Krach im Liebknecht-Haus

Am 20. April traf sich der „Geschäftsführende Vorstand" der Linkspartei im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, um das Kriegsbeil zu begraben. Voraus gegangen waren nach den verlorenen Landtagswahlen von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie den für die Linke frustrierend verlaufenen Kommunalwahlen in Hessen (Blättchen 7/2011) heftige Auseinandersetzungen in diesem Gremium, das eigentlich nach einem von Gregor Gysi entworfenen Strickmusterbogen gedacht war, den Großen Frieden zwischen den verfeindeten Strömungen der Partei zu wahren. Die breite Parteibasis West wie Ost musste dem einigermaßen fassungs- wie verständnislos zusehen. Die Partei hat 2011 immerhin elf Wahlkämpfe zu bestehen, inzwischen muss man wohl sagen „zu überstehen". Sie befindet sich mitten in der Diskussion zu einem neuen Grundsatzprogramm, das linke Antworten auf eine gesellschaftliche Lage liefern soll, die so verworren wie nie zuvor erscheint. Sie muss für eine deutliche Verjüngung der Mitgliedschaft sorgen. In vielen Landesverbänden West gilt es, eine solche Mitgliedschaft erst einmal aufzubauen. All das lastet auf der Parteibasis, die Parteispitze erwies sich da bislang als wenig nützlich.
Apropos Mitglieder: Äußerungen wie die der Berlin-Lichtenberger Bezirksvorsitzenden Gesine Lötzsch, dass es allein in „ihrem Bezirksverband" mehr Mitglieder gebe als in ganz Baden-Württemberg, können da nur als Zeichen triefender Arroganz aufgefasst werden. Frau Lötzsch ist auch Bundesvorsitzende, Mitglied des Deutschen Bundestages sowieso und dort als haushaltspolitische Sprecherin auch fachlich nicht ganz einflusslos. Die Sehnsucht nach möglichst vielen Ämtern scheint zum Markenzeichen von Spitzenpolitikern der Linken geworden zu sein. Ämter bedeuten Macht - und so nebenbei auch noch eine Hausmacht zu besitzen war nicht nur Bestreben der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Spätestens nach dem rüden Sturz des als unantastbar erschienenen Bundesgeschäftsführers Dietmar Bartsch ausgerechnet durch Vormann Gysi im Januar 2010 weiß man das auch in der Linken zu schätzen. Bartsch wurde kurze Zeit später vom Fraktionsvorsitzenden Gysi der Posten des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden angeboten. Der heimliche Herrscher der Partei hatte den wirklichen Einfluss des Bundesgeschäftsführers unterschätzt. Dass die Art und Weise der „Einsetzung" von Spitzenpositionen durch den Fraktionsvorsitzenden gelegentlich eher an ottonisch-salische Praktiken denn an die in einer demokratischen Partei üblichen Regeln erinnert, sei nur am Rande vermerkt. Auch der jetzige Parteivorstand kam nicht anders zustande: Nach dem gesundheitlich bedingten Ausstieg Oskar Lafontaines Ende 2009 und der Ankündigung Lothar Biskys, zum Rostocker Parteitag im Mai 2010 nicht mehr antreten zu wollen - der Rauswurf des Bundesgeschäftsführers wurde schon erwähnt - erhielt am 25. Januar des vergangenen Jahre ein „Personalvorschlag" Gregor Gysis, der in einer heftig verlaufenden Nachtsitzung mit den Landesvorsitzenden der Partei (manche dementieren heute, überhaupt dabei gewesen zu sein) den Segen des Vorstandes als „Vorschlag für die Besetzung der Spitzenfunktionen der Partei Die Linke durch den Rostocker Parteitag am 15. und 16. Mai 2010". Natürlich folgte der Parteitag.
Ein Blick auf diese Liste hilft, die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zu verstehen. Sie umfasst zehn Namen und ist in mehrfacher Hinsicht streng quotiert: Mann - Frau, Ost - West, aber auch nach politischen Flügeln. Angesichts von 40 bundesweit offiziell agierenden „Zusammenschlüssen" in der Partei, von denen 25 vom Vorstand satzungsgemäß „anerkannt" sind, ein unmögliches Unterfangen. Die „Strömungsquote" reduziert sich bei näherem Hinsehen auf die auch in anderen Parteien bekannten Realos (in der Linken nennen die sich gern „Reformer", ein bloßer Kampfbegriff) und Fundis. Erstere stehen dem „Forum Demokratischer Sozialismus" (FDS) nahe und verfügen im „Geschäftsführenden Parteivorstand" über etwa 50 Prozent der Stimmen. Prominenteste Politikerin der Letzteren ist Sara Wagenknecht. Das Mitglied der Kommunistischen Plattform ist eine von vier Stellvertreterinnen der beiden Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Der wiederum repräsentiert den durch die Fusion der ostdominierten PDS mit der westlastigen WASG in die Partei gekommenen Gewerkschaftsflügel. In der PDS war ein solcher so gut wie nicht mehr vorhanden. Die beiden anderen Stellvertreterinnen sind in der „emanzipatorischen Linken" (Katja Kipping) beziehungsweise im FDS (Halina Wawzyniak) zu verorten. Kipping gehört zu den Protagonistinnen der Idee des „bedingungslosen Grundeinkommens" und mit einem von ihr dadurch zwangsläufig vertretenen Arbeitsbegriff jenseits der klassischen „Lohnarbeit" Antipodin Klaus Ernsts und Sara Wagenknechts. Der vierte Stellvertreter Heinz Bierbaum, saarländischer Linksfraktionsvorsitzender, ist quasi Lafontaines Mann in Berlin. Bierbaum ist der einzige Inhaber einer Spitzenfunktion, der nicht Mitglied der Bundestagsfraktion ist. Gesine Lötzsch, Klaus Ernst, Katja Kipping und Ulrich Maurer gehören deren Fraktionsvorstand an. Die Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann stöhnte gelegentlich auf, dass die Partei zu sehr die Arbeit der Fraktion dominiere. In realiter ist das Gegenteil der Fall. Die unter Bartsch allmächtige Position des Bundesgeschäftsführers ist mit der Doppelbesetzung Caren Lay (FDS) und Werner Dreibus (WASG-Gewerkschaftsflügel), beide keine politischen Leichtgewichte, gleichsam neutralisiert. Lediglich die Position des Bundesschatzmeisters ist mit Raju Sharma (FDS) durch eine einzige Person besetzt.
Kassenwart Sharma war es allerdings, der beinahe den Showdown der Partei provoziert hätte: Er maßregelte den Vorsitzenden Ernst, der auf dem Hamburger Landesparteitag von einem „gewissen Personenkreis" orakelte, der auf fortgesetzte Weise die Arbeit der Partei sabotiere. Sharma: „Er soll sich konkret äußern oder die Klappe halten." Sara Wagenknecht karrte zurück: „Wer sich anmaßt, der Parteispitze unverschämte Anweisungen erteilen zu können, wann und wozu sie sich äußert, hat sich für Führungsaufgaben vollständig disqualifiziert." Das wurde noch von Werner Dreibus getoppt, der den Rücktritt Sharmas verlangte. Ob Dreibus sich in dem Augenblick bewusst war, dass dies einen Sonderparteitag zur Folge gehabt hätte, darf bezweifelt werden. Katja Kipping glaubte zeitgleich das Versagen der (Plural!) Vorsitzenden feststellen zu müssen. Das erstaunte Publikum konnte diese Dinge am 18. April zu Beginn der Karwoche - ein böser Treppenwitz! - im Tagesspiegel, der Süddeutschen Zeitung, und der Welt lesen. Einen Tag später stellte ausgerechnet Raju Sharma fest: „So können wir auf Dauer in der Parteiführung nicht zusammenarbeiten." In der FAZ, nicht im Neuen Deutschland - was die empörte Parteibasis zusätzlich gegen den Vorstand aufbrachte. Miriam Hollstein (Die Welt) bezeichnete die Partei kürzlich als „Wespennest". Das trifft nicht zu. Ihrer Führungsetage kann man allerdings den Charakter eines Tollhauses nicht absprechen.
Am 20. April nun rief der Rat der verstrittenen Götter der Partei den Großen Frieden aus. Der Vorstand sehe „sich in der Verantwortung, die Debatte über das Führungspersonal ... sofort einzustellen und erwartet von allen VerantwortungsträgerInnen in der Partei Gleiches", hieß es anderntags in der Presse. Das glaubte wohl niemand so recht. Sharma ätzte, dass man „an einem 20. April" nicht zurücktrete. Er spielte damit zynischerweise a uf den „Führer-Geburtstag" an. Allein dafür gehörte er gefeuert. Bodo Ramelow, Beinahe-Ministerpräsident aus Thüringen, mahnte Frieden „bis wenigstens Ostern" an. Und der saarländische Parteivize Bierbaum kündigte für den Fall eines Scheiterns in der Bremen-Wahl am 22. Mai schon einmal vorsorglich an, dass sich dann die Frage der Übernahme des Parteivorsitzes durch Oskar Lafontaine neu stellen könne. Da klingt die Überschrift eines Papieres des Forums Demokratischer Sozialisten fast moderat: „Einige Feststellungen zur aktuellen Situation der LINKEN aus Sicht des fds-Bundesvorstandes". Hinter so harmlos wirkenden Formeln stecken Kampfschriften. Tatsächlich wird der Führungsspitze politisches Versagen unter die Nase gerieben und die „neue Legitimation eines Parteivorstandes schon im Januar 2012" gefordert. Das FDS spricht vom „amtierenden Parteivorstand". Das „System Gysi" ist auf ganzer Linie gescheitert.
Es ist einfach nur zum Heulen. Die Sarrazinisierung der anderen Parteien läuft auf Hochtouren. Die Ausgegrenzten dieser Gesellschaft bedürfen dringender denn je einer politischen Kraft, die ihnen hilft, ihre Interessen zu vertreten. Die Linke gibt vor diese Kraft zu sein, könnte das bitter notwendige Gegengewicht zur fortlaufenden Zerstörung der zivilisatorischen Grundlagen auch der deutschen Gesellschaft bilden - aber ihr Führungspersonal hat nichts Wichtigeres zu tun, als den Laden zu zerlegen. Die Motivationen sind unklar. Oder sitzt da nicht doch ein tapferes Schneiderlein in den Ästen und freut sich diebisch, die Riesen aufeinander gehetzt zu haben?