Nein zum Libyen-Krieg!

Die Propaganda der "humanitären Intervention" ist Heuchelei

Die NATO führt Krieg gegen Libyen. Aus der Sicht seiner BefürworterInnen handelt es sich um eine "humanitäre Intervention", mit der das Gaddafi-Regime von Massakern an der Zivilbevölkerung abgehalten werden soll. Dieser Sichtweise haben sich auch viele linke BefürworterInnen der Militäraktion angeschlossen. Doch Linke dürfen nicht auf die machtpolitisch motivierten Manöver hereinfallen, die weder die Zivilbevölkerung schützen können noch die Revolten unterstützen sollen. Sie sollten stattdessen gegen die verlogene Politik ihrer Regierungen protestieren: in der Frage der Rüstungsexporte und in der Flüchtlingspolitik.

Vor dem Hintergrund des Angriffs auf Libyen hält die Deutsche Bank für das Verhältnis der Westmächte zu den Revolten im arabischen Raum fest: "Weltanschauliche Präferenzen für eine demokratische Regierung spielten beim Aufbau dieser geopolitischen Struktur nur eine Nebenrolle, wie sich daran zeigt, dass in all diesen Ländern autokratische oder repressive Regime regierten. Der Westen wollte vielmehr die Stabilität an der südlichen und östlichen Flanke Europas sichern und den Zugang zu den Energiereserven der Region sicherstellen." (Deutsche Bank, Economic Research Bureau Frankfurt, Globale Trends 2. Quartal 2011, 31.3.2011)

Die NATO führt Krieg gegen Libyen. Der Intervention liegt die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats zu Grunde. Dieser hat am 17. März mit zehn Stimmen bei fünf Enthaltungen (darunter Deutschland) die Einrichtung einer Flugverbotszone beschlossen.

Mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats war die dann folgende militärische Eskalation bereits angelegt. Denn die Resolution 1973 erlaubt ausdrücklich die Anwendung "aller notwendigen Mittel" zur Einhaltung der Flugverbotszone. Der Einsatz von Bodentruppen schien damit nicht gemeint, ist aber auch nicht eindeutig ausgeschlossen. Lediglich den Einsatz einer "Besatzungstruppe in jeder Form" erlaubt die Resolution eindeutig nicht. Die immer offenere militärische Unterstützung der NATO für die Opposition gegen das Gaddafi-Regime birgt die Gefahr einer weiteren Eskalation in einem lang dauernden Bürgerkrieg. Darunter würde vor allem die Zivilbevölkerung leiden, die angeblich geschützt werden soll. Wo ein moderner Militärapparat Krieg führt - sei es mit Flugzeugen und Raketen oder mit Bodentruppen - sind "Kollateralschäden" unvermeidlich.

"Kollateralschäden" sind bei Bombardierung unvermeidlich

Die Motive der Krieg führenden Mächte sind nicht humanitärer Art. Durch umfangreiche Waffenlieferungen haben sie dem libyschen Regime überhaupt erst die Mittel zum Massenmord verschafft. Zeitgleich stattfindende schwere Menschenrechtsverletzungen - etwa in Syrien, dem Jemen oder Bahrain - nehmen sie zur Kenntnis, ohne eine "humanitäre Intervention" auch nur in Erwägung zu ziehen. In Libyen dagegen sehen die NATO-Staaten offensichtlich eine Chance. Nach den Umwälzungen in Tunesien und Ägypten wollen sie ihren politisch-militärischen Einfluss in der Region und ihre ökonomischen Interessen langfristig sichern. Ein unter westlicher Regie und durch NATO-Waffen herbeigeführter "Regimewechsel" in Libyen käme diesen Interessen entgegen, glauben sie.

Nach dem Sturz der Diktatoren Ben Ali und Mubarak wäre das Ende des Gaddafi-Regimes ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Gaddafi war nie ein Partner im "antiimperialistischen Kampf", seine "grüne Revolution" kein Modell für Befreiungskämpfe. Sein Regime hat nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern auch mit europäischen Regierungen das schmutzige Geschäft der "Flüchtlingsabwehr" betrieben. Gaddafis Sturz aber kann nur die Sache der in Libyen lebenden Menschen sein.

Die Zusammensetzung und die Motive der libyschen Opposition, die bewaffneten Rebellen eingeschlossen, sind aus der Ferne nur schwer zu beurteilen. Etliche Oppositionelle haben dem Regime bislang treu gedient, einige in hohen Positionen. Andere verfügen über Kontakte zu Regierungen der westlichen Kriegsallianz und ihrer Geheimdienste. Wenn solche Leute an die Stelle der jetzt Herrschenden treten, wird man kaum von demokratischen Verhältnissen sprechen können. Denkbar, wenn nicht wahrscheinlich, wäre eine Entwicklung wie in Afghanistan, mit seiner korrupten und von den USA abhängigen Marionettenregierung und einer zutiefst gespaltenen Bevölkerung.

Im geltenden Völkerrecht ist die Parteinahme fremder Staaten für eine Bürgerkriegspartei ausdrücklich verboten. Bisherige "humanitäre Interventionen" wurden mit angeblich drohendem Völkermord (Kosovo-Krieg 1999) oder erfundenen Massenvernichtungswaffen begründet (Irak-Krieg 2003). Die Militärintervention in Libyen, die angeblich Massaker verhindern soll, wäre ein weiterer Präzedenzfall für eine Anpassung des Völkerrechts an die Interessen der USA, der EU und der NATO. Frankreichs Staatspräsident Sarkozy, einer der eifrigsten Kriegstreiber, spricht schon jetzt davon, "dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft von nun an jedes Mal die gleiche sein wird".

Sind KriegsgegnerInnen die nützlichen Idioten Gaddafis?

Die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung über die UNO-Resolution 1973 hat eine bizarre innenpolitische Debatte ausgelöst. KommentatorInnen und OppositionspolitikerInnen warnen vor einem verhängnisvollen deutschen "Sonderweg". Was immer die Enthaltung motiviert haben mag - mit Pazifismus hat sie nichts zu tun, sondern eher mit dem Kalkül, nicht-militärische Einflussnahme in der Region könnte sich langfristig um so mehr auszahlen. Inzwischen beteiligt sich Deutschland ebenso am Krieg gegen Libyen wie 2003 gegen Irak: indirekt, aber wirkungsvoll.

Zu den Besonderheiten der deutschen Libyen-Debatte gehört, dass unter den lautesten KriegsbefürworterInnen auch "Linke" vertreten sind. Während in der taz der Politikprofessor Bernhard Stahl ein "Paradebeispiel für einen ,gerechten Krieg`" ausmacht, diffamiert Ivo Bovic in der Jungle World linke KriegsgegnerInnen als nützliche IdiotInnen Gaddafis. Etwas deftiger mag es der frühere Jugoslawien- und Afghanistan-Krieger Joschka Fischer, der sich für seinen Nachfolger Guido Westerwelle schämt: Dieser habe es vorgezogen, "als es im Sicherheitsrat zum Schwure kam, den Schwanz einzuziehen".

Es gibt zwei "linke" Begründungen, die für eine Beteiligung an der Militär-Intervention herhalten müssen, eine "humanitäre" und eine "strategische". Das humanitäre Argument betrachtet die Luftangriffe der NATO-Staaten als einziges Mittel, um ein Massaker Gaddafis an der Zivilbevölkerung zu verhindern. Exemplarisch brachte der israelische Friedensaktivist Uri Avnery diese Position auf den Punkt: "Wenn es darum geht, einen Genozid zu verhindern, bin ich sogar bereit, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. (...) Es ist mir egal, wer Gaddafis mörderischem Krieg gegen sein eigenes Volk ein Ende setzt: UN, NATO oder die USA ganz alleine - wer auch immer es macht, der hat meinen Segen." (taz, 28.3.11) Die strategische Begründung argumentiert darüber hinaus, ein Sieg Gaddafis über die Rebellen würde die revolutionäre Welle in den arabischen Staaten stoppen und Diktatoren eine Blaupause für die gewaltsame Niederschlagung künftiger Aufstände liefern. So zum Beispiel der libanesische Politologe und Trotzkist Gilbert Achcar (der auch das "humanitäre Argument" vorbringt) im Interview mit dem Znet.

Doch die Vorstellung, Gaddafis angedrohte Gewaltexzesse gegen ZivilistInnen könnten durch "saubere" Bombenabwürfe an der richtigen Stelle gestoppt werden, ist naiv. Wer Militäraktionen ohne Nachteile für die Bevölkerung für möglich hält, sitzt dem Glauben an die Allmacht moderner Waffensysteme auf. Naiv ist auch die Vorstellung, der Westen werde nach dem Ende der Bombardierung die Rebellen gewähren lassen. Wenn die Aufständischen in Libyen nicht aus eigener Kraft den Sieg erringen, dann diktiert der Westen anschließend den weiteren Verlauf. Die Intervention ist das Ende der selbstbestimmten Entwicklung und der erste Schritt, die europäische und US-Dominanz über die Region wieder herzustellen.

Die naiven Argumente der linken KriegsbefürworterInnen

Wie wenig die "linken" KriegsbefürworterInnen verstanden haben, zeigt sich auch daran, dass sie keine eigenen Vorstellungen in die Debatte einbringen. Weder fordern sie eine Demokratisierung der UNO noch betonen sie die Notwendigkeit von Strukturen, die einen "Missbrauch" militärischer Gewalt durch Interessen einzelner, mächtiger Staaten verhindern. Damit haben sie ihre Glaubwürdigkeit als Linke verspielt. Auch die Idee des Völkerrechts, der Gefahr eines dauerhaften Kriegszustands zwischen Staaten einen Riegel vorzuschieben, geben sie leichtfertig auf. Zwar ignorieren Staaten die völkerrechtlichen Regeln schon bisher immer, wenn es opportun erscheint. Doch das Völkerrecht symbolisiert den gesellschaftlichen Konsens gegen Kriegstreiberei. Es ist eine wichtige Instanz, auf die sich KriegsgegnerInnen berufen können. Eine Aufweichung dieses Konsenses macht Kriegsführung zu einer ganz normalen machtpolitischen Option.

Europäische Linke haben auf den Fortgang der Dinge in Nordafrika keinen direkten Einfluss. Doch sollten sie sich von dieser faktischen Ohnmacht nicht verleiten lassen, die Kriegspolitik ihrer Regierungen zu unterstützen, die nicht in ihrem Interesse sein kann. Stattdessen sollten sie gegen die verlogene Politik ihrer Regierungen Protest einlegen. Auch die wechselnden Bundesregierungen haben immer wieder Rüstungsexporte in den Nahen Osten und nach Nordafrika, Libyen eingeschlossen, genehmigt. Erst Anfang März hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Teil dieser Exporte gestoppt. Dennoch ist zu befürchten, dass weiterhin deutsche Waffen in die Region gelangen, auch auf Umwegen, etwa über Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, mit denen nach wie vor ein lukrativer Rüstungshandel betrieben wird. Deutschland und die anderen EU-Staaten dürfen keine Waffengeschäfte mit den Diktatoren in den arabischen und nordafrikanischen Ländern machen.

In der Nacht zum 6. April kenterte ein Schiff mit bis zu 300 Flüchtlingen, das von Libyen aus in See gestochen war, etwa 70 Kilometer vor Lampedusa. Bis zu 250 Menschen ertranken. Doch anstatt die Flüchtlinge aus den umkämpften und durch die ökonomische Abhängigkeit vom Westen verarmten Staaten aufzunehmen, arbeiten die EU-Staaten mit Hochdruck daran, die Lecks in ihren Außengrenzen, die der Sturz der Diktatoren gerissen hat, abzudichten. Der tunesischen Interimsregierung hat Italien bereits ein entsprechendes Abkommen aufgenötigt. Hier sollten Linke ansetzen: Die europäischen Staaten müssen die Grenzen für Kriegsopfer und Flüchtlingen öffnen und diese großzügig unterstützen. Das wäre eine humanitäre Intervention, die diesen Namen verdient.

ak-Redaktion

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 560/15.4.2011