Auf der Suche nach Stärken von Frauen

Werkstattnotizen. In: Das Argument 287 »Stärken von Frauen« (3/2010)

in (18.11.2010)

Die Suche nach Frauen-Stärken gleicht der nach dem Gral. Vielleicht gibt es sie gar nicht, sind sie bloß ein Mythos, ein Versprechen. Oder die Frage ist falsch gestellt. Jedenfalls scheint sie von vornherein auf Abwege zu führen. Im Folgenden soll die Gratwanderung zu diesem Projekt Stärken von Frauen durch die unterschiedlichen Kraftfelder führen. Die Frage wird in den Spiegel der gängigen Diskurse gestellt, geht über die Suche nach individuell starken Frauen durch Erfahrungen und Praxen des weiblichen Geschlechts zu Fragen des Gemeinwesen, um schließlich – durch die Lektüre von Virginia Woolf und Bertolt Brecht unterstützt – zu einer Verschiebung der Problematik zu gelangen, bei der Selbstveränderung und Veränderung der Umstände ineins fallen.

1. Diskurspolitik

Der Ausdruck Stärke, noch dazu die von Frauen, ist subjektiv ambivalent besetzt, historisch ideologisch – etwa im Faschismus – zu Herrschaftszwecken genutzt, tagespolitisch als Klage von Männern gegen das Eindringen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt medial ausgeschlachtet und schließlich scheint es ganz und gar den Stand feministischer Diskussion zu verfehlen, überhaupt von Frauen zu sprechen und dann noch von ihren Stärken als gäbe es dies als geschlechtsspezifisch Besonderes. Das kollektive Subjekt Frauen und seine Anrufung sind lange überwunden zugunsten von diversity, Differenz und allenfalls gender. Die Postmoderne hat uns differenzierte Wahrnehmung gelehrt, und nochmals eingeschärft, nicht von oben, von außen, für andere Politik zu machen, sondern unser Veränderungsverlangen auf die Konstruktionen von Frauen zu lenken. Mit unserer Thematik wollen wir aus dieser uns, auch von uns selbst auferlegten Beschränktheit auf/sbrechen und uns auf das kollektive Subjekt Frauen als Wir von Veränderungshandeln zurückbesinnen. Daher suchen wir tatsächlich nach Stärken von Frauen. Bei diesem Aufbruch sind wir nicht allein. Vermehrt (seit 2008) gibt es Stimmen, die den Verlust des politischen Subjekts beklagen und zum neuerlichen Aufbruch mahnen. »Aus den vielfältigen Zerstreuungen, aus dem Verlust des Frauen-Wir gilt es, ein kollektives Subjekt zu erkennen, welches, aus den Fehlern der Bewegung lernend, sich an der Analyse der gegenwärtigen Lage, in der Perspektive einer Erstarkung von gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit versucht.« So heißt es im Editorial von Argument 281, »Elemente eines neuen linken Feminismus« (H. 3, 2009, 387). Tove Soiland spitzt zu: »Das ›Verbot‹ der Artikulation eines Kollektivs auf Seiten der Frauen verhindert, die grundlegende Bedeutung asymmetrischer Geschlechterverhältnisse für die kapitalistische Akkumulation zu thematisieren – und macht damit die Theorisierung von Geschlecht überhaupt irrelevant.« (Argument 281, 417) Und Terri Seddon fordert explizit, an einer »aktiven Politik des Wir« zu arbeiten, um »unsere Gemeinschaftlichkeit als Basis zu mobilisieren« (Argument 281, 437). Stacy Alaimo und Susan Hekman plädieren für einen »material turn«: an die Stelle der Diskurspolitik des Postfeminismus solle »die Materialität des menschlichen Körpers und der natürlichen (Um-)Welt« Grundlage feministischer Theorie und Praxis werden (2008,1). Im gleichen Jahr sprechen Gudrun Axeli Knapp und Cornelia Klinger von der Notwendigkeit eines »social re-turn«[1].

Die sprichwörtliche Rede von Frauen als dem schwachen Geschlecht ist nicht bloße Meinung. Sie findet ihren Niederschlag in den vielfältigen Benachteiligungen von Frauen durch die Jahrhunderte, auf die jede Gleichstellungspolitik antwortet. Daraus, dass die Forderungen immer die gleichen bleiben, lässt sich unschwer schließen, dass die Klage allein keine ausreichende Politik ist. Wiewohl in guten Zeiten, nicht natürlich in denen der Weltwirtschaftskrise, kleine Verbesserungen zu verzeichnen sind, geht der Prozess unendlich langsam. Gleichwohl behaupten seit einigen Jahren die Medien, dass Frauen gesellschaftlich im Vormarsch seien, ja, schon die Macht ergriffen hätten. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung etwa machen Frank Schirrmacher – »Eine Telefonistin, ein Kindermädchen, eine Schauspielerin und Schriftstellerin und eine Stewardess definieren das Land« (1.7.2003) – und Christian Schwägerl – »Den Arbeitsmarkt von morgen werden die Frauen beherrschen« (7.6.06) – seit Jahren mobil gegen eine angeblich von Frauen beherrschte Zukunft. Solche Kampagnen wollen wir mit unserem Projekt der Suche nach den Frauen-Stärken keinesfalls stützen. Uns geht es um einen Weg heraus aus beiden Theoremen, aus dem Elendsdiskurs, der Frauen nur als Benachteiligte beklagt, wie aus dem, der von oben das Auftauchen einzelner Frauen auf entscheidenden Posten als allgemeines Signal weiblicher Machtergreifung deutet. Wir wollen von dem sprechen, was Frauen können, nicht nur darüber, dass sie Opfer der Verhältnisse und der Männer sind, sondern, wie sie die Verhältnisse wenden könnten. Es ist klar, dass wir nicht in die Falle der Metaphysik gehen dürfen, also nicht annehmen wollen, dass es ein weibliches Wesen gibt, welches stark ist oder gut oder sonst wie von Natur aus besser als das männliche. Vorläufig ist das Kräftefeld unserer Analysen negativ so aufgespannt: keine Metaphysik, kein Opferdiskurs! Und positiv auf der Suche nach weiblicher Handlungsfähigkeit individuell und kollektiv. Die Suche nach politischen Praxen von Frauen, die sich nicht auf die Klage der Benachteiligung zurückziehen, sondern Frauen selbst einbeziehen als solche, die praktisch handeln, ist Voraussetzung für Veränderung.

Wäre es darum nicht besser, umgekehrt von den Schwächen von Frauen auszugehen, gerade, um eine Wendung herbeizuführen? Rat suchend in Brechts Marxistischen Studien sehe ich ihn mit der Negation der Stärkefrage befasst: 

Zeiten der Schwäche

In den Zeiten der Schwäche fehlt es oft nicht an richtigen Leitsätzen, sondern an einem einzigen. Von der Lehre passt ein Satz zum andern, aber welcher passt zum Augenblick? Es ist alles da, aber alles ist zuviel. Es fehlt nicht an Vorschlägen, aber es werden zuviele befolgt. Es fehlt nicht an Wahrnehmungen, aber sie werden rasch vergessen. In den Zeiten der Schwäche ist man engagiert, und man engagiert sich nicht.

In den Zeiten der Schwäche ist vieles wahr, aber es ist gleich wahr; ist viel nötig und kann weniges geschehen; der Ausgeschaltete ist in Ruhe versetzt und hat keine Ruhe. (GW 20, 97)

Wie passen diese Sätze auf unsere Fragen, die wir selbst noch nicht greifen können? Sie lassen sich auf die heutige Zeit der Weltwirtschaftskrise beziehen, da die Linke schwach ist, aber viele engagiert reden. Es fehlt am durchgreifenden Leitsatz. Die Sätze sprechen wohl vom engagierten Intellektuellen, dessen Rat nicht gefragt ist, der ruhelos ist. Es steht nicht da, dass er den Schlüssel hat. Auch wir finden keine Ruhe, wenn wir den Eingriffspunkt, an dem unsere Stärke nötig ist, nicht finden. Wir lernen, dass es einen Vorschlag braucht und gezielte unterscheidende Wahrnehmung. Und dass Schwächen und wohl auch Stärken einzelne betreffen, wie sie auch eine Massenerscheinung sind, als auch eine Art politisches Klima.

2. Erfahrungen und Praxen von Frauen

Am 29.9.1980 schreibt Volker Braun im Werktagebuch:

frigga haug äußert sich unbefriedigt von den frauen im GROSSEN FRIEDEN. mit fan feh sei eine individuelle befreiung gezeigt, aber ein sozialer aufbruch müsste am verhältnis der geschlechter rütteln. sie will die frau als gattung auf der bühne auftauchen sehn. vielleicht holen frauen die soldaten aufs feld/ zur liebe zurück, und frauen, mit ihren gründen, begrüßen den großen frieden, frauen marschieren mit im bauernheer. und die frauen auch finden sich wieder am tiefsten geduckt. (308)

1980 war das Jahr, in dem ich »Frauen – Opfer oder Täter?« schrieb und als wichtigste Lehre für uns Frauen festhielt, dass wir es sind, die an unserer Unterdrückung mitwirken und dass dies so zu sehen eine Voraussetzung dafür ist, dass wir Veränderung bewirken. Die Vorstellung vom ewigen Opfertum von Frauen wäre dagegen eine unnütze Fantasie. Suchen wir also nach Frauen-Stärken.

Gedankenbarrieren sind, dass das Wort Stärke selbst eine Festigkeit suggeriert, als ob es sich um ein Wesen handele, dessen Eigenschaften zu bestimmen sind. Es haftet ihm also die metaphysische Denkweise gewissermaßen als Geburtsfehler an. Wir aber wollen praktisch denken, Stärke also als Tätigkeit, als Prozess auffassen, nicht als Zustand. Diese Verschiebung bringt uns sogleich in ein anderes Feld. Wir suchen stärkende Verhaltensweisen. Praxen, die darauf zielen, die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen voranzubringen. Die Stärke verlagert sich von einem Wesen zu Haltung und Verhalten. Als Gegensatz tritt jetzt weniger Schwäche auf als eher unterlassen, denn das stärkende Verhalten bezöge sich nun auf die Verhältnisse, die unentwegt umgebaut werden müssen. Die Stärken ließen sich also danach bemessen, wie sehr in die Verhältnisse auch zugunsten von Frauen eingegriffen wird.

In den Drei Guineen antwortet Virginia Woolf auf die Frage eines Mannes, Frauen mögen helfen, den Krieg zu verhindern, indem sie untersucht, was für Frauen und von ihnen getan werden muss, dass sie sich solches Verhalten zu eigen machen, bzw. noch davor, dass sie überhaupt politisch handeln könnten. Konkret geht sie ganz zeitgemäß zunächst davon aus, dass es darum ginge, Frauen den Männern gleichzustellen, in Bildung, in Beruf, in Einkommen und Verfügung über Geld. Das würde man heute gender/mainstreaming nennen. Es ist an dieser Stelle nicht so wichtig, kritisch zu bemerken, dass sie das Gedankenexperiment innerhalb der bürgerlichen Klasse anstellt. Viel bedeutsamer für uns in der Frage nach der spezifischen Stärke von Frauen ist, dass Woolf bei allen Denkexperimenten darauf stößt, dass nichts gewonnen wäre, lebten die Frauen den Männern gleich, weil sie sich so unweigerlich dem »Tanz ums Eigentum« anschließen würden. Jetzt erst sucht sie nach weiblichen Stärken. Ihre Methode ist es, aus der Verachtung von Frauen die Momente herauszuarbeiten, die sich für ein besseres zukünftiges Gemeinwesen eignen könnten. Im Marginalisierten, so ihre Hoffnung, liegt das, wofür es sich zu streiten lohnt. Insofern wären die Stärken der Frauen eben dort zu finden, wo sie als Gattungssubjekt in der kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaft nicht zum Zuge kommen. Da findet sie, was sie die »Lehrmeister der unbezahlten Erziehung« nennt – in zeitgemäßer Sprache ausgedrückt die Erziehung, die den Frauen durch die gesellschaftlichen Strukturen und damit gegebenen Erwartungen zuteil wird: Armut, Keuschheit, Geringschätzung und die Freiheit von Repräsentationspflichten der Macht. Die Sprache hört sich an diesen Stellen ungewöhnlich veraltet an, die Befunde überholt, nicht aber, was damit gemeint ist. »Schüttelt den Baum des Eigentums mit Gelächter« (112) setzt auf eine Haltung, geboren aus jahrhundertealter Vorenthaltung gesellschaftlichen Reichtums, die es den Frauen (und damit allen Besitzlosen) leichter machen würde, den Reichtum nicht um seiner selbst willen anzuhäufen. Sie nennt es, in ermäßigter Armut zu leben, also gerade so viel zu besitzen, dass man unabhängig ist, davon so leben kann, dass Körper und Geist sich voll entfalten können. Keuschheit als Gebot, dies meint nicht die kleinliche, die sich auf den Körper bezieht, sondern angewandt auf das Gesamt von Haltung und Verhalten, bedeutet es, seine Fähigkeiten nicht zu verkaufen, sondern sie um der möglichen Ziele willen, wegen der Forschung, der Kunst, der Gebrauchswerte von Wissen einzusetzen (115), also keine »geistige Korruption« zu betreiben. Unter dem Namen Keuschheit setzt sie also auf erworbene Haltungen, die nicht alles Verhalten auf Verkaufbarkeit zurichten. Aus tradierter Geringschätzung des Weiblichen zieht sie die Möglichkeit, durch Karriere und deren äußere Zeichen nicht bestechlich zu sein und aus der Freiheit, Macht nicht repräsentieren zu sollen, schließt sie auf eine Haltung, die von Nationalismus, Chauvinismus nicht einzunehmen ist, die gegen »Überheblichkeit, Egoismus und Größenwahn« (114) gefeit ist.

Wenngleich der verallgemeinernde Schluss auf weibliche Haltungen, die fast wie Eigenschaften anmuten, unmittelbar zum Widerspruch reizt und eine Flut von Gegenbeispielen freisetzt, bleibt doch übrig, dass der Versuch vielversprechend ist, aus der Marginalisierung und Einhegung von Frauen über Jahrtausende ein Potenzial für Soziales zu denken, als sei es ein Teil von Weiblichkeit. Dies hieße, aus der Position der Schwäche gerade das, was die Schwäche ausmacht, als Stoff für eine alternative Gesellschaft zu gewinnen.

3. Starke Frauen

Immer wieder schiebt sich der Alltagsverstand dazwischen, der, wie Rosa Luxemburg bemerkt, unbelehrbar metaphysisch ist, und will darauf bestehen, im Weiblichen Stärken zu suchen. Wir aber begeben uns zunächst auf die Suche nach Frauen, die wir als stark wahrnehmen, weil ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Leben etwas hat, worauf Zukunft zu bauen wäre.[2] Der weitere Weg der Suche läuft über die Betrachtung einzelner Frauen, die wir als stark erfahren, um herauszufinden, worin ihre Stärke besteht.

Weil ich mich mit ihr besonders befasst habe, lese ich unter dieser Frage erneut Rosa Luxemburg. Es wird wohl kein Zweifel aufkommen, dass sie eine starke Frau war, vielmehr noch, dass ihr Verhalten auf die Stärkung von Umwälzungskräften gerichtet war. Es kommt jetzt darauf an, sehr sorgfältig mit der Sprache umzugehen, weil sie voller Fallen steckt und wir uns unvermittelt im ideologisch stark besetzten Gelände finden. Viele Luxemburgbiographen, wie auch der Film der Margarete von Trotta, die wir ja zurate ziehen müssen, wenn wir Luxemburg nicht mehr selbst kannten, bestehen darauf, dass sie wunderbarerweise eine schwache Frau war. Diese Schwäche machen sie fest an ihrer Zuneigung zu Tieren und zur Natur, vor allem auch zu Tieren in Not, also zu Mitleid und Mitleiden. Gepriesen wird ihre Beschreibung eines gemarterten Büffels. Und obwohl Mitgefühl eine Grundlage von Solidarität sein muss, ist es eine zweideutige Sache. Mitgefühl kann uns am Mithandeln hindern, es kann statisch sich einrichten. Es gibt, etwa von Brecht, scharfe Kritik am Mitgefühl:

Me-ti sagte: Mi-en-leh war nicht mitleidig. Wenn er das Elend der Ausgebeuteten und Unterdrückten sah, entstand in ihm ein Gefühl, das er sogleich [in] Zorn verwandelte. Das gleiche Gefühl wird bei unwissenden Naturen zu Mitleid. Es ist das eine dumpfe Wehmut, der Verzweiflung ähnlich. Mitleid, sagte Mi-en-leh ist das, was man denen nicht versagt, denen man Hilfe versagt. Ich versetze mich in die Leidenden nicht, um zu leiden, sondern um ihre Leiden zu beenden. (Meti, 565)

Mitleid kann sich von Vernunft lösen und also zu nichts führen. Daher meine spontane Empörung, wenn ich Rosa Luxemburg vor allem ihres Mitleids wegen gepriesen höre. Es ist mir sogleich, als wollte man uns die Kämpferin für eine bessere Welt entwenden und sie vereinzelt zurück in ein Wohnzimmer oder ins Rote Kreuz stecken.

Raja Dunayevskaja, die eine glühende Anhängerin von Luxemburg war und sie der Frauenbewegung der 1970er Jahre als Vorkämpferin auch für Frauenemanzipation ans Herz legte, war der Auffassung, ihre Stärke habe darin gelegen, dass sie die normalen Verhaltensweisen, wie sie gesellschaftlich von Frauen erwartet werden, überschritt, indem sie öffentlich auftrat und sprach. So verführerisch es klingt, Stärke daran zu messen, wie sehr man widerspricht und dies Widersprechen praktisch macht, übersieht doch solche Diagnose weitgehend einen Zusammenhang, der für uns elementar ist: die Frage der Perspektive. Wofür wird öffentlich aufgestanden und gesprochen? Wollen wir nicht einen Unterschied machen zwischen Frauen wie etwa Madonna oder Condoleeza Rice und Rosa Luxemburg? In unseren Zeiten, da Frauen in den Medien so sehr sichtbar sind, als hätten sie bereits die Macht ergriffen, ist klar, dass diese Zuschreibungen bloß Zwischenstationen anzeigen. Was wir aber als Stärke von Rosa Luxemburg haltbar bezeichnen würden, ist ihre beständige kraftvolle Weise auch gegen allgemeinen gesellschaftlichen Widerstand und dann selbst solchen in ihrer Partei hartnäckig den Weg der Befreiung der Menschen verfolgt zu haben, den sie für richtig hielt. Dies selbst auch nicht fest im Sinne von Starrheit, sondern selbstkritisch, argumentierend, nachvollziehbar und unablässig. Ihre Stärke war auch, zu zweifeln und sich im Großen nicht beirren zu lassen; das Ziel der Befreiung zu verfolgen und sich dafür in die alltäglichen Kämpfe zu verwickeln, Anfechtungen zu kennen und doch weiterzugehen. Diese Einschätzungen sprechen über sie als Person als ethisches Wesen; sie sprechen keinesfalls über sie als Opfer, auch nicht als Märtyrerin, als die sie gewöhnlich gehandelt wird.

4. Das Gemeinwesen

Wir verfolgen jetzt die Möglichkeit, nicht nur auf einzelne als stark herausragende Frauen zu blicken, sondern aus den gewöhnlichen alltäglichen Praxen von Frauen in der Geschichte, sodass es zu ihrem sozialen Geschlecht gewissermaßen als Gattung gehört, Zukünftiges herauszulesen. Nach einigem Studium in ethnologischen Schriften, im Nachdenken und Lesen über häusliche Produktionsweise formuliere ich als vorläufige These, dass es den Frauen von alters her obliegt, Gruppen zusammenzuhalten, Kollektive zu stiften und daran zu arbeiten, dass sie zusammenbleiben. Das geht von Stammesgruppen weiter zu immer kleineren Familienformen bis in unsere Zeit der Kleinfamilie, bis zu ihrer Aufrechterhaltung, wo sie schon zerrüttet ist. Nennen wir diese Aufgabe und die daraus bei vielen entwickelte Fähigkeit ein produktiv-kollektives Verhalten, so fällt sogleich auf, dass auch dieses Verhalten eingefangen ist in die je bestimmten historischen Verhältnisse und etwa unter bürgerlichen Verhältnissen, zurückgezogen auf die Kleinfamilie, gleichsam verkehrt ist und seine Potenziale nicht entwickelt, weil sich diese Haltung auf große Kollektive der Gesellschaftsgestaltung erstrecken müsste, eine Haltung und ein Verhalten, die wir Solidarität nennen – nicht care. Die Frage lautet dann in der Gegenwart, ob und wie die in der Familie tradierte Haltung, Zusammenhalt zu organisieren, ins Große von Gesellschaft übertragbar ist.

Unausgesprochen und unentwickelt in dieser Frage ist, was eigentlich eine solche soziale Befähigung ausmacht? Wir wissen, dass Menschen als Gattungswesen gesellschaftliche Wesen sind, d.h. miteinander arbeitsteilig sich Natur aneignen und umformen, also ihre Lebensbedingungen gemeinschaftlich schaffen. Im langen historischen Prozess wird immer deutlicher, dass dieser Prozess explosiv die Kräfte gegeneinander richtet. Je mehr die Menschen miteinander arbeiten und die gesellschaftlichen Produktivkräfte entwickeln, desto mehr geraten sie in erbitterte Konkurrenz zueinander. Im Prozess der Teilung der Arbeit wird nicht nur gesellschaftlicher Fortschritt vorangetrieben, sondern auch die Teilung in arm und reich, in Arbeitende und Nichtarbeitende, in Männer- und Frauen-, in Kopf- und Hand-, in Stadt- und Landarbeit und ihre Folgen für die tätigen Subjekte. Die Basis des Miteinander ist zugleich eine fürs Gegeneinander. Für die Einzelnen bedeutet dies, dass ihr Prozess des Individuum-Werdens zugleich als Fortschritt an Gesellschaftlichkeit wie als feindselige Vereinzelung geschieht. Jeder gegen jeden, jeder ein Unternehmer, das sind die Formen, in denen das solidarische Projekt einer befreiten Gesellschaft verunmöglicht ist, und in denen es zugleich vorangetrieben wird. In solch einer atomisierten feindseligen Gesellschaft müssen sich, schon des bloßen Überlebens wegen, Formen herausbilden, in denen man auch dann zu essen bekommt, wenn man es sich nicht verdient hat. Es bilden sich Solidarverbände, in denen die Schwachen, die Alten, die Kleinen, die Behinderten und Kranken mitgenommen werden können, weil dort andere Gesetze herrschen. Diese gegen alle Wahrscheinlichkeit zu halten, ist gesellschaftlich Frauen vorgesehen, auch wenn sie dies weder praktisch, noch nachhaltig vollziehen können. Die Aufrechterhaltung von Menschlichkeit erscheint als vor allem weibliche Tugend. In dieser Moralform wird sie von oben an diejenigen delegiert, die selbst subaltern gehalten sind. – Bei Stärke denken wir also nicht bloß an die Mutter mit Mutterkreuz, die ihre Kinder über den Winter und durch die Schule bringt usw. – Es kommt uns darauf an, dass Frauen ihre soziale Stärke transformatorisch einsetzen. Dass die Stärke sich also auf die Bedingungen bezieht, die ein solidarisches Zusammenleben im Großen möglich machen.

Ursula Schröter überliefert uns aus ihren Nachspürungen gegen das Vergessen der Möglichkeiten aus der vergangenen DDR eine Rede von Lotte Ulbricht (1964 in einem Stahl- und Walzwerk) für unsere Frage: »Entscheidend ist vielmehr, dass man der Frau den Platz in der Gesellschaft geben muss, der ihr zusteht. Es handelt sich nicht darum, dass man ihr auf die Schulter klopft und sozusagen als armes Hascherl behandelt, dem man helfen muss [...] Die Frauen haben doch bestimmte Fähigkeiten und Talente entwickelt, gerade weil sie seit Jahrtausenden zu gleicher Zeit die verschiedenen Dinge machen mussten. Sie haben schon immer die Kinder erzogen, das Feld bestellt, die Nahrung bereitet, die Kleidung selbst gewebt und genäht. Sie haben also die ganze Wirtschaft geführt. Der Mann ging auf die Jagd.« (2009, 38) Wenngleich die zugespitzte Darstellung historisch etwas waghalsig ist, ist sie doch als Aussage über Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus und Versuche, sich auf Frauen-Stärken zu beziehen, lesbar. Sie gibt uns auch die Orientierung, Gesellschaft als Haushalt zu denken und unsere Maßstäbe zu setzen. Der Gedanke ist fruchtbar und wird kurze Zeit später auf einem Frauenkongress auf das Leben in der Fabrik gezogen: »Und plötzlich, im Betrieb, in der Brigade soll das alles, was sich hier an Fähigkeiten und Eigenschaften bei unseren Frauen über Jahrhunderte herausgebildet hat, nicht ausreichen, um auch im Betrieb, in der Genossenschaft, in unserem großen Haushalt verantwortliche Funktionen auszuüben?« (47)

Unter unseren antagonistischen Verhältnissen des jeder gegen jeden gilt die Familie als ein Ort, an dem nach Bedürfnissen, nicht nach Leistung und Profi t gehandelt wird bzw. werden sollte. Gegen alle individuelle Erfahrung richten sich die Hoffnungen auf ein ›menschliches‹ Leben, das die verkehrende Gesellschaft, in der man lebt, um zu arbeiten, statt arbeitet, um zu leben, nicht gewährleistet, auf die Familie. So besetzen Frauen ein illusionäres Gemeinwesen, in dem sie gleichwohl ein Verhalten und Handeln ausbilden, das für ein zukünftiges Gemeinwesen brauchbar ist. Freilich verkehrt es sich in der Enge des familiären Bezugsrahmens, in dem die Kräfte nach innen gezogen, gegen ein außen verteidigt werden. Solche Gemeinwesenkräfte wären zu befreien, sodass sie allen zugute kommen. Probeweis sprechen wir einige solcher Praxen in der Hoffnung, sie aus den vielfältigen Verkehrungen dennoch zu gewinnen. Zu ihnen gehört also, die Gruppe als Gruppe kooperativ zusammenzuhalten, dass keine herausfallen kann, dass alle zu dem ihren kommen. In der Wirklichkeit der Kleinfamilie heute erfährt man Frauen ausgleichend Fehler verheimlichen, den ›aus der Art Schlagenden‹ heimlich etwas zustecken, und in der verkehrten Form erfährt man sie auch zu äußerster Tyrannei fähig, bereit ihre Kinder nicht nur gegen andere zu verteidigen, sondern auch, sie aus dem Schutz der Familie nicht loszulassen. Zu den Schäden, die die Kleinfamilie ihren Mitgliedern zufügt, ist viel gearbeitet worden. Hier halten wir dennoch einige Haltungen und Praxen fest, die sich für ein zukünftiges Gemeinwesen eignen: die Sorge, dass es den anderen an nichts fehle; das Kümmern um Bedürfnisse; das Ausgleichen von Differenzen; die Wahrnehmung von Unterschieden ohne Nachteile für die Betroffenen; die Sorge um die Körper; ums Wohlsein; um Freundlichsein; ums Mitmachen; darum, dass alle lernen; dass alle Fähigkeiten entwickeln, die nicht nur ihrem Fortkommen dienlich sind, sondern die auch untereinander gewollt sein können, wie Güte, Freundlichkeit, Geborgenheit.

Alle diese als separate Tugenden gedacht, wenden sich alsbald in ihr Gegenteil, es gibt sie nicht an sich als nützliche, sondern nur in bestimmten Verhältnissen, wo sie allen nützen. Gekämpft werden müsste also für Verhältnisse, in denen solche Haltungen wirksam werden könnten, ohne zugleich zu fesseln.

Stärken von Frauen wären mithin solche, die auf ein zukünftiges Gemeinwesen gerichtet schon hier und heute solidarisch lebbar sind. In diesem Sinne müssten wir darum kämpfen, dass Frauen (und allen Menschen) genug Zeit eingeräumt ist, Menschlichkeit, als Sorge für sich, andere und die Natur als Lebensbedingung zu entfalten. D.h. auch, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Einzelnen sich ungeachtet ihrer Verschiedenheit entwickeln können. Das beinhaltet auch, Fähigkeiten von anderen zu fördern, zu bejahen, zu unterstützen, statt sie gegeneinander zu richten. Strukturen zu schaffen, in denen das miteinander Kooperieren als alle bereichernd und genussvoll erfahren werden kann. Den gemeinsamen Genuss auch im Denken als Ziel setzen zu können.

Der Standpunkt der Frauen wäre der, solche Menschlichkeit einzuklagen, und von ihrem Dasein her zu beanspruchen und nicht zu vergessen, dass es um die Reproduktion des Lebens aller und der Natur geht. Und so sind wir von der Frage nach den Stärken nach einigen Umwegen bei dem Projekt angekommen, dass ich die Vier-in-einem Perspektive genannt habe, dem Vorschlag also, sein Leben tendenziell so einzurichten, dass je ein Viertel der Tätigkeiten der Erwerbsarbeit, ein Viertel der Sorge um die Reproduktion von Leben und Lebensbedingungen, ein Viertel der Selbstentwicklung und ein Viertel der politischen Gestaltung der Gesellschaft gewidmet sei. Dabei denken wir nicht alle Frauen naturgegeben als stark, dies zu erkämpfen, wohl aber bereit, dies als Notwendiges zu erkennen und sich dafür einzusetzen. Mehr und Mehr. Solche Stärke wäre ansteckend und selbst Perspektive.

5. Veränderung der Umstände und Selbstveränderung

Gehen wir noch einmal zurück zu Rosa Luxemburg. Sie war ja keine Haus- und Familienfrau. Ihre Praxen und ihr Denken waren sogleich drauf gerichtet, Knechtschaft, Unrecht, Subalternität, Unwissenheit, Apathie zu überwinden, um gemeinsam die Gesellschaft zu gestalten, in der alle sich entwickeln können. Gewiss setzte sie die Stärke der Vernunft, scharfes Denken, Mut und Standfestigkeit ein. Aber sie schöpfte kaum aus dem, was wir hier als Stärken von Frauen aus ihrer Erfahrung von Unrecht und notwendiger Sorge für alles Schwache auszumachen suchten. So setzte sie beim Politikmachen zwar an den Erfahrungen und am Alltag der Menschen an, aber sie sah nur wenige der Fesseln, die die Gewohnheiten den Menschen antun, die darum zur Überwindung vielleicht einen anderen Einsatz weiblicher Stärken und Erfahrung brauchen. Den Weg ins zukünftige Gemeinwesen dachte sie sich experimentell durchs Machen von Regierungserfahrungen, nicht aus vorgängiger konkreter Erfahrung von Unterdrückung und aus dem Lernen in alter Gesellschaft. Sie setzte nicht auf die Stärken von Frauen, sondern auf die Erlangung von Klassenbewusstsein durch die Konfrontation der Klassen im Klassenkampf. Insofern kann man vielleicht sagen, dass es ihrer Politik an der Anknüpfung an Gewonnenes aus Geschichte mangelte. Ihre individuelle Stärke kann nicht bezweifelt werden, wohl aber, ob sie den Raum für die Stärkung aller gestaltete, ob also ihre Politik wirklich hegemonial war in dem Sinn, dass sie die Zustimmung von Vielen bekommen konnte.

Suchen wir weiter und begeben uns an einen ethnologisch anderen Ort. Bei den Ärmsten der Armen, bei den Frauen der Zapatistas sehen wir im revolutionären Manifest der Frauen diese nicht nur gegen die Gewalt der Männer, gegen patriarchale Vorrechte kämpfen, darin auch gegen die Tradition und gegen den von der UNO gewährten Schutz ihrer indigenen Kultur, sondern zugleich Rechte beanspruchen, die allesamt auf die Inanspruchnahme des Raumes für Entwicklung und Leben und ihre politische Gestaltung gerichtet sind. Es ist klar, dass es um ganz elementare Bedürfnisse nach Essen, Trinken, Lernen, Gesundheit geht. Dennoch ist im Anspruch, selber als Frauen für die Gestaltung dieser Bedingungen zuständig zu sein, die Grenze aus dem Privaten ins Öffentliche so überschritten, dass wir kaum zögern können, diese Frauen als Frauen wahrzunehmen, die ihre Frauenstärken in Stellung bringen. Sie beanspruchen, die Lehrer aussuchen zu wollen, die ihre Kinder lehren können, in die Ausgestaltung des Gesundheitswesens einbezogen zu sein, ebenso wie in Straßenbau, Infrastruktur, Produktionsbedingungen, kurz in die gesamte Produktion und Reproduktion von Gesellschaft vom Standpunkt der Reproduktion. Dies ist es, was wir als Stärken bezeichnen könnten, was Frauenstärken genannt zu werden verdient. Sie gehören den Frauen nicht als metaphysische Zuschreibung, sondern sind hervorgegangen aus der bitter erfahrenen Notwendigkeit des Lebens und seiner Reproduktion. Es gehört zu den Stärken dieser Frauen, dass sie diese tatsächlich politisch eingreifend einsetzen wollen und müssen und, soweit sie dies tun, als selbst stärkend erfahren werden.

In dieser Weise schließt sich auch der Kreis zum Problem, dass Frauenpolitik auch langweilig ist, weil marginal, indem wichtige Fragen des gemeinsamen Lebens zu Frauenfragen entwichtigt wurden. Es ginge dann darum, hartnäckig diese Fragen wieder zu allgemeinen zu machen. Dies ist in einem ihre Stärke und ihre Schwäche. Frauenstärken entfalten sich erst im Kollektiv, in dem sie organisierend tätig sind. Sie sind daher in der Bewegung selbst bewegend.

Überprüfen wir die These, wie sie von Ute Osterkamp[3] formuliert wurde, dass zu den Stärken von Frauen die Qualifikation zur Gerechtigkeit gehört oder vielmehr die innere Notwendigkeit, Ungerechtigkeit nicht zu ertragen. Der Begriff der Überprüfung hält uns in Fesseln. Warum sollten wir empirisch überprüfen, was wir von vorneherein nicht als eine Eigenschaft, auch nicht als ein häufi g zu treffendes Verhalten denken, eher als Möglichkeit. Mit der Hoffnung auf die Frauen als historisch an den Orten ihrer Unterdrückung Erfahrene müssen wir unser Denken selbst auf einen Prozess orientieren. Der Produktionsgedanke gehört in die Beobachtung. Das heißt auch, dass wir die ständige Veränderung in die Wahrnehmung einbeziehen müssen und zugleich dabei einen Standpunkt beziehen, der in der Veränderung den Standpunkt zunehmender Befreiung einnimmt.[4]

Wieder lese ich Brecht:

Der Beobachter muss also dem Beobachteten ein gutes Bildnis schenken, das er von ihm gemacht hat. Er kann Verhaltensarten einfügen, die der andere selber gar nicht fände, diese zugeschobenen Verhaltensarten bleiben aber keine Illusionen des Beobachters; sie werden zu Wirklichkeiten: Das Bildnis ist produktiv geworden, es kann den Abgebildeten verändern, es enthält (ausführbare) Vorschläge. Solch ein Bildnis machen heißt lieben. (GW 20, Notizen zur Philosophie, 170)

Die Aussage ist nachvollziehbar, soweit sie sich auf Liebende bezieht. Man liebt um gewisser Verhaltensarten willen. Sie können auch bloß in der Vorstellung existieren. Sie stellen in jedem Fall einen Vorschlag an die Geliebten dar, den sie annehmen können. Vorschläge, die man sich selbst anpasst, müssen so sein, dass man sie bejahen kann. Insofern wohnt diesem Satz vom Lieben eine menschliche Ethik inne und die Hoffnung, dass Menschen sich so verändern können, dass sie sich selbst bejahen.

Das Projekt der Stärken von Frauen setzt also auf Mögliches, auf den Einsatz, aus der Geschichte der Unterdrückung nicht bloß den Wunsch zu erben, nach oben zu kommen, selbst zu herrschen oder zumindest Nutznießerin von Herrschaft zu sein, sondern die große Aufgabe, die Welt wohnlich umzubauen, aus den Praxen in Unterdrückung das Beste nach vorn zu bringen und zu verallgemeinern. Es wäre dies also wesentlich ein Vorschlag, zu befolgen in großen Menschengruppen, als Durchsetzung einer anderen Kultur. Wieder mit Brecht würden wir auch die Liebe von ihrer ausschließenden Beziehung zu jeweils einem andren Menschen in die allgemeine Produktion einer anderen Gesellschaft ziehen. Für seinen Grabstein wünschte sich Brecht den Satz: »Er hat Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen.« So gelangten wir wieder zu Marx, der der Auffassung ist, zur Veränderung der Gesellschaft ins Sozialistische brauche es Menschenliebe. Und zum Thema: Als Stärken von Frauen wären alle Haltungen anzurufen und zu bejahen, die der Welt und den Menschen liebend zugetan sind. Das verschiebt den Satz, dass Frauenstärke sich in der Fähigkeit zeigen könne, Kollektive zu bilden und zu halten, in die einfachere und umso schwierigere allgemeine Aussage, alle Kräfte menschlicher Vergesellschaftung unter die Kontrolle der Gemeinschaft aller zu bringen. Dies schließlich überführt die marxsche These, dass die Veränderung der Umstände und die Selbstveränderung ineins fallen, kraftvoll in unser Leben als Frauen.

Literatur

Alaimo, Stacy, u. Susan Hekman (Hg.), Material Feminisms, Boston 2008

Das Argument 281, Elemente eines neuen linken Feminismus, H. 3, 2009

Braun, Volker, Werktage. Arbeitsbuch 1977-1989, Frankfurt/M 2009

Brecht, Bertolt, »Notizen zur Philosophie«, GW 20, Frankfurt/M 1967, 127-78

ders., Meti. Buch der Wendungen, GW 12, Frankfurt/M 1967

Dunayevskaya, Raya, Rosa Luxemburg, Frauenbefreiung und Marx Philosophie der Revolution,

Hamburg 1998

Haug, Frigga, »Dialektische Theorie und empirische Methodik«, in: Das Argument 111, Berlin 1978, 644-56

dies., »Opfer oder Täter? Über das Verhalten von Frauen«, in: Das Argument 123, 1980, 643-49

dies., Die Vier-in-einem Perspektive. Eine Utopie von Frauen, die eine Utopie für alle ist, Hamburg 2008

Knapp, Gudrun Axeli, u. Cornelia Klinger, Über-Kreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz, Münster 2008

Luxemburg, Rosa, Gesammelte Werke in 5 Bänden, Berlin/DDR 1970-75

Marx, Karl, »Thesen über Feuerbach«, MEW 3, 5-7

Osterkamp, Ute, »Brief an Frigga Haug«, 2010

Schröter, Ursula, Renate Ullrich u. Rainer Ferchland, Patriarchat in der DDR. Nachträgliche Entdeckungen in DFD-Dokumenten, DEFA-Dokumentarfilmen und soziologischen Befragungen, Berlin 2009

Seddon, Terri, »An einer ›Politik des Wir‹ arbeiten«, in: Das Argument 281, 437-46

Soiland, Tove, »Gender oder Von der Passförmigkeit der Subversion. Über die Konvergenz von Kritik und Sozialtechnologie«, in: Das Argument 281, 409-19

Woolf, Virginia, Drei Guineen, (1934) München 1978



[1] Vgl. auch die internationalen Stellungnahmen zur Frage nach einem heute notwendigen linken feministischen Projekt in Frigga Haug (Hg.), Briefe aus der Ferne (2010).

[2] Wir haben diese Suche in diesem Heft an verschiedenen Stellen aufgenommen – vgl. den Beitrag zu Margherita von Brentano und den zur Bischöfin Käßmann oder den zur Gewerkschafterin in Lateinamerika. Die Suche setzt sich im Rezensionsteil fort.

[3] Ute Osterkamp schreibt in einem Brief am 4.1.10 an die Autorin: Ein Grund für die größere Stärke der Frauen erwächst m.E. aus ihrer größeren Sensibilität gegenüber Unterdrückung, die sie aufgrund eigener Erfahrung erworben haben, die auch, wenn womöglich nur als »Mitleid«, offener gegenüber anderen macht. Im Gegensatz zu Männern (...) haben Frauen die Option, »stark« wie diese zu werden, d.h. alles niederzuhalten, was ihrer Position gefährlich werden könnte oder aber – im Sinne verallgemeinerter Handlungsfähigkeit – das Wissen um die Wirkweisen von Unterdrückung zu verallgemeinern, was wiederum zur Voraussetzung hat, dass man die »zentrierte« Sicht auf die eigene Unterdrücktheit überwindet, und sich als Teil des gesamten Systems begreift, das sich nur durch seine Auswirkungen auf das jeweils individuelle Handeln (insbesondere die gegenseitigen Niedermachereien) halten kann. »Stärke« ist ja keine abstrakte Tugend, sondern erweist sich in der Intensität/Hartnäckigkeit, mit der man für das eintritt, was man als richtig und wichtig erkannt hat. Die Stärke der Frauen im politischen Kampf erwächst m.E. daraus, dass für sie der Kampf gegen Unterdrückung nicht nur »politische« Forderung, sondern eine persönliche Not-Wendigkeit ist. Diese Stärke teilen sie zwar mit allen Unterdrückten dieser Welt, aber im Gegensatz zu Männern haben sie weniger Kompensationsmöglichkeiten und können nicht auf die mannigfaltigen Angebote zurückgreifen, sich auf Kosten der Frauen aufzuwerten.

[4] Vgl. dazu meine Auseinandersetzung mit starren empirischen Methoden unter gleichzeitiger Annahme, dass die Dinge im Fluss sind, 1978.