Giftgrüne Gentechnik

Der Kampf um MON 810

„MON 810“ – dieses unscheinbare Kürzel treibt gegenwärtig Landwirte und Lobbyisten auf die Barrikaden. Dahinter verbirgt sich die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in der EU kommerziell angebaut werden darf. Der insektenresistente Gentech-Mais des US-Konzerns Monsanto wurde 1997 zugelassen; doch Mitte April 2009 hat ihn Deutschland als sechstes EU-Land nach Österreich, Ungarn, Griechenland, Frankreich und Luxemburg verboten.

Seitdem herrscht hierzulande Gentechnikalarm. Unisono prophezeien sämtliche Wissenschaftsorganisationen, die Verbände der Agro- und Lebensmittelindustrie, Forschungsministerin Schavan, große Teile der Union und die FDP irreparable Schäden für den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland aufgrund des Verbots. 1 Und nicht nur das: Sollten die Potentiale der Gentechnik aufgrund „diffuser Ängste“ nicht genutzt werden können, dann fehle das entscheidende Instrument, um die Ernährung für die wachsende Weltbevölkerung zu sichern, dem Klimawandel zu begegnen und die Energiefrage zu lösen.

Was also steckt tatsächlich hinter MON 810? Und warum messen die Protagonisten der Agro-Gentechnik seinem Verbot in Deutschland derartig eminente Bedeutung bei? MON 810 ist mit einem Gen aus dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis (Bt) ausgestattet. Es führt dazu, dass der Mais permanent in allen grünen Pflanzenteilen ein Gift produziert, zudem in Pollen, Samen und Wurzeln. Dieses Gift zersetzt die Darmwand des Maiszünslers, eines Schmetterlings, der als Hauptschädling im Mais auftritt. Seine Raupen bohren sich in die Maisstängel, legen dort Fraßgänge an und verringern dadurch Standfestigkeit und Ertrag der Pflanzen. Anders, als von Monsanto behauptet, wirkt das vom MON 810 gebildete Gift jedoch nicht spezifisch und selektiv.

Es tötet nicht nur den Maiszünsler, sondern schädigt auch sogenannte Nicht-Zielinsekten. Deshalb hat die zuständige Bundesbehörde, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), MON 810 mit einem Anbauverbot belegt. Die Begründung nennt als betroffene Nicht-Zielorganismen Schmetterlinge wie den Schwalbenschwanz, Lebewesen aquatischer Ökosysteme wie Köcherfliegenlarven und Wasserflöhe, außerdem räuberische Nutzinsekten wie den Zweipunktmarienkäfer. Bei ihnen führt das über den Verzehr von Pollen aufgenommene Gift zu verlängerten Entwicklungszeiten und höherer Sterblichkeit. Auch ist der Polleneintrag in die umgebende Landschaft wesentlich höher als bisher angenommen und reicht erheblich weiter als bislang vermutet – über zwei Kilometer. Somit kommen weit mehr Insekten mit den Bt-Toxinen in Berührung als zuvor behauptet, und sie sind ihnen in höheren Konzentrationen ausgesetzt. Der Bescheid an Monsanto spricht deshalb zu Recht von einer „Langzeitbelastung auf dem Feld für Nichtzielorganismen.“ 2

Die deutsche Dependance des US-Unternehmens hat daraufhin gegen das Verbot geklagt. Inzwischen haben mit dem Verwaltungsgericht Braunschweig und dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg zwei Instanzen bestätigt, dass das vom BVL im Eilverfahren erlassene Anbauverbot noch vor der Maisaussaat gerechtfertigt war. Im Herbst folgt das Hauptsacheverfahren. Es wird abschließend klären, ob die vom BVL angeführten Gründe ausreichen, den MON 810 ein für allemal zu verbieten.

Gefährliche Nutzung

MON 810 wurde bisher ans Vieh verfüttert oder in Biogas umgewandelt. Er ist in Deutschland drei Jahre lang kommerziell angebaut worden, 2006 auf 950 Hektar, 2007 auf 2685 und 2008 auf 3171 Hektar – und damit jeweils auf weniger als 0,2 Prozent der gesamten deutschen Maisanbaufläche. Den Weg dafür ebnete der damalige Landwirtschaftsminister Horst Seehofer Ende 2005 mit der Sortenzulassung, neben der EU-rechtlichen Genehmigung die zweite Bedingung für den Anbau. Für dieses Jahr waren 3596 Hektar Anbaufläche gemeldet, 3 von rund 70 Betrieben, die meisten von ihnen Agrargenossenschaften und in Ostdeutschland gelegen.

Zum Vergleich: Insgesamt gibt es in Deutschland rund 370 000 landwirtschaftliche Betriebe. Das bestätigt das Bild der Vorjahre: Agro-Gentechnik ist vor allem ein ostdeutsches Phänomen. Der Grund liegt in den ostdeutschen Agrarstrukturen. Dort findet man große Betriebe mit großen Flächen, einem hohen Industrialisierungsgrad – und ohne Nachbarn, deren Ernten von Auskreuzungen betroffen sein könnten. Damit entsteht kein Haftungsrisiko. Zudem findet oftmals keine Nutzung eigenen Bodens statt, womit nur eine geringe Bindung an und Verantwortung für die bewirtschaftete Fläche existiert. Noch verstärkt wird dies durch Betriebsleiter und Arbeiter ohne örtliche Verankerung. Schließlich besteht im Vergleich zu Westdeutschland ein geringer sozialer Druck, der auf „Gen-Bauern“ ausgeübt wird. Das alles sind Voraussetzungen, die den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erheblich begünstigen.

Was aber hat die Landwirte konkret bewogen, MON 810 anzubauen – etliche von ihnen sogar zum wiederholten Mal? Zum einen die von Gentechnik-Unternehmen kräftig geschürte Suggestion, als Pioniere die Landwirtschaft der Zukunft auf deutsche Äcker zu tragen, zum anderen betriebswirtschaftliches Kalkül. Traditionell bekämpfen Landwirte den Maiszünsler, indem sie Maismonokulturen vermeiden und das nach der Ernte auf dem Feld zurückbleibende Maisstroh, die Stoppeln und die Stängel häckseln und unterpflügen. Dadurch verhindern sie, dass die Larven des Schädlings in den Pflanzenresten überwintern und sich stark vermehren. Diese Maßnahmen führen zu einer Verringerung der Schädlingspopulation von 80 bis 98 Prozent. Insektizide werden nur auf knapp zwei Prozent der gesamten deutschen Maisanbaufläche gespritzt; ihre Anwendung ist aufwändig und kompliziert.

All diese Arbeiten auf dem Feld erfordern den Einsatz von Arbeitskräften und Maschinen. Landwirte hingegen, die MON 810 anbauen, ziehen Maiszünsler-Prophylaxe mit Hilfe von Fruchtfolge, Mensch und Maschinen nicht mehr in Betracht. Sie zahlen lieber einen höheren Preis für gentechnisch verändertes Saatgut und vertrauen auf das in den MON 810 eingebaute Insektizid.

Es bleibt jedoch eine offene Frage, ob sich der Anbau von MON 810 tatsächlich rechnet. Die jüngste dazu publizierte Studie vom Sommer 2008 kommt zu dem Schluss, dass er sich erst dann auszahlt, wenn Schädlingsbefall und dadurch ausgelöste Ernteverluste bei konventionellem Anbau sehr hoch sind. 4 Angesichts dieser ökonomischen Unwägbarkeiten, stellt sich umso mehr die Frage, welche Gentechnik-Protagonisten hinter MON 810 stehen. Oder allgemeiner gesprochen: Wer will Agro-Gentechnik und warum?

Geballte Konzernmacht

Sechs multinationale Konzerne teilen sich den Markt für gentechnisch verändertes Saatgut nahezu vollständig auf: Die US-amerikanischen Unternehmen Monsanto, DuPont-Pioneer und Dow AgroScience, Syngenta mit der Firmenzentrale in der Schweiz und die deutschen Unternehmen BASF Plant Science und Bayer Crop Science. Alle sind ihrer Herkunft nach Chemieunternehmen, alle produzieren in großem Stil Agro-Chemikalien. Unter den Top Ten dieser Sparte belegen sie die Plätze eins bis sechs. Den Großteil ihres Umsatzes und ihrer Gewinne erwirtschaften sie in diesem Bereich. Selbst Monsanto erzielte im Geschäftsjahr 2007 58 Prozent seiner Umsätze mit Agrochemie und „nur“ 42 Prozent mit Saatgut, obwohl der Konzern bei transgenen Saaten mit einem Anteil von knapp 90 Prozent eindeutiger Weltmarktführer ist.

Mittlerweile verfolgen alle „six gene giants“ eine ähnliche Firmenstrategie, nämlich die von Monsanto: Sie alle kaufen rund um den Globus Saatgutfirmen auf und übernehmen damit langsam, aber sicher die Kontrolle über das kommerziell gehandelte Saatgut; gentechnisch verändertes ebenso wie konventionelles.

Daneben besteht ein nichtkommerzieller Saatgutmarkt, das heißt, Landwirte behalten einen Teil ihrer Ernte für die nächste Anbausaison zurück oder sie tauschen untereinander Saatgut. Das gesamte Volumen des Saatgutmarkts wird auf 50 Mrd. US-Dollar, der kommerzielle Anteil auf 30 Mrd. US-Dollar geschätzt. Monsanto, seit 2005 das größte Saatgutunternehmen der Welt, hält hier einen Marktanteil von fast 25 Prozent.

Alle sechs Großkonzerne gehen strategische Partnerschaften ein und schließen Kooperationsabkommen – verteilt über alle Kontinente, zumeist mit staatlichen Forschungsinstituten und Universitäten, oftmals untereinander. So kooperieren fast alle Unternehmen miteinander (einzige Ausnahme: Monsanto und Pioneer), entweder durch gemeinsame Projekte oder dadurch, dass sie sich gegenseitig Lizenzen oder den Zugriff auf Technologien oder Produkte gewähren. So schließt sich das bestehende Oligopol immer enger zusammen. Außerdem verfolgt jeder Konzern für sich Projekte mit öffentlichen Institutionen und forciert auf diese Weise die Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft. Damit wird die Unabhängigkeit der Forschung in diesem wichtigen Bereich zunehmend in Frage gestellt.

Die Großkonzerne propagieren eine Landwirtschaft, deren Vorbild die industrielle Produktion ist, das heißt der jährlich wiederkehrende Anbau ein und derselben Feldfrucht auf großen Flächen, unter übermäßigem Einsatz von Kunstdüngern und Spritzmitteln, bei gleichzeitiger Senkung der Produktionskosten durch Einsparung von Arbeitskräften, Treibstoff und Maschinen. Dafür entwickeln sie gentechnisch veränderte Pflanzen.

Sie alle haben nahezu dieselbe Produktpipeline und werden in den nächsten Jahren vorrangig weitere Varianten der Pflanzen auf den Markt bringen, die sie bereits seit 1996 anbieten (dem Beginn der Kommerzialisierung transgener Sorten): Soja, Mais, Raps und Baumwolle, die Resistenzen gegen Herbizide oder Insekten, vor allem aber kombinierte Resistenzen aus beiden Ansätzen tragen. Die sechs Multis eint ein Interesse: die Absicherung ihres Kerngeschäfts, der Verkauf von Agro-Chemikalien. Deshalb kopieren sie allesamt das von Monsanto in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte Modell, herbizidresistente Pflanzen im Doppelpack mit dem dazugehörigen Herbizid zu verkaufen. Und sie kreieren, passend zu firmeneigenen Spritzmitteln, das entsprechende Saatgut-Pendant.

Dafür haben sie alle eine annähernd gleiche PR-Strategie: Ob Welthunger, Klimawandel oder Energiefrage – Gentechnik ist in ihrer Propaganda das Mittel zur Lösung der Probleme der Menschheit im 21. Jahrhundert. 4 Die Konzerne lassen sich in großem Umfang Pflanzengene, transgene und zunehmend auch konventionell gezüchtete Pflanzen patentieren und eignen sich damit Saatgut, Pflanzen, deren Nachkommen sowie die daraus gewonnenen Produkte an. 6 Ihr Ziel liegt auf der Hand: die Herrschaft über die Grundlagen der Ernährung und damit über die Grundlagen des Lebens. Oder, prosaischer formuliert: Marktbeherrschung, Ausschaltung von Konkurrenz und Wettbewerb, Preisdiktate sowie das Ende der Unabhängigkeit von Bauern und Züchtern.

Hemmschuh Gentech-Widerstand

Warum das Anbauverbot von MON 810 in Deutschland diese Firmenstrategie so sehr erschüttert, verdeutlicht ein Blick in die Geschichte der Gentechnik in Europa. Alle Gentechnik-Firmen haben den Widerstand gegen ihre Produkte völlig unterschätzt. Zwar sind gentechnisch veränderte Pflanzen seit 1996 auch in der EU zugelassen und gelangen über Importe auch auf hiesige Märkte, bei Gentech-Soja sogar in einem Volumen von über 30 Mio. Tonnen pro Jahr. Das Soja wandert ins Tierfutter, nur Landwirte erhalten die Information über die gentechnische Veränderung, die Verbraucher, die tierische Produkte wie Milch, Fleisch und Eier kaufen, jedoch nicht.

Gentechnik hat in der EU nur deshalb eine Chance, weil sie für Verbraucher unsichtbar bleibt. Von Akzeptanz oder wenigstens Gewöhnung und stillschweigender Duldung kann auch nach 13 Jahren keine Rede sein. Dass Deutschland als sechstes EU-Land in Folge MON 810 verboten hat, zeigt den Gentech-Unternehmen überdeutlich: Sie kommen nicht nur nicht voran, sondern erleiden Rückschläge. Lediglich in Spanien wird in nennenswertem Ausmaß MON 810 angebaut, 2009 auf etwa 75 000 Hektar. Damit wachsen auf weniger als 0,1 Prozent der EU-Ackerfläche gentechnisch veränderte Pflanzen. Mit anderen Worten: Für die sechs großen Agro-Gentechnik-Unternehmen geht es nicht nur darum, ob in Deutschland auf einigen tausend Hektar gentechnisch veränderter Mais wächst oder nicht. Sondern es geht um ihr Geschäftsmodell als solches – und darum, ob sie es in der EU als bedeutendstem Agrarmarkt der Welt durchsetzen können oder nicht. Denn was im größten Mitgliedsstaat und einem der wichtigsten Agrarländer der Union geschieht, strahlt auf die ganze EU aus. Wenn Deutschland als politisches Schwergewicht einen gentechnik-skeptischen Kurs fährt, dann schmälert das die Chancen ganz erheblich, die umstrittenen Saaten zukünftig auf Europas Äckern auszusäen.

Die Konzerne sind sich der enormen Symbolkraft bewusst, die im Verbot von MON 810 steckt. Wenn die erste und einzige in der EU zum kommerziellen Anbau zugelassene Pflanze als Umweltsünderin ausgewiesen ist, dann sehen sich die EU-Bürger und Bürgerinnen in ihrer Skepsis bestätigt, die sie der Gentechnik entgegenbringen. Damit steht in Frage, ob der MON 810 die nach EU-Recht nach zehn Jahren zu erneuernde Zulassung erhält, dann sind die Schwächen des EU-Zulassungsverfahrens offenkundig, nach dem der MON 810 geprüft und für sicher befunden wurde. Zugleich ist der Ruf der Zulassungsbehörden angekratzt, die dem MON 810 Unbedenklichkeit attestiert haben. Und damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die nächsten insektenresistenten Maislinien, deren Zulassung die EU-Kommission derzeit bereits vorantreibt, eine Anbaugenehmigung erhalten. Denn warum sollten die mit ähnlichen Eigenschaften wie MON 810 ausgestatteten Linien Bt 11 von Syngenta und 1507 von Pioneer weniger problematisch für Zielinsekten sein?

Für die Gentechnik-Unternehmen ist also klar: Es geht im Falle von MON 810 nicht um eine Petitesse, es geht ums Eingemachte.

Eigennützige Wissenschaft

Wie aber erklärt sich, dass nach dem Anbauverbot alle maßgeblichen deutschen Wissenschaftsvereinigungen in einem offenen Brief umgehend schwere Vorwürfe gegenüber dem BVL erhoben haben? Ohne sich überhaupt mit den Argumenten auseinanderzusetzen oder gar abzuwarten, zu welchem Ergebnis die von Monsanto angerufenen Gerichte abschließend kommen, steht für die Wissenschaftsvereinigungen heute bereits fest: Das Verbot werde „den Trend verstärken, […] mit einer Zukunftstechnologie irrational umzugehen und dadurch irreparable Schäden für den Standort Deutschland herbeizuführen.“ 7 In die gleiche Kerbe schlägt ein wenig später veröffentlichtes gemeinsames Memorandum von DFG und DLG. 8 Die wichtigste deutsche Wissenschaftsorganisation bricht im Verein mit einem der wichtigsten Lobbyverbände der industriellen Landwirtschaft eine Lanze für die Agro-Gentechnik und fordert günstige Rahmenbedingungen für die Gentechnikforschung in Deutschland.

Woher rührt der aufgeregte Ton, den die Wissenschaftsorganisationen anschlagen? Warum folgen sie nicht der Argumentation von Landwirtschaftsministerin Aigner, beim Verbot von MON 810 handle es sich um eine Einzelfall-, keinesfalls um eine Grundsatzentscheidung zur Zukunft der Agro-Gentechnik in Deutschland?

Die Antwort ist einfach: Weil es für sie um die Sicherung von Pfründen und Privilegien geht. Bei etlichen der in den Wissenschaftsorganisationen zusammengeschlossenen Forscher sind eigene Interessen berührt: Ihre Arbeiten im Bereich der Agro-Gentechnik werden aus öffentlichen Mitteln finanziert, vielfach haben sie sich spezialisiert und ihre Karrieren auf diese Art der Forschung gegründet. So fließen Fördermittel etwa in irreführend als „Sicherheitsforschung“ etikettierte Projekte. Das Bundesforschungsministerium finanziert eine Vielzahl von Arbeiten, die den unkontrollierten Gentransfer mit Hilfe gentechnischer Methoden begrenzen sollen – Forschung also, die ein Beitrag zur Produktentwicklung ist. Denn von Pflanzen, die ihre gentechnisch vermittelten Eigenschaften in geringerem Maße auf Kreuzungspartner, seien es Kulturpflanzen oder Wildpflanzen, übertragen, profitieren hauptsächlich Unternehmen, die ihre Pflanzen kommerziell vermarkten wollen und sich deshalb gefordert sehen, den Gentransfer zu begrenzen.

Erhebliche staatliche Fördermittel fließen auch in Projekte, in denen die Grenzen von Wissenschaft und Wirtschaft verschwimmen. Dabei werden staatliche Einrichtungen gemeinsam mit Unternehmen wie der BASF Plant Science oder Bayer Crop Science für ihre Forschung im Bereich der Agro-Gentechnik mit Millionensummen bedacht. Das bedeutet, der Staat kommt über die Haushalte des Bundesforschungsministeriums und der Bundesländer für die gemeinsam mit öffentlichen Institutionen betriebene Forschung auf, nicht die Unternehmen selbst. Dabei sind die Projektpartner sogar verpflichtet, Patente anzumelden; die Patente liegen allerdings beim Zuwendungsempfänger, sprich: bei den beteiligten Unternehmen, den Instituten und womöglich bei den Forschern. Damit profitieren Forscher über Patente und deren Verwertung finanziell möglicherweise ganz erheblich von ihrer Arbeit im Bereich der Gentechnik, obwohl ihre Forschung mit Steuermitteln finanziert wird. 9

Was aber hat die Gesellschaft von dieser öffentlich finanzierten Forschung? Wie ist zu rechtfertigen, dass hunderte Millionen von Steuermitteln in eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Technologie fließen? Auf Fragen wie diese folgt stets der Verweis auf die in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes gewährte Forschungsfreiheit. Forschungsfreiheit also als das Recht, frei an den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbei zu forschen. Diesen Anspruch sehen die Wissenschaftsorganisationen durch das Verbot von MON 810 offenbar massiv bedroht.

Protektionistische Politik

Der zwischen Union und SPD im Herbst 2005 geschlossene Koalitionsvertrag sagt es kurz und knapp: Forschung und Anwendung der Grünen Gentechnik in Deutschland sollen befördert werden. In diesem Geist hat die Bundesregierung das Gentechnikgesetz novelliert. Es erleichtert Forschungseinrichtungen und Firmen, Gentech-Pflanzen experimentell zu erproben, und Bauern, sie kommerziell anzubauen.

Die für Agro-Gentechnik wichtigsten Ministerien sind Landwirtschaft, welches die Federführung innehat, Forschung sowie Umwelt mit den Ressortchefs Ilse Aigner (CSU), Annette Schavan (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD). Nach dem Anbauverbot von MON 810 stellt sich die Lage so dar: Ilse Aigner hat an Profil gewonnen, Annette Schavan schäumt und Sigmar Gabriel hat sich an die Seite seiner Landwirtschaftskollegin gestellt. Die Risse gehen somit quer durch die Unionsfraktion, während zwischen SPD und CSU relative Einigkeit besteht. Die Union hingegen hat leidenschaftliche Gentechnikbefürworter in ihren Reihen und trifft sich darin wiederum mit der FDP.

Politisch führt die Gespaltenheit der Bundesregierung oftmals zum Patt. So hat Ministerin Aigner zwar MON 810 verboten, die gentechnisch veränderte Stärke-Kartoffel Amflora der BASF, die in Deutschland experimentell erprobt wird, aber nicht. Aufgrund dessen ist Deutschland auf EU-Ebene für seine ständigen Enthaltungen berüchtigt, die es bei nahezu allen Entscheidungen zur Agro-Gentechnik übt.

Eine der leidenschaftlichsten und neben der Kanzlerin die wohl exponierteste Fürsprecherin der Agro-Gentechnik in der CDU ist Forschungsministerin Schavan – und über die Mittel aus dem Forschungsetat auch ihre größte Unterstützerin. „Ohne Gentechnik geht es nicht“, behauptete sie unlängst in einem Grundsatzartikel für die „Financial Times Deutschland“. 10 Denn nur mit ihrer Hilfe würden Pflanzen geschaffen, die dem Klimawandel trotzen, durch ihren hohen Ertrag den Welthunger bekämpfen und außerdem die Energieversorgung sichern. Woher sie die Gewissheit nimmt, dass Gentechnik klassischer und biologischer Züchtung überlegen sein soll, verrät die Ministerin nicht. Genauso wenig, wann mit den angekündigten Wunderpflanzen zu rechnen ist. Damit agiert sie, als sei sie der PR-Abteilung eines der sechs großen Gentechnik-Unternehmen entsprungen. Denn auch diese beschwören unablässig die Potentiale der Gentechnik für die Lösung der ganz großen Probleme der Menschheit im 21. Jahrhundert. Auf diese Weise reduzieren sie die Debatte um die Sicherung der Welternährung und um Maßnahmen gegen den Klimawandel allein auf die Pflanzengenetik, so als liege der Schlüssel im gentechnisch veränderten Pflanzengenom – und nicht viel stärker in angepassten Technologien und ökologischen Verfahren, wie es der Weltagrarrat fordert.

Der 2003 gegründete Weltagrarrat ist ein Pendant zum Weltklimarat. Er wurde von mehreren UN-Organisationen und der Weltbank ins Leben gerufen. Ihm gehören 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die von Regierungen, Industrie und Umweltverbänden ausgewählt werden. Seine Aufgabe besteht darin, Empfehlungen zur Zukunft der Landwirtschaft abzugeben. Darin favorisiert er eindeutig eine von Bauern und Bäuerinnen, nicht von der Agrarindustrie getragene Landwirtschaft, in die wieder mehr traditionelles und lokales Wissen einfließt, und die ihren Bedürfnissen entsprechende Pflanzen hauptsächlich für heimische Märkte entwickeln und anbauen. 11

Die Bundesregierung schweigt den Bericht beharrlich tot. Forschungsministerin Schavan trägt zudem maßgebliche Verantwortung für die Missstände der Agro-Gentechnik-Forschung in Deutschland. Sie verhindert einen transparenten Haushalt, aus dem klar hervorgeht, welche Projekte welcher staatlichen Einrichtungen oder Wirtschaftsunternehmen in welcher Höhe gefördert werden. Außerdem verhindert sie eine Evaluation dieser Forschung. Welche Ergebnisse erzielt worden sind, welche Produkte entwickelt wurden, welche Erfolge und Misserfolge die Forschung gezeitigt hat – all dies wird nicht systematisch ausgewertet. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der aufgewendeten Mittel findet nicht statt. Und vielleicht das schlimmste ihrer Versäumnisse: Durch das geradezu sture Insistieren auf lediglich eine Technologie und die entsprechende Bindung von Forschungsmitteln erhalten andere Ansätze kaum eine Chance. Was konventionelle und biologische Pflanzenzüchtung leisten kann, ob sie der Gentechnik möglicherweise überlegen ist – die Forschungsministerin will es nicht wissen.

Dieses Desinteresse spiegelt auch der von ihr nach dem Anbauverbot von MON 810 einberufene „Runde Tisch“ zur Zukunft der Agro-Gentechnik. Von 24 Teilnehmern sind gerade einmal sechs den Kritikern zuzurechnen. Das Ziel der Treffen ist zudem nicht definiert. Vermutlich geht es primär um die Beruhigung der eigenen Klientel bis zur Bundestagswahl. Eine dann mögliche schwarz-gelbe Mehrheit würde das entsprechende Kapitel im Koalitionsvertrag vermutlich mit „Grünes Licht für die Grüne Gentechnik“ überschreiben – und mit großer Wahrscheinlichkeit in einer der ersten Amtshandlungen das Anbauverbot von MON 810 aufheben. Was allerdings auch dazu führen würde, den inzwischen ausgesprochen kampferprobten Widerstand gegen die Agro-Gentechnik in Deutschland neu zu beflügeln.

Der Kampf geht weiter

Nach 30 Jahren Forschung und 13 Jahren kommerzieller Nutzung der Agro-Gentechnik ist die Bilanz ernüchternd. Der großflächige Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen konzentriert sich auf sechs Länder: die USA, Argentinien, Brasilien, Kanada, China und Indien. Die Pflanzen wachsen laut Industrieangaben auf inzwischen 125 Mio. Hektar, das heißt auf etwa 8 Prozent der weltweiten Ackerfläche oder auf 2,5 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der Erde.

Dabei werden immer noch überwiegend vier Pflanzenarten mit zwei gentechnisch vermittelten Eigenschaften angebaut: Soja, Mais, Baumwolle und Raps, die Herbizid- oder Insektenresistenzen oder eine Kombination aus beiden Eigenschaften tragen. Auch die Pflanzen, die in den kommenden Jahren Marktreife erlangen werden, besitzen Resistenzen gegen ein oder mehrere Insekten oder Herbizide, oftmals in Kombination.

Die Gesundheitsrisiken, die von diesen Pflanzen ausgehen, sind weiterhin völlig ungeklärt. Alle bisher beobachteten negativen gesundheitlichen Effekte an Versuchstieren lassen sich zwei Kategorien zuordnen: Beeinträchtigung der Fortpflanzung (weniger und weniger robuste Nachkommen) und Schädigung innerer Organe bzw. des Immunsystems. Sowohl insekten- als auch herbizidresistente Pflanzen schädigen die Umwelt. Bt-Pflanzen beeinträchtigen Nicht-Zielorganismen, der breite Herbizideinsatz beim Anbau herbizidresistenter Pflanzen führt dazu, dass Unkräuter zunehmend Resistenzen entwickeln und mit immer größeren Mengen an Spritzmitteln bekämpft werden.

Demgegenüber hat sich kein einziges Versprechen der Gentechnik als haltbar erwiesen. Erstens: Der Welthunger ist nicht besiegt, denn Gentech-Pflanzen wandern ins Tierfutter oder in die Tanks der reichen, zahlungskräftigen Länder. Zweitens: Gentechnik sorgt nicht für höhere Erträge – bei Soja liegen sie niedriger, bei Mais und Baumwolle auf dem Niveau konventioneller Sorten. Und drittens: Gentechnik führt nicht dazu, dass weniger Spritzmittel eingesetzt werden. In Argentinien, das auf rund 18 Mio. Hektar gentechnisch veränderte Soja anbaut, werden inzwischen 200 Mio. Liter Glyphosat (Wirkstoff des Herbizids, mit dem die Sojakulturen besprüht werden) gespritzt. Seit 1996 stieg die mit gentechnisch veränderter Soja bestellte Fläche um das 35fache und der Glyphosateinsatz um das 56fache.

Wie es mit der Agro-Gentechnik weitergeht, hängt entscheidend davon ab, ob noch zu schaffende gesetzliche Regelungen die Interessen der Konzerne oder die der Gesellschaft schützen. Entscheidend wird sein, ob das Patentrecht ausgeweitet oder eingeschränkt und ob Patentschutz auch auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere sowie auf konventionelle Züchtungsverfahren gewährt wird – oder ob Patentansprüche auf gentechnisch veränderte Pflanzen, Tiere sowie isolierte Gene und Gensequenzen begrenzt oder gar zurückgewiesen werden.

Viel wäre gewonnen, wenn die Europäische Union Kennzeichnungsregeln für Produkte von Tieren einführt, die mit gentechnisch verändertem Futter gemästet wurden. Dann könnten endlich die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Import von Gentech-Pflanzen auf ihre Märkte entscheiden. Des Weiteren müsste das Zulassungsverfahren für Gentech-Pflanzen in einer Weise verbessert werden, dass Flops wie die vielen nationalstaatlichen Anbauverbote für den MON 810 nach seiner Markteinführung zukünftig vermieden werden.

Insgesamt stellt sich die Frage, wie lernfähig die EU ist und ob sie den Anbau herbizidresistenter Pflanzen in Europa tatsächlich zulässt – und damit ein in Südamerika bereits gescheitertes System von Landwirtschaft. Tatsächlich finden die größten Kämpfe in der südlichen Hemisphäre statt. Dort, speziell in den Ländern mit schwacher Zivilgesellschaft, vermarkten die Unternehmen ihre Produkte hoch aggressiv – und ohne Rücksicht auf Verluste. So ist vor dem obersten argentinischen Gerichtshof eine Klage von spritzmittelgeschädigten Bewohnern der Sojaregionen anhängig, die schwere Gesundheitsschäden davongetragen haben. Auch vom Ausgang dieses Verfahrens – und der dafür geschaffenen Öffentlichkeit – wird abhängen, ob und wie stark die negativen Auswirkungen des Gentech-Anbaus in Übersee ins Bewusstsein der Europäerinnen und Europäer vordringen.

Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der Agro-Gentechnik ist zudem, in welchem Ausmaß es ihren Lobbyisten gelingt, die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen, und wie innovativ die beteiligten Gentechnikfirmen tatsächlich sind. Ob und wann die versprochenen Wunderpflanzen zur Bekämpfung des Welthungers, des Klimawandels und zur Lösung der Energiefrage jemals Marktreife erlangen werden, steht in den Sternen. Doch ewig können die Firmen ihre Heilsversprechen nicht wiederholen, ohne an der Realität gemessen zu werden – zumal die Agro-Gentechnik nach wie vor von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.

Auch wenn mit dem Verbot von MON 810 ein wichtiger Kampf gewonnen werden konnte: Die Auseinandersetzung um die Agro-Gentechnik geht bereits in eine neue Runde. Und wie beim Fußball gilt: Das nächste Spiel ist immer das schwerste.

 

1 Vgl. die Presseerklärung von 21 maßgeblichen Vertretern der Agrar- und Ernährungswirtschaft vom 18.5.2009 („Land – und Ernährungswirtschaft fordert verlässliche Gentechnikpolitik zur Sicherung des Innovationsstandortes Deutschland“), die Gemeinsame Erklärung der Wissenschaftsorganisationen zur Grünen Gentechnik vom 20.5.2009, das Memorandum von DLG und DFG-Senatskommission für Stoffe und Ressourcen in der Landwirtschaft: „Forschung in Freiheit und Verantwortung – Zum Status quo der Forschungsrahmenbedingungen zur Grünen Gentechnik“ vom 13.5.2009 und Annette Schavan, Ohne Gentechnik geht es nicht, in: „Financial Times Deutschland“, 18.5.2009.
2 Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), Bescheid vom 17.4.2009 an Monsanto.
3 Das beim BVL angesiedelte Standortregister verzeichnet unter http://194.95.226.237/stareg_web/showflaechen.do die Anbauflächen. Bauern müssen sie drei Monate vor Anbaubeginn melden.
4 Studie des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, www.smul.sachsen.de/lfl/publikationen/download/3646_1.pdf.
5 Zu den einzelnen Punkten ausführlich Ute Sprenger, Die Heilsversprechen der Gentechnikindustrie – ein Realitäts-Check, Studie im Auftrag des BUND, Dezember 2008.
6 Einen ausgezeichneten Überblick über die jüngsten Entwicklungen bietet die Studie von Christoph Then und Ruth Tippe, Saatgut und Lebensmittel. Zunehmende Monopolisierung durch Patente und Marktkonzentration, April 2009.
7 Gemeinsame Erklärung der Wissenschaftsorganisationen zur Grünen Gentechnik vom 16.4.2009.
8 Vgl. „Forschung in Freiheit und Verantwortung” – Zum Status quo der Forschungsrahmenbedingungen zur Grünen Gentechnik, Memorandum von DLG und DFG-Senatskommission für Stoffe und Ressourcen in der Landwirtschaft, 13.5.2009.
9 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulrike Höfken u.a. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8.5.2009, BT-Drucksache 16/12536.
10 Annette Schavan, Ohne Gentechnik geht es nicht, in: „Financial Times Deutschland“, 18.5.2009.
11 Vgl. www.agassessment.org.
Analysen und Alternativen - Ausgabe 07/2009 - Seite 81 bis 90