„Grüne“ Gentechnik light

Bundesverfassungsgericht erklärt das Gentechnikgesetz für verfassungskonform

in (26.06.2011)

Sowohl ökologisch und konventionell produzierende LandwirtInnen als auch die Mehrheit der VerbraucherInnen dürften erleichtert sein: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 24. November 2010 das Gesetz zur Regelung der Gentechnik (GenTG) in seiner jetzigen Fassung für verfassungskonform erklärt.

Das GenTG wurde im Jahre 2004 von der rot-grünen Regierungskoalition verabschiedet. Basierend auf europarechtlichen Bestimmungen ist das in § 1 Nr. 2 GenTG erklärte Ziel des Gesetzes, ein Nebeneinander von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft sowie „Grüner" Gentechnik zu ermöglichen. Als „Grün" wird diese Form der Gentechnik deshalb bezeichnet, weil sie versucht schädlingsresistente Pflanzen zu entwickeln. Im Gegensatz hierzu steht die „Rote" Gentechnik, die der Herstellung von Medikamenten mittels gentechnisch veränderter menschlicher Zellkulturen dient. Die Veränderung der Gene von Pflanzen birgt jedoch viele Gefahren in sich. Denn gentechnisch veränderte Organismen (GVO) werden notwendigerweise in der freien Natur kultiviert, und nicht in einem abgeschirmten Labor. Die Auswirkungen von GVO auf die Umwelt und damit auf den Menschen sind aber mangels Langzeitstudien und wegen ihrer Einzelfallabhängigkeit nicht hinreichend erforscht. Es handelt sich bei der „Grünen" Gentechnik also um eine stark risikobehaftete Technologie, die vernünftigerweise zu reglementieren und zu überwachen ist. Genau dies versucht das GenTG.

Nach Ansicht der Landesregierung von Sachsen-Anhalt stellt das Gesetz jedoch eine nicht gerechtfertigte Verletzung der Berufs-, Eigentums- und Forschungsfreiheit, des Gleichheitssatzes sowie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der GVO-VerwenderInnen dar. Aus diesem Grund reichte die Landesregierung am 27. April 2005 einen Normenkontrollantrag ein, um das GenTG auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. In Sachsen-Anhalt befindet sich mit dem Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben eine der zentralen Forschungseinrichtungen für „Grüne" Gentechnik in Deutschland.

Rechtsregime im Vergleich

In der Europäischen Union (EU) und in Deutschland ist das Rechtsregime, das den Anbau von GVO kontrolliert, wesentlich strikter als andernorts. Und auch der Marktanteil von in der EU produzierten GV-Lebens- und Futtermitteln ist sehr gering. Im Jahre 2009 liefert dafür die Kontroverse um die Neuzulassung der GV-Mais-Sorte MON 810 des Biotech-Konzerns Monsanto einen anschaulichen Beleg. Die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat am 14. April 2009 von einer sog. Schutzklausel[1] Gebrauch gemacht. Wegen möglicher Gefährdungen verschiedener Insektenarten setzte sie die Zulassung für den Anbau der bis dahin in Deutschland einzigen gentechnisch veränderten Pflanze aus. Zuvor hatten bereits mehrere EU-Länder den Anbau untersagt. In den USA wird MON 810 dagegen weiterhin neben anderen GVO auf Millionen von Hektar kultiviert. Vielleicht lieferte der damals von Monsanto befürchtete Schaden in Millionenhöhe den Anstoß für das jetzige Normenkontrollverfahren? Der Prozessbevollmächtigte der Landesregierung von Sachsen-Anhalt ist jedenfalls ein aus Verfahren mit Beteiligung Monsantos bekannter Anwalt.

Das Verfahren hatte von vornherein nur eine begrenzte Reichweite. Nur über die Art und Weise der Überwachung und Reglementierung durch das GenTG konnte das BVerfG entscheiden. Das Urteil statuiert deshalb weder ein Totalverbot von GVO noch eine vorbehaltlose Erlaubnis ihres Anbaus. Beides wäre europarechtswidrig. Die Entscheidung bestätigt vielmehr den vom GenTG vorgenommenen Interessenausgleich.

Im Mittelpunkt des Verfahrens standen zwei Regelungen des GenTG: Ansprüche bei Nutzungsbeeinträchtigungen nach § 36a GenTG und das gemäß § 16a GenTG zu führende Standortregister.

Gefahr der Kontaminierung benachbarter Erzeugnisse

Erstere Vorschrift soll das Eigentum gentechnikfrei produzierender LandwirtInnen schützen. Hierzu ist eine verschuldensunabhängige Haftung für GVO-VerwenderInnen vorgesehen. Der Haftungsfall tritt unter zwei Voraussetzungen ein. Erstens muss ein GVO - zum Beispiel durch Pollenflug - Erzeugnisse auf benachbarten Feldern auskreuzen. Dabei ist für die Haftung unbeachtlich, ob beim Anbau der GVO der zulässige Mindestabstand von 150 Metern zu konventionellem Maisanbau und 300 Metern zu ökologischem Maisanbau[2] eingehalten wurde. Ohne Belang bleibt auch, ob der/die GVO-VerwenderIn die sonstigen Anforderungen an die gute fachliche Praxis[3] beachtet hat: ob er/sie beispielsweise der Meldepflicht gegenüber den Nachbarn (§ 3 GenTPflEV) nachgekommen ist oder die Anforderungen an die Lagerung von GVO (§ 6 GenTPflEV) eingehalten hat. Zweitens müssen die betroffenen Erzeugnisse durch die Auskreuzung zu über 0,9 % mit gentechnisch verändertem Material kontaminiert sein. Ab diesem Schwellenwert liegt eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Das Produkt kann in diesem Fall nicht mehr mit der Kennzeichnung „Ohne Gentechnik"[4] auf den Markt gebracht werden, sondern muss mit einer Kennzeichnung als GV-Produkt[5] versehen sein. Weil die Kontaminierung der Pflanzen faktisch nicht mehr abgewehrt werden kann, hat der/die Beeinträchtigte einen Ausgleichsanspruch in Geld analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Aufgrund des erheblichen Marktwertunterschieds zwischen GVO-Erzeugnissen und gentechnikfrei angebauten Produkten ist jedeR GVO-VerwenderIn daher dem Risiko eines beträchtlichen Schadensausgleichsanspruchs ausgesetzt.

Informationsinteresse der beeinträchtigten Nachbarn

Diese verschuldensunabhängige Haftung wird noch dadurch verstärkt, dass die GVO-VerwenderInnen unter Umständen gesamtschuldnerisch für den durch die Auskreuzung entstandenen Schaden eintreten müssen. Sofern sich nicht ermitteln lässt, wer die Kontaminierung verursacht hat, machen sich alle in der näheren Umgebung ansässigen GVO-VerwenderInnen gleichermaßen haftbar. Die beeinträchtigte Person kann ihren Ausgleichsanspruch dann gegen den/die zahlungskräftigste GVO-VerwenderIn richten. DieseR muss für den vollen Schaden aufkommen und bei den anderen GVO-VerwenderInnen Ausgleich suchen. Damit statuiert § 36a GenTG insgesamt ein enorm hohes und kaum abzuwendendes Haftungsrisiko.

Das Standortregister dient dagegen vor allem dem Informationsinteresse benachbarter LandwirtInnen. Es enthält in seinem allgemein zugänglichen Teil Informationen über die Bezeichnung und Eigenschaften des im konkreten Fall verwendeten GVO, Name und Anschrift des/der BewirtschafterIn und die Bezeichnung des Grundstücks. Damit versetzt § 16a GenTG vor allem die durch Auskreuzung ihrer Erzeugnisse beeinträchtigten Nachbarn in die Lage, den/die AnspruchsgegnerIn des Schadensersatzanspruches nach § 36a GenTG problemlos ausfindig zu machen.

Unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte?

Anders sieht das die Landesregierung von Sachsen-Anhalt: Die Veröffentlichungen im Standortregister würden letztendlich nur die sogenannten „Feldbefreiungen" durch UmweltaktivistInnen fördern. Jahr für Jahr würden hierdurch beträchtliche Schäden an Erzeugnissen und Maschinen entstehen.

Bei § 36a GenTG handele es sich um einen Haftungstatbestand, welcher der Systematik des deutschen Zivilrechts zuwiderlaufe. Denn obwohl der Anbau von GVO in einem vorausgegangenen Zulassungsverfahren genehmigt werden müsse, statuiere er eine garantieartige Sonderhaftung. Wegen des erheblichen Haftungsrisikos seien Versicherungen zum Vertragsabschluss nicht bereit. LandwirtInnen und Forschungseinrichtungen, die GVO verwenden, sähen sich daher unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt. Dieser Umstand benachteilige sie gegenüber ihren konventionell und ökologisch anbauenden KollegInnen erheblich. Zum anderen beruhe der Schwellenwert, ab dem eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 BGB angenommen wird, nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er sei vielmehr eine rein normative Festlegung.

Vorsorgegrundsatz rechtfertigt Eingriffsintensität

Dieser Argumentation ist das BVerfG nun deutlich entgegen getreten. Es hat sich dabei insbesondere auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a des Grundgesetzes (GG) berufen. Der Auftrag in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen hat nach Auffassung des Gerichts im GenTG in verhältnismäßiger Weise Niederschlag gefunden. Zum einen habe der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung wissenschaftlich ungeklärter Sachverhalte immer einen großen Einschätzungsspielraum.[6] Zum anderen könne dieser nicht nur in Form der Gefahrenabwehr sondern gerade auch in Form der Risikovorsorge ausgenutzt werden.[7] Der Vorsorgegrundsatz sei ein allgemeines Rechtsprinzip, das aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG) und dem Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) abgeleitet wird. Er sei „oberstes Ziel des Gentechnikrechts"[8] und gebiete einen „verantwortungsvollen Umgang mit GVO"[9]. Damit beeinflusst Art. 20a GG mittelbar die Ausgestaltung der Schranken der von Sachsen-Anhalt als verletzt geltend gemachten Grundrechte.

Die verschuldensunabhängige gesamtschuldnerische Haftung trotz erteilter Genehmigung wie in § 36a GenTG ist durchaus keine Neuerung in der Systematik des deutschen Zivilrechts. So kann sich etwa der/die HalterIn eines Kraftfahrzeugs gemäß § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes bei einem Unfall auch nicht haftungsausschließend auf fehlendes Verschulden berufen, obwohl sein Auto mit einer gültigen Prüfplakette des TÜV ausgestattet ist. Gleiches gilt für den/die BetreiberIn einer genehmigten potentiell umweltgefährdenden Anlage gemäß § 1 des Umwelthaftungsgesetzes. Das Haftungsregime stellt auch keine Sonderhaftung der GVO-VerwenderInnen dar. Denn Letztere können wesentliche Beeinträchtigung nach §§ 1004, 906 BGB ebenso gegen gentechnikfrei produzierende LandwirtInnen geltend machen wie andersherum.

Die spezifische Gefährlichkeit von GVO durch ihren Eingriff in den natürlichen Kreislauf ist nicht nur möglichen Beeinträchtigungen von Menschen, Pflanzen, Tieren und Biodiversität geschuldet. Sie ist schon wegen der Gefahr einer Auskreuzung vormals gentechnikfreier Erzeugnisse auf benachbarten Grundstücken anzunehmen. Dabei ist das Interesse der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft an gentechnikfreien Produkten nicht etwa einer romantischen Verklärung von Hof und Scholle geschuldet. Aufgrund der europarechtlich normierten Kennzeichnungspflicht[10] für GVO und des VerbraucherInnenverhaltens besteht vielmehr ein knallhartes wirtschaftliches Interesse der LandwirtInnen an Ersatzansprüchen im Falle einer Kontaminierung ihrer Erzeugnisse.

Kein Problem: Schwellenwert und Standortregister

Ob der Schwellenwert von 0,9 % wissenschaftliche Erkenntnisse nicht hinreichend berücksichtigt, ist - wie das Gericht der Antragstellerin unumwunden mitteilte - der Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts entzogen. Denn der europarechtlich festgelegte Schwellenwert[11] kann nur vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden. Zudem ist dieses Argument mehr als nur scheinheilig. Denn einen Beweis der vermeintlichen Ungefährlichkeit von GVO für die Umwelt und den Menschen ist die GVO-Industrie der Öffentlichkeit bislang schuldig geblieben. Es würde nun aber eine regelrechte Umkehrung des Normalfalls darstellen, wenn vor Inverkehrbringung eines neuen Produkts nicht seine Ungefährlichkeit sondern seine Gefährlichkeit bewiesen werden müsste. Konsequenterweise müsste der Grenzwert deshalb eigentlich bei 0,0 % angesetz werden.

Dass das Standortregister nach § 16a GenTG politisch motivierte Aktionen erleichtert, die sich gegen die Feldbewirtschaftung mit GVO richten, blieb jedenfalls im Grundsatz unbestritten. Jedoch ließ es sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht nehmen, die Antragstellerin daraufhin zu weisen, dass die gleichen Informationen auch durch einen Blick in das Grundbuch zu erhalten seien. Denn einerseits hatte sich die Antragstellerin nur gegen die konkrete Nennung des Grundstücks im Standortregister gewandt, nicht aber gegen die Nennung des Namens des/der BewirtschafterIn. Und andererseits ist davon auszugehen, dass einE BerechtigteR[12] fast immer zu finden ist, der/die den Standort des mit GVO bewirtschafteten Feldes UmweltaktivistInnen mitteilen würde. Zudem kann eine mögliche Sachbeschädigung als rechtswidriges und strafbares Verhalten keinen Eingriff gerade des § 16a GenTG in die Rechtsgüter des/der VerwenderIn von GVO begründen. Nicht das Register verletzt das Eigentumsrecht des GVO-Verwenders, sondern die an der Feldbefreiung beteiligten UmweltaktivistInnen. Auch werden keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse preisgegeben. Denn der Anbau von GVO findet im öffentlichen Raum statt und sei der Kenntnis der Allgemeinheit von vornherein zugänglich.[13] Schließlich setze das Register Gemeinschaftsrecht um, leiste innerhalb der demokratischen, pluralistischen Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen Meinungsbildungsprozess und schütze die Freiheit der Berufsausübung und die selbstbestimmte Nutzung des Eigentums benachbarter ErzeugerInnen.[14]

Wahlfreiheit für VerbraucherInnen

Bereits in der mündlichen Verhandlung artikulierten die VerfassungsrichterInnen zuweilen offen Unverständnis für die Argumentation der Antragstellerin. Es erscheint fraglich, welchen Nutzen die Normenkontrolle für BefürworterInnen und GegnerInnen des GenTG hatte. Gewiss wurde im Zuge dieses Verfahrens deutlich, dass die „Grüne" Gentechnik in der EU stärker beschränkt ist als andernorts. In den USA werden Lebensmittel beispielsweise nur auf freiwilliger Basis gekennzeichnet. Ein Erzeugnis gilt bis zu einem Schwellenwert von 5 % als gentechnikfrei. In der vergleichsweise harten Haltung der EU gegenüber GVO spiegelt sich aber die unverändert kritische Position der EuropäerInnen: Drei Viertel der VerbraucherInnen wollen nur gentechnikfreie Lebensmittel konsumieren.[15] Umweltverbände fordern deshalb auch bei zugelassenen GVO statt des Schwellenwerts von 0,9 % eine Nulltoleranzpolitik.

Das GenTG macht die Freisetzung von GVO nicht unmöglich, sondern sucht lediglich die Koexistenz von GVO und gentechnikfreien Erzeugnissen zu verwirklichen. Damit bildet das GenTG die Grundlage dafür, dass VerbraucherInnen ihr Recht auf Wahlfreiheit überhaupt erst verwirklichen können. Der „Grünen" Gentechnik fehlt es nicht etwa an gesetzlicher Anerkennung sondern an Rückhalt bei den VerbraucherInnen.

 

Anja Hauth studiert Jura in Freiburg.


[1]              § 20 Abs. 2 GenTG, Art. 23 i.V.m. Art. 30 der Richtlinie 2001/18/EG.

[2]        Anlage (pflanzenartspezifische Vorgaben) zur Verordnung über die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen (GenTPflEV).

[3]           § 16b Abs. 3 GenTG i.V.m. § 1 GenTPflEV.

[4]           § 3a EG-Gentechnik-Durchführungsgesetz.

[5]              Art. 5 EG-Verordnung Nr. 1830/2003.

[6]              BVerfG, Urteil vom 24.11.2010, Az. 11 BvF 2/05, Rz. 142.

[7]              A.a.O. Rz.137.

[8]              A.a.O. Rz. 25.

[9]              A.a.O. Rz. 224.

[10]             Art. 4 EG-Verordnung Nr. 1830/2003.

[11]             Art. 7 EG-Verordnung Nr. 1830/2003.

[12]             Vgl. § 12 der Grundbuchordnung.

[13]             BVerfG, Urteil vom 24.11.2010, Aktenzeichen: 11 BvF 2/05, Rz. 205.

[14]             A.a.O. Rz. 174, 175, 177.

[15]            GfK-Studie zur Gentechnik vom 16. Februar 2007.