Das Klima als das neue Allgemeine

Editorial - Das Argument 283 "Klimapolitik / Krisenantworten 1929/30" (5/2009), S. 713ff

Umwelt- und Finanzkrise sind das neue negative Allgemeine, an dem sich die Handlungsfähigkeit der Politik entscheidet. „Wir tun alles für einen Kopenhagen-Erfolg", versprach kürzlich der amerikanische Präsident vor der UN-Vollversammlung (FAZ, 22.9.2009). Komme es im Dezember zu keinem neuen Klimaabkommen, sei das „moralisch unverzeihlich, wirtschaftlich kurzsichtig und politisch unklug", warnte der UN-Generalsekretär bei derselben Veranstaltung. Gleich drei Großmächte ideologischer Vergesellschaftung werden beschworen. Die Moral, die sich an die einzelnen wendet und sie auffordert, ein gutes Subjekt zu werden, das sich angesichts der drohenden Klimakatastrophe ›seiner Verantwortung bewusst‹ ist; die Wirtschaft, die zwar, solange in kapitalistischer Formbestimmtheit befangen, noch stets den raschen Profit im kurzsichtigen Auge hatte, der jedoch nun, da immer mehr Eis sich in Wasser verwandelt, der Sprung in die Nachhaltigkeit zugetraut wird; die Politik, deren Klugheit ab sofort daran zu messen ist, ob sie die vielfach gespaltene Weltgesellschaft im Zeichen eines neuen Gemeinsamen zu integrieren vermag. Das Klima als global zu schützendes Gemeingut, das buchstäblich alle betrifft, ist das ideale Medium, in dem die Weltgesellschaft sich als ein neues Gemeinwesen konstruieren lässt, seit Obamas Machtantritt überdies begleitet von der reaktivierten Vision einer atomwaffenfreien Welt.

Nach zwei Jahrzehnten ›neuer Kriege‹, inmitten eines ›Krieges gegen den Terror‹, der mit kriegerischen Mitteln nicht zu gewinnen ist, angesichts eines Finanzsystems, das seiner ›Systemrelevanz‹ wegen von der ›Gemeinschaft‹ um jeden Preis gerettet werden musste, jetzt aber, bei den ersten Anzeichen der Besserung, sofort wieder auf seine ›Unabhängigkeit‹ pocht und die Produktion des Reichtums, der für die übergroße Mehrheit Armut bedeutet, erneut nach Belieben dirigieren will - in diesem Szenario bezieht das Klima die Position des umsorgten Kranken, der den politischen und ökonomischen Eliten die willkommene Gelegenheit verschafft, gütig zu sein. „Konkrete Beschlüsse wurden ... nicht gefasst", heißt es wenig überraschend von der erwähnten UN-Veranstaltung. Doch Kopenhagen kommt erst noch, und der Finanzgipfel von Pittsburgh, bei dem sich die Vertreter der „G20" bereits als „künftige Weltregierung" (FAZ, 26.9.2009) vorgestellt haben, beschloss schärfere Eigenkapitalvorschriften und Beschränkungen für Gehälter von Bankmanagern. Ob das große Wort von der neuen Finanzarchitektur durch solche Maßnahmen gerechtfertigt ist, darf bezweifelt werden. Doch geht es nicht nur um Kosmetik. Wo im Namen eines neuen Allgemeinen agiert wird, bieten sich auch für alternative Politik Gelegenheiten, im Namen desselben Allgemeinen weitertreibende Vorschläge zu machen.

Weiß gestrichene Dächer, helle Straßenbeläge und weiß lackierte Autos - was wie ein Scherz anmutet, ist eine ernst gemeinte Klimaschutz-Maßnahme von US-Energieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu, die sich zunutze machen will, dass helle Oberflächen mehr Sonnenstrahlung in den Weltraum zurückreflektieren als dunkle und somit eine abkühlende Wirkung haben. In die gleiche Richtung weist die immer länger werdende Liste von sog. Geoengineering-Optionen zur Vermeidung von weiterem Klimawandel. Diskutiert werden etwa verschiedene Verfahren zum Auswaschen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. So soll die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) in zehn Jahren ermöglichen, das bei der Verbrennung von Kohle entstehende CO2 direkt im Kraftwerk abzuscheiden und in flüssiger Form in geologische Formationen zu verpressen - und damit den reibungslosen Weiterverbrauch von dann als ›sauber‹ deklarierter Kohle erlauben. Erste experimentelle Ergebnisse liegen zu der Idee vor, Ozeane als Bioreaktoren zu betreiben, in denen durch Eisendüngung das Algenwachstum angeregt und dadurch atmosphärisches CO2 gebunden wird. Solche Vorschläge veranlassten die ETC Group, eine kanadische NGO, kürzlich zu einer Satire, in der sie vorschlug, doch einfach die Erdumlaufbahn um ein paar tausend Kilometer von der Sonne wegzuverlagern, was mithilfe von 240 Spaceshuttles oder dem Rückstoß von 15 großen Wasserstoffbomben problemlos zu erreichen sei. Die meist großtechnischen Geoengineering-Ansätze haben vor allem eines gemeinsam: sie zielen darauf ab, nichts an der Art und Weise des Produzierens und Konsumierens zu verändern. Anstatt die Erzeugung von Treibhausgasen zu verhindern, versuchen sie, diese nach der Freisetzung wieder einzufangen oder die Strahlungsbilanz der Erde und damit das Klima schlichtweg dadurch zu justieren, dass die Reflexionseigenschaften von Erdoberfläche und Atmosphäre modifiziert werden.

In der Tat steigen die globalen Treibhausgasemissionen dramatisch und beschleunigt weiter an - allen Bemühungen um Klimaschutz zum Trotz. Zudem wird immer klarer, dass der sog. Weltklimarat (IPCC) den zukünftigen Klimawandel in seinen Sachstandsberichten bislang unterschätzt hat. So ist neueren Forschungen zufolge, bei weiter ungebremsten Emissionen, bis 2100 mit einem Meeresspiegelanstieg von bis zu knapp zwei Metern zu rechnen - was Milliarden Menschen in den Küstengebieten, v.a. in ärmeren Regionen, bedrohen und viele Inseln verschwinden lassen würde. Gleichzeitig machen neue Studien zu den sog. Kippelementen im globalen Klimasystem deutlich, dass selbst beim derzeit (noch) angestrebten Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, irreversible Prozesse wie z.B. das vollständige Abschmelzen des Grönlandeisschilds in Gang gesetzt werden können.

Ob Geoengineering auch nur ein Teil des Auswegs aus dieser ausweglos scheinenden Situation sein kann, ist fraglich. Bei CCS etwa ist unklar, ob es jemals großtechnisch einsatzfähig wird, wie schnell das verpresste CO2 wieder an die Erdoberfläche treten würde, wie sehr das Verpressen den Untergrund destabilisieren würde - und außerdem zeichnet sich ab, dass das potenzielle Speichervolumen in vielen Regionen der Erde allenfalls für wenige Jahrzehnte reichen würde. Viele der Risiken wären zudem räumlich und sozial ungleich verteilt - entsprechend der vielfach gewonnenen Einsicht, dass nicht nur die Auswirkungen ökologischer Probleme, sondern auch die Strategien zu ihrer Lösung bestehende soziale Ungleichheiten oftmals weiter verschärfen. Darüber hinaus kann derzeit leicht in Vergessenheit geraten, dass Klimawandel nur eine von vielen Dimensionen der im globalen Maßstab krisenhaften Naturverhältnisse ist. So drängt sich die Frage auf, ob die ökologische Problematik innerhalb einer auf Wachstum und Profit festgelegten Produktionsweise überhaupt lösbar ist. Eine enge Beschränkung auf Lösungen der Klimaproblematik greift jedenfalls zu kurz, zumal wenn diese die gesamte Produktionsweise unangetastet lassen, denn selbst wenn ›Klima-Pflaster‹ gefunden würden, blieben die anderen ökologischen Probleme weiterhin virulent.

Welche Pfade hat die internationale Klimapolitik bislang eingeschlagen? Das 2005 in Kraft getretene Kyoto-Protokoll beinhaltet im Wesentlichen moderate Reduktionsverpflichtungen ausschließlich für die Industrieländer. Um diese zu erreichen, setzt es hauptsächlich auf neue Technologien und Marktmechanismen wie den Emissionshandel, dessen Ausgestaltung zudem durch eine sehr weitgehende Verrechenbarkeit von Emissionen verschiedener Industrien, Treibhausgase und Länder gekennzeichnet ist. Da das Kyoto-Protokoll 2012 ausläuft, soll auf der bevorstehenden Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009, der mittlerweile fünfzehnten Vertragsstaatenkonferenz innerhalb der UN-Klimarahmenkonvention von 1992, ein Nachfolgeabkommen ausgehandelt werden. In erster Linie geht es dabei um neue Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer, aber vermutlich erstmals auch für einige Länder des globalen Südens, ferner um die Bereitstellung von Geldern zur Anpassung an den Klimawandel, Technologietransfer und die Integration der Entwaldung in den Emissionshandel. Es ist zu befürchten, dass ein Nachfolgeabkommen weiterhin auf Marktmechanismen setzt und die negative Inwertsetzung von Emissionen weiter ausweitet, so dass z.B. statt der Reduktion industrieller Emissionen auch eine Verhinderung weiterer Entwaldung erlaubt wäre - anstatt separate Regelungen für beides zu schaffen. Ebenso drohen die Ersetzung von Kohle- durch Kernenergie und sukzessive auch verschiedene Geoengineering-Optionen als äquivalente Klimaschutz-Maßnahmen erlaubt und anrechenbar zu werden. Das wäre fatal.

Dagegen formiert sich aber auch Widerstand, u.a. in den aufkommenden Bewegungen für Klimagerechtigkeit. Nötig ist zunächst einmal eine Ausweitung der Debatte in den internationalen Klimaverhandlungen, weg von der Fokussierung auf technologische Pseudolösungen und Marktmechanismen beim Klimaschutz. Gesucht sind stattdessen klimapolitische Maßnahmen, die als „radikale Reformen" mit systemtranszendierendem Potenzial wirken können und auf Gleichheit und Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaften sowie zwischen Nord und Süd orientieren. Hilfreich sind dabei Überlegungen zur Wechselwirkung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Sicherlich ermöglichen dezentrale erneuerbare Energien andere Formen der gesellschaftlichen Kontrolle und Eigentumsverhältnisse als Weltraumspiegel zur Abwehr von Sonnenstrahlung. Umgekehrt sind Elemente der gesellschaftlichen Planung der Produktion für eine effektive und gerechte Klimapolitik unentbehrlich. Es müssen z.B. Wege gesucht und gefunden werden, die eine schrittweise Konversion einzelner emissionsintensiver Produktionszweige unter Beteiligung der Produzierenden ermöglichen. Dabei könnte u.a. an die deutschen Diskussionen zum Grünen New Deal von vor 20 Jahren angeknüpft werden, die damals v.a. von linken Grünen geführt wurden, als sich hinter demselben Label weitaus radikalere Ansätze verbargen.