Was tun angesichts der Übernahme von Ästhetiken und Parolen durch die extreme Rechte?
Nicht erst seit dem Aufkommen von »Autonomen Nationalisten« oder Kameradschaften adaptieren Rechte von links. Im NS wurden zentrale Begriffe der Arbeiter_innenbewegung und Ästhetiken übernommen. Die Melodien von linken Arbeiter_innenliedern wurden mit rechten Texten unterlegt. Arthur Moeller van den Bruck und Oswald Spengler leisteten in der Weimarer Republik die Vorarbeit für die Umdeutung von Begriffen – sie gaben dem Begriff des »Sozialismus« eine völkische Bedeutung und ermöglichten es dem NS, das Erbe des »Deutschen Sozialismus« anzutreten.
Kein Copyright auf Themen und Ästhetiken
Mit
einer gewissen Ratlosigkeit ist häufig den Übernahmen von
Ausdrucksformen durch Rechte begegnet worden. Manchmal heißt es,
Adaptionen hätten keine Relevanz, wenn sie nur auf der Ebene des
Ausdrucks stattfinden. Dabei wird verkannt, dass ästhetisch-kulturelle
Fragen seit jeher eine wichtige propagandistische Funktion für
faschistische Bewegungen hatten. Es geht um die Notwendigkeit, ein
»Produkt« wirksam zu verkaufen – unter den Bedingungen der Grenzen des
juristisch Sagbaren und einer breiten gesellschaftlichen Diskreditierung
von NS und Shoa. Aktuelle neonationalsozialistische Bewegungen sind mit
dem Stigma des »Ewiggestrigen« behaftet, sie rekurrieren mit dem
Bekenntnis zum NS auf einen vergangenen gesellschaftlichen Zustand und
sind so mit dem Vorwurf der Reaktion konfrontiert, den der NS in seiner
Selbstinszenierung als moderne politische Massenbewegung rhetorisch
strikt zurückwies. Demnach bedarf eine sich revolutionär gebende
politische Bewegung moderner Selbstinszenierungspraktiken. Dass sich
Ausdrucksformen progressiver Bewegungen anbieten, um diesem Dilemma zu
entgehen, liegt nahe.
So
gesehen entkräftet dieses Beispiel zumindest teilweise die oft gehörte
Reaktion: Was da adaptiert wurde, muss vorher schon irgendwie falsch
gewesen sein. Der Prozess der Adaption von Symboliken ›beweise‹ also
bereits, dass an dem jeweiligen Konzept, auf das sie verweisen, etwas
›nicht stimme‹. Übernommene Konzepte oder Symboliken sind aber nicht per
se dadurch diskreditiert. Bedeutungsverschiebungen sind immer möglich,
zumindest wenn wir davon ausgehen, dass Sinn nicht in den Dingen liegt,
sondern Bedeutung zugewiesen wird. Sinn kann durch permanente
Wiederholung gefestigt, aber ebenso verschoben werden. In der
Auseinandersetzung mit Adaptionen ist also nicht danach zu fragen, was
ursprünglich, richtig oder wahr sei, sondern was als wahr gilt. Aus
dieser Perspektive kann nur schwer von Übernahmen als Diebstahl und
Piraterie durch die extreme Rechte gesprochen werden. Diskurse können
nicht geklaut oder gestohlen werden. Linke haben kein Copyright auf
Themen wie Feminismus und Antikapitalismus, wohl aber die Möglichkeit,
um die Deutungen innerhalb dieser Themenfelder zu kämpfen.
Rein in die Deutungskämpfe
Adaptionen
der extremen Rechten auf der Ebene von Codes, Symboliken und Ästhetiken
können langfristig nur aufgehen, wenn es der extremen Rechten gelingt,
diese Codes inhaltlich neu zu besetzen. Es mag sinnvoll für progressive
Bewegungen sein, manche Elemente aufzugeben oder kritisch zu
hinterfragen, die allzu leicht vereinnahmt werden können. Allzu einfach
sollte es politischen Gegner_innen jedoch nicht gemacht werden.
Überlassen wir politisch uncodierte Räume der extremen Rechten und
ziehen uns aus Deutungskämpfen zurück, bieten wir ihnen
Handlungsspielräume. Adaptierte Ästhetiken finden sich häufig in
Themenfeldern, die traditionell von links besetzt sind. Extrem Rechte
versuchen in diesen Themenfeldern, ihre völkischen Deutungen
konsensfähig zu machen. Wenn gesagt wird, dass es keinen absoluten
Schutz vor Adaptionen gibt, heißt das jedoch nicht, dass es keine
Möglichkeiten gäbe, Anschlussstellen nach rechts zu vermindern.
Linke
Kapitalismusanalyse und -kritik beispielsweise, die Anschlussstellen
für extrem rechte Diskurse vermindern will, sollte ein nicht
personalisiertes Verständnis von Kapitalismus in den Vordergrund
stellen. Wenn Kapitalismus konsequent als gesellschaftliche Totalität
begriffen wird und die dem Kapitalismus immanenten antiegalitären
Herrschafts- und Gewaltverhältnisse im Mittelpunkt der Kritik stehen,
dürfte es extrem Rechten schwer fallen, diese Kapitalismuskritik für
sich nutzbar zu machen. Ein solches Verständnis sollte sich aber nicht
durch die Abgrenzung nach rechts handlungsunfähig und/oder sprachlos
machen, indem zum Beispiel keine Funktionsträger_innen mehr benannt
werden können. Die Vermeidung der Personalisierung heißt daher nicht,
keine Akteur_innen und Verantwortlichkeiten mehr zu kennen. Nicht
personalisieren in diesem Sinne bedeutet anzuerkennen und zu benennen,
dass ›der Kapitalismus‹ nicht von einigen wenigen geplant und umgesetzt
wird, sondern ein Ordnungssystem ist, das kein Außen kennt.
Zudem
gilt es, die Verschränkungen von Herrschafts- und
Unterdrückungsdiskursen anzuerkennen, ohne diese (z.B: race, class,
gender) bloß zu addieren. Das wird vermieden, wenn zum Beispiel die
kapitalistische Nutzbarmachung von Rassismus und Patriarchat untersucht
wird. Weiterhin sollten Zusammenhänge wie die zwischen Staatlichkeit,
Nationalismus und Kapitalismus berücksichtigt werden, um etwa der
Deutung »guter Staat vs. böses Kapital« den Boden zu entziehen.
Schließlich
müssen offensiv Themen besetzt werden. So können Referenzpunkte
geschaffen werden, an denen sich die Rechte abarbeiten muss, will sie
aufkommende Fragen nicht unbeantwortet lassen. Sich aus umkämpften
Deutungsfeldern herauszuziehen hieße, der extremen Rechten das Feld zu
überlassen. Nur weil Neonazis etwa Atomtransporte aufgrund von Blut und
Boden-Diskursen kritisieren, darf weder das Thema Ökologie aus linken
Diskursen verschwinden, noch darf schlicht der Umkehrschluss gezogen
werden, eine politische Linke sollte nicht mehr progressiv in
Anti-Atom-Diskurse mitmischen. Wenn die extreme Rechte meint, Ökologie
sei Heimatschutz und die Linke daraufhin diese Recodierung mitträgt,
wird das Thema der extremen Rechten überlassen.
Fazit
Voraussetzung für diese möglichen Gegenstrategien ist es allerdings, dass sich antifaschistische Politik nicht bloß als Ein-Punkt-Politik begreift, sondern als Teil linker sozialer Bewegungen. Antifaschismus selbst macht noch keine Bewegung aus, die alleinige Dekonstruktion rechter Deutungsangebote wird nicht reichen.
Jenseits der Gefahren, die Adaptionen von rechts mit sich bringen, neben dem eigenen Rücken in die Defensive seien hier Extremismuskonstruktionen genannt, die gerade durch das Phänomen ›Autonome Nationalisten‹ Aufschub erhalten, können sie aber auch Chancen für progressive Politik beinhalten. Sie können zum Anlass genommen werden, eigene Inhalte zu schärfen, genauer zu argumentieren und umkämpfte Themenfelder wie die Frage nach sozialen Kämpfen zu intensivieren, um linke Referenzpunkte zu schaffen. Auch eine umfassende Zurückweisung von Ausgrenzungs- und Herrschaftsdiskursen ist nicht schlicht antifaschistischer Selbstzweck. Gesellschaftliche Räume müssen politisch wie kulturell besetzt, eigene Inhalte und Visionen offen vertreten werden – um sie wahrscheinlich zu machen.