Jetzt wird's laut - In Portugal regt sich Widerstand gegen die neoliberale Krisenbewältigung

Entgegen der neoliberalen Krisenstrategie, die in Europa vorherrscht, wurde in Portugal 2006 der Spitzensteuersatz von 40 auf 42 Prozent angehoben - ein einmaliger Vorgang innerhalb der EU. Hinter dieser Vorgehensweise steckte aber weniger eine sozialstaatliche Strategie, sondern vielmehr die Schwäche der sich wechselnden Regierungen. Der Versuch, neoliberale Austeritätsprogramme durchzusetzen, hätte der regierenden Partei die nächsten Wahlen vermiest. Mit der Weltwirtschaftskrise schlug die Regierung nach den Parlamentswahlen 2009 jedoch einen neoliberalen Kurs ein. Der politische Widerstand folgte auf dem Fuß.

Die gegenwärtige politische und ökonomische Krise in Portugal ist das Ergebnis von Entwicklungen, die bereits vor 10 Jahren begannen. Nach einer Wachstumsphase von 1996 bis 2000 brach das Wirtschaftswachstum von über vier Prozent (2000) auf zwei Prozent (2001) ein und sank 2002 mit der Einführung des Euros weiter auf unter ein Prozent. Die wechselnden portugiesischen Regierungen reagierten eher vorsichtig auf die Krise - umfangreiche Kürzungen im sozialen Bereich blieben aus.

Sowohl die konservative PSD als auch die sozialdemokratische Sozialistische Partei setzten auf Staatsverschuldung und verzichteten auf Kürzungen und Privatisierungen. Die Hoffnung der Regierung war, dass es in absehbarer Zeit wieder zu einer Wachstumsphase kommen würde - wie schon Ende der 1990er Jahre.

Von EU und IWF gesteuertes Austeritätsprogramm

Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise 2007 wurde klar, dass diese Hoffnung vergebens gewesen war. 2008 blieb ein Wirtschaftswachstum in Portugal völlig aus. 2009 wurde die Kreditwürdigkeit Portugals abgestuft, was es der portugiesischen Regierung zunehmend schwerer machte, auf den internationalen Finanzmärkten Kredite zu erhalten. Portugal galt nach Griechenland und Irland als der nächste Kandidat für ein von der EU und dem IWF gesteuertes Austeritätsprogramm. Angesichts der großen Unruhen und der ungelösten Wirtschaftskrise in Griechenland versuchte die "sozialistische" Minderheitsregierung in Lissabon, die Entscheidungsgewalt über die konkreten Maßnahmen zu behalten, indem sie selbst ein neoliberales Austeritätsprogramm entwarf, um dafür internationale Kredite zu erhalten.

Die portugiesische Regierung beschloss im März 2010 ein "Programm für Stabilität und Wachstum" (PEC), einschließlich Preissteigerungen für den Nahverkehr und einer Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitigen Lohnkürzungen. Das Spar- und Kürzungsprogramm wurde über vier Schritte ausgeweitet - in Portugal wird als PEC 1 bis PEC 4 bezeichnet. Die ersten drei Pakete wurden im Parlament mit Unterstützung der konservativen PSD bestätigt. Erste größere Proteste fanden gegen PEC 3 statt. Gegen diese Maßnahmen, die ab dem 1.1.11 gelten und zu höheren Lebenshaltungskosten bei sinkenden Löhnen führen, gab es am 24.11.10 einen Generalstreik. Neben dem Gewerkschaftsverband CGTP, der der Kommunistischen Partei Portugals nahe steht, rief der sozialdemokratische Verband UGT ebenfalls zum Generalstreik auf - obwohl die UGT der regierenden "Sozialistischen Partei" näher steht.

Nach Gewerkschaftsangaben haben drei Millionen Menschen gestreikt. Allerdings war die öffentliche Wirksamkeit des Streiks gering und außerhalb der Hauptstadt war der Streik kaum spürbar. Dies schien darauf hinzudeuten, dass viele zwar unzufrieden mit der Regierung waren, aber gleichzeitig wenig Hoffnung hatten, die Verschlechterung ihrer Lebensumstände abwenden zu können.

Das nächste politische "Barometer" war die Präsidentschaftswahl am 23.1.11. Das staatliche Austeritätsprogramm war bereits in Umsetzung und die Parteien, die dafür verantwortlich sind, waren bekannt. Die soziale Unzufriedenheit führte aber nicht zu einem Stimmenzuwachs für linke Parteien. Der Kandidat der Kommunistischen Partei kam auf 7,1 Prozent der Stimmen und der mit der deutschen Partei DIE LINKE vergleichbare linkssozialdemokratische Bloco de Esquerda (Linksblock) entschied sich dafür, den Kandidaten der regierenden Sozialisten zu unterstützen - der dann gegen den konservativen Amtsinhaber verlor. Auch dies war kein Vorzeichen dafür, dass soziale Proteste zunehmen würden. Zwar deutete die niedrige Wahlbeteiligung von etwa 46 Prozent (gegenüber ca. 60 Prozent 2006 und 2009) auf zunehmende Unzufriedenheit. Daraus wuchs aber weder eine Zustimmung für die linke Opposition, noch hatte es dazu führte, dass soziale Proteste zunahmen.

Die Situation änderte sich, als die Regierung ein weiteres Maßnahmenpaket (PEC 4) auf den Wege brachte. Die bisherigen Regierungspläne hatten nicht zu Aufwertung der Kreditwürdigkeit Portugals geführt. Die EU und die IWF erwarteten ebenfalls weitere Maßnahmen, bevor sie Kredite vergeben würden.

Kanalisierungsversuche durch Gewerkschaften

Der nächste und entscheidende Schritt waren die Proteste am 12.3.11. Die Initiatoren der Proteste waren weder Parteien noch Gewerkschaften, sondern prekarisierte Unorganisierte. Und trotzdem - oder gerade deswegen - demonstrierten an diesem Tag mehr als 200.000 Menschen in Portugal gegen die zunehmende Prekarisierung ihrer Lebensumstände, sei es durch Arbeitslosigkeit oder Lohnkürzungen. Allein in Porto, der zweitgrößten Stadt Portugals, waren etwa 80.000 Menschen auf der Straße - bei einer Einwohnerzahl von 400.000. In Porto waren Parteifahnen ebenso wenig zu sehen wie die Gewerkschaftssymbole. Neben vielen selbstgebastelten Schildern und einigen wenigen Portugalfahnen waren lediglich Transparente der anarchosyndikalistischen AIT-SP erkennbar.

Inzwischen versuchen die linken Oppositionsparteien und die Gewerkschaften die sichtbar gewordene Unzufriedenheit zu kanalisieren. Die beiden Gewerkschaftsverbände CGTP und UGT organisierten eilig eine Massendemonstration am 19.3.11 in Lissabon, an der (laut eigenen Angaben) 200.000 Menschen teilgenommen haben sollen.

Angesichts der Massenproteste zog die konservative Opposition ihre Unterstützung für die Regierungspläne zurück und auch der Staatspräsident kritisierte die PEC4-Maßnahmen als sozial ungerecht. Ohne die Unterstützung der konservativen PSD konnte die "sozialistische" Minderheitsregierung die Maßnahmen im Parlament bestätigen lassen. Inzwischen ist der Ministerpräsident José Sócrates zurückgetreten und es werden Neuwahlen erwartet.

Noch ist offen, ob der 12.3.11 lediglich ein kurzes Strohfeuer war oder weitere selbstorganisierte Proteste folgen. Sicher ist aber: Die Zeit der schweigenden Unzufriedenheit ist in Portugal vorbei.

In: analyse&kritik (Nr. 560, 15.4.2011, S.24)