Auf zu neuen Ufern

Editorial iz3w 318 (Mai/Juni 2010)

Im Bezirk Berlin-Kreuzberg ist aufgrund satter linker Mehrheiten möglich, woran anderswo gar nicht zu denken ist. Wo sonst wäre es gelungen, einen Straßenabschnitt zugunsten des 68er-Revolutionärs Rudi Dutschke umzubenennen? Und das direkt vor dem Hauptsitz des Springer-Konzerns, der fortan mit dieser permanenten Provokation leben muss! We are still amused...

In den vergangenen Monaten tobte in Berlin erneut ein Streit um die Umbenennung einer Kreuzberger Straße. Es ging um das bisherige Gröbenufer entlang der Spree. Benannt war der kurze Straßenabschnitt nach Otto Friedrich von der Groeben (1656-1728). Er war einer der Wegbereiter des Deutschen Kolonialismus, indem er 1683 im Auftrag des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm das Fort Großfriedrichsburg in der gleichnamigen brandenburgisch-preußischen Kolonie errichtete. Der Zweck des im heutigen Ghana gelegenen Forts war es, den Sklavenhandel der Brandenburger abzuwickeln und abzusichern. Rund 20.000 Menschen wurden zwischen 1683 und 1711 von den Brandenburgern als SklavInnen verschleppt. Groeben selbst war daran nicht direkt als Sklavenhändler beteiligt, doch schuf er die Voraussetzungen dafür. Zur Belohnung durfte er ein halbes Dutzend Kinder als SklavInnen in seine Heimat mitnehmen.

Für die Umbenennung des Gröbenufers hatten sich antikoloniale Initiativen und der Berliner entwicklungspolitische Ratschlag (BER) schon seit langem eingesetzt. In diesem Februar war es endlich soweit: Feierlich wurde das Straßenstück in May-Ayim-Ufer umgetauft. Damit trägt es nun den Namen einer afrodeutschen Dichterin und Aktivistin, die in den 1990ern eine der Pionierinnen Kritischer Weißseinsforschung war, bevor sie die rassistischen Verhältnisse nicht mehr ertrug und sich das Leben nahm.

Als Schritt in die richtige Richtung wurde die erfolgreiche Umbenennung von der entwicklungspolitischen Szene Berlins aber nicht nur deshalb gefeiert, weil sie historische Gerechtigkeit schafft. Sondern weil sie erbitterten Protest auslöste und somit erwünschte Resonanz. In einer wüsten Polemik hatte sich der Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung über die »Altstalinisten« vom BER echauffiert, denen es als »gedankenlose, gesinnungsstarke Straßenumbenenner« an »Demut« mangele. Demut vor wem? Vor Groeben, den Aly als »Abenteurer und Forschungsreisenden« bezeichnete, der lediglich ein »Koloniechen« mitbegründet und sich ansonsten »für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Polen« eingesetzt habe? Die Umbenennung sei eine »Schande«, schimpfte Aly. Aus seinem Munde hat das allerdings als Auszeichnung zu gelten... sein don-quichottesker Kampf gegen alles politisch Korrekte kann als eine ganz spezielle Form der Zuneigung verstanden werden. Insofern, lieber Herr Aly, vielen Dank für die Öffentlichkeit, die sie der Umbenennungsaktion verschafft haben!

Vor Aly hatte sich bereits die F.A.Z. in Sachen Gröbenufer ins Zeug gelegt. Der Deutschen große Zeitung, die sich ansonsten aus Niederem wie der Berliner Lokalpolitik vornehm heraushält, bespottete den neuen Straßennamen als »Stück linkes Biedermeier«. An einem Gedicht vom May Ayim hatte die F.A.Z. auszusetzen, dass es »gerade in seiner übellaunigen Plumpheit erschreckend deutsch« wirke. Hmm. Dass nun ausgerechnet eine konservative Zeitung Spießertum und Deutschsein gegen Linke anführt, ist eine interessante Entwicklung – früher war es umgekehrt.1

Dem F.A.Z.-Autor ist im Abwehrkampf gegen das May-Ayim-Ufer aber noch ein weiterer bemerkenswerter Gedanke gelungen: »In Kreuzberg stammen fast alle Straßennamen aus dem kolonialpolitisch fragwürdigen Kaiserreich. Wie sieht es etwa ein paar Ecken weiter mit der Oranienstraße aus? Ermöglichte das Haus Oranien nicht Brandenburg erst seine kurzlebige Kolonialpolitik, und steht dieses fragwürdige Herrscherhaus nicht für die gesamte Kolonialpolitik der Niederlande?« Wo er Recht hat... Berlin-Stadtpläne strotzen nur so vor höchst fragwürdigen Bezeichnungen. Im Rahmen der Entnazifizierung wurden zwar alle Adolf-Hitler-Straßen aus dem Stadtbild entfernt, nicht aber die Wissmannstraße, die Petersallee oder der Nachtigalplatz. Sie alle tragen die Namen von Kolonialverbrechern. Wer mag da schon wohnen?

Die Altstalinisten vom BER ließen sich jedenfalls nicht lumpen. Sie fordern nun als nächstes die Umbenennung der Lüderitzstrasse, diesmal nicht in Kreuzberg, sondern in Berlin Mitte. Auf zu neuen May-Ayim-Ufern!2

 

die redaktion

 

 

1 Hier mal ganz unter uns: Linkes Spießertum gibt es wirklich. Und die Gedichte von May Ayim sind tatsächlich Geschmackssache. Aber das würden wir gegenüber der F.A.Z. nur zugeben, wenn sie nicht so wahnsinnig deutsch und spießig wäre.

2 Zu neuen Ufern ist auch die iz3w aufgebrochen. Und zwar zu Facebook, dessen Datenhunger wir nun mit allerlei Ankündigungen füttern. Wir haben bereits 86 Fans, darunter viele liebe Bekannte. Und was ist mit Ihnen?