Statt Privateigentum und Lohnarbeit

Über Commons und die Praxis der Diggers

in (24.02.2011)

Mit dem folgenden Beitrag setzen wir unsere Artikelserie zur »kommunistischen Rückeroberung der Commons-Debatte« fort und starten »Tiefenbohrungen« in der Geschichte des Begriffs der Commons, d.h. Gemeingüter, die uns zunächst ins England der Bürgerkriege und der »Puritan Revolution«, also in die erste Hälfte des 17. Jhrdts. führen. Kein Zufall, wie sich zeigen wird. Um den Fluchtpunkt dieser Serie, den Begriff des Kommunismus, dessen Bedeutungen und Lesarten sich hier auf historischem Weg angenähert werden soll, hat es in letzter  Zeit einige öffentliche Aufregung gegeben, die es bis auf die Titelseiten der Tageszeitungen geschafft hat. Dies schien uns einen gesonderten Kommentar wert (siehe S. 7).

 

Not one word was spoken at the beginning

that one branch of mankind should rule over another

Gerrard Winstanley[1]

 

Bei Commons, zu deutsch Gemeingütern, geht es in den derzeit geführten liberalen und reformerischen Debatten hauptsächlich um eine staatlich induzierte und beaufsichtigte, z.T. jedoch auch nicht-staatlich institutionalisierte Regulierung bestimmter Güter, Dienstleistungen oder Ressourcen. Es geht um die Anerkennung und Ausgestaltung von Nutzungsrechten und -regelungen. Aus den Auseinandersetzungen und Definitionsbemühungen um den Gegenstand der Commons wird deutlich, dass Commons nicht ›von Natur aus‹ existieren, sondern i.d.R. gesellschaftlich als solche definiert und bestimmt werden müssen. (Siehe dazu Teil I in express 12/2010.) Innerhalb einer Gesellschaft des Privateigentums wie der unseren bleibt dies ein schwieriges Unterfangen. Staatlich induzierte oder legitimierte Eingriffe in die gegebene Struktur von Nutzungsrechten und -regeln bedeuten immer auch, dass bestehende Eigentumsrechte tangiert werden. Gemeinschaftliche Kooperation widerspricht darüber hinaus den Grundlagen einer Gesellschaft des ›Survival of the Fittest‹, die u.a. auf die freie Konkurrenz individualisierter MarktteilnehmerInnen aufgebaut ist.

Die herrschenden gesellschaftlichen Zustände sind jedoch ebensowenig ›natürlich‹ gegeben wie irgendwelche Commons. Gemeineigentum, und zwar im Sinne einer Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und damit verbunden der Herstellung assoziativer Formen gesellschaftlicher Produktion, ist indes Kennzeichen jener Perspektiven, die verbreiteter etwa seit den 1840er Jahren ›communistisch‹ genannt werden.[2] Im Mittelpunkt steht hier die Revolutionierung der bisherigen und die Errichtung einer anderen Gesellschaft, die wesentlich Communauté ist, d.h. Gütergemeinschaft, die ›kommune‹ (gemeinschaftliche) Produktion einschließt. Erst von hier aus wird es möglich, historisch frühere Ansätze gemeinschaftlicher Produktion als proto-kommunistische zu identifizieren. Dabei ist zu prüfen, inwieweit in solchen Ansätzen mehr vorliegt als lediglich eine Ähnlichkeit mit bestimmten Momenten der Communauté. Oft kommt es in dieser Suche nach Vorläufern zu ungerechtfertigten Gleichsetzungen. So werden ›kommunistische‹ Gemeinwesen in den Frühphasen der Menschheitsgeschichte ebenso ausgemacht wie in Platons Staat, den jüdischen Sekten zur Zeit der Herausbildung der Jesus-Legenden (›christlicher Urkommunismus‹) oder den Bettelorden des Mittelalters.

Nicht jede gemeinschaftliche Produktion jedoch ist sinnvoller Weise als Communauté zu bezeichnen. Probleme ergeben sich vor allem bezüglich der weitgehend im Dunkeln liegenden frühen Produktionsweisen von sogenannten Jäger- und Sammlergesellschaften sowie hinsichtlich der unmittelbar gemeinschaftlichen Subsistenzproduktion agrarisch wirtschaftender Gemeinden.[3] Wesentlicher Unterschied ist, dass die Menschen sich in diesen Produktionsweisen noch nicht von ihren unmittelbaren Produktionsinstrumenten, der Natur, dem ›Boden‹ emanzipiert haben, die Einzelnen noch Anhängsel der Gemeinschaft sind. Um in der Communauté aufgehoben zu werden, muss dagegen erst ein Zustand selbstbewusster Individualität erreicht sein. Erst von hier aus entfalten sich die Möglichkeiten kommuner Produktion. Die Communauté beruht insofern auf der freien Assoziation.

Marx beschäftigt sich mit Formen gemeinschaftlicher Produktion in historisch früheren Gesellschaften u.a. in den »Grundrissen«. Gemeinschaftliche Produktion ist hier als Moment naturwüchsiger Produktion aufgefasst. Kennzeichen dieser Produktion ist nach Marx, dass der Mensch noch naturwüchsig an seine Produktionsbedingungen gekoppelt ist. Der Einzelne ist dort eher ›Zubehör‹ der Produktionsbedingungen, indem er z.B. Mitglied der Gemeinde ist.[4] Das Verlassen solch naturwüchsiger Zustände gemeinschaftlicher Produktion thematisiert Marx auch als Prozess der Befreiung, der Emanzipation des Menschen von der Natur. In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Mensch insofern emanzipiert, als er nicht mehr nur Zubehör naturwüchsiger Gemeinschaften oder Produktionsbedingungen ist. Seine Produktionsmittel stehen ihm nun jedoch als fremde gegenüber. Die produzierenden Menschen sind zu doppelt freien ArbeiterInnen geworden. Sie sind ›frei‹ von Produktionsmitteln und können ›frei‹ über ihre Arbeitskraft verfügen, sie als Ware gegen Lohn verkaufen.

Die Gesellschaft der Communauté muss gegenüber frühen Formen gemeinschaftlicher Produktion als Gesellschaft gelten, die einerseits nicht mehr unmittelbar und naiv an die naturwüchsig gegebenen Bedingungen ihrer Produktion gekettet ist und andererseits ein freies und selbstbestimmtes Verhältnis zur Art und Weise ihrer Produktion hat. Selbst wenn die bürgerliche Emanzipation geglückt ist, so erfolgt der notwendige Bezug des Menschen auf seine gesellschaftlichen Produktionsbedingungen jedoch immer noch unter den Bedingungen spezifischer gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse. Es hat sich gesellschaftlich noch kein selbstbestimmter Bezug der Menschen auf ihre Produktionsverhältnisse hergestellt, und die Menschen haben noch keine Kontrolle über ihre eigenen produktiven Kräfte.[5]

Ebenso schief wie eine Identifizierung frühgeschichtlicher mit kommunen Produktionsformen oder gar mit Kommunismus ist die Bezeichnung der platonischen Gütergemeinschaft als kommunistisch. Platon hatte Gütergemeinschaft in seinem idealen Staat nur der staatlichen Elite zugedacht, die Produktion dagegen ruhte weiterhin auf den Schultern der Sklaven. Auch beinhalten die oft herangezogenen religiösen Gemeinschaften des Mittelalters (Bettelorden etc.) – wenn überhaupt – nur Momente einer gütergemeinschaftlichen Produktion nach innen. Zu fragen ist, in was sich diese überhaupt von der bäuerlich-familialen Produktion der Epoche unterscheiden. Neben ihren religiösen Zwecken und Zwängen sind diese Gemeinschaften zudem hierarchisch gegliedert und agieren i.d.R. abgeschlossen zur Außenwelt.[6] Dies gilt weitgehend auch noch für jene reformierten Glaubensgemeinschaften der Renaissance, die in der Nachfolge des Neuen Testaments in Gütergemeinschaft leben (beispielsweise die mährischen Täufer bzw. Hutterer ab ca. 1530).

 

Kommunistische Communauté

 

Die kommunistische Communauté hat dagegen die freie und selbstbewusste Individualität zur Voraussetzung und ist insofern egalitär organisiert. Statt auf Weltabgeschlossenheit zielt sie perspektivisch darauf, die ganze Gesellschaft einzubeziehen. Insofern ist ihr ein politisches Moment eigen. Indem sie die Verhältnisse bürgerlicher Egalität nicht unterschreitet, sondern aufhebt, überwindet sie soziale Macht- und Hierarchieverhältnisse. Kommunismus ist dabei Theorie, politische Vorstellung und sozialer Prozess zugleich. Auch wenn sich also Momente der kommunistischen Idee in vor-kommunistischen Theorien oder Produktionsweisen ausmachen lassen, so sind deren Unterschiede doch solche ums Ganze.

Hinsichtlich anderer Formen der gemeinschaftlichen Organisation ökonomischer Prozesse geht die Gütergemeinschaft in kommunistischen Ansätzen als gemeinschaftliche Produktion auch über eine gemeinschaftlich organisierte Distribution/Verteilung, wie sie sich etwa bei Frühsozialisten wie Proudhon oder in vertriebsgenossenschaftlichen Modellen findet, hinaus.

 

Kommunistische Vorformen

 

Lassen wir uns weiter auf die Suche nach kommunistischen Vorformen ein. Bei genauerer Betrachtung fällt dabei eine Gruppierung ins Auge, deren Praxis – soweit überliefert – nahe an die Communauté heranrückt und die insofern auch die meisten der aktuellen Commons-Debatten an Radikalität übertrifft: die Diggers. Die Diggers sind eine kleine, aber radikale Fraktion innerhalb der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts. Ihr Name leitet sich vom englischen ›graben‹ oder ›pflügen‹ (to dig) ab. Die Diggers definieren ihre Vorstellung des Gemeineigentums weitgehend als gemeinschaftliche Produktion. Damit stehen sie in der Tradition kommunistischer Ideen, deren wesentliches Kennzeichen die Forderung nach der Communauté in diesem Sinne ist.

In Kürze: In der englischen Revolution steht die Parlamentspartei gegen die des Königs. Die Parlamentspartei siegt, Oliver Cromwell wird Regierungschef, und der König verliert 1649 seinen Kopf. England wird für die kurze Zeit von zwölf Jahren Republik, bis es anschließend, nach der Phase der Cromwellschen Militärdiktatur, zur Restauration kommt, die England wieder (und bis heute) zur Monarchie macht. Die radikale Fraktion innerhalb des Parlaments wurde als Leveller (Gleichmacher) bezeichnet. Die Leveller vertreten bürgerlich-republikanische Vorstellungen. Sie stehen für ein gewähltes Parlament ohne Oberhaus, eine geschriebene Verfassung, bürgerliche Gleichheit und Eigentumsfreiheit. Mcpherson hat dies als Position des »Besitzindividualismus« umschrieben.[7] Bereits ein allgemeines Wahlrecht wird den Levellers zum Problem, denn wählen sollen nur die ›freien‹, ökonomisch unabhängigen Männer, und das bedeutet: Bürgerrecht ist notwendig an Privateigentum gekoppelt.

Von solchen Positionen unterscheiden sich die »True Levellers«, wie sich die Diggers zuerst selbst nennen. Sie sind jedoch weder als Produkt interner Ausdifferenzierung der Levellers noch als Abspaltung von ihnen zu betrachten, sondern als eigenständige, sich gegenüber den Levellers abgrenzende Gruppierung, was personelle Verbindungen durchaus nicht ausschließt. Die Diggers machen in etwa das, was auch in der Französischen Revolution auf die Verkündung der bürgerlichen Freiheitsrechte folgen wird: Sie klagen weitergehende soziale Rechte ein. Sie teilen die bürgerlichen Fortschrittsvorstellungen, die sich u.a. in den individuellen Freiheitsrechten ausdrücken, sie stehen für Religionsfreiheit etc. ein. Priester selbst sind ihnen allerdings, ebenso wie Anwälte, als ›Glaubensverdreher‹ bzw. ›Rechtsverdreher‹ verhasst. (WG: S. 14)

Die Diggers überschreiten jedoch die bürgerliche Forderung nach Eigentumsfreiheit, kritisieren das Privateigentum und propagieren das Gemeineigentum. Das private Eigentum (civil propriety) ist ihnen ein Fluch und der Hauptgrund aller gesellschaftlicher Übel.[8] Mit dem privaten Eigentum verbinden sie jene Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, die überwunden werden sollen. Es soll niemand mehr über den anderen herrschen.[9] Die Erde, so die häufig verwendete Formulierung, ist für die Diggers die »gemeinsame Schatzkammer« (common treasury) aller Menschen. (WG: S. 9, 14f., 19) Alle Menschen sind gleich.[10] Sie haben durch Geburt die gleichen Rechte auch auf die Erde. Für die Diggers gilt das Recht auf Land und die Erde als gemeinsame Schatzkammer nicht nur für die ›freeborn englishmen?‹, sondern weltweit und für alle. (WG: S. 30f.)

Die Diggers fordern, es solle keinen Kauf oder Verkauf und vor allem auch keine Lohnarbeit mehr geben.[11] Mit den von ihnen auch thematisierten Einhegungen von Land, also der gewaltförmigen Umwandlung von feudalem Besitz in Privateigentum (siehe Marx: Das Kapital, 24. Kapitel zur ›sogenannten ursprünglichen Akkumulation‹), sind für die Diggers die Arbeitsverhältnisse wesentlich Lohnarbeitsverhältnisse geworden. Verhältnisse, die zum einen bedingt sind durch die unrechtmäßige Aneignung des Landes (also der Produktionsmittel) durch wenige mittels des Instituts des Privateigentums und die es zum anderen den Besitzenden erlauben, große Gewinne aus der Lohnarbeit zu ziehen. (WG: S. 27f.)

Die Lohnarbeitenden selbst werden explizit kritisiert: Sie seien es selbst, die das System stützten, ja es überhaupt möglich machten.[12] Indem »wir selbst oder andere es hinnehmen, daß es einerseits Grundherren und andererseits Pächter gibt – wobei die einen das Land zu ihrem Eigentum erklären und die anderen es von ihnen abpachten, die einen Lohn geben und die anderen sich gegen einen solchen verdingen müssen«, so die Diggers, würde dem Schöpfungswerk Schmach bereitet. Solange wir »dieses private Eigentum zulassen, willigen wir auch in den Fortbestand jener drückenden Knechtschaft ein«. (WG: S. 27)

 

Unterlegt werden die Forderungen und Argumentationen der Diggers mit Bibelstellen. Fast keine anderen theoretischen Bezüge oder Autoren werden erwähnt. Die Herkunft ihrer revolutionären Ideen verlegen sie in Erleuchtungserlebnisse. Die vielen Ähnlichkeiten und Parallelen zu Morus’ Utopia lassen die Vermutung berechtigt erscheinen, dass diese Schrift den Diggers, vor allen Gerrard Winstanley, bekannt war.

Dieser Gerrard Winstanley (1609-1676) ist der Schreibende bei den Diggers, fast alle Flugschriften der Diggers werden von ihm verfasst. Seine Veröffentlichungen fallen in die Zeit von 1649 bis 1652.

 

Flugblätter & Praxis

 

Doch die Diggers schreiben nicht nur Flugblätter – sie werden praktisch. Gerade auch die mit den Schriften der Diggers verbundene soziale Praxis unterscheidet sie von den Autoren verschiedener zeitgenössischer Utopien, in denen ebenfalls mehr oder weniger gemeinschaftliche Produktionsformen angedacht werden.[13] Die Diggers sind eine soziale Bewegung. Ihre ›Waffen‹ sind ihre Flugschriften, ihr eigenes praktisches Vorbild, ihre Aufrufe, es ihnen gleich zu tun, und darüber hinaus: Toleranz und Gewaltlosigkeit. (WG: S. 38)

Im Jahr 1649 fangen sie an, auf dem St. George’s Hill (sie nennen ihn lediglich George’s Hill) in Surrey südlich von London zu ›graben‹. Sie bearbeiten dort nach eigenen Angaben gemeinsam brachliegendes sowie das örtliche Gemeindeland, das ›Common‹. Daraufhin kommt es vor allem zu Auseinandersetzungen mit der örtlichen Bevölkerung. Ein Geistlicher wird ins Dorf abgestellt, wohl um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Auch marodierende Soldaten drangsalieren die Diggers. Der zuständige Feudale Lord Fairfex wird zwar mit der Situation konfrontiert, sieht zunächst jedoch keine Bedrohung durch die Diggers vorliegen. Die Staatsgewalt hat gerade noch genug damit zu tun, die Levellers zu unterdrücken.[14]

Als die Diggers schließlich durch die gewaltförmigen Übergriffe vom George’s Hill vertrieben werden, starten sie südwestlich von Cobham nochmals einen Versuch. Zeitgleich entstehen wohl mehrere Diggers-Kommu-en, u.a. bei Iver in Buckinghamshire und Wellingborough in Nordhamptonshire. Endgültig beendet wird das Diggers-Experiment auf gut bürgerliche Weise: Es kommt zu einem juristischen Prozess um das von ihnen genutzte Eigentum an Land. Die fortgeschrittenen Eigentumsverhältnisse haben die Diggers bereits eingeholt, weder die Commons noch die Brache erweisen sich als herrenlos.

1651 sind alle Diggers-Kommunen aufgelöst. Die Bewegung ist zu Ende. Sie war nie sehr groß, nach Schätzungen beteiligen sich zwischen 150 und 1000 Menschen. Als Unterzeichner von Flugschriften sind 90 Diggers (nur Männer) namentlich bekannt. Winstanley zieht sich ins Private zurück und veröffentlicht 1652 seine (letzte) Schrift: »Law of Freedom«. Hier entwirft er eine Art utopische Beschreibung der idealen Gesellschaft, für die jedoch weitergehende staatliche Reglementierungen kennzeichnend sind. Für diese Schrift lohnte sich ein Vergleich mit Morus’ Utopia und anderen zeitgenössischen Utopien hinsichtlich der dort vorliegenden Vorstellungen zu Produktion und Gesellschaft (siehe oben).

 

Was war geschehen? Für einen kurzen Moment der Geschichte war es möglich, nicht nur gemeinschaftliche gesellschaftliche Produktion zu denken, sondern auch eine Chance zu sehen, sie hier und jetzt in die Tat umzusetzen. Wie stellte sich die Situation für die Diggers dar? War mit der englischen Revolution nicht die hergebrachte Feudalität geschlagen, die Zeit der Adelsprivilegien vorbei, die unterdrückenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse beendet? Der König war geköpft. Gleichheitsideen schienen sich durchzusetzen. Zugleich schien noch nicht alles durch die neuen privateigentümlichen Verhältnisse völlig okkupiert. Und: Der Staat erschien noch nicht als deren Sachwalter. Es zeigte sich, dass zwar die einen, alten Herrschaftsverhältnisse untergingen, doch andere, neue sukzessive ihre Stelle einnahmen. Die Vorstellung der Diggers von einer ›Erde als gemeinsamer Schatzkammer aller Menschen‹ bleibt weiterhin unerfüllt.

Was waren die Grenzen der Digger-Kommunen? Der Bezug auf die christliche Religion ist allgegenwärtig, auch wenn es bisweilen so aussieht, als würden die religiösen Bezüge nur benutzt, um die eigenen Vorstellungen zu transportieren, wobei Gott und Vernunft nahezu gleichgesetzt werden. Den Frauen scheint trotz der Verweise auf Egalität keine völlig gleichberechtigte Stellung eingeräumt. Die Ökonomie der Diggers basiert fast ausschließlich auf einer einfachen landwirtschaftlichen Subsistenzproduktion. Selbst eine handwerkliche Produktion, die den Rahmen bäuerlicher Produktion überschreitet, wird nicht besonders erwähnt. Weder Maschinen noch weitergehende Arbeitsteilung sind Thema. Die Diggers verwenden einfache Werkzeuge, sie pflügen, bestellen das Land, fällen Holz, versorgen ihre Tiere, bauen Hütten. Sie wollen durch ihre Produktion ihre Subsistenz sicherstellen, weder Armut noch Hunger soll herrschen. Überflüssiger Reichtum wird verworfen. Die Produktion ist auf die Befriedigung der internen Bedürfnisse ausgerichtet, Austausch kommt nur am Rande vor.

Die ökonomische Ausrichtung ist aus der historischen Situation heraus mehr als verständlich. Die Vorstellungen einer anderen Gesellschaft fußen noch auf den bis dahin entwickelten Produktivkräften der Arbeit. Die gemeinschaftliche bäuerliche Subsistenzproduktion der Diggers ist deshalb nicht bloß als Rückprojektion, als rückwärtsgewandte Vorstellung abzutun. Sie wendet sich zugleich auch nicht einfach gegen die Reichen oder die Herrschaft, sondern sie findet ihren Gegner bereits in dem gegensätzlichen Verhältnis von Lohnarbeit und privatem Eigentum. Dies suchen die Diggers in einer radikal herrschaftsfrei und egalitär gedachten Form zu überwinden. Damit sind sie erstaunlich fortschrittlich.

 

Wenn wir versuchen die Differenzen zwischen der agrarischen Subsistenzproduktion der Diggers und den ›utopisch-kommunistischen‹ Modellen wie beispielsweise Owens oder Fouriers zu benennen, wird die zeitgeschichtliche Zwischenstellung, in der sich die Diggers befinden, deutlich. Die Entwürfe des 19. Jahrhunderts argumentieren und agieren vor dem Hintergrund einer schon weitgehend entfalteten kapitalistischen Produktionsweise. Die Lohnarbeit steht hier nicht einfach nur dem privaten Eigentum an Land gegenüber, sondern einem kapitalistischen Fabriksystem und einer von der kapitalistischen Produktionsweise durchdrungenen Gesellschaft inklusive ihrer politischen Formen. Welche Formen von Commons/Gemeingütern bzw. Communauté uns dort erwarten wird unser nächstes Thema sein.

 

 

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/11

express im Netz unter: www.express-afp.info, www.labournet.de/express



[1] »... doch war am Anfang mit keinem einzigen Wort davon die Rede, dass ein Teil der Menschheit über den anderen zu bestimmen hätte.« The True Levellers Standard Advanced / Wofür das Banner der Wahren Gleichmacher weht, in: Hermann Klenner (Hg.): »Gerrard Winstanley. Gleichheit im Reiche der Freiheit«, Leipzig 1983, S. 19. Diese Sammlung von Texten der Diggers liegt hier im Wesentlichen zugrunde und wird im Folgenden zitiert als WG. Die ›Wiederentdeckung‹ der Diggers für den deutschen Sprachraum ist ein Verdienst Klenners.

[2] Zum Begriff Kommunismus siehe: Jacques Grandjonc: »Communisme/Kommunismus/Communism – Origine et développement international de la terminologie communautaire prémarxiste des utopistes aux neó-babouvistes, 1785-1842«, Trier 1989. Die erste ›moderne‹ Verwendung des Begriffs wird Joseph Alexandre Victor d’ Hupay (1785) zugeschrieben.

[3] Dies entgegen den methodisch problematischen historischen Ausführungen und Periodisierungen bei Engels, siehe: Friedrich Engels (1884): »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats«, in: MEW 21

[4] »Die Erde ist das große Laboratorium, das Arsenal, das sowohl das Arbeitsmittel, wie das Arbeitsmaterial liefert, wie den Sitz, die Basis des Gemeinwesens. Sie verhalten sich naiv zu derselben als dem Eigentum des Gemeinwesens und des in der lebendigen Arbeit sich produzierenden und reproduzierenden Gemeinwesens. Jeder Einzelne verhält sich nur als Glied, als member dieses Gemeinwesens als Eigentümer oder Besitzer«, Marx: MEW 42, S. 384; MEGA II.1.2,S. 380

[5] Siehe zu diesem Problemkomplex auch die Überlegungen von Marx zur Rolle der russischen Umverteilungsgemeinde, die sich vor allem in den Briefentwürfen an Wera Sassulitsch finden.

[6] Zur »Wahlverwandtschaft« von Kloster- und Fabrikdisziplin siehe: Steinert/Treiber: »Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen«, Münster 2005

[7] Crawford B. Macpherson: »Die politische Theorie des Besitzindividualismus«, Frankfurt/M. 1967

[8] »For surely this particular propriety of mine and thine, hath brought in all misery upon people«, in: Thomas N. Corns, Ann Hughes, David Loewenstein (ed.): »The Complete Works of Gerrard Winstanley«, 2 Vol., Oxford 2010, S. 524

[9] »[N]iemand wird Herr sein über andere, sondern jeder wird sein eigener Herr sein«, WG, S. 9

[10] »[N]iemand soll Herr sein über einen anderen, sondern alle sollen einander als gleich betrachten«, WG, S. 26

[11] »Darum soll es in einer freien Republik weder Kaufen noch Verkaufen geben, und es soll auch niemand seinen Bruder gegen Lohn für sich arbeiten lassen«, WG, S. 253

[12] »Auch daraus folgt für die arbeitenden Menschen [...], daß sie nicht wagen sollen, bei einem Grundherrn oder sonst jemandem, der über andere hinausgehoben ist, gegen Lohn zu arbeiten, denn durch ihrer Hände Fleiß haben sie ja die Tyrannen und die Tyrannei erst hochgebracht, und durch ihre Weigerung nun, gegen Lohn zu arbeiten, sollen sie sie auch wieder herunterholen«, WG, S. 33

[13] Eine genauere Auseinandersetzung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Schriften der Diggers, vor allem Winstanleys »Law of Freedom« und diesen Utopien (Morus: Utopia 1516, Andreae: Christianopolis 1619, Campanella: Sonnenstaat 1623, Bacon: New Atlantis 1627) muss einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben.

[14] Mit der Niederschlagung der Meuterei von Bruford 1649 endet die Leveller-Bewegung.