Alles easy

Die der Generation Praktikum entflohenen Männer inszenieren sich

„Heim- und Netzwerkerei stehlen dir deine schöne Zeit“, singt die Diskurs-Rockband Tocotronic auf ihrem aktuellen Album. Das Lied heißt „Mach es nicht selbst“. Auch das jüngste Buch von Holm Friebe mit dem Titel „Marke Eigenbau“ erzählt vom Trend zum Selbermachen, verteidigt hingegen die veränderten Konsumverhältnisse im Kapitalismus mit dem Lob des Individuellen. Dieses besagt: Wer sein Hobby dem Geschmack der „Bobos“ (Bourgeoisie bohémien) oder „Lohas“ („Lifestyle of Health and Sustainability“) anzupassen bereit ist, entkommt prekären Arbeitsverhältnissen.
Nun ist das Problem nicht, dass manche gerne basteln und bestenfalls sogar durch den Verkauf ihrer selbst gemachten Objekte Geld verdienen. Vielmehr werden in der Debatte über eine neue Generation, die via Facebook und iPhone immer in Rufweite ist, Selbstständigkeit und Entgrenzung als vorbildhafter Lifestyle verhandelt.
Holm Friebe ist auch Mitautor des vor drei Jahren viel diskutierten Buches „Wir nennen es Arbeit“, das er zusammen mit Chefblogger und Vodafone-Maskottchen Sascha Lobo geschrieben hat. Lobo hat Prokrastinieren, also zwanghaftes Aufschieben, zum coolen Lebensstil erklärt. Er verdient ziemlich viel Geld mit fleißigem Twittern und Nichts-auf-die-Reihe-bekommen.
All diese Bücher haben gemeinsam, dass sie von einem intellektuellen und progressiven Mythos umweht werden. Friebe, der bei der spaßigen Kreativfirma „Zentrale Intelligenz Agentur“ (ZIA) arbeitet, erklärt seit Jahren in Inter-views, was die „digitale Bohème“ ist und wie wir uns sein und das Leben seiner Freund_innen bzw Kolleg_innen (die Trennung verschwimmt) vorstellen müssen: ohne die Zwänge des Angestellten-Status, projektbasiert und unabhängig. Das klingt dann etwa so: „Wir entwickeln aus intellektuellen Obsessionen geschmeidige Kulturformate.“ Bei der ZIA gibt es neben inoffiziellen Mitarbeiter_innen zehn Agenten, wie bei James Bond allesamt Männer. Eine Ausnahme bildet die Autorin Kathrin Passig, ehemalige Geschäftsführerin der ZIA und Bachmann-Preisträgerin (siehe Interview in an.schläge 2/09).
Seit manche nicht mehr hinterherkommen mit dem Web 2.0, sitzen nun plötzlich überall Experten der modernen Zeit – keine Soziolog_innen, sondern der Generation Praktikum gerade noch entflohene Männer, die sich Berufe ausgedacht haben (während sich Frauen nach wie vor um das Vereinbarkeitsmanagement in der Familie kümmern). Das ist an sich nicht neu, nimmt aber in letzter Zeit neue Formen an. Angefeuert von Tobias Rapps Buch „Easyjetset“ und Helene Hegemanns Skandalroman „Axolotl Roadkill“ wird zum Beispiel ein Berliner Club zum Expert_innen-Thema – eine Mode, die in den 1990er Jahren mit dem Hedonisten-Manifest „Tristesse Royale“ (herausgegeben von Joachim Bessing) begann. Ein anderer Mythenmacher ist Alexander von Schönburg, dessen Beruf es ist, dem Adel aus dem Nähkästchen zu plaudern. Er schilderte, „wie man gut gelaunt mit dem Rauchen aufhört“ und stilvoll verarmt. Sein letztes Werk: „Lexikon der überflüssigen Dinge“. Vielleicht steht darin auch das „Powerpoint Karaoke“, ein Event der ZIA.
Die Situation des akademischen Prekariats wird entdramatisiert, indem die Selbstbestimmtheit abgefeiert wird. Wir sollen vergessen, dass die Vermarktung des Hobbys Kapitalismus im Privatesten bedeutet und das Auskommen trotz allem mager bleibt. Wie die Balance zwischen Arbeiten für Geld und Selbstverwirklichung funktionieren soll, leben die Mythenmacher vor: Als ob alle so arbeiten wollen würden, inszeniert die Elite der Projektarbeiter_innen sich und ihre scheinbare Selbstbestimmung als neue Klasse. Sie scheinen dem Kapitalismus ein Schnippchen zu schlagen und zeigen denen, die tatsächlich in Praktika festhängen, dass sie einfach nur noch innovativer sein müssten.
Bei den sichtbaren Wortführern geht es nicht um Politik oder Gesellschaftskritik, sondern um die Besetzung von Themen. Die heißen „Mein Lebensstil ist relevant für die Öffentlichkeit“ oder „Es gibt eine Strömung, ich habe sie entdeckt, nenne sie ‚Arbeit’ und erkläre sie der Welt“.
„Wer zu viel selber macht, der macht sich krumm, ausgenommen Selbstauslöschung“, heißt es bei Tocotronic. „Das Zusammenklappen vor gesamtem Saal“ wäre wirklich revolutionäres Marketing in eigener Sache.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at