Reform des Strafvollzugs in Hamburg

Rollback nur zum Teil gestoppt

in (20.04.2010)

Im Juli 2009 hat die Hamburgische Bürgerschaft mit dem Gesetz zur Überarbeitung des Hamburgischen Strafvollzugsrechts und zum Erlass eines Jugendstrafvollzugsgesetzes einige der gröbsten vollzugspolitischen Fehler der vorangegangenen Legislatur beseitigt.

Gemessen an den Errungenschaften des Bundesstrafvollzugsgesetzes und an internationalen Standards wie beispielsweise den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Europarates lässt die Reform allerdings zu wünschen übrig.

Rückblick auf das vollzugspolitische Desaster

Bis zum Jahr 2001 galt der Hamburger Strafvollzug innerhalb der Bundesrepublik als vergleichsweise liberal. Mit dem Amtsantritt von Justizsenator Kusch (CDU) am 31. Oktober 2001 änderten sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend. Unter seiner Führung kam es zu einer beispiellosen Zerschlagung von Einrichtungen und Projekten im Strafvollzug, die zuvor dazu beigetragen hatten, einen menschenwürdigen Vollzugsalltag zu gewährleisten und das Ziel der Resozialisierung umzusetzen.[1]

Gleich zu Beginn der Amtszeit wurden alle Spritzenautomaten in Hamburger Haftanstalten abgebaut und die Ausgabe von sterilen Spritzen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Vollzugsanstalt eingestellt. Die vom Vorgängersenat mit 382 Plätzen im offenen Vollzug konzipierte Justizvollzugsanstalt Billwerder wurde in eine Anstalt des geschlossenen Vollzuges mit 803 Haftplätzen umfunktioniert. Die erfolgreiche Einrichtung der Sozialtherapie in Altengamme sowie die Übergangsanstalt Moritz-Liepmann-Haus 45 wurden geschlossen. Auch die Anzahl der genehmigten Vollzugslockerungen spiegelt die repressive Trendwende sehr deutlich wieder. So verringerte sich die Anzahl der genehmigten Vollzugslockerungen seit 2001 stetig. Während beispielsweise im Jahr 2001 noch 22.387 Ausgänge genehmigt wurden[2], lag die Anzahl im Jahr 2007 bei gerade einmal 9.692 genehmigten Ausgängen[3]. Das ist ein Rückgang um rund 56 %.

Einen Tiefpunkt erreichte die Demontage eines am Resozialisierungsgedanken orientierten Strafvollzugs am 1. Januar 2008 mit Inkrafttreten des Hamburgischen Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung.[4] Möglich wurde der Erlass eines Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes durch die Föderalismusreform aus dem Jahr 2006. Die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug, die bis dahin beim Bund gelegen hatte wurde zur Zuständigkeit der Länder. Diese Chance nutzte die CDU Regierung in Hamburg: Mit der Neuregelung fanden viele der zuvor durch Umstrukturierung und Änderung der Verwaltungspraxis eingeleiteten  Verschärfungen des Strafvollzugs nun eine gesetzliche Verankerung. Die Bedingungen der Haft wurden verschärft beispielsweise durch die Bestimmung des geschlossenen Vollzugs als Regelvollzug sowie der Verankerung einer Mitwirkungspflicht, die durch Versagung von Vollzugslockerungen auch sanktioniert werden kann.

Beseitigung der gröbsten Fehler

Mit dem Amtsantritt von Till Steffen, Grüne Alternative Liste (GAL), als neuem Justizsenator ist glücklicherweise eine gewisse Sachlichkeit in die Debatte um den Strafvollzug zurückgekehrt. Die GAL hat sich insoweit durchsetzen können, als im Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbart wurde, dass der Strafvollzug reformiert wird. Gleichzeitig wurden organisatorische Reformen auf den Weg gebracht. Beispielsweise wurde die Sozialtherapie in der JVA Fuhlsbüttel wieder eine eigenständige Anstalt. Auch hat der Justizsenator angekündigt, dass Moritz-Liepmann Haus wieder zu öffnen.

Mit dem nun beschlossenen Strafvollzugsgesetz werden wichtige Kritikpunkte des Vorgängergesetzes behoben. Die vielfach kritisierte Regelung des Erwachsenen- und des Jugendstrafvollzugs in einem Gesetz wurde aufgehoben und ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz erlassen. Damit wird den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts[5] - für den Jugendstrafvollzug Regeln zu schaffen, die den besonderen Anforderungen des Jugendstrafvollzugs Rechnung tragen - entsprochen. 

Begrüßenswert ist ferner die Abschaffung des geschlossenen Vollzuges als Regelvollzug. Bietet doch der offene Vollzug erheblich mehr Möglichkeiten für Gefangene, ihr Leben eigenständig und verantwortlich zu gestalten, den schädlichen Folgen der totalen Institution Gefängnis entgegenzuwirken und sie auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Erfreulich ist außerdem die Regelung zur Freistellung von der Haft in Todesnähe[6]. Nach der Neuregelung können todkranke Gefangene bis zur Entscheidung über einen Strafausstand von der Haft freigestellt werden. Die Vorschrift reagiert insofern auf das Problem als strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen über einen Strafausstand nicht immer rechtzeitig ergehen, die Gefangenen aber einen aus Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz folgendes Recht auf Sterben in Würde haben.

Schließlich ist hervorzuheben, dass das neue Jugendstrafvollzugsgesetz in § 34 ausdrücklich ein Recht der Gefangenen auf schulische und berufliche Ausbildung sowie Arbeit normiert. Hingegen fehlt ein Anspruch auf Arbeit im Erwachsenenstrafvollzug. Auch wird in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf zu Recht kritisiert, dass die Begründung zu § 34 des Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzentwurfs geradezu selbst entlarvend sei, da ihr zu entnehmen ist, dass ansonsten von Anspruchsregelungen abgesehen wird, um den Justizhaushalt „nicht zu überfordern" und bei den Gefangenen „kein falsches Anspruchsdenken" zu erzeugen.[7]

Erwartungen enttäuscht

Allerdings bleibt die Reform an vielen Stellen hinter den Erwartungen auf humane, visionäre Regelungen für den Strafvollzug zurück.Problematisch bleibt beispielsweise die Formulierung der Vollzugsziele in § 2 HmbStVollzG. Zwar wurde das Vollzugsziel der Resozialisierung aufgewertet und die problematische Relativierung des Vorgängergesetzes abgeschwächt. Gleichwohl ist die Formulierung missglückt, da sie den Resozialisierungsauftrag und die Aufgabe, die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen gleichrangig nebeneinander stellt. Damit bleibt die getroffene Neuregelung hinter den bereits erreichten Standards der Vorgängerregelung des Bundesstrafvollzugsgesetzes zurück. Die Rangstellung von Ziel und Aufgaben des Vollzuges ist von großer Bedeutung, da immer wieder der Schutz der Allgemeinheit als Begründung dafür herangezogen wird, den verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch des einzelnen Gefangenen auf Resozialisierung auszuhöhlen. Bei Zielkonflikten, die im Vollzugsalltag regelmäßig auftreten, besteht immer die Gefahr, dass sich der traditionell übermächtige Sicherheitsgedanke „quasi-automatisch" durchsetzt. Daher ist es notwendig den Vorrang des Resozialisierungsziels im Gesetz deutlich zu machen. Nur so kann sichergestellt werden, dass „im Rahmen einer verantwortlichen Interessenabwägung im Zweifelsfall, auch unter Inkaufnahme von Risiken, die mit dem Resozialisierungsvollzug notwendig verbunden sind, dem Prinzip der sozialen Integration und damit dem Prinzip der Eröffnung von Freiheitsspielräumen zur Einübung sozialer Verantwortung der Vorrang gebühren."[8]

Scharf zu kritisieren ist das Festhalten an einer sanktionierbaren Mitwirkungspflicht der Gefangenen sowohl im Erwachsenen- als auch im Jugendstrafvollzugsgesetz. Nach § 5 sind die Gefangenen verpflichtet, an der Gestaltung ihrer Behandlung und an der Erfüllung des Vollzugsziels mitzuwirken. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, so können nach § 12 Absatz 2 Vollzugslockerungen, also beispielsweise Ausgänge oder Ausführungen, versagt werden. Das Normieren einer Mitwirkungspflicht von Gefangenen am Strafvollzug ist unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht tragbar. Der/die Gefangene bleibt auch im Gefängnis ein/e Bürger/in mit Grundrechten und darf nicht bloßes Objekt von Vollzugsmaßnahmen werden. Auch in einem behandlungsorientierten Vollzug besteht die Gefahr, dass die notwendige Betreuung des/r Gefangenen, Züge einer autoritären Leistungsverwaltung annimmt und die Gefangenen durch Auferlegung von Mitwirkungspflichten daran gehindert werden, gegenläufige Vorstellungen und Erwartungen zu artikulieren und durchzusetzen. Zwar ist die aktive Partizipation wesentliche Bedingung für ein Gelingen des Vollzugsprozesses. Sie kann und darf jedoch nicht erzwungen werden.

Soziale und materielle Exklusion

Ein gravierendes Versäumnis der Reform ist, dass die Entlohnung für Gefangene nicht erhöht wurde und keine Maßnahmen zur Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung ergriffen wurden. Gefangene verdienen derzeit 9 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße, das entspricht in etwa 1,50 € pro Stunde. Solche Dumpinglöhne tragen nicht dazu bei, dass Gefangene Wertschätzung aufgrund ihrer Tätigkeit erfahren. Zudem zieht die geringe Entlohnung Folgeprobleme nach sich: Gefangene sind während der Haft nicht in der Lage Familienangehörige finanziell zu unterstützen. Schulden können nicht abgetragen werden[9] und stellen nach Haftende ein großes Problem für die Integration in die Gesellschaft dar. Bereits seit vielen Jahren gibt es Vorschläge für eine Verbesserung der Entlohnung. Der Alternativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes  von 1973 sieht in § 87 eine tarifmäßige Entlohnung vor.[10] Ein in der siebten Wahlperiode des Bundestages eingesetzter Sonderausschuss für die Strafrechtsreform empfahl die Bemessungsgrundlage für das Arbeitsentgelt von Gefangenen auf 40 Prozent der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße anzuheben. Auch das alte Strafvollzugsgesetz des Bundes sah in § 200 Absatz 2 die Erhöhung des Arbeitsentgelts bis zum 31. Dezember1980 vor. Es kam jedoch  zu keiner Erhöhung, weil der Bundesrat dem Gesetz aus fiskalischen Gründen nicht zustimmte.[11]

Nach Auskunft des Senats würde die Anhebung des Arbeitsentgelts auf 40 Prozent der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße circa zehn Millionen Euro pro Jahr kosten.[12] Angesichts der Milliarden, die zur Rettung der HSH Nordbank ausgegeben werden, oder der Millionen, die ohne mit der Wimper zu zucken für das Leuchtturmprojekt Elbphilarmonie locker gemacht werden, ist es gerade zu zynisch, Gefangene weiterhin mit Dumpinglöhnen abzuspeisen.

Ebenso wie die Anhebung der Entlohnung ist die Einbeziehung von Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung ein nicht eingelöstes Versprechen seitens der Politik. Sie ist dringend notwendig, um der sozialen Exklusion von Gefangenen zum Beispiel in Form von Altersarmut entgegenzuwirken. Anders als für die Anhebung des Arbeitsentgelts erfordert die Einbeziehung in die Sozialversicherung eine bundesrechtliche Regelung. Nach Auskunft der Bundesregierung scheitert eine solche Gesetzesinitiative derzeit jedoch nicht am mangelnden Willen der Bundesregierung, sondern am Widerstand der Länder, die nach Einschätzung der Bundesregierung nicht Willens sind die Kosten der Einbeziehung zu tragen.[13] Dies bestätigend ist die Problematik der Einbeziehung von Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung für den Hamburger Senat kein Thema.[14]

Die Liste der verpassten Chancen der Reform lässt sich problemlos weiter fortsetzen. Eine wichtige nicht erfüllte Forderung ist die Einrichtung einer unabhängigen Inspektions- und Beschwerdeinstanz für Gefangene. Auch der Wunsch der Gefangenen wieder Nahrungsmittelpakete Empfangen zu dürfen wurde lediglich für den Jugendstrafvollzug berücksichtigt.

Wegsperren löst keine Probleme

Ein weiteres großes Problem sind die langen Einschlusszeiten. Nicht arbeitende Gefangene sind von 24 Stunden vielfach 20 Stunden auf ihren Zellen eingeschlossen. Für arbeitende Gefangene reduzieren sich die Einschlusszeiten zwar auf rund 12 ½ Stunden pro Arbeitstag. An den Wochenenden sind aber auch für sie die Einschlusszeiten länger.[15] Wenn der Staat sich schon dafür entscheidet, straffällig gewordene Menschen ihrer Freiheit zu berauben, dann kann es nicht damit getan sein, diese Menschen wegzuschließen. Denn durch einsames Brüten in kleinen Zellen werden sich die Probleme, die zur Straffälligkeit geführt haben, nicht lösen.

Damit Inhaftierte im Justizvollzug eine wirkliche Chance bekommen, ist es vielmehr notwendig, den Strafcharakter auf den Entzug der Freiheit zu beschränken. Dafür bräuchte es grundlegende Veränderungen. Es wäre z.B. sinnvoll, im gesamten Vollzug Wohngruppen von nicht mehr als zwölf Personen zu etablieren. Ein wesentlich verbesserter Betreuungsschlüssel müsste gewährleistet sein, damit die Gefangenen auch tatsächlich AnsprechpartnerInnen haben. Ein weiterer zentraler Punkt besteht darin, ein vielfältiges Arbeits-, Bildungs- und Therapieangebot zu schaffen. Nur wenn der Vollzug so  gestaltet wird, dass die Inhaftierten menschenwürdig behandelt werden, Wertschätzung erfahren und dazu befähigt werden, Perspektiven für sich zu entwickeln, werden sie es schaffen, nach der Haftentlassung nicht wieder straffällig zu werden. Neben der Verbesserung der Bedingungen des Justizvollzuges darf die Frage nach alternativen Strategien im Umgang mit Kriminalität nicht aus den Augen verloren werden. Wichtige Ansätze bestehen hier zum einen in einer Entkriminalisierung beispielsweise durch Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafe oder den Betäubungsmitteldelikten. Auch lohnt eine Auseinandersetzung mit alternativen Formen der Konfliktbewältigung wie beispielsweise den restorative justice Programmen[16].

 

Lena Dammann ist juristische Fachreferentin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft.

 

Weiterführende Literatur:

http://www.strafvollzugsarchiv.de/



[1] Vgl. hierzu ausführlich Dervishaj, Petra, Am Ende steht der Verwahrvollzug, Forum Recht (FoR) 2005, 84 ff.

[2] Kleine Anfrage, Bürgerschaftsdrucksache der Freien und Hansestadt Hamburg (Bü-Drs.) 18/4826.

[3] Kleine Anfrage Bü-Drs. 19/1714.

[4] HmbGVBl. 2007, S. 471, vgl. zur Begründung des Gesetzentwurfs Bü-Drs. 18/6490.

[5] BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, 2095.

[6] Vgl. § 64 HmbStVollzG.

[7] Dünkel, Frieder / Kühl, Johannes, Neuregelung des Strafvollzugs in Hamburg - Anmerkungen zu den Entwürfen eines Hamburger Strafvollzugs- und Jugendstrafvollzugsgesetzes vom 10.3.2009, Rechtsausschuss Nr. 19/8, Anlage 2.

[8] Calliess / Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Auflage, § 2 Rn. 4.

[9] Vgl. zur Problematik der Schuldenregulierung Scheer, Ralph Horst, Sträfliche vernachlässigt, Schuldenregulierung im Strafvollzug, FoR 2006, 84 f.

[10] Baumann, Jürgen, Brauneck Anne-Eva et. al. Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, 1973.

[11] Calliess, Rolf-Peter, Die Neuregelung des Arbeitsentgelts im Strafvollzug - Zum Fünften Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes, NJW 2001, 1692 ff.

[12] Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Bü-Drs. 19/2073, S. 34.

[13] Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage BT-Drs. 16/11362.

[14] Schriftliche Kleine Anfrage Bü-Drs. 19/3659.

[15] Bü-Drs. 19/2073, S. 6 ff.

[16] Vgl. http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Restorative_Justice.