Chefdiplomat versus Missionarin

Die Frage, ob die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), einen Sitz im Stiftungsrat des „Zentrums gegen Vertreibung“ einnehmen soll, spaltet die politische Landschaft. Die von der SPD beantragte Aktuelle Stunde des Bundestages am 26. November 2009 machte dies erneut deutlich. Auch die neue Bundesregierung ist in dieser Frage gespalten. Die erste Reise führte den neuen Außenminister nach Warschau. Dort versicherte Guido Westerwelle den Polen, das künftige Vertriebenenzentrum werde ein Projekt sein, „das unsere Länder zueinanderbringt“, und einen Beitrag zur Versöhnung leisten. Die Bundesregierung werde „alles unterlassen, was diesem Gedanken entgegensteht“. Indirekt hatte er damit ein Veto gegen die Nominierung der Vertriebenen-Präsidentin für den Stiftungsrat des „Zentrums gegen Vertreibung“ angekündigt. Der BdV hatte im Frühjahr 2009 einen Sitz im Stiftungsrat nicht besetzt, in der Hoffnung, Frau Steinbach könne diesen nach einem Regierungswechsel geräuschlos einnehmen. Westerwelles Position wurde im Bundestag durch Exaußenminister Steinmeier ausdrücklich unterstützt. Eine Berufung Steinbachs sei „ein zu hoher Preis“, da diese zu einer Eintrübung des deutsch-polnischen Verhältnisses führen würde. Ähnlich argumentierten auch die Redner der FDP, SPD, Linken und Grünen. Die Kanzlerin schweigt dazu eisern. Nominelle Solidarität übt die CDU mit ihrer Parteikollegin. Aber deren Sprecher wirken verunsichert. Völlig hysterisch hingegen reagiert die CSU; was kein Wunder ist, denn die Vertriebenen gehören zu ihrer treuesten Wählerklientel. Diese eigentümliche Gemengelage lässt viele Fragen aufkommen: Wie konnte eigentlich so eine marginale Personalie ins Zentrum der deutschen Politik geraten? Warum legen sich manche politische Kräfte in dieser Sache so ins Zeug? Was steckt eigentlich dahinter? Das Ganze ist natürlich nicht nur eine Causa Steinbach. Es geht um die Machtbalance in der neuen Bundesregierung, Abteilung Außenpolitik. Die FDP war gut genug, wieder eine „bürgerliche“ Regierung an die Macht zu bringen. Ihr „die Außenpolitik“ zu überlassen will die Union auf jeden Fall verhindern. Wer erinnert sich noch an den letzten Außenminister mit CDU-Parteibuch? Der Mann hieß Gerhard Schröder und leitete das AA zwischen 1961 und 1966. Personell soll mit der Steinbach-Affäre gegen Guido Westerwelle verhindert werden, dass dieser, falls er sich als lern- und durchsetzungsfähig erweist, in die Fußstapfen von Hans-Dietrich Genscher treten könnte. Dann wäre das Amt und dessen Glanz wieder für Jahre für die Union verloren. Ein schwacher Außenminister wäre daher willkommen; der kann jederzeit gestürzt werden. Es geht aber auch um Inhalte. So um den künftigen Führungsstil der Deutschen in Europa, der sich auch an der Art und Weise des Umgangs mit den mittelosteuropäischen Nachbarn zeigt. Frau Steinbach wiederum verkörpert einen recht eigenartigen Politikstil. Sie betreibt Versöhnung als missionarischen Egotrip. Die Befindlichkeit derjenigen, mit denen man sich „versöhnen“ will, sind ihr schnuppe. Aber noch wichtiger ist, dass sie – wie kaum eine andere – den „modernen“ geschichtspolitischen Revisionismus repräsentiert, mit dem unter der Hand das 20. Jahrhundert aus dem Zeitalter der Totalitarismen zu einer Ära der Vertreibungen gemacht werden soll. Nicht der Zivilisationsbruch des nationalsozialitischen Deutschlands soll aufgearbeitet werden, sondern „Vertreibervölker“ sollen an den Pranger gestellt werden. Nun kann man Deutschland da ja leider nicht ganz weglassen, aber nach dem Motto „Wir haben ja alle Dreck am Stecken“ werden die Ursachen der Vertreibungen wegrelativiert. Hier findet sich eine zweite Ursache für den Stellenwert der ganzen Angelegenheit. Helmut Kohl hatte bei seinem Regierungsantritt eine „geistig-moralische Wende“ angekündigt. Taten sind kaum gefolgt. Die „modernen“ Konservativen machen es umgekehrt. Sie rammen neue Pflöcke ein und dies ohne großes Getöse.
Wie die Sache ausgehen wird, ist ungewiss. Außenminister Westerwelle kann Frau Steinbach nicht mehr für den Stiftungsrat akzeptieren, ohne sein Gesicht zu verlieren. Er wird daher ein
Veto gegen diese Personalie einlegen. Dann könnte Plan B in Kraft treten. Der BdV steigt mit einem Aufschrei der Entrüstung aus dem Berliner Zentrumsprojekt aus. Mit Bayern und einigen anderen konservativ regierten Bundesländern strebt man dann ein „eigenes“ Zentrum gegen Vertreibungen an. Das jedoch wäre der deutsch-polnischen Aussöhnung noch weniger zuträglich.