„Eine Regelung ist überfällig”

Wie ist es im Zeitalter von Biobanken um den Daten- und Persönlichkeitsschutz bestellt?

Interview mit Regine Kollek

Regine Kollek ist Professorin an der Universität Hamburg, leitet seit vielen Jahren den Forschungsschwerpunkt Biotechnologie, Gesellschaft und Umwelt (BIOGUM) und ist langjähriges Mitglied des Ethikrates. Sie machte nicht nur im Rahmen der Beratungen zum Gendiagnostikgesetz deutlich, wie dringend eine gesetzliche Regelung der Forschung erforderlich ist.


Wie viele Biobanken gibt es in der Bundesrepublik?

Laut TAB-Bericht von 2006 sind es derzeit zirka 40. Ich gehe aber davon aus, dass es wesentlich mehr sind. Jedes große Forschungsprojekt sammelt Proben und Daten. Das Problem ist, dass die nirgendwo verzeichnet sind. Ein Register wäre aber wichtig, nicht nur, um zu wissen, wie viele Biobanken existieren und was darin enthalten ist, sondern auch, um Doppelsammlungen zu vermeiden.

Gibt es Widerstände gegen so ein Register?

Mir sind jedenfalls keine bekannt. Strittig ist allerdings, was dort aufgenommen werden soll. Dafür muss es Standards geben.

Stichwort Standards: Was ist problematisch an der Heterogenität von Biobanken?

Die Sammlungen sind nicht nur in Bezug auf Ziele, Größe oder auch Geschäftsmodelle äußerst unterschiedlich, es gibt auch hinsichtlich vieler Prozesse keine einheitlichen Vorgaben. Das ist zum einen ein Problem für die Forschung, etwa wenn Datensätze oder Datenformate so unterschiedlich sind, dass sie bei einer Forschungsfrage nicht gemeinsam ausgewertet werden können. Zum anderen ist es nicht nur äußerst aufwändig, wenn jede Biobank ihr eigenes Datenschutzkonzept entwickeln muss, sondern führt auch zur Intransparenz für Forschung und Datenschutz.

Sie haben nicht nur auf die quantitative, sondern auch auf die qualitative Ausweitung der Biobankforschung hingewiesen. Was heißt das?

Mit qualitativer Ausweitung ist gemeint, dass der Informationsgehalt der Datensätze mit der Intensität der Beforschung steigt. Die Datensätze werden nicht nur umfangreicher, sondern auch individueller, sodass sie kaum noch anonymisierbar sind. Das stellt den Datenschutz vor grundsätzliche Herausforderungen. Die Anonymisierung von Datensätzen wird als wichtige Säule des Datenschutzes betrachtet.

Sie haben ja mehrfach betont, dass es mittlerweile möglich ist, anhand der DNA einzelne Personen zu identifizieren...

Ja, etwa vierzig Variationen an bestimmten Genorten reichen aus, um eine Person weltweit eindeutig zu identifizieren. Natürlich braucht man dafür Referenzmaterial, das mit einem Namen verbunden ist. Aufgrund des wachsenden Interesses an genetischen Analysen wird dies jedoch zunehmend verfügbar. Außerdem hängt es ja nicht nur an den genetischen Daten; der Umfang der Datensätze ist an sich ein Problem. Die sehr stark auf Individuen bezogenen Merkmale wie Bilder, biochemische Werte, Größe, Geschlecht, Geburtsdatum oder EKG können in ihrer Kombination relativ schnell Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen.

Sie hatten unter anderem berichtet, dass zum Teil auch schon DNA-Fingerabdrücke angelegt werden, um Proben zu identifizieren.

Als qualitätssichernde Maßnahme wird das zunehmend diskutiert. Manchmal kann eine Probe nicht identifiziert werden, weil die Beschriftung nicht zu lesen oder das Etikett abgefallen ist. Dann weiß man nicht mehr, zu wem sie gehört. Wenn man aber etwas Auffälliges in einer Probe findet, möchte man die dazugehörige Person identifizieren können. Das wäre über ein DNA-Muster, das in der Karteikarte abgelegt ist, auch ohne weitere Angaben möglich.

Wird dabei an dieselben DNA-Muster gedacht, die in der Forensik eingesetzt werden?

Im Prinzip ja. Diskutiert wird, für diese Art der Identifizierung etwa vierzig SNPs zu verwenden, die dann weltweit gültig sein sollen. Zurzeit sind es in der Forensik 23, aber die haben für verschiedene Bevölkerungen oder Ethnien eine unterschiedliche Aussagekraft. Deshalb hat jemand ein System mit vierzig SNPs entwickelt, die über alle Ethnien gleich verteilt sein sollen, sodass die Fehlerquote geringer ist.

Würde damit nicht die technische Basis für den Zugriff auf Biobanken im Rahmen polizeilicher Ermittlungen geschaffen?

Ja, um jemanden zu identifizieren, dessen DNA-Muster in der polizeilichen Datenbank nicht gespeichert ist, bräuchte die Polizei in den Aufzeichnungen einer Biobank nur nach dem Muster der entsprechenden DNA-Spur zu suchen. Ist es zufällig darin erfasst, könnte der unbekannte Verdächtige darüber identifiziert werden. Noch ist die Speicherung solcher Muster durch Biobanken keine Routine, und für einen Suchlauf im Rahmen polizeilicher Ermittlungen wäre zumindest ein richterlicher Beschluss nötig. Bisher ist auch nicht bekannt, ob es bereits Biobanken gibt, die mit forensischen Markern arbeiten; nach meiner Kenntnis ziehen es einige aber in Erwägung.

Wo wir bei dem datenschutzrechtlichen Grundprinzip der Zweckbindung und den Möglichkeiten ihrer Auflösung sind: Können Biobanken einer gesundheitspolitischen Überwachung dienen? Wie schätzen Sie die Datenschutzproblematik im Hinblick auf das Gesundheitssystem ein?

Sicher gibt es auch hier Schnittstellen. Denken Sie an die Danubian Biobank, deren Aktivitäten nach eigenen Aussagen in die lokale und regionale Krankenversorgung integriert werden sollen. Dabei wird es in erster Linie um epidemiologische Daten gehen: Wenn man zum Beispiel erkennt, dass auf der einen Seite der Donau die Rate der Krebserkrankungen deutlich höher ist als auf der anderen, können gesundheits- oder umweltpolitische Konsequenzen gezogen werden. In dem konkreten Fall soll aber zur Deckung der Kosten auch eine Public Private Partnership entwickelt werden zwischen Industrie, Krankenversicherungen und öffentlicher Gesundheitsversorgung. Da fragt man sich dann schon, wie diese Kooperation aussehen soll. Sind das dann rein epidemiologische Aussagen zur Krankheitsprävention, die die Krankenversicherungen bekommen, oder sind das Informationen, mit denen gezielt bestimmte Personen oder Personengruppen angesprochen werden können? Bekommen Anbieter von Gesundheitsleistungen auch Zugriff auf Adressen und andere Daten? Solche Projekte muss man im Blick behalten.

Nochmal zurück zur Forschung: Sie hatten auf den immanenten Widerspruch der Biobankforschung zu Grundprinzipien des klassischen Datenschutzes, vor allem dem Prinzip der Datensparsamkeit, hingewiesen: Der Ansatz, die ‚kleinen Effekte’ von DNA-Merkmalen auf die Krankheitsentstehung zu erforschen, verlangt große Datenmengen. Gibt es für dieses Problem Lösungsideen?

Das ist wirklich ein Konflikt. Auch ich habe da zwei Herzen in meiner Brust. Aus wissenschaftlicher Sicht sind Sammlungen umso fruchtbarer, je mehr Daten sie enthalten. Die Frage ist sicherlich, was man für die Forschung wirklich braucht und was irrelevant ist. Das kann man vorher leider nicht immer so genau wissen. Als Lösung wird die Einführung eines Forschungsgeheimnisses, analog zur ärztlichen Schweigepflicht diskutiert. Gerade die Forschung ist eher dafür, auch um das Vertrauen der Spender zu fördern. Es gibt jedoch Widerstände, beispielsweise aus dem Innenministerium. Für die Verbrechensbekämpfung möchte man sich den Zugang zu den Daten nicht versperren. Aber selbst dann, wenn ein Forschungsgeheimnis nicht durchsetzbar ist, halte ich eine Verbesserung der Maßnahmen zum Spenderschutz für notwendig.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Also zum Beispiel sollte bei der allgemeinen Einwilligung zumindest eine Begrenzung auf biomedizinische Forschung oder auf einen noch enger bestimmten Zweck erfolgen. Ganz wichtig ist außerdem Transparenz, sowohl nach innen - dass also alle Vorgänge dokumentiert werden - wie auch nach außen. Es muss immer klar sein, was mit den Proben geschieht, damit Spender ihre gesetzlich verbürgte Widerrufsmöglichkeit überhaupt wahrnehmen können. Hochproblematisch finde ich die teilweise angedachte, direkte globale Vernetzung von Biobanken und Datensätzen, weil Datenflüsse dann kaum noch zu kontrollieren sind.

Aber da kann doch ein nationales Gesetz gar nichts ausrichten! Ist da nicht eher eine europäische Regelung notwendig?

Wir brauchen das eine wie das andere. Wir brauchen eine EU-Richtlinie, die auf einer Metaebene Standards festlegt. Darauf zu warten, reicht aber nicht, weil der Prozess lange dauern kann. Deshalb müssen wir in Deutschland anfangen, an der Entwicklung solcher Standards und einer gesetzlichen Regelung zu arbeiten.

Frau Kollek, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Interview führte Uta Wagenmann.