Kein Blut von Schwulen

Der Kampf gegen AIDS als Legitimationsgrund für die Diskriminierung homo- und bisexueller Männer

Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM), dürfen kein Blut spenden. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer gelten sie als Risikogruppe. Nach dem tatsächlichen Sexualverhalten wird nicht gefragt.

 Fast in jedem Sommer werden die Blutkonserven knapp. Dann rufen Kliniken und Blutspendedienste über die Medien dazu auf, Blut zu spenden. Einige Menschen dürfen sich von diesen Aufrufen nicht angesprochen fühlen. Männer, die ein- oder mehrmalig Sex mit einem anderen Mann gehabt haben, sind von der Blutspende ausgeschlossen. Begründet wird dieser Ausschluss mit dem besonders hohen Risiko, mit HIV infiziert zu sein.

Die Gewinnung von Blut- und Plasmaspenden sowie deren Verwendung und Weiternutzung wird in Deutschland seit 1998 durch das Transfusionsgesetz (TFG) geregelt, dessen Zweck programmatisch in § 1 TFG als „gesicherte und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten" beschrieben wird. Weil durch das TFG ein Instrumentarium geschaffen werden sollte, das nicht einem ständigen, durch Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung bedingten, Überarbeitungsprozess unterworfen sein würde, wurde nach § 12a und § 18 TFG die Regelung von Fragen, die den „allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik" betreffen, der Bundesärztekammer übertragen. Diese hat im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut ein inzwischen mehrfach überarbeitetes Richtlinienkonvolut1] (Hämotherapie-RL) erarbeitet, das unter anderem regelt, welche gesellschaftlichen Gruppen dauerhaft von der Blutspende ausgeschlossen sind.

Dies sind, neben von bestimmten Krankheiten und Infektionen betroffenen Personen oder Menschen, die eine Transplantation hinter sich haben, vor allem drei Personengruppen: Alkohol- und Drogenabhängige, Menschen, bei denen ein besonders hohes Risiko besteht, an der Creutzfeld-Jacob-Krankheit erkrankt zu sein, sowie Personengruppen, denen aufgrund ihres Sexualverhaltens ein deutlich höheres Risiko der Infizierung mit Hepatitis oder HI-Viren attestiert wird. Zu dieser Personengruppe zählen nach Nr. 2.2.1 Hämotherapie-RL männliche und weibliche Prostituierte, heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten - z.B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern - sowie „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben".

Frauen, die Sexualkontakte mit Frauen haben, bleiben in der Richtlinie unerwähnt, und heterosexuelles Sexualverhalten führt nur dann zum Blutspendeverbot, wenn es im Einzelfall als gefährlich eingestuft wird. Demgegenüber werden MSM nicht aufgrund des tatsächlichen Sexualverhaltens, sondern aufgrund eines Generalverdachts von der Blutspende ausgeschlossen. Zugleich hat die im Jahr 2010 erfolgte Änderung der Formulierung, MSM statt „homo- und bisexuelle Männer", vermutlich zu einer Ausweitung des Ausschlusses geführt. Nicht mehr die subjektive Zuordnung zur Gruppe der „Homo- und Bisexuellen" ist nun das Ausschlusskriterium, sondern der sexuelle Kontakt mit anderen Männern.

Der Blick zurück

Will man diese augenscheinliche Diskriminierung von Männern, die Sexualkontakt mit Männern haben oder hatten, verstehen, kann ein Blick zurück die Entstehung dieses Ausschlussprinzips verständlich machen. Nachdem bis Anfang der 90er Jahre mehrere tausend Menschen durch Blutkonserven mit HI- oder Hepatitis-C-Viren infiziert wurden, war die Entwicklung eines strengen Kontrollmechanismus nötig, um die Verbreitung von infizierten Blutkonserven verhindern zu können. Vor allem aufgrund der anfänglich beträchtlichen Fehlerrate von HIV-Tests und des dreimonatigen Diagnosefensters war dabei der Ausschluss von Risikogruppen von der Blutspende ein vermeintlich probates Mittel. Die mit einem Ausschluss verbundene Abwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der SpenderInnen und dem Schutz des Lebens der EmpfängerInnen entschied der Bundesgerichtshof (BGH) 1991 bis heute endgültig.2] In dem Urteil wurde dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Verletzung einer Sorgfaltspflicht attestiert, weil sich 1984 ein Patient mit HIV infiziert hatte und das Klinikum, nach den Worten des BGH, nicht in ausreichendem Maß den Ausschluss von Risikogruppen von der Blutspende kontrolliert hatte. Dem Lebensschutz des Empfängers käme grundsätzlich der Vorrang vor einer Belastung der Intimsphäre der BlutspenderInnen und der Möglichkeit einer öffentlichen Diskriminierung als AngehörigeR der Risikogruppe zu.3] Der BGH beließ es jedoch nicht bei dieser Feststellung, die den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen für medizinisch und damit juristisch notwendig erklärte. Die RichterInnen kommentierten die Verteidigungsstrategie des Universitätsklinikums Eppendorf darüber hinaus mit folgenden Worten: „Insbesondere kann sich das Universitätskrankenhaus E. nicht damit entlasten, dass die „Lobby der Homosexuellen" und die Medien gegen weitergehende Schutzmaßnahmen vehement und aggressiv vorgegangen wären. Von jedermann - erst recht von der öffentlichen Hand - ist zu verlangen, dass er sich von als notwendig zu erkennenden Maßnahmen nicht aus Furcht vor derartiger Kritik abhalten lässt."4] Das TFG und alle seither erlassenen Hämotherapie-RL werden nicht nur unter Bezugnahme auf dieses Urteil begründet, sie sind vor allem maßgeblich von den darin verwendeten deutlichen Formulierungen geprägt.

Medizinische Neubewertung erforderlich?

Im starken Kontrast zum anhaltenden Bezug auf das BGH-Urteil von 1991 steht die Entwicklung der medizinischen Testverfahren. Alle Blutspenden werden heute einer medizinischen Überprüfung unterzogen, die nur noch über ein Diagnosefenster von 9-11 Tagen verfügt. Seit dem Jahr 2000 kam es in Deutschland nur in fünf Fällen zur HIV-Infektion durch verseuchte Blutkonserven. Der letzte bekannte Fall stammt aus dem Jahr 2007, bei ca. 2000-3000 Neuinfektionen pro Jahr ein statistisch zu vernachlässigender Wert. Das Risiko einer Infektionsübertragung wird von der Bundesärztekammer mittlerweile mit 1 : 4,3 Millionen angegeben.5] So kommt selbst die Bundesärztekammer im Begleitschreiben zur jüngsten Richtlinienanpassung zum Ergebnis, dass bei einer gegenwärtigen juristischen Überprüfung „ein Gericht die heute verfügbare äußerst zuverlässige Labortestung in die Bewertung einzubeziehen" hätte.6]

Doch nicht nur der Fortschritt der medizinischen Testverfahren ist im Hinblick auf den generellen Ausschluss von MSM zu betrachten, sondern auch die Frage, welche Gruppe eigentlich als HIV-Risikogruppe definiert wird. Bereits der BGH hatte in seinem Urteil von 1991 nicht generell Homosexuelle, sondern „Homosexuelle mit Partnerwechsel" als besonders anfällig für HIV-Infektionen benannt. Dennoch konzentrieren sich die Hämopathie-RL bis heute nicht auf die Frage, welches Verhalten ein besonderes Infektionsrisiko mit sich bringt. Die Bundesärztekammer lehnt Vorschläge, mittels Fragen diejenigen MSM herauszufiltern, die Sexualkontakt zu Hochrisikopersonen beziehungsweise ungeschützten Sexualkontakt hatten, als nicht praktikabel ab. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass in den letzten Jahren zwischen 50-70 % der HIV-Neuinfektionen auf MSM entfielen und die Neuinfektionsraten bei MSM ca. 100 Mal höher waren als bei Menschen, die allein Heterosexualverhalten pflegen.

Solche statistischen Daten sind zwar auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen. Sie führen jedoch - und diese Gefahr birgt jede gruppenspezifische Statistik - zu einer falschen Wahrnehmung, indem sie eine Risikogruppe konstruieren, die als homogene Gruppe nicht existiert. Durch den Verweis auf die besondere Infektionsgefahr bei MSM wird suggeriert, dass die Ursache das homosexuelle Verhalten an sich sei. Dem ist jedoch nicht so, denn tatsächlich sind es bestimmte sexuelle Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die ein besonderes Infektionsrisiko bergen. Dies gilt unabhängig vom Geschlecht des Sexualpartners bzw. der Sexualpartnerin.

Stigmatisiert und diskriminiert

Dass wechselnde Partnerschaften und riskante Sexualpraktiken kein Charakteristikum homosexuellen Verhaltens von Männern sind, konnte eine Studie der Rechtssoziologin Anja Preuß aus dem Jahre 2003 untermauern. Vielmehr, so Preuß, unterscheiden sich MSM im Hinblick auf ihre Partnerwahl und Sexualpraktiken erheblich.7] Gerade weil der Lebensstil der MSM - wie derjenige aller Menschen - äußerst heterogen ist, werden MSM durch die pauschale Bezeichnung als Risikogruppe stigmatisiert und diskriminiert.

Wenn aufgrund von besseren Testverfahren und individuell sehr unterschiedlichem Risikoverhalten von MSM kein wissenschaftlicher Grund für den Ausschluss von MSM mehr besteht, so kann das Blutspendeverbot für MSM nach den Hämopathie-RL auch rechtlich keinen Bestand haben. Zwar ist die sexuelle Identität bis heute grundgesetzlich nicht ausdrücklich geschützt.8] Dennoch stellt jegliche Benachteiligung, die an das Kriterium des sexuellen Verhaltens unabhängig von einem tatsächlichem Risiko im Einzelfall anknüpft, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gegenüber allen anderen Menschen dar und verletzt damit das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.

In der Vergangenheit haben sich viele MSM über das Blutspendeverbot hinweggesetzt. Bereits eine Studie des Bundesgesundheitsamts von 1993 hatte gezeigt, dass trotz des in der Praxis bestehenden Verbots, der Blutspendeanteil unter MSM höher war als unter Männern, die allein heterosexuelle Kontakte pflegen. Die Untersuchung von Anja Preuß hat darüber hinaus ergeben, dass diejenigen MSM, die an der Blutspende teilnehmen, überaus gut über die Diagnosefenster von HIV-Tests informiert sind und insgesamt einen deutlich weniger risikoaffinen Lebenswandel führen als Menschen, die kein Blut spenden. Preuß schlussfolgert daraus, dass „offensichtlich nicht die Richtlinien bzw. das TFG die Spender selektiert, sondern diese sich selbst." Der Nutzwert der Richtlinie gehe folglich gegen Null und „unter dem Strich bleibt als eigentlicher Effekt Diskriminierung stehen."9]

Sind andere Länder weiter?

Während viele Länder ähnlich wie Deutschland MSM von der Blutspende ausschließen, ist in den letzten Jahren eine Tendenz erkenntlich, die Regeln zu lockern. So wurde in Russland im Mai 2008 das Blutspendeverbot für Homosexuelle aufgehoben und einige andere Länder liberalisierten ihre Richtlinien. Dabei lassen sich zwei Trends unterscheiden: Einige Länder wie Argentinien, Australien, Japan, Schweden, Südafrika und Ungarn haben Fristen eingeführt, die potentielle Spender nach dem letzten Sexualkontakt mit anderen Männern für einen Zeitraum von sechs Monaten (Südafrika) bis fünf Jahren (Neuseeland) von der Blutspende ausschließen. Andere Länder, darunter Italien, Spanien und Frankreich beurteilen die SpenderInnen nicht nach ihrer sexuellen Orientierung, sondern nach dem Risiko ihrer Sexualpraktiken. So werden in Frankreich alle Männer und Frauen für vier Monate von der Blutspende zurückgestellt, wenn sie ungeschützte sexuelle Kontakte oder Beziehungen mit mehreren PartnerInnen unterhielten.10] Auch in Ländern, in denen ähnlich strenge Richtlinien wie in Deutschland herrschen, wird die Thematik diskutiert. So wandten sich in den USA erst im Frühjahr 17 SenatorInnen mit der Bitte um Änderung der bisherigen Praxis an die zuständige Food and Drug Administration. Unterstützt wurden sie dabei von Forscher_innen der University of California in Los Angeles, die mit ca. 110.000 Litern zusätzlich gespendeten Blutes pro Jahr rechnen, wenn das Verbot zugunsten einer einjährigen Zurückstellung nach dem letzten Sexualkontakt mit Männern aufgegeben würde.11]

Wissenschaftsgläubigkeit der deutschen Politik

Eine breitere Diskussion über den Ausschluss der MSM von der Blutspende in Deutschland kommt erst langsam in Gang. Seit 2005 besteht mit dem Verein „Schwules Blut" ein Verein, der sich nicht nur intensiv an die Presse wendet12], sondern auch gegenüber PolitikerInnen aller Parteien sowie den an der Festsetzung der Richtlinien beteiligten Institutionen Bundesärztekammer und Paul-Ehrlich-Institut für eine Änderung der Blutspenderichtlinien eintritt.13] Während einzelne PolitikerInnen aller Parteien das Bestreben nach einem Ende der Diskriminierung durchaus unterstützten, spricht sich heute keine Partei dafür aus. Vielmehr wird regelmäßig, obwohl der Ausschluss von MSM unter Gleichbehandlungsgründen als durchaus problematisch eingeschätzt wird, darauf verwiesen, dass nach dem TFG die Festlegung der Ausschlusskriterien aufgrund wissenschaftlicher Kriterien von der Bundesärztekammer erfolgt. Eine weitere Auseinandersetzung mit den von der Bundesärztekammer als wissenschaftlichen Gründen angeführten Grundannahmen erfolgt jedoch nicht.

Gerade weil andere Länder vormachen, dass es auch anders geht, kann derweil das von MedizinerInnen immer wieder als alternativlos vorgebrachte Argument keine Geltung mehr behalten, dass nur der Ausschluss aller MSM von der Blutspende eine solche Sicherheit garantiere. Vielmehr müsste diskutiert werden, ob der Verweis der Entscheidung zum Ausschluss der MSM an ein medizinisches Expertengremium nicht dem Parlamentsvorbehalt bei Grundrechtseingriffen zuwider läuft.

 

 

Johannes Waldschütz studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg und ist rechtswissenschaftlicher Laie.

 

Weiterführende Literatur:

Anja Preuß, Zum Ausschluss schwuler Männer von der Blutspende, Zeitschrift für Rechtssoziologie 25, 1 (2004), 35-61

Hans-Dieter Lippert / Willy Flegel, Kommentar zum Transfusionsgesetz (TFG) und den Hämotherapie-Richtlinien, 2002.


[1] Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen gemäß §§ 12a u. 18 Transfusionsgesetz von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut, Fassung vom 16.04.2010, http://www.bundesaerztekammer.de (Stand aller Links: 22.12.2010).

[2] Bundesgerichtshofes, Urteil v. 30.04.199  - VI ZR 178/90, Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, Band  114, 284 ff.

[3] Ebenda, 294.

[4] Ebenda, 295.

[5] Erläuterungen zum Blutspende-Ausschluss von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM), 31.03.2010, http://www.bundesaerztekammer.de, 7 f.

[6] Ebenda, 10.

[7] Anja Preuß, Zum Ausschluss schwuler Männer von der Blutspende, 2003, 17 ff, http://www.schwulesblut.de.

[8] Karl Marxen, Aber bitte nicht in der Öffentlichkeit, Forum Recht 2009, 126.

[9] Preuß, 2004, 55.

[10] Gay Men's Health Crisis, A drive for change: Reforming U.S. Blood donation policies, 2010, 14, http://www.gmhc.org.

[11] Jacqueline Mroz, Gay Men Condemn Blood Ban as Biased, http://www.nytimes.com/2010/08/03/health/03blood.html .

[12] Beispielhaft: Lars-Haucke Martens im Gespräch mit Ulrike Timm, Böses Blut, Homosexuelle Männer dürfen nicht Blut spenden - und wehren sich dagegen, Deutschlandfunk, 22.07.2010, http://www.dradio.de/dkultur.

[13] http://www.schwulesblut.de/?kat=standpunkte.