bildungsarchitektur und Machtverhältnisse seit dem zweiten Weltkrieg und fragt nach den Bedingungen kritischen Studierens an Österreichs Hochschulen.

Universitäten waren und sind Zeit ihrer Existenz herrschaftlich organisierte Institutionen, deren vordringliche Aufgabe darin besteht für die Reproduktion der zentralen Intellektuellen Schichten der jeweils herrschenden Klassen zu sorgen.1 Ihre jeweilige Verfasstheit, ihre Strukturen, ihre soziale Zusammensetzung und sogar ihre Inhalte sind stets nur in Relation zu den jeweiligen ökonomischen Machtverhältnissen zu sehen, jedoch nicht ausschließlich auf diese zurückzuführen. Denn gerade weil es Aufgabe der Universität als zivilgesellschaftlicher Institution ist, gesellschaftliche Machtverhältnisse konsensual abzusichern, war und ist sie seit jeher auch Raum in dem „relativ freie und unabhängige theoretische und politische Diskussionen und Auseinandersetzungen grundsätzlich möglich sind.“2 Dieser Artikel will daher rekonstruieren, wie sich das Feld der Universitäten vor dem Hintergrund neoliberaler Hegemonie in Österreich transformiert hat. Konkret soll gefragt werden ob und in welchem Ausmaß österreichische Universitäten für ihre Studierenden einen Raum darstellen, welcher „Zeit und Gelegenheit für die Pflege und Erprobung der Persönlichkeit, für soziale Experimente und politische Radikalität“ anbietet.3 Sprich inwiefern Räume und Möglichkeiten im Rahmen des Studiums existieren, welche für selbstbestimmte kritisch-wissenschaftliche Tätigkeiten und im Sinne eines emanzipatorischen politischen Projekts, genutzt werden können.

Die österreichische Hochschullandschaft nach 1945
Das kritische Potential an österreichischen Universitäten nach 1945 erholte sich lange nicht von den Folgen der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft. Standen die österreichischen Universitäten, insbesondere die Universität Wien, bereits vor der Ausschaltung der Demokratie unter maßgeblichem Einfluss von korporierten katholischen und deutschnationalen Gruppen, so waren wenigsten einige kritisch-wissenschaftliche Inseln vorhanden.4 Diese wurden jedoch in zwölf Jahren faschistischer Herrschaft zerschlagen, ihre ProtagonistInnen vertrieben oder ermordet. Nach 1945 versuchten weder Regierung noch Universität die vertriebenen kritischen WissenschaftlerInnen zurück zu holen. Auch die Entnazifizierung wurde, abgesehen von einem kurzen Intermezzo unmittelbar nach Kriegsende, rasch eingestellt, so dass bereits im Studienjahr 1949/50 wieder 44% aller Lehrenden und 60% der ordentlichen ProfessorInnen schon während des Nationalsozialismus gelehrt hatten.5
Die Universität selbst wurde von einem Machtgleichgewicht aus dem stets von der ÖVP kontrollierten Bundesministerium für Unterricht und der im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung allmächtigen ProfessorInnenkurie gestaltet und verwaltet. Zentrale Schnittstellen waren die ProfessorInnenkollegien, welche an den Fakultäten eingerichtet waren, und der akademische Senat, welcher ebenso nur von den ProfessorInnen beschickt wurde.6 Studentische Freiräume waren wenn dann hauptsächlich durch den elitären Hintergrund der Studierendenschaft und durch die im Sinne humboldtscher Bildungsideale gestalteten Studienordnungen gegeben, wenngleich selbst diese durch die mangelnde Bandbreite an Lehrmeinungen unter den ProfessorInnen begrenzt war. Doch stellten die Studierenden selbst lange Zeit ein Paradebeispiel für den konservativ-reaktionären Background der österreichischen Universitäten dar.
Zwar wurde bereits 1945 mit der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) eine selbstverwaltete demokratische Studierendenvertretung, welche durch Pflichtbeiträge finanziert und durch das Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz (HSG) unbeeinflusst von Universitätsverwaltungen und Ministerium bundesweit und lokal arbeiten kann, geschaffen. Die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der ÖH blieben aber bis in die 70er Jahre relativ statisch bei mehr als 50 Prozent für katholisch-konservative Gruppierungen, etwa ein Drittel für den deutschnationalen und oftmals neonazistischen „Ring Freiheitlicher Studenten“ und weniger als ein Fünftel für den „Verband Sozialistischer StudentInnen“ (damals noch Studenten) als einzige dauerhaft vertretene linke, nicht von Korporationen beeinflusste Gruppe innerhalb der ÖH.7 Der Hochschulzugang war durch diverse Hochschultaxen (z.B. Aufwandsbeitrag, Kollegiengelder etc.)8 eingeschränkt. Bezüglich Stipendien und anderer finanzieller Unterstützungen existierten keinerlei gesetzliche Regelungen; sofern überhaupt Mittel hierfür vorgesehen waren, konnten diese von der Ministerialbürokratie weitgehend freihändig vergeben werden.
Österreichs Universitäten boten kritischen Intellektuellen also praktisch keinerlei Betätigungsfelder, von der von Alex Demirovic für Deutschland konstatierten „Eingliederung der kritischen Gesellschaftstheorie in die Universität“9 nach dem zweiten Weltkrieg war bis in die 70er Jahre in Österreich nichts zu merken. Kritisch-wissenschaftliche Arbeit passierte, wenn überhaupt, großteils in direkt von der Sozialdemokratie kontrollierten Institutionen und Verbänden. Ein Umstand welcher einerseits aufgrund der grundsätzlichen Widersprüche zwischen kritischer Wissensproduktion und parteigebundener Realpolitik, andererseits aber auch durch die pragmatische Wende der Sozialdemokratie, die durch den abnehmenden Stellenwert theoretischer Fundierung sozialdemokratischer Politik und die Hinwendung zum Austrokorporatismus gekennzeichnet war, die Arbeitsbedingungen kritischer Intellektueller zunehmend erschwerte.
Eine besonders augenscheinliche Folge dieser reaktionären Vorherrschaft im Feld der Wissenschaft war die Unterentwicklung der Sozialwissenschaften. Diese waren im unmittelbaren Nachkriegsösterreich quasi nicht vorhanden. Politikwissenschaft existierte gar nicht, die Soziologie fristete ein Schattendasein, Fächer wie Kommunikationswissenschaft und Ethnologie waren von den (post-)nazistischen Eliten bestimmt. Ein erster Anstoß zur Etablierung der Sozialwissenschaften in Österreich war die Gründung des – nicht zufällig eben nicht an der Universität angesiedelten – Instituts für Höhere Studien im Jahr 1963.10 Gleichzeitig betrieb die in ihren Ausmaßen kleine Studierendenbewegung eifrig Theorieimport aus den Zentren der studentischen Rebellion und begann die Kritische Theorie zu rezipieren. Dies führte zur paradoxen Situation, „dass [der positivistische sozialwissenschaftliche] Mainstream … sich nahezu gleichzeitig mit dessen Kritik etablierte.“11 Ein Umstand welcher dazu führte, dass sich beide in einer merkwürdigen „Schicksalsgemeinschaft“ wiederfanden, da beide gleichsam überhaupt erst um Anerkennung im wissenschaftlichen Feld ringen mussten und hierbei quasi zur Kooperation verdammt waren.

Integration der (kritischen) Sozialwissenschaften
Mit den 1960er Jahren begann eine Phase der Universitätsreformen, welche das Ziel hatten die österreichische Hochschullandschaft an den Bedarf des fordistischen Produktionsmodells anzupassen. Erste Manifestationen dieser Entwicklung waren der Beschluss eines Studienbeihilfengesetzes 1963, welcher Studierenden unter den Bedingungen „sozialer Bedürftigkeit“ und eines „günstigen Studienerfolgs“ einen Rechtsanspruch auf Studienbeihilfe sicherte, gefolgt vom Allgemeinen Hochschul-Studiengesetz 1966, welches die zweigliedrige Studienstruktur bestehend aus Diplom- und Doktoratsstudien implementierte, sowie die Studien- und Prüfungsordnungen homogenisiert und endgültig gesetzlicher Kontrolle unterwarf. Diese Maßnahmen erleichterten die Möglichkeit des Hochschulzugangs zunehmend auch für ArbeiterInnenkinder, tasteten die Prinzipien der von ProfessorInnen dominierten Ordinarienuniversitäten jedoch nicht an. Erst mit dem Beginn der sozialdemokratischen Alleinregierungen ab 1970 dynamisierten sich die Entwicklungen. In wenigen Jahren wurden alle Hochschultaxen, zumindest für österreichische StaatsbürgerInnen und diesen gleichgestellte Personen, abgeschafft, das Stipendiensystem erweitert, eine Reihe von Ermäßigungen für Studierende geschaffen, sowie die Universitätsorganisation und die Struktur der ÖH reformiert. Im Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1975 wurden die Organe der Universität um VertreterInnen der Studierenden und des Mittelbaus ergänzt. Diese setzten sich auf (über-)fakultärer Ebene im Verhältnis 2:1:1 (ProfessorInnen/Mittelbau/Studierende), auf Ebene der Institute und Studienrichtungen im Verhältnis 1:1:1 zusammen. 12Die neuen Gremien entschieden im Bereich der Lehre und Forschung autonom, während strukturelle, finanzielle und teilweise auch personelle Kompetenzen dem Ministerium zufielen. Dieser neuen Struktur entsprechend wurde auch das HSG angepasst. Die ÖH wurde um die Ebenen der Studienrichtungs- und Institutsvertretungen ergänzt, die Bundesvertretung fortan direkt gewählt.
Besonders die Schaffung von Kollegialorganen sowie entsprechenden Vertretungsorganen der ÖH auf Studienrichtungs- und Institutsebene bedeutete einen immensen Machtzuwachs für die studentische Linke. Hatten sich doch im Gefolge der 68er-Bewegung autonome Basis- und Institutsgruppen gebildet, welche die Linken verschiedener Strukturen sammelten und nun in die Universitätsverwaltung und in die ÖH integriert wurden. Die ÖH blieb weiterhin konservativ dominiert. Zwar verlor der RSF beständig an Boden, während der VSStÖ zulegen konnte und diverse weitere linke Listen zumindest zeitweise und lokal eine relevante Größenordnung erreichten, doch die Konservativen sicherten sich durch die Diversifizierung ihrer Listen ihre Dominanz (von linkskatholisch, bis monarchistisch). 13Es gelang der Linken aber einzelne Studienrichtungen zu „erobern“ und in diesen konkret in Berufungsprozesse, Lehrangebot und Studienpläne zu intervenieren und somit studentische Freiräume zu schaffen.
Aufgrund der geringen Anzahl an SozialwissenschaftlerInnen und der großen Nachfrage an den neu eingerichteten sozialwissenschaftlichen Instituten und in der staatlichen Verwaltung (insbesondere in diversen Ministerien), kam es zur raschen Integration großer Teile der jungen (kritischen) SozialwissenschaftlerInnen und vieler ProtagonistInnen der Studierendenbewegung in das sozialdemokratische Modernisierungsprojekt der 70er Jahre. 14 Diese Integration vergrößerte zwar die Arbeits- und Einflussmöglichkeiten kritischer Wissenschaften enorm, alleine durch die intakte Kommunikationsbasis zu den politischen EntscheidungsträgerInnen, zeigte jedoch ebenso Effekte des „Transformismo“, sprich der Integration kritischer Intellektueller in den herrschenden Machtblock. 15 Trotz oder gerade wegen dieser Ambivalenzen gelang es in einigen Teilbereichen nachhaltige Erfolge zu erzielen. So konnte zum Beispiel Frauen- und Geschlechterforschung in vielen Disziplinen verankert werden und es gelang eine für österreichische Verhältnisse ausgesprochen kritische Politikwissenschaft zu etablieren. 16 Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass die Universitätsreformen der 70er Jahre die Möglichkeit eines kritischen Universitätsstudiums überhaupt erst ermöglichten, indem die Vorherrschaft postnazistischer und konservativer Eliten an den Universitäten zumindest in Teilbereichen gebrochen wurde. Dies geschah unter anderem durch die Schaffung neuer (sozialwissenschaftlicher) Studiengänge und die Berufung der ersten Generation kritischer (Sozial-)WissenschafterInnen an die neuen Institute. Mit dem freien und offenen Hochschulzugang, wurden Studierende ansatzweise in die ökonomische Lage versetzt, ihr Studium an individuellen Erkenntnisinteressen zu orientieren. Durch den Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Studierenden und des Mittelbaus, sowie dem Ausbau der ÖH, wurde kritischen Studierenden die Möglichkeit gegeben in „linken“ Studienrichtungen direkt in die Lehre und Forschung zu intervenieren. Wichtig waren auch die neuen finanziellen Ressourcen für selbstbestimmte Projekte und nicht zu vergessen, dass den FunktionsträgerInnen selbst zusätzliche individuelle Spielräume eingeräumt wurden (Aufwandsentschädigungen, Minderung der Freien Wahlfächer, zusätzliche Toleranzsemester für Beihilfen).

Neoliberalisierung
Doch produzierte diese Reformphase auch neue Widersprüche. So kämpften Generationen an kritischen Studierenden in den universitären Gremien gegen die weiterhin dominante ProfessorInnenkurie. 17 Ein Kampf welcher zwar durchaus Erfolge zeigte, gleichzeitig jedoch auf Kosten dauerhafter studentischer Projekte und der Organisation der Studierenden an der „Basis“ ging. 18 Der Stellungskrieg in den Gremien zwischen diversen Kurien und Fraktionen brachte den Selbstverwaltungsorganen den Ruf der Innovationsfeindlichkeit, Ineffizienz und der Klientelpolitik ein. Kritische Studierende fanden durch ihre Integration in die Universitätsorganisation ein Feld vor, in dem sich mit großem Aufwand meist trotzdem nur minimale Erfolge erreichen ließen. Die Energie, bzw. in weiterer Folge auch die Motivation sich effektiv in gesamtgesellschaftlichen Kämpfen zu involvieren, ging dadurch häufig verloren. Gleichzeitig hielt die finanzielle, personelle und infrastrukturelle Ausstattung der Universitäten nicht Schritt mit dem rasanten Anwachsen der Studierendenzahlen, wodurch die Universitäten und ihre Organe zur chronischen Mängelwirtschaft verdammt waren. Diese Widersprüche stellten schließlich zentrale Anknüpfungspunkte für die neoliberale Intervention an den Hochschulen dar. Denn mit der ebenfalls in den 70er Jahren beginnenden Transformation des Kapitalismus hin zur hochtechnologischen Produktionsweise wurde die Gruppenuniversität zunehmend dysfunktional für die Konkurrenzfähigkeit im globalen Standortwettbewerb. Mit der Marginalisierung klassisch tayloristischer Arbeitsorganisation zugunsten von Arbeitsweisen, welche die Autonomie der Beschäftigten verlangen und auf deren Produktionsintelligenz setzen, kommen auf die Arbeitskräfte und deren Ausbildung neue Anforderungen zu, welche in den Vorstellungen des gesellschaftlich dominanten Machtblocks „das flexible und marktgängige Lernsubjekt [er]forder[n].“ 19 Schließlich wird die Aufgabe der Hochschule insofern umgedeutet, dass ihr Ziel nunmehr darin bestehen soll „alle Potenziale und Talente auszuschöpfen, um den Innovationsstandort zu stärken.“ 20Doch kann das neoliberale Projekt des Umbaus der Hochschulen nur in seiner ganzen Dimension erfasst werden, wenn es auch als politisches Projekt verstanden wird, welches einzelne von oppositionellen und dissidenten Bewegungen formulierte Kritikpunkte aufgreift und in ver-rückter Weise integriert, sei es nun durch Gender Mainstreaming, lebenslanges Lernen oder den scheinbar endgültigen Schlussstrich unter die Humboldt‘schen Bildungsideale.
Diese Intervention war jedoch lange Zeit im internationalen Vergleich wenig wirkmächtig, wurde sie doch durch die (neo-)korporatistische Politik der zweiten Phase großer Koalitionen (1986-1999) gebremst. Dennoch kam es bereits in der Novelle des Universitätsorganisationsgesetzes von 1993 zur Implementierung von „Elementen des Universitätsmanagements“. 21 So wurden die LeiterInnen von Organisationseinheiten (RektorInnen, [Studien-]DekanInnen, InstitutsvorständInnen) mit von den Kollegialorganen autonomen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet, teilweise Top-Down Strukturen implementiert und die Einbringung von Drittmitteln erleichtert.22 Im Zuge des Sparpaketes 1996 wurden den Studierenden eine Reihe von Rechten gestrichen (Abschaffung der Studierendenfreifahrt, Erbringung eines Leistungsnachweises für die Familienbeihilfe) wodurch die ökonomische Situation der Studierenden zunehmend prekärer wurde. Doch sollte dies alles erst ein Vorgeschmack auf jene Änderungen sein, welche im Zuge des schwarz-blauen Regierungsantritts im Jahr 2000 auf die Universitäten zukommen sollten.

Österreichs Universitäten seit der schwarzblauen Wende
Der Regierungswechsel im Jahr 2000 stellte einen ähnlichen Einschnitt in die Entwicklung Österreichischer Universitäten dar wie jener des Jahres 1970. Wurde damals versucht das Hochschulwesen binnen weniger Jahre in Form einer nachholenden Modernisierung an das vorherrschende fordistische Produktionsparadigma anzupassen, war man nun bestrebt, die in den 90er Jahren begonnene Ausrichtung des universitären Bildungswesens auf die Prinzipien der „standortgerechten Dienstleistungshochschule“ so rasch wie möglich umzusetzen. 23Dementsprechend wurde in nur sechs Jahren der freie und offene Hochschulzugang weitgehend demontiert und das Hochschulwesen drastisch verändert. Diese Veränderungen, welche in ihrer Intention auch in Zeiten einer erneuerten SPÖVP Koalition nahtlos fortgesetzt wurden, sollen im Folgenden skizziert werden.

Verbetriebswirtschaftlichung der Bildungseinrichtungen
Die im Neoliberalismus angestrebte Ökonomisierung von Bildung vollzieht sich (zumindest noch) nicht in Form einer formalen Privatisierung von Bildungseinrichtungen, sondern vielmehr durch eine Umgestaltung ihrer Binnenstruktur nach den Prinzipien des New Public Management. Zentraler Hebel dieser Neustrukturierung besonders im Falle der Universitäten ist eine Änderung des Systems der Finanzierung. Anstatt die Finanzierung an der Nachfrage der Studierenden zu orientieren, werden nun die Mittel nach leistungsorientierten Zielvereinbarungen vergeben. 24Die Maßstäbe zur Mittelzuteilung werden in Verträgen zwischen Universitäten und dem Ministerium festgelegt, wobei davon auszugehen ist, dass die Entscheidungsträger über die Vergabe der Mittel eine immanent bessere Verhandlungsposition innehaben. Die einzelnen Parameter der Vereinbarungen (bspw. Anzahl an Publikationen, Abschlüssen, Drittmittel oder auch Position in diversen Rankings) müssen mittels Controlling ständig geprüft, evaluiert und die Mittelvergabe muss dementsprechend angepasst werden. Nicht nur die Universitäten finden sich also in einem künstlich geschaffenen Wettbewerb wieder, sondern auch die einzelnen Fakultäten, Studienrichtungen und Institute, welche, um die nötigen Gelder für Forschung und Lehre zu erhalten, ständig nachweisen müssen, dass sie einen Beitrag zur Zielerreichung leisten. Wenn jedoch die Aufgabe der Universitäten und ihrer Einrichtungen nur mehr das schlichte Erfüllen von Zielvorgaben ist, welche schlussendlich durch die Wissenschaftsministerien definiert werden, ist demokratische Selbstverwaltung vor allem eines: ineffizient. Vielmehr brauche es starke Führungsgremien, Aufsichts- und Evaluationsstellen. Doch die Einführung der vermeintlich vollkommenen Autonomie bedeutet bei weitem nicht das Ende staatlichen Einflusses, vielmehr ist das Ziel, die Universitäten in „eine sich selbst tragende Prozessdynamik zu überführen, welche nicht mehr permanenter staatlicher Intervention bedarf.“ 25Dieser Ansatz materialisierte sich im Universitätsgesetz 2002 (UG02). 26 Dessen erster Gestaltungsvorschlag gab die Devise aus „autonome, unternehmerisch agierende Universitäten“ zu verwirklichen. 27 Das UG02 entlässt die Universitäten in die Vollrechtsfähigkeit, die zentralen Kompetenzen werden weitgehend im Rektorat konzentriert. Wurde der/die RektorIn selbst zuvor auf Vorschlag des Senates von der viertelparitätisch verfassten Universitätsversammlung gewählt, übernimmt diese Aufgabe nun der neu geschaffene Universitätsrat. Dieses den Aufsichtsräten in der Wirtschaft nachempfundene Gremium, welches sich zur Hälfte aus vom Senat, bzw. von der Regierung ausgewählten universitätsexternen Mitgliedern zusammensetzt, wählt nun aus einem Dreiervorschlag des Senats den/die RektorIn.
Statt der bisherigen vier-Ebenen-Struktur (Universität, Fakultät, Institut, Studienrichtung) wurde eine zwei-Ebenen-Struktur implementiert. Die LeiterInnen der Organisationseinheiten werden nicht von einem Kollegialorgan gewählt, sondern, ebenso wie beispielsweise Berufungen, direkt vom Rektorat bestellt. Ebenso können die neuen Organisationseinheiten nicht mehr autonom die Studienpläne bestimmen, diese Kompetenz wandert in eine einzige (!) vom Senat eingerichtete Curricularkomission. Auch studienrechtliche Anliegen werden nun in erster Instanz zentral von einem direkt vom Rektorat ernannten studienrechtlichen Organ (an der Universität Wien: Studienpräses) entschieden, in zweiter Instanz entscheidet der Senat.
Allgemein gesprochen wird durch das Universitätsgesetz 2002 studentische Mitbestimmung auf den Senat beschränkt, welcher selber um zentrale Kompetenzen beschnitten wird und lediglich um Belange aufgewertet, welche bisher von anderen Kollegialorganen geregelt wurden. Im Senat selbst wird die ProfessorInnenkurie aufgewertet, da sie nun statt fünfzig 51% aller Senatsmitglieder stellt und damit ohne Rücksicht auf andere Kurien Entscheidungen alleine treff en kann. Allgemein gesprochen ist „eine vertikale Polarisierung zwischen Management und Universitätsangehörigen“ zu konstatieren, welche dem Management die direkte Möglichkeit zum Eingriff, auch in die inhaltliche Ausgestaltung von Forschung und insbesondere Lehre an den einzelnen Instituten und Fakultäten gibt. Durch die hierarchische Struktur und die Umstellung der Finanzierung verschlechtern sich die Realisierungsmöglichkeiten kritischer universitärer Projekte drastisch, da sie nur dann eine Chance haben, wenn sie marktgerecht zugeschnitten werden oder zumindest diesen Anschein erwecken können. Studierende, die in den Studienkommissionen sowie den Institutskonferenzen gleichberechtigt zur ProfessorInnenkurie und zum Mittelbau Einfluss auf Studienpläne, Lehrangebot, Berufungen und Anrechnungen nehmen konnten, sind nun entweder dem Rektorat, dem Studienpräses oder dem von den ProfessorInnen dominierten Senat ausgeliefert und haben keinerlei effektive Interventionsmöglichkeiten, selbst wenn sie sich an einzelnen Instituten mit den dortigen Lehrenden abstimmen. Organe wie die Studienkommission auf Institutsebene existieren zwar weiterhin, haben aber nur noch beratende Funktion.
Es scheint logisch, dass eine Universität, welche als Dienstleistungsunternehmen konzipiert ist „Bildung (…) in Ware umwandelt und als ‚knappes Gut‘ konstituiert“. 28 Dementsprechend beschloss die Bundesregierung bereits im September 2000 die Einführung von Studiengebühren im Umfang von 363,36€ für EWR-BürgerInnen, bzw. 726,72€ für Nicht-EWR-BürgerInnen ab dem Wintersemester 2001/2002. Von den Gebühren befreit waren lediglich Konventionsflüchtlinge und Menschen mit Behinderung, BezieherInnen von Studienbeihilfe bekamen sie rückerstattet. Die Einnahmen flossen den Universitätsbudgets direkt zu, jedoch wurden die Budgets an anderen Stellen gekürzt, so dass die Universitäten keine zusätzlichen Einnahmen lukrieren konnten. 29
Die Folgen der Studiengebühren waren verheerend; die Zahl der Studierenden sank auf den tiefsten Wert seit 1990, der Anteil erwerbstätiger Studierender stieg von 49,4% (1998) auf 66,5% (2002). Der Anteil an ArbeiterInnenkindern sank im Zuge des Sparpakets und der Studiengebühren-Einführung sogar unter den Anteil des Jahres 1970/1971. 30 „Die Universität wird aufgrund der zu zahlenden Studienbeiträge deutlicher als Dienstleistungsorganisation wahrgenommen.“ 31 Durch die Einführung der Studiengebühren und die vorhergehenden Sparmaßnahmen in den 90ern wurde die Möglichkeit eines selbstbestimmten Studiums massiv eingeschränkt. Die Studierenden werden diskursiv und durch die obig erwähnten Maßnahmen vermehrt in die Rolle von Kunden und Kundinnen gedrängt, welche zielgerichtet die Ware (Hochschul-) Bildung konsumieren und auf ein baldiges „Return of investment“ hoff en müssen. Durch die verstärkt notwendige Erwerbstätigkeit wird der Lebensmittelpunkt der Studierenden aus der Universität hinaus verlagert.

Bologna-Prozess und Modularisierung
Die Ausrichtung der Universitäten auf marktwirtschaftliche Prinzipien geht auch mit einer Veränderung der Organisation der Lehre einher. Die Eckpunkte dieser Neustrukturierung werden vor allem unter dem Schlagwort „Bologna-Studienarchitektur“ diskutiert. Mit dem Bologna-Prozess 32 hat die bereits im Rahmen der Bildungsreform der 70er Jahre begonnene Strukturierung und Modularisierung der Studienpläne einen neuen Höhepunkt erreicht. Die zu absolvierenden Leistungen sind nicht mehr „über formale Zeiteinheiten (Wochenstunden), sondern durch komplexe Lernziele in thematisch abgeschlossenen Einheiten (ECTS) definiert. Die so genannten Module sollen miteinander kombinierbar und lebenslang akkumulierbar sein.“ 33 Dabei kann der Bachelor-Abschluss als gehobener „general intellect“ interpretiert werden, während die erst zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten qualifizierenden Abschlüsse Master bzw. PhD die elitenbildende Funktion der Universität gewährleisten soll. 34
Die Möglichkeit zur Einrichtung eines drei-zyklischen Studiums (Bachelor/Master/PhD) wurde bereits mit einer Novelle des Universitätsstudiengesetz aus dem Jahre 1999 geschaffen. Im Universitätsgesetz 2002 wird bezüglich der Umstellung relativ wenig geregelt, so dürfen Studien zwar nur mehr als Bakkalaureats- und Magisterstudien neu eingerichtet werden, davon ausgenommen sind jedoch all jene Studien welche bereits im UniStg Erwähnung fanden. Die Triebfeder der Anpassung an die dreigliedrige Struktur stellten vielmehr die Leistungsvereinbarungen dar. So verpflichtete sich die Universität Wien beispielsweise bis 2009 90% aller Studienangebote als Bachelor- und Masterstudien anzubieten, ebenso wurde zur Steigerung der „employability“ die Einführung so genannter Erweiterungscurricula anstelle der „Freien Wahlfächer“ vereinbart. Erweiterungscurricula sind Module, welche von bestimmten Studienrichtungen für Studierende anderer Studienrichtungen angeboten werden. Sie bestehen aus einer festgelegten Anzahl bestimmter Lehrveranstaltungen im Umfang von 15 oder 30 ECTS-Punkten. Dies stellt einen massiven Einschnitt in die autonomen Studiengestaltungsmöglichkeiten der Studierenden dar, konnten diese doch bis zu 50% ihrer Lehrveranstaltungen im Rahmen der „Freien Wahlfächer“ absolvieren. 35 Diese ermöglichten entweder gänzlich oder bei Fachverwandtschaft mit dem jeweiligen Studium aus dem gesamten Lehrangebot in- und ausländischer Universitäten frei zu wählen. Im Gegensatz dazu müssen Erweiterungscurricula quasi als Mini-Studienpläne vom Senat beschlossen werden, sie umfassen eine bestimmte Anzahl festgelegter Lehrveranstaltungen, sie müssen einem bestimmten Studienprogramm zugewiesen werden und dürfen von Studierenden des jeweiligen Hauptstudiums nicht absolviert werden. 36
Ebenso entfällt weitgehend die Möglichkeit zur Anfertigung eigener wissenschaftlicher Arbeiten im Rahmen von Lehrveranstaltungen anderer Studien, da Erweiterungscurricula hauptsächlich aus nicht-prüfungsimmanenten Lehrveranstaltungen, also Vorlesungen, bestehen. Weiters wurden die Bologna-Curricula dazu genutzt, Sequenzierungen 37 weiter auszubauen und kritische Inhalte zu eliminieren. Die Verschulungstendenzen vollziehen sich neben der Einschränkung freier Wahlmöglichkeiten und Sequenzierungen vor allem auch diskursiv. Ein Umstand welcher die Studierenden dazu veranlasst sich als in Jahrgängen befindlich zu begreifen und „zielorientiert“ lediglich den Abschluss durch das Studium zu erstreben. Eine Haltung welche auch durch die Kritik am Bologna-Prozesses mithervorgerufen wird, welche den Eindruck von Bachelorstudierenden bestärkt, sich lediglich in einem sinnentleerten Schmalspurstudium zu befinden, anstatt verbliebene Freiräume zu suchen, auszufüllen und nach Formen zu suchen, neue zu schaff en.
Im Rahmen der europäischen Bildungsstrategie des „Lebenslangen Lernens“ stellen einzelne universitäre Abschlüsse nicht das Ende der Bildungslaufbahn dar, sondern man soll sich die einzelnen Bildungs-Häppchen ganz nach den zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Anforderungen an das individuelle Humankapital in eigener Verantwortung aneignen. Dementsprechend sind auch Zugangsbeschränkungen gerechtfertigt, da diese lediglich eine Hilfestellung im Sinne der Studierenden darstellen, zu erkennen, in welchen Studiengängen die eigene Verwertbarkeit gesteigert werden kann und in welchen keinerlei Exzellenz zu erreichen ist, bzw. die vorherrschende vermeintliche Überbelegung adäquate Job-Aussichten verunmöglicht.

Offener Hochschulzugang?
Doch blieb der offene Hochschulzugang für Studierende mit österreichischem Reifezeugnis, abseits der bereits erwähnten Sequenzierungen, relativ lange erhalten. Studierende mit nicht-österreichischem Reifezeugnis mussten jedoch, um für Studien in Österreich zugelassen zu werden, einen Studienplatz im selben Fach aus dem Herkunftsland nachweisen. Diese Regelung veranlasste schließlich deutsche Studierende auf Basis des Diskriminierungsverbots Klage beim Europäischen Gerichtshof einzureichen. Nach einem zehn Jahre andauernden Prozess wurde schließlich am 7. Juli 2005 die österreichische Regelung als EU-rechtswidrig erklärt, daraufhin brachten die damaligen Regierungsparteien bereits am nächsten Tag (!) einen Antrag ein, um dem UG02 den Paragraphen 124b hinzuzufügen, welcher besagt, dass in allen in Deutschland numerus clausus-beschränkten Studien Zulassungsverfahren vor der Aufnahme oder Auswahlverfahren im Rahmen der Studieneingangsphase erlaubt sind.
Im September 2008 wurde daraufhin, auf Initiative der SPÖ. FPÖ und der Grünen der Antrag gestellt, dass der §124b mit 30. Juni 2009 außer Kraft tritt. Doch bereits 3 Monate später findet sich im Regierungsprogramm der erneuerten SPÖVP Koalition folgendes: „Verpflichtende positive Absolvierung einer flexiblen Studieneingangs- und Orientierungsphase, die einen Querschnitt des im Fachbereich zu erwartenden Stoff s vermittelt, in allen Diplom und Bachelorstudien, deren Zulassung nicht besonders gesetzlich geregelt ist. Für den Zugang zum Masterstudium soll den Universitäten die Möglichkeit zur autonomen Gestaltung nach qualitativen Gesichtspunkten zukommen … Im Bereich der PhD-Studienprogramme sollen autonome, leistungsorientierte Auswahlverfahren durch die Universitäten erfolgen können.“ 38 Dies klingt nach einer weitgehenden Verschärfung der Situation von vor dem September 2008, die Möglichkeit mittels Sequenzierungen den Zugang einzuschränken wird zur Pflicht, nur wird das Festlegen der Höhe der Hürde in die Hände der Curricularkomissionen, respektive der PrüferInnen in der Studieneingangsphase gelegt. Auch die Möglichkeit der Beschränkung des Master- und PhDZugangs wird den Universitäten überantwortet, wodurch es vermutlich entweder zu flächendeckenden Beschränkungen dieser Abschlüsse oder einer weiteren Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft zwischen Elite- und Massenuniversitäten, bzw. auch Elite- und Massenstudiengängen kommen wird.

Studentischer Widerstand in Zeiten universitären Wandels
Gegen den neoliberalen Umbau der Universität protestierten die Studierenden anfangs massiv. Besonders vor dem Hintergrund der Einführung von Studiengebühren kam es zu wochenlangen Protesten, an deren Höhepunkt bis zu 70.000 Menschen auf die Straße gingen. Im Zuge dessen gelang es erstmals eine linke Mehrheit innerhalb der ÖH-Bundesvertretung dauerhaft zu etablieren. Die linke Bundesexekutive, bzw. die sich drastisch vergrößernde Anzahl linker Universitäts-, Fakultäts- und Studienvertretungen startete neben dem Abwehrkampf gegen die Universitätsreformen Initiativen vor allem gegen Bildungsökonomisierung, gegen die Kontinuität nazistischen Gedankenguts an den Universitäten und für Frauenfreiräume und feministische Politik und Wissenschaft in der ÖH und den Universitäten. Ebenfalls konnte sich die ÖH in unzählige außeruniversitäre Projekte sozialer Bewegungen u.a. mit ihren beträchtlichen finanziellen Mitteln einbringen und dadurch deren Existenz sichern. Die Reformen der Regierung konnte sie trotz breiter Protestbewegungen, bis auf kleine und kleinste Konzessionen jedoch nicht verhindern.
Dieser Widerstand dürfte jedoch ausreichend gewesen sein, um mittels Reform des Wahlrechts abgestraft zu werden. Am Abend des 11. November 2004 stellten die Wissenschaftssprecherinnen von ÖVP und FPÖ im Nationalrat unangekündigt einen Initiativantrag zur Änderung des HSG. Das Ziel die ÖH umzufärben, die linke Bundesvertretung zu schwächen und ihr die Zähne zu ziehen, war dabei unschwer zu durchschauen. Einerseits wurde das Budget der Bundes- zugunsten der Universitätsvertretungen drastisch gekürzt und weiters die Direktwahl der Bundesvertretung abgeschafft und durch ein Delegations-Prinzip der Universitätsvertretungen ersetzt, in dem kleine Universitäten, welche oftmals konservativ oder unpolitisch geprägt sind, überproportional vertreten sind. 39 Ebenfalls wurde die Direktwahl der Fakultätsvertretungen abgeschafft und es wurde generell den jeweiligen Universitätsvertretungen überlassen, ob diese überhaupt eingerichtet werden oder nicht. Die Studienvertretungen werden zu Gunsten der Fakultätsvertretungen finanziell aufgewertet, erhalten sie nun doch mehr als ein Viertel der Studienbeiträge. 40
Zur Überraschung aller ging jedoch der Plan, die ÖH-Bundesvertretung umzufärben, zumindest vorläufig nicht auf. Generell konnten die linken Fraktionen durch eine konsequente Wahlkampagne, welche das neue Gesetz in den Mittelpunkt stellte, mehr als 6% zulegen und den drohenden konservativen Backslash vorläufig abwehren, doch sollten sich die Auswirkungen des neuen HSG erst zeigen. Denn durch die Abwertung der Direktwahl der Fakultätsvertretungen hörten diese faktisch auf zu existieren, nahmen sie vorher eine Koordinationstätigkeit der Studienvertretungen ein, verfügten über eigene Angestellte, nahmen ein allgemeinpolitisches Mandat wahr und stellten Ressourcen für kritische Forschungszusammenhänge von Studierenden zur Verfügung, waren sie nun weitgehend mittellos, bereits durch das UG 02 um die Mitbestimmungsrechte beschnitten und nun nicht einmal mehr direkt gewählt. Dies schadete nicht nur der Vernetzung zwischen (kritischen) Studienvertretungen untereinander, sondern auch den Universitätsvertretungen, was der Durchschlagskraft kritischer Studierendenvertretung nicht gerade zuträglich war. In der Bundesvertretung musste mit hohem personellen Aufwand Mängelverwaltung betrieben werden. Generell konnte das personelle Wachstum der linken Studierendenorganisationen nicht mit der wachsenden Anzahl von errungenen Funktionen und Arbeitsbereichen mithalten. Linke Studierendenorganisationen wandelten sich dadurch teilweise zu bloßen Rekrutierungsorganen der einzelnen ÖH-Strukturen. Diese wurden jedoch stetig in ihren Rechten und Möglichkeiten beschnitten, die Linken innerhalb der ÖH waren ständig gezwungen auf weitere Verschlechterungen zu reagieren, wobei ihr Protest aufgrund der vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse erschwert wurde und oft wirkungslos blieb. Dabei kam noch erschwerend hinzu, dass die AktivistInnen als oftmalige MultifunktionärInnen auf mehreren Kirtagen gleichzeitig tanzen mussten und somit weder Zeit noch Muße für Aktivitäten abseits von Abwehrkämpfen und Strukturerhaltung zur Verfügung hatten.
Im Zuge der ÖH-Wahl 2007 ging die linke Mehrheit schließlich verloren und die konservative Aktionsgemeinschaft (AG) konnte die relative Mehrheit zurückerobern. Zwar wurde seitens der linken Fraktionen versucht, durch eine Koalition mit den äußerst heterogenen und politisch indifferenten Fachschaftslisten, den linken Einfluss auf die Bundesvertretung zu erhalten, doch zerbrach dieses Experiment bereits nach einem Jahr. Seither befindet sich die AG in einer Minderheitsexekutive. Im Zuge der ÖH-Wahl 2007 verloren auch die meisten linken Universitätsvertretungen ihre Mehrheit, bzw. zerfielen aufgrund arbeitstechnischer Differenzen.
Somit sind die Ressourcen für kritische studentische Projekte begrenzt wie schon lange nicht mehr. Keinerlei Interventionsmöglichkeiten im Universitätsbetrieb, marktförmige Restrukturierung der Studien, Erwerbstätigkeit und Zugangsbeschränkungen schließen begrenzte aber zumindest bewährte Freiräume. Der konservative Backslash in der ÖH nimmt weitere Ressourcen und bringt die Linke auch in diesem Feld in eine aufwendige Defensivposition. UG02 und HSG-Novelle befreiten viele unfreiwillig davon, in schließlich trotzdem durch gesellschaftliche Machtverhältnisse strukturierten Bahnen zu laufen, in denen der Weg oft nur marginal bestimmbar war. Neue Technologien erleichtern die Vernetzung und Aktionsfähigkeit jenseits staatlicher Institutionen, es kommt zur Herausbildung einer netzwerkartigen, postdisziplinären und nomadischen Kritikpraxis 41, welche trotz ihrer Widersprüche neue Perspektiven eröffnet die es auszufüllen gilt. Diese Perspektiven werden wohl vorerst mehr um die Universität als in ihr vonstattengehen, doch gerade deshalb bedarf es einer strategischen Neupositionierung, welche danach trachtet, jene universitären Kanäle auszumachen, die Interventionsmöglichkeiten bieten um diese Entwicklungen zu begünstigen. Defensivkämpfe und altbekannte Strategien werden sicher nicht ausreichen. Einem breiten universitären Projekt fehlt es zugleich aber noch an inhaltlicher Schärfe und Vernetzung mit gesamtgesellschaftlichen Initiativen.

Anmerkungen

1 Begonnen bei Schriftgelehrten, KlerikerInnen und BeamtInnen, bis hin zu den BeraterInnen, PsychologInnen und BetriebswirtschaferInnen heutiger Tage.

2 Hirsch, Joachim: Die Universität: Elfenbeinturm, Wissensfabrik oder Ort kritischer Theoriebildung, in: Brüchert, Oliver/Wagner, Alexander (Hg.): Kritische Wissenschaft, Emanzipation und die Entwicklung der Hochschulen. Marburg 2007, S. 244

3 Steinert, Heinz: Die Universität als Ort von Kritischer Theorie?, in: Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 19

4 Hier wären u. a. der erste Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung Carl Grünberg, welcher bereits um 1900 einen Lehrstuhl in politischer Ökonomie an der Universität Wien innehatte, Max Adler, der erste (außerordentliche) Professor für Soziologie, oder die Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle, in der Marie Jahoda und Paul Lazersfeld arbeiteten, zu nennen.

5 Vgl. Bruckner, Christian: 60 Jahre ÖH, S. 13, online unter: http://www.oeh.ac.at/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/60_Jahre.pdf

6 Vgl. Hochschul-Organisationsgesetz; in BGBl. Nr. 154/1955

7 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 52

8 Vgl. Hochschultaxengesetz; in BGBl. Nr. 102/1953

9 Vgl. Demirovic, Alex: Kritische Gesellschaftstheorie und ihre Bildungsbedingungen im fordistischen und postfordistischen Kapitalismus; in Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 69

10 Dieses wurde im Auftrag der Ford Foundation von Paul Lazersfeld aufgebaut und umfasste erstmals postgraduale Lehrgänge in modernen Sozialwissenschaften (Ökonomie, Soziologie, Politikwissenschaft) anbot. Vgl. König, Thomas/Kreisky, Eva: Bedingungen kritischer Wissenschaft in Österreich; in Brüchert/Wagner, a.a.O., S. 117

11 Ebd., S. 118

12 Pasqualoni, Pier-Paolo: Österreichische Universitäten im Spiegel der Geschichte. Fallstricke einer Reform der Reform, in: Paolo Freire Zentrum/Österreichische HochschülerInnenschaft (Hg.): Ökonomisierung der Bildung, Wien 2005, S. 107

13 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 52, bzw. Foltin, Robert: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Wien 2004, S. 73ff .

14 Vgl. König/Kreisky, a.a.O., S. 118

15 Zum Begriff des Transformismo vgl. Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, Hamburg 1991ff , S. 966

16 Vgl. König/Kreisky, a.a.O., S. 125ff .

17 Welche de jure in den akademischen Senaten sowie den Fakultätskonferenzen eine zentrale Position einnahmen (50%) und de facto auch in den unter-fakultären Gremien ihre Macht mittels Erfahrung, Netzwerken, Informationsvorsprung usw. aufrecht erhielten.

18 Hierzu bemerkte die Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien im Jahre 1980, dass: „(…) die Aktivisten, die früher in den Lehrveranstaltungen, an den Instituten usw. häufig zu finden waren, sich in der Gremialpolitik totlaufen; sie hetzen als Vertreter der „Basis“ von Sitzung zu Sitzung, aber Basis haben sie keine mehr, die Rückkoppelung zur Basis geht langsam aber sicher verloren.“ (zit. n. Steiner, Olivia: Zur Entstehung der Basisgruppenliste Geisteswissenschaften an der Universität Wien. Universität Wien, Dipl.-Arb. 2005, S. 53)

19 Merkens, Andreas: Neoliberalismus, passive Revolution und Umbau des Bildungswesens, in: Meyer-Siebert, Jutta et al. (Hg.innen): Die Unruhe des Denkens nutzen. Emanzipatorische Standpunkte im Neoliberalismus; Hamburg 2002, S. 171

20 Industriellenvereinigung: Hochschulen für die Zukunft – Hochschulstrategie NEU; online unter: http://www.iv-mitgliederservice.at/iv-all/publikationen/file_424.pdf (15.1.2009); S. 6

21 Pasqualoni, a.a.O. S. 119

22 Vgl. Universitätsorganisationsgesetz – UOG 1993; in BGBl. 805/1993 §§ 3, 43, 46, 49, 52

23 Bultmann, Torsten: Die standortgerechte Dienstleistungshochschule; in PROKLA 104 (1996), online unter http://nofees.redefreiheit.net/texte/torsten_2.html

24 Pelizzari, Allesandro: Marktgerecht studieren – New Public Management an den Universitäten, in: Österreichische HochschülerInnenschaft/Paolo Freire Zentrum, a.a.O., S. 91

25 Bultmann, Torsten: Hochschulunternehmen auf dem Bildungsmarkt, in: ASTA-Bochum (Hg): Education not for Sale, S. 47. Der Reader ist online unter: http://euforthepeople.tripod.com/gats-reader-deutsch.pdf

26 Vgl. Universitätsgesetz 2002; in: BGBl I Nr. 120/2002

27 Vgl. Bruckner, a.a.O., S. 45

28 Pelizzari, a.a.O., S. 86

29 Bruckner, a.a.O., S. 44

30 Die genauen Daten zu diesem Absatz fi nden sich bei Wroblewski, Angela/Unger, Martin: Studierenden-Sozialerhebung 2002. Bericht zur sozialen Lage der Studierenden; online unter: http://ww2.sozialerhebung.at/Ergebnisse/PDF/sozialbericht_2002.pdf, S. 10, 57, 120

31 Kolland, Franz: Auswirkungen der Einführung von Studienbeiträge auf die Studienbeteiligung und das Studierverhalten. Endbericht, Wien 2002, S. 93. Bei Kolland und Wroblewski/Unger handelt es sich übrigens um zwei Studien welche vom Wissenschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben wurden.

32 Unter dem Bologna-Prozess wird in Anlehnung an die „Gemeinsame Erklärung der europäischen Bildungsminister“ vom 19. Juni 1999 in Bologna der Prozess zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums, insbesondere die Schaffung eines Systems einheitlicher Studienabschlüsse, verstanden. Dieser Prozess verläuft jedoch weder im Rahmen der Europäischen Union, noch in Form völkerrechtlicher Verträge, vielmehr handelt es sich bei den Übereinkünften der MinisterInnen lediglich um Absichtserklärungen ohne rechtsverbindlichen Charakter. Wirkmächtig wird der Bologna-Prozess vielmehr durch mit der „Offenen Methode der Koordinierung“ vergleichbaren Praxen des naming and shaming einzelner Staaten und Universitäten, welche entlang der formulierten Ziele Benchmarks setzen, regelmäßig evaluieren, veröffentlichen und beabsichtigen, damit eine Reformdynamik in den jeweiligen Institutionen zu initiieren.

33 Bultmann, a.a.O., S. 190f.

34 Vgl. Kaindl, a.a.O., S. 218f.

35 Vgl. §13, bzw. Anlage 1.41 des Universitäts-Studiengesetz; in: BGBl. I Nr. 48/1997

36 Universität Wien: Tischvorlage SPL Sitzung 10.10.2007, Erweiterungscurricula als curriculare Gestaltungsmöglichkeit an der Universität Wien, Aktualisierte Version 08.10.2007; online unter: http://www.univie.ac.at/bologna/bb-dokumente/071008_Erweiterungscurricula_Richtlinien.pdf, S. 4 bzw. 7

37 Sequenzierungen sehen den Abschluss bestimmter Lehrveranstaltungen als Voraussetzung für die Anmeldung zu weiterführenden Pflichtlehrveranstaltungen vor. Dies öffnet knock-out Prüfungen Tür und Tor und ist dementsprechend als informelle Zugangsbeschränkung zu werten.

38 Regierungsprogramm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode; online unter: http://spoe.at/bilder/d268/Regierungsprogramm.pdf, S. 205

39 Auf Basis des neuen Wahlrechts hätten die linken Fraktionen bereits
2001 und 2003 weniger als ein Drittel der Mandate in der Bundesvertretung gehabt.

40 Vgl. Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz 1998 idF BGBl.I Nr. 1/2005 §§ 12, 14

41 Demirovic, a.a.O.

Thomas Reithmayer ist im VSStÖ Wien Sozialwissenschaften aktiv und kandidiert bei den Wahlen zur Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien für KriSP – Kritische Studierende Politikwissenschaft.