Klimapolitik zwischen Kyoto und Cancún

In diesem einleitenden Beitrag des Themenschwerpunktes wird
der Hintergrund der internationalen Klimaverhandlungen erläutert
und die Ergebnisse des Kopenhagen-Akkords vorgestellt.
Angesichts des Scheiterns der Kopenhagener Konferenz muss
die zeitnahe Schließung eines rechtlich bindenden, globalen
Klimaabkommens als unwahrscheinlich gelten. Die Klimapolitik
wird zukünftig verstärkt auf nationalstaatlicher und transnationaler
Ebene erfolgen.

Die Erwartungen an die Klimaverhandlungen in Kopenhagen
vom 7. bis 19. Dezember 2009, wo ein Nachfolgevertrag
für das Kyoto-Protokoll ausgehandelt werden sollte,
waren hoch – wie sich im Nachhinein zeigt, viel zu hoch. Selbst
pessimistisch gestimmte Beobachter der Verhandlungen sind
schwer geschockt, wie wenig trotz der jahrelangen Vorarbeiten
und der Präsenz von 120 Staats- und Regierungschefs erreicht
wurde. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die 15. Vertragsstaatenkonferenz
der Klimarahmenkonvention (UNFCCC)
als „Zäsur“, „Floppenhagen“, „Brokenhagen“ „fauler Kompromiss“,
„Versagen“ oder „Trauma“ tituliert wurde.1
Das Scheitern der internationalen Politik in Kopenhagen
erstaunte, da sich in den vergangenen Jahren ein starker Konsens
über die Ursachen und Folgen des Klimawandels in Wissenschaft
und Politik herauskristallisiert hatte. Vor allem nach der öffentlichen
Debatte um den Dokumentarfilm „Eine unbequeme
Wahrheit“ von Al Gore sowie der Diskussion um den vierten
Sachstandsbericht des Intergouvernementalen Panels zu Klimafragen
(IPCC) gab es kaum noch ernsthafte Kritiker, die bezweifelten, dass
die erhöhte Konzentration von Treibhausgasen durch die Verbrennung
fossiler Brennstoffe verursacht wurde und die Erhöhung von
CO2 und anderen Gasen die Erdtemperatur ansteigen lässt.2
Dass die Folgen des anthropogen verursachten Klimawandels
Auswirkungen auf Ökosysteme und menschlich Gesellschaften haben werden, ist ebenfalls unbestritten. Die
Diskussionen drehen sich eher um das Wann und das Wie als
um das Ob. In den Monaten vor Kopenhagen warnten Wissenschaftler
daher eindringlich, dass die neuesten Erkenntnisse die
bisherigen Szenarien – zum Beispiel bezüglich des Anstiegs des
Meeresspiegels – als zu konservativ erweisen und die Empirie
die Modelle „rechts überhole“.3 Wenn es also jemals eines
Beweises bedurfte, dass internationale Politik sich nicht nach
funktionalen Notwendigkeiten richtete, dann hat die Klimapolitik
des Jahres 2009 diesen geliefert.
Wie kann das Scheitern erklärt werden und welche Folgen
ergeben sich aus der Analyse? Die folgende Einleitung wird
hierzu einen Beitrag leisten, indem in einem ersten Schritt der
Hintergrund der Verhandlungen dargestellt wird. Anschließend
werden die Verhandlungsergebnisse kurz referiert und die Frage
aufgeworfen, warum die Verhandlungen ein so bescheidenes
Ergebnis hervorbrachten, bevor ein Ausblick auf die Zukunft
der Klimapolitik gegeben wird.
Zwei Jahrzehnte internationale Klimapolitik
Auf dem sogenannten Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro einigte sich
die internationale Staatengemeinschaft auf eine Klimarahmenkonvention
zur Stabilisierung des Weltklimas. In dieser wurden
die bis heute gültigen Prinzipien der internationalen Klimapolitik
festgelegt wie z. B., dass die Industrieländer eine historische
Verantwortung tragen und es zwar eine gemeinsame, aber differenzierte
Verantwortung der Staaten für das Weltklima gibt.
Das Kyoto-Protokoll wurde 1997 unterzeichnet, trat aber
erst 2005, nachdem es auch Russland ratifiziert hatte, in
Kraft. Die große umweltpolitische Bedeutung von Kyoto ist,
dass hier erstmals rechtlich verbindliche Reduktionsziele für
die wichtigsten Treibhausgasemissionen von den Industrieländern
genannt wurden, welche kumulativ den Ausstoß der
sechs wichtigsten Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um 5,2
Prozent reduzieren sollen.4
Die Bestimmungen des Protokolls, vor allem die Reduktionsverpflichtungen,
gelten bis zum Jahr 2012 und es müsste daher
bis zu diesem Zeitpunkt ein Nachfolgeprotokoll verhandelt, unterschrieben und ratifizieren werden. Auf der Vertragsstaatenkonferenz
in Indonesien im Jahr 2007 einigte man sich
im Bali-Aktionsplan darauf, die erste Hürde zu einem umfassenden
Klimaschutzabkommen bis Ende 2009 genommen zu
haben. Die Verhandlungen wurden seitdem auf zwei Schienen
fortgeführt: In der einen wird über die Fortführung des Kyoto-
Protokolls verhandelt. Dieser Verhandlungsstrang ist für die
Entwicklungsländer von großer Bedeutung, da es um eine neue
Runde von Reduktionsverpflichtungen primär für die Industriestaaten
geht. In einem zweiten Verhandlungsstrang diskutieren
alle Mitglieder der Klimarahmenkonvention – also auch die
USA – über ein neues Klimaabkommen und Letztere kündigten
schon sehr früh an, dass sie zu substanziellen Reduktionsverpflichtungen
nur dann bereit seien, wenn auch die großen
Schwellenländer sich zu nachvollziehbaren Emissionsminderungen
verpflichten. In Kopenhagen sollte alles zu einem rechtsverbindlichen
Paket zusammengeschnürt werden.
Die Monate vor der Klimakonferenz von Kopenhagen waren
von unzähligen Vorbereitungstreffen sowohl auf Arbeits- als auch
auf politischer Ebene gekennzeichnet. Es deutete sich jedoch in
der zweiten Jahreshälfte bereits an, dass es zu keinem rechtlich
verbindlichen Abkommen kommen könnte. Von verschiedenen
Seiten, insbesondere der EU, wurde die Hoffnung jedoch nicht
aufgegeben, dass die ehrgeizigen Ziele zur massiven Reduktion
von Treibhausgasen in Industrieländern, erste verifizierbare
Schritte aufseiten der Schwellenländer, ein Mechanismus zum
Technologietransfer sowie eine Einigung über den Schutz der
tropischen Regenwälder erreicht werden könnten.
Einigung in letzter Minute
Die Konferenz von Kopenhagen hat mehrere Ergebnisse:
Zum einen wurden in den beiden genannten Verhandlungssträngen
in mehreren Arbeitsgruppen verschiedenste Einzelfragen
angegangen. Dabei fand eine Annäherung in wichtigen
Detailfragen auf primär technischer Ebene statt, auch wenn die
verhandelten Texte noch gespickt sind mit eingeklammerten
Textbausteinen, die anzeigen, dass es noch keinen Kompromiss
gibt. Politisch brisante Entscheidungen zur Höhe der
Reduktionsemissionen, Finanztransfers oder die Einbeziehung
der Schwellenländer wurden in diesen Arbeitsgruppen nichtgetroffen. Hier wurde vergeblich auf eine Einigung der Staatsund
Regierungschefs in der zweiten Sitzungswoche gehofft.
Zum anderen wurde der völkerrechtlich nicht bindende
Kopenhagen-Akkord verabschiedet, der erstaunlicherweise nur
sehr wenig auf die über zwei Jahre lang verhandelten Texte der
Arbeitsgruppen eingeht. Der Akkord wurde von den Mitgliedstaaten
auch nur „zur Kenntnis“ genommen, was eindeutig die
niedrigste diplomatische Weihe darstellt, welche eine Vertragsstaatenkonferenz
einem Abschlussbericht erteilen kann.5
Inzwischen haben über 120 Staaten den Akkord unterschrieben,
was angesichts der geringen Verpflichtungen nicht weiter
überrascht. Sein Zustandekommen war hingegen überraschend.
Die Verhandlungen liefen bereits seit über einer Woche und
waren festgefahren, da keiner der wichtigen Spieler bereit war,
größere Zugeständnisse zu machen. Mit der Ankunft Obamas
am vorletzten Tag der Verhandlungen änderte sich dies, als jener
– uneingeladen und wohl auch völlig unerwartet – eine Sitzung
der BASIC-Staaten (Brasilien, Südafrika, Indien und China)
sprengte. Obama begann mit den anwesenden Repräsentanten,
ein Abkommen zu schmieden, das keine Rücksicht auf die
äußerst technischen und fein austarierten Ergebnisse der bisherigen
Verhandlungsstränge nahm. In einer weiteren Nacht- und
Nebelsitzung wurde der Akkord in einer erweiterten Gruppe
von 25 Staats- und Regierungschefs (diesmal saßen die EU
und die Deutschland mit am Tisch) unter großem Zeitdruck
abgestimmt. Es wäre für die meisten Staatsoberhäupter nahezu
undenkbar gewesen, mit nichts in der Hand die Heimreise
anzutreten. Obama erläuterte die Inhalte des Akkords dann
auch kurz vor seinem Abflug der internationalen Presse. Dies
geschah allerdings zu einem Zeitpunkt, da viele der anwesenden
Länderdelegationen den Text des Akkords noch nicht einmal in
Händen gehalten hatten.
Der allerkleinste gemeinsame Nenner
Im Kopenhagen-Akkord wurde festgehalten was den kleinsten
gemeinsamen Nenner der internationalen Klimapolitik widerspiegelt:
Langfristig am bedeutsamsten ist die Festschreibung
des Zwei-Grad-Celsius-Ziels, das die gemeinsame Version der internationalen Staatengemeinschaft formuliert. Ob dieses Ziel
mehr als ein Lippenbekenntnis ist, bleibt jedoch völlig unklar.
Im Nachgang zu Kopenhagen hatten die Staaten Gelegenheit
ihre – rechtlich jedoch nicht verbindlichen – Reduktionsziele
dem UNFCCC-Sekretariat zu melden. Die Staaten hatten die
völlige Wahlfreiheit, welches Basisjahr sie verwenden (im Kyoto-
Protokoll bezogen sich alle Reduzierungen auf das Jahr 1990).
Die bislang gemeldeten Reduktionsverpflichtungen belaufen
sich auf 11 bis 19 Prozent und bleiben weit hinter den Ankündigungen
von Bali von 2007 zurück, wo 25 bis 40 Prozent
genannt wurden. Diese Verpflichtungsreduzierungen werden
dem Zwei-Grad-Ziel jedoch mit Sicherheit nicht gerecht,
sondern mit mehr als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einen
Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mindestens
drei Grad bis zum Jahr 2100 erlauben.6
Konkretere Zusagen erfolgten bezüglich eines kurzfristigen
Finanztransfers von Nord nach Süd, indem die Industrieländer
30 Milliarden US-Dollar (EU 2,4 Milliarden Euro/Jahr;
BRD 420 Millionen Euro/Jahr) bis 2012 für erste Maßnahmen
zusagten. Offiziell wurde beteuert, dass dies neue und zusätzliche
Mittel für den Klimaschutz sein würden. Inwieweit dies
auf Geberseite in den mit Schulden überladenen Haushalten
geschultert werden kann bzw. inwieweit es tatsächlich
genügend Projekte in den Entwicklungsländern gibt, bleibt
jedoch abzuwarten. Gleiches gilt für die Ansage, die finanziellen
Zuwendungen im Klimaschutz im Süden aus privater wie
öffentlicher Hand bis 2020 auf 100 Milliarden US-Dollar pro
Jahr anwachsen zu lassen. Institutionell konnten die Entwicklungsländer
erreichen, dass ein noch zu bestimmender Anteil
der Transferzahlungen über einen neuen Fonds (Green Climate
Fond) erfolgt (vgl. Harnisch / Wienges in diesem Heft).
Von Bedeutung für die weiteren Verhandlungen ist auch,
dass Maßnahmen zum Schutz der tropischen Regenwälder
prominent genannt werden, denn deren Abholzung trägt bis
zu 15 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei.7 Ähnlich
ergeht es dem Technologietransfer, der einer der Hauptforderungen
der Entwicklungsländer war und für den ein Transfermechanismus
aufgebaut werden soll. Schließlich wurden
auch Marktmechanismen im Akkord genannt und es erscheint daher wahrscheinlich, dass auch zukünftige Klimaabkommen
ökonomische Instrumente einsetzen werden.
Was nicht im Akkord steht, ist eine Festlegung auf eine
Jahreszahl, ab der die globalen Emissionen insgesamt zurückgehen
sollten. Von wissenschaftlicher Seite wird immer
wieder betont, dass eine relativ kostengünstige Vermeidung
der schlimmsten Folgen des Klimawandels nur dann gelingen
kann, wenn die Reduzierung der Gesamtemissionen in diesem
Jahrzehnt beginnt.8 Gerade Schwellenländer wie China und
Indien sind jedoch zu solch einer Festlegung, die potenziell
auch ihre Emissionen einschränken könnte, nicht bereit (vgl.
Schröder in diesem Heft).
Ferner zeigten sich viele Teilnehmer äußerst enttäuscht, dass
im Bereich der Anpassungsmaßnahmen, welche die mit Sicherheit
eintretenden Folgen des Klimawandels abfedern sollen, nicht
mehr und konkretere Zugeständnisse der Industrieländer erfolgten.
Für den weiteren Prozess ist es wichtig, dass der Kopenhagen-
Akkord 2015 überprüft und bei Bedarf revidiert wird.
Ferner wurden auch die beiden Verhandlungsstränge für ein
Post-Kyoto-Abkommen und die Weiterentwicklung der Klimarahmenkonvention
um ein Jahr verlängert. War also alles nur
halb so wild und ein international rechtliches Abkommen wird
ein Jahr später unterschrieben? Um dies beurteilen zu können,
müssen die Ursachen des Scheiterns aufgedeckt werden.
Warum scheiterte Kopenhagen?
Drei Gründe führten zum Scheitern der Klimaverhandlungen:
Erstens können einzelne Nationalstaaten, deren Staatsführer
bzw. innenpolitische Zwänge verantwortlich gemacht werden.
Bereits während der Verhandlungen wurde die dänische Präsidentschaft
für ihre Unfähigkeit kritisiert, alle beteiligten Staatengruppen
gleichberechtigt und transparent in die Formulierung
der Zwischenergebnisse einzubeziehen. Vor allem Nichtregierungsorganisationen
haben den fehlenden politischen Willen
der USA und hier vor allem des Senats beklagt. Schließlich
wurde zum ersten Mal auch China einer massiven Mitschuld
bezichtigt. Das Land würde zwar national viele löbliche Anstrengungen
unternehmen, sich aber international als unkooperativ
zeigen, da es fürchte, langfristig ebenfalls zu verbindlichen und überprüfbaren Reduktionszielen gezwungen zu werden. Für
viele Beobachter war Kopenhagen damit ein Exempel für die
Dominanz der amerikanisch-chinesischen Beziehungen in der
Geopolitik des beginnenden 21. Jahrhunderts und das Scheitern
der Verhandlungen dem Unwillen der beiden mächtigsten
Staaten zuzuschreiben. Eine solche Analyse greift jedoch zu
kurz, denn sie impliziert, dass mit ein wenig mehr politischem
Willen schon bald eine Lösung möglich wäre.
Zweitens sprechen viele Argumente dafür, dass die internationalen
Klimaverhandlungen strukturell in ihrer jetzigen Form zu
keinem kooperativen Ende geführt werden können: Zum einen
sind es zu viele Länder mit zu divergierenden Erwartungen und
zu viele Aspekte – von Technologietransfer über Waldschutz
hin zu internationalen Handelsfragen – werden vermengt. Die
Lösung eines solchen gordischen Knotens kann nicht innerhalb
von 24 Stunden durch die Zusammenkunft der Staatsoberhäupter
erfolgen und vor allem nicht in einem strengen Konsensprinzip.
9 Anders als etwa bei der Einigung auf ein Ozonregime in den
1980er Jahren stehen außerdem keine einfachen technischen
Möglichkeiten bereit und es fehlt an kostengünstigen Alternativen.
Zum anderen ist keine Staatengruppe bereit, unilateral als
Vorreiter hohe Kosten auf sich zu nehmen oder andere gar zur
Kooperation zu zwingen. Das Bemühen der EU wird zwar von
allen anerkannt, aber nicht in dem Maße, dass die USA, China
oder Indien sich bemüßigt fühlen zu folgen. Schließlich sind
auch die Erwartungen an die Verhandlungen zu unterschiedlich,
da die Entwicklungs- und Schwellenländer Klimapolitik
unter dem Vorzeichen der wirtschaftlichen Entwicklung führen
und für die Industrieländer stärker umweltpolitische Zielsetzungen
von Bedeutung sind.
Drittens sind einige der in Kopenhagen aufgetretenen Interessengegensätze
kurzfristig kaum über Kompromisse oder
Issue-Linkages (ich gebe in Politikfeld A nach, wenn du es in B
tust) zu lösen. Vor allem der latent die Verhandlungen begleitende
Nord-Süd-Gegensatz könnte nur über massive Transferzahlungen
der reichen Länder an den Süden überbrückt
werden; dies scheint trotz der gemachten Zusagen mittelfristig
unwahrscheinlich. Ein umfassendes Abkommen innerhalb
der Klimarahmenkonvention erscheint daher mittelfristig
beinahe ausgeschlossen. Wie geht es weiter?
Mit dem Schlagwort „Nach Kopenhagen ist vor Cancún“ wurde
verdeutlicht, dass das Scheitern in Dänemark nicht das Ende
der internationalen Klimapolitik ist, sondern dass bereits im
Dezember dieses Jahres die nächste große Klimakonferenz stattfindet.
Auch früher gab es ja bereits Klimaverhandlungen, welche
vertagt wurden (zum Beispiel wurde in Den Haag 2001 überhaupt
kein Abschluss erzielt; die Verhandlungen wurden ein halbes Jahr
später in Bonn erfolgreich beendet). Trotzdem scheint es sehr
wahrscheinlich, dass es weder in Cancún noch in den nächsten
Jahren ein umfassendes internationales Klimaschutzabkommen
geben wird. So wurden auch auf der ersten Post-Kopenhagen-
Klimakonferenz in Bonn im April dieses Jahres keine weiteren
Fortschritte erzielt sowie der Versuch unternommen, verlorenes
Vertrauen zwischen den einzelnen Staatengruppen wieder aufzubauen.
Auch die von der deutschen Regierung Anfang Mai einberufene
Konferenz von Umweltministern aus 45 Staaten machte
deutlich, dass es zu keiner schnellen Lösung kommen wird.
Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die internationale
Architektur zum Schutz des Klimas immer stärker fragmentiert.
10 So könnten zum Beispiel bis zum Ende des Jahres ein
Teilabkommen zu Kompensationszahlungen für den Schutz
tropischer Regenwälder verhandelt werden oder es könnte eine
Übereinkunft zum Technologietransfer geben. Auch erscheint
es nicht ausgeschlossen, dass solche Verträge nur von einem Teil
der Staatengemeinschaft ratifiziert werden. Dass dies alles in
einem kohärenten Vertragswerk erfolgt, wäre zwar wünschenswert,
erscheint aber unrealistisch.
Weiterhin werden Erfolge in der Klimapolitik in nächster Zeit
– anders als dies die EU lange angedacht hatte – auch eher durch
Bottom-up-Ansätze als durch die internationalen Verhandlungen
erreicht werden (vgl. Haug / Berkhout in diesem Heft).
Aufgrund der fehlenden internationalen Erfolge wird Klimapolitik
somit wieder stärker renationalisiert. Dies zeigt sich bereits im
Kopenhagen-Akkord und den individuell gemeldeten Reduktionszusagen.
Ferner könnte es sein, dass es ohne ein formales
internationales Abkommen zu größeren Bemühungen aufseiten
der Schwellenländer kommt, welche freilich nicht durch die
internationale Gemeinschaft überwacht werden könnten. China und Indien haben z. B. erhebliche Anstrengungen im Bereich der
erneuerbaren Energien unternommen und sind stark an Technologietransfer
interessiert, da in beiden Ländern die grundsätzliche
Problematik der Klimaveränderung von den Eliten nicht
in Zweifel gezogen wird (siehe Schröder in diesem Heft). Auch
Brasilien hat verkündet, dass es durch die Eindämmung illegaler
Abholzung seine CO2-Emissionen um bis zu 40 Prozent im
Vergleich zum erwarteten CO2-Ausstoß kürzen will. Besonders
ambitiös sind Costa Rica oder die Malediven, welche innerhalb
der nächsten Jahre CO2-Neutralität angekündigt haben. Viele
dieser Bemühungen können und werden rein bilateral von den
Industriestaaten unterstützt und ähnlich wie in der internationalen
Handelspolitik ist zu erwarten, dass verschiedenste bilaterale
und regionale Abkommen die multilaterale Arena unterstützen
und eventuell in Teilen ablösen. Ein Beispiel hierfür könnte die
Internationale Klimainitiative der Bundesrepublik sein, da die
hier verteilten Gelder explizit nicht durch die bereits existierenden
multilateralen Fonds der Klimarahmenkonvention ausgeschüttet
werden (vgl. Harnisch / Wienges in diesem Heft). All
dies bezieht sich nicht nur auf die Frage der Minderung von
Treibhausgasen, sondern auch auf die notwendigen Anpassungsmaßnahmen,
die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
notwendig werden, um vor allem die Ärmsten der Armen
vor den schlimmsten Folgen des Klimaschutzes zu bewahren
(vgl. Fuhr in diesem Heft).
Auch die substaatlichen Bemühungen vor allem im Bereich
der amerikanischen Bundesstaaten oder von C40 – einem
Verbund von Metropolen aus Industrie- und Entwicklungsländern
– sind wichtige Impulsgeber.11 Ebenso sollte der Einfluss
der Privatakteure nicht unterschätzt werden. Zwar gibt es
gerade auf Seiten der Nichtregierungsorganisationen einen
Post-Kopenhagen-Blues, aber dieser wird nicht die immer
stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Klimapolitik
und die damit einhergehende Professionalisierung der NRO
aufhalten (vgl. Müller in diesem Heft). Auch in der Privatwirtschaft
hat eine ambitionierte Klimapolitik ihre Verteidiger. Die
Londoner City zum Beispiel hat sehr stark von der Etablierung
von Kohlenstoffmärkten profitiert und pocht auf verschiedenen
Ebenen für langfristige Rahmenbedingungen.12 Gleiches gilt – gerade in Deutschland – für die Hersteller von Umwelttechnik,
die starke Lobbyisten eines starken Klimaschutzabkommens
geworden sind.
Diese dezentralen Initiativen werden kurzfristig nicht ausreichen,
die strukturellen Gegensätze zu überbrücken. Langfristig
werden viele Blockaden nur auf internationaler Ebene aufgehoben
werden können. Trotzdem kann Klimapolitik fragmentiert
und unkoordiniert jenseits des internationalen Regimes
ein Eigenleben entwickeln und einen Beitrag zum effektiven
Klimaschutz leisten.

1 Für erste Bestandsaufnahmen der Ergebnisse von Kopenhagen siehe Dubash 2009; Maier 2010; Rajamani 2010.

2 Vgl. IPCC 2007.

3 Kriegler u. a. 2010.

4 Eine gute Einführung in die Entwicklung und Bedeutung des Kyoto-Protokolls bieten Oberthür / Ott 2000.

5 Bolivien, Venezuela und Sudan drohten mit einem Veto, wenn eine stärkere Formulierung zur Abstimmung
vorgelegt worden wäre.

6 Vgl. Rogelj u. a. 2010.

7 Vgl. van der Werf u. a. 2009.

8 Vgl. Stern 2009.

9 Vgl. Müller 2010.

10 Vgl. Biermann u. a. 2009.

11 Vgl. Bulkeley / Betsill 2003; Schreurs 2008.

12 Vgl. Fuhr u. a. 2007.

 

Literaturverzeichnis
Biermann, Frank u. a.: The Fragmentation of Global Governance Architectures: A Framework for Analysis.
In: Global Environmenal Politics 9(4), 2009, S. 14-40.
Bulkeley, Harriet / Betsill, Michele: Cities and Climate Change: Urban Sustainability and Global Environmental
Governance. Routledge, London 2003.
Dubash, Navroz K.: Copenhagen: Climate of Mistrust. In: Economic & Political Weekly XLIV (52), 2009, S. 8-11.
Fuhr, Harald u. a.: Klimaschutz und Entwicklungspolitik: Der Beitrag privater Unternehmer. In: Risse, Thomas /
Lehmkuhl, Ursula (Hrsg.): Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Nomos,
Baden-Baden 2007, S. 292-308.
IPCC: Climate Change 2007: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fourth Report of
the Intergovernmental Panel on Climate Change. Pachauri, Rajendra / Reisinger, Andy (Hrsg.), IPCC, Genf 2007.
Kriegler, Elmar u. a.: Imprecise probability assessment of tipping points in the climate system. In: PNAS 106 (13),
2010, S. 5041-5046.
Maier, Jürgen: Umwelt. In: Vereinte Nationen (01), 2010, S. 31-33.
Müller, Benito: Copenhagen 2009. Failure or final wake-up call for our leaders? Oxford Institute for Energy
Studies, Oxford 2010.
Oberthür, Sebastian / Ott, Hermann E.: Das Kyoto-Protokoll. Internationale Klimapolitik für das 21. Jahrhundert.
Leske und Budrich, Opladen 2000.
Rajamani, Lavanyra: Neither fish nor fowl (Seminar, Climate Change Conundrum, Nr. 606), 2010, S. 26-29.
Rogelj, Joeri u. a.: Copenhagen Accord pledges are paltry. In: Nature (464), 2010, S. 1126-1128.
Schreurs, Miranda A.: From the Bottom Up. Local and Subnational Climate Change Politics. In: Journal of
Environment and Development 17(4), 2008, S. 343-355.
Stern, Nicholas: The Global Deal. Climate Change and the Creation of a New Era of Progress and Prosperity.
Public Affairs, New York 2009.
Werf, G.R. van der u. a.: CO2 Emissions from Lorest Loss. In: Nature Geoscience 2, 2009, S. 737-738.

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