Kriegsende ohne Frieden

In Sri Lanka wird militärisch aufgerüstet (in iz3w 314 - Sept.Okt. 2009)

Der blutige Bürgerkrieg in Sri Lanka hinterlässt nach seinem erklärten Ende viele ungelöste Konflikte. Eine umfassende Aufklärung der Kriegsverbrechen, die sowohl auf Seiten der Militärs wie von den Tamil Tigers begangen wurden, ist nicht in Sicht. Statt dessen findet ungebrochen eine weitere Militarisierung der Gesellschaft statt.


 

                Vor zwei Monaten erklärte die Regierung von Sri Lanka den über 30-jährigen Bürgerkrieg für beendet. Die tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) wurden nach monatelangen Luft- und Artillerieangriffen vernichtend geschlagen, ihr Chef Vellupillai Prabhakaran getötet. Es war vor allem die tamilische Zivilbevölkerung, die für diesen Sieg einen hohen Preis bezahlen musste: Mitarbeiter der Vereinten Nationen schätzten, in den ersten vier Monaten des Jahres 2009 habe es 7.000 Tote gegeben. Kurz nach Kriegsende sickerte die Zahl von weiteren 20.000 Toten durch: Von Ende April bis zum Kriegsende am 19. Mai seien jeden Tag 1.000 Zivilisten getötet worden, schrieb die Times unter Berufung auf UN-InformantInnen, Berichte von AugenzeugInnen und Fotos der mit Bombenkratern übersäten Zeltstädte an der Küste. Die Armee hatte dort eine No-Fire-Zone für die Flüchtenden eingerichtet, bombardierte dann aber genau diese Zone immer wieder.

Doch auch die Tamil Tigers begingen Verbrechen an Tamilen. AugenzeugInnen berichteten, dass die Rebellen auf tamilische ZivilistInnen schossen, als sie versuchten, aus dem Kriegsgebiet zu flüchten. Minderjährige wurden für den Kampf zwangsrekrutiert und an der Front verheizt. Die Rebellen beschossen nicht nur die vorrückenden Truppen, sie benutzten auch die tamilische Zivilbevölkerung – die sie eigentlich zu vertreten vorgeben – als menschlicher Schutzschild. Dennoch rechtfertigt dies nicht die Tötung von Tausenden von Zivilisten durch das Militär. Zwischen Januar und Mai wurden Zehntausende Zivilisten regelrecht abgeschlachtet.

Der Einsatz schwerer Waffen in dicht bevölkerten Gebieten ist ein Kriegsverbrechen nach Artikel 3 der Genfer Konvention von 1949. Im Human Rights Council der Vereinten Nationen scheiterte Ende Mai der Versuch, die von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen zu untersuchen. Sri Lanka schmetterte den Vorstoß Europas mit Hilfe starker Verbündeter wie Indien, China und Pakistan ab. Ohne die Aufklärung von Kriegsverbrechen gibt es aber kaum eine stabile Grundlage für ein friedliches Zusammenleben.

 

Im Camp gefangen

                Hinzu kommen Menschenrechtsverletzungen, die im Kontext des Flüchtlingselends begangen werden: Zu den dringendsten Aufgaben gehört die Rücksiedlung der Vertriebenen im Nordosten Sri Lankas. Fast die gesamte Bevölkerung von zwei Distrikten des Landes wurde nach der Flucht aus dem Gebiet der Tamil Tigers in 40 Camps eingesperrt, die von der Armee kontrolliert werden. Die meisten Flüchtlinge sind Fischer und Farmer, die sich noch vor einigen Monaten selbst versorgen konnten – der Krieg hat sie zu Hilfsempfängern gemacht. Die humanitären Verhältnisse für diese 300.000 landesintern vertriebenen Personen (IDPs) sind haarsträubend. Die Versorgung mit Unterkünften, Nahrung und Medikamenten ist unzureichend, oft gibt es nur eine Toilette für 100 Personen. In Zelten, die für fünf Personen ausgelegt sind, müssen 15 Flüchtlinge unterkommen. Viele Kinder sind unterernährt. Hinzu kommen Krankheiten wie Pocken, Leberentzündungen und Durchfall. Allein in der Manik Farm, mit 220.000 Personen das größte IDP-Camp weltweit, sterben laut Informationen von Hilfsorganisationen jede Woche 1.400 Personen an Infektionen.

Die Lagerinsassen sind der Armeewillkür ausgeliefert – insbesondere für Frauen ist die Situation fürchterlich. So verschwinden viele der 14- bis 17-jährigen Mädchen mit LTTE-typischen Kurzhaarschnitten spurlos, berichten srilankische MenschenrechtlerInnen. Andere Quellen berichten von Vergewaltigungen und Prostitutionsringen in den Camps. In einem Fall verschwanden 800 Personen spurlos, nachdem sie in Bussen abtransportiert wurden. Vielen großen Hilfsorganisationen sind diese Fälle bekannt, sie machen sie aber nicht publik, um nicht des Landes verwiesen zu werden.

 

Keine Zugeständnisse

                Was in den Camps passiert, wird im Ausland aufmerksam verfolgt. Die Situation in den Camps gilt als eine Art Gradmesser dafür, wie die Regierung die Minderheiten in Zukunft zu behandeln gedenkt. Die Marginalisierung der Tamilen wurzelt in der britischen Kolonialzeit und entfaltete sich nach der Unabhängigkeit 1948. Obwohl Sri Lanka ein multi-ethnischer Staat ist, wurde dies von der singhalesischen Mehrheit nie anerkannt. So werden Nicht-Singhalesen bis heute bei Ausbildung und Arbeitssuche diskriminiert. Der Status der Tamilen als vollwertige BürgerInnen Sri Lankas bleibt auch nach dem Sieg über die LTTE prekär – sie stehen weiterhin unter Generalverdacht. So finden in bestimmten Stadtteilen der Hauptstadt Colombo wöchentliche Hausdurchsuchungen statt.

Symptomatisch für die andauernde Frontstellung des singhalesisch dominierten Staates gegenüber den Tamilen sind die überall im Land angebrachten Plakate, auf denen der Armee für den Sieg gedankt wird. Erstens sind sie nur in Sinhala, nicht in Tamil verfasst. Zweitens steht darauf nicht etwa, die Bevölkerung des Landes danke den Soldaten, sondern »unsere Rasse« – gemeint sind die Singhalesen. Die Tamilen, also jene Gruppe, von der die Regierung behauptet, sie befreit zu haben, wird hingegen nicht angesprochen.

Die große Frage lautet, welche Politik die srilankische Regierung künftig gegenüber der nichtsinghalesischen Bevölkerung betreiben wird. Präsident Mahinda Rajapakse könnte nun beweisen, dass die Regierung tatsächlich alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen am Staat teilhaben lassen will. Es gibt zwar positive Nachrichten: Anwärter auf den öffentlichen Dienst müssen seit dem 1. Juli sowohl Tamil als auch Sinhala sprechen. Mit konkreten Vorschlägen für eine politische Lösung des ethnischen Konfliktes hält sich die Regierung bisher aber zurück. Präsident Rajapakse möchte darüber erst nach den nächsten Präsidentschaftswahlen nachdenken, die laut Sunday Times im Januar 2010 stattfinden sollen.

Parallel zu der Wahl soll ein Referendum über die Anwendung des 13. Verfassungszusatzes abgehalten werden.1 Mit diesem stark umstrittenen Artikel machte Sri Lanka 1987 erstmals einen Schritt in Richtung Machtteilung. Er sah vor, Provinzräte einzurichten und so die Macht zwischen der Zentralregierung in Colombo und den Provinzen aufzuteilen. Allerdings wandte sich Rajapakse in den letzten Jahren sehr deutlich gegen eine föderale Lösung. Er fühle sich nur der singhalesischen Mehrheit verantwortlich, da sie ihn gewählt habe, sagte er 2007. Er behauptet auch, es gebe in Sri Lanka überhaupt keine Minderheiten, sondern nur Menschen, die das Land lieben und andere, die es verachten.2 Hinzu kommt, dass die Regierung von ihren ultranationalistischen singhalesischen Alliierten unter Druck gesetzt wird: Die buddhistische Mönchspartei Jathika Hela Urumaya (JHU), auf deren neun Parlamentssitze die Regierung angewiesen ist, droht damit, die Regierung zu verlassen, sollten auch nur die geringsten Zugeständnisse an die Tamilen gemacht werden. Die nationalistische Identitätspolitik, die Sri Lanka seit Jahrzehnten ruiniert, zeigt sich auch nach Kriegsende in Höchstform: Die buddhistischen Extremisten denunzieren jede Diskussion über den 13. Verfassungszusatz als feindlichen Übernahmeversuch ausländischer Mächte.

 

Der Krieg im Inneren geht weiter

                Beunruhigend ist außerdem, dass mit dem Ende des Krieges kein Ende der Militarisierung in Sicht ist. Im Gegenteil: Die Armee wird um weitere 100.000 Soldaten auf 300.000 Mann aufgestockt. Damit soll nicht nur jede erneute Aktivität militanter Gruppen im Keim erstickt werden. Vielmehr bekommt das Militär mit dem Sieg über die Tamil Tigers eine immer größere politische Macht. Premierminister Ratnasiri Wickramanayaka kündigte bereits an, die Armee werde eine Schlüsselrolle in der zukünftigen Entwicklung des Landes spielen. Bereits kurz nach Kriegsende schuf Präsident Rajapaksa mit dem Chief of Defence Staff (CDS) einen neuen mächtigen Posten, den Ex-Armeechef Sarath Fonseka einnahm. Bisher wurde nur bekannt, dass er die Aktivitäten aller drei Streitkräfte mit dem Verteidigungsministerium koordinieren soll und unter Verteidigungsstaatssekretär Gotabhaya Rajapakse angesiedelt ist.

Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass die neue weiße Uniform, die für diese Funktion entworfen wurde, stark an die Tracht von General Pinochet in Chile erinnert. Doch die nationale Rechtsanwaltsvereinigung warnte bereits, das Land bewege sich auf eine Diktatur zu.3 Anlass waren Drohungen auf der Website des Verteidigungsministeriums gegen Anwälte, die der Opposition nahe stehen. Nach den Medien könnten Richter und Anwälte nun die nächste Gruppe sein, die von Einschüchterungen und Tötungen heimgesucht wird. Seit der Wahl von Rajapakse im November 2005 wurden allein 16 Journalisten ermordet, elf davon in den letzten zweieinhalb Jahren.4 Unter den Rajapakse-Brüdern herrscht in Sri Lanka eine Kultur der Straflosigkeit – in keinem einzigen Fall wurden die Täter gefasst. Deshalb leben die meisten Medienleute in Angst, erklärt der Bruder des im Januar ermordeten Sunday Leader-Herausgebers Lasantha Wickrematunge. Nun reaktivierte die Regierung auch noch einen Presserat, der die Justiz anweisen kann, Journalisten ins Gefängnis zu werfen. Sogar ein Astrologe wurde verhaftet, weil er vorausgesehen hatte, dass Rajapakse im September die Macht verliert.

 

Anmerkungen

 

                1              Sri Lanka, Thirteenth Amendment to the Constitution, 1987, in: http://tinyurl.com/mmatjf

 

                2              Interview Präsident Rajapakse, I want to re-settle these people as soon as possible: Rajapaksa, in: The Hindu vom 6. Juli 2009

 

                3              Perera, Yohan, National Lawyers Association to oppose reactivation of Press Council, in: Daily Mirror vom 6. Juli 2009, auch in:

                               http://tinyurl.com/n3dugx

 

                4              Statement by Sonali Samarasinghe Wickematunge, 2009 UNESCO WORLD PRESS FREEDOM LAUREATE, 6. Mai 2009. http://tinyurl.com/mq48vq

 

 

                Fabian Kröger ist Kultur- und Politikwissenschaftler und lebt in Paris. http://www.fabiankroeger.de