Land Grabbing analysieren: Ansatzpunkte für eine politisch-ökologische Perspektive am Beispiel Äthiopiens*

Das Thema Land erfährt seit einigen Jahren verstärkte politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit.[1] Ausgelöst durch wachsende Landinvestitionen in Afrika, Asien und Lateinamerika sowie den osteuropäischen Transformationsländern ist die Landfrage zu einem umstrittenen Gegenstand aktueller entwicklungs‑ und umweltpolitischer Debatten geworden. Dabei lässt sich eine zunehmend polarisierte Darstellung beobachten, die sich vor allem zwischen kritischen Intellektuellen, sozialen Bewegungen und NGOs auf der einen sowie Internationalen Organisationen und meist (neo‑)liberalen Think Tanks auf der anderen Seite aufspannt. Erstere betonen die sozialen und ökologischen Folgen aktueller Transformationen der Landnutzung und der Landbesitzverhältnisse, welche auf marginalisierten Bevölkerungsgruppen im globalen Süden lasteten, während die Gewinne multinationalen Konzernen im Norden zugutekämen. Kritisch wird dabei auf die Kommodifizierung natürlicher Ressourcen, die „Enteignung“ und „Vertreibung“ subalterner Bevölkerungsgruppen sowie die Zerstörung lokaler Lebensgrundlagen Bezug genommen.[2] Internationale Organisationen, nationale Ministerien und ihnen nahe stehende Think Tanks weisen dagegen auf erhoffte positive Effekte von Investitionen in Land für Beschäftigung, Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung hin – sofern sie von den Regierungen und Unternehmen verantwortungsvoll gestaltet würden (Deininger u.a. 2011). Die kritische Debatte zeichnet sich durch ihre plakativen Begriffe aus, mit denen Transformationen in Landnutzungen und Landbesitzverhältnissen gefasst werden: Landraub, Landnahme, peak soil[3] und land grabbing. In den weniger kritischen Beiträgen werden meist vermeintlich „neutrale“ Bezeichnungen wie „ausländische Direktinvestitionen in Land“ oder „Agrarinvestitionen“ verwandt. Diese Begriffe erweisen sich zwar als politisch wirkmächtig, analytisch jedoch als wenig gehaltvoll – und sie laufen Gefahr, einen theoretisch nicht weiter reflektierten Umgang mit Landfragen zu festigen, welcher den Blick auf die soziale, politische, ökonomische, institutionelle und ökologische Komplexität aktueller Landnutzungsveränderungen verstellt.

Im folgenden Beitrag zeigen wir, dass die Entwicklungen, die gegenwärtig als land grabbing[4] beschrieben werden, keine geschichtslosen Phänomene darstellen. Vielmehr handelt es sich um eine historisch spezifische Ausprägung eines Prozesses, in dem die gesellschaftliche Nutzung von Natur untrennbar mit kolonialen und post-kolonialen[5] Verhältnissen von Macht, Herrschaft und Ausbeutung verknüpft ist. Dies spiegelt sich in bestehenden Landrechtssystemen, nationalen und internationalen Entwicklungs‑ und Agrarpolitiken sowie der Liberalisierung des Bodenmarktes wider. Lokal-regionale Landnutzungsveränderungen und sich wandelnde gesellschaftliche Ansprüche auf Land sind nicht erst das Ergebnis von peak oil[6] und damit verbundener Beimischungsquoten von Agrarkraftstoffen, internationaler Klimaschutzstrategien, globaler Nahrungsmittelpreiskrisen oder der Finanzkrise. Zugang zu und Kontrolle über Landressourcen sind Ausdruck kontextuell spezifischer sozialer Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnisse (etwa in Form von Geschlechterverhältnissen, Identitätszuschreibungen, ethnisch und national verfasster Normsetzungen, generationen‑ und klassenspezifischer Inklusions‑ und Exklusionsmechanismen).

Ein erklärendes Verstehen von land grabbing bedarf daher einer historischen Analyse der gesellschaftlichen Aneignung, Verteilung und Nutzung von Land. Land, im Sinne von Nutzfläche, in das heute investiert wird oder welches heute in veränderte Nutzungen und Besitzformen überführt wird, ist immer schon sozial vermitteltes Land – auch und gerade, wenn es in affirmativen Analysen oder politischen Diskursen als „degradiert“ oder „ungenutzt“ deklariert wird. Die Mechanismen der sozialen Vermittlung sind vielfältig. Sie reichen von materiellen Praktiken der Aneignung und Nutzung und daraus potenziell resultierender Degradation (etwa in Folge von Plantagenwirtschaft oder Übernutzung) bis hin zu diskursiven Praktiken der Zuschreibung spezifischer Bedeutungen. Die Klassifizierung von Land als ungenutzt stellt eine diskursive Konstruktion verbunden mit dem spezifischen Ziel der Inwertsetzung[7] oder Inbesitznahme dar, wobei bestehende Nutzungen wie die extensive Weidewirtschaft oder der Brandrodungsfeldbau nicht anerkannt werden.

Ziel dieses Beitrags ist es, eine gesellschaftstheoretisch angeleitete Perspektive zur Analyse aktueller, als land grabbing beschriebener Entwicklungen zu entwickeln. Wir gehen davon aus, dass erst eine differenzierte, theoriebezogene Analyse es ermöglicht, die Komplexität gegenwärtiger Entwicklungen global wie lokal angemessen zu erfassen.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Zuerst skizzieren wir die aktuelle Debatte um land grabbing und verdeutlichen die aus unserer Sicht zentralen Leerstellen in der darauf bezogenen Forschung. Hieran anschließend legen wir unsere theoretische Perspektive dar, in der wir uns auf Ansätze aus dem Bereich der Politischen Ökologie beziehen und dabei die historische Verfasstheit der Landfrage betonen. Hieran anknüpfend illustrieren wir im nächsten Schritt Ansatzpunkte einer politisch-ökologischen Analyse von land grabbing am Beispiel der Landpolitik in Äthiopien. Abschließend fassen wir die analytischen Implikationen der hier entwickelten Perspektive zusammen.

Multiple Krisen und Land

2007/08 stiegen die Preise für Nahrungsmittel fast überall auf der Welt innerhalb kurzer Zeit um ein Vielfaches. In vielen Städten weltweit, insbesondere in Afrika, kam es daraufhin zu Protesten. Ernährung und Landwirtschaft gerieten ins Blickfeld politischer, medialer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Die Nahrungsmittelpreiskrise ließ die Abhängigkeit vieler Staaten von den Weltmarktpreisen ebenso sichtbar werden wie das Potenzial, das vor allem urbane Ernährungsunsicherheit und Preissteigerungen als Katalysator für regierungskritische Proteste bergen. Diese Entwicklung gilt als einer der Gründe, warum Regierungen bzw. regierungseigene Unternehmen aus Industrie‑ und Schwellenländern landwirtschaftlich nutzbare Flächen außerhalb ihrer eigenen Staatsgebiete kaufen oder pachten, um eine kosteneffiziente Nahrungsmittelproduktion und ‑versorgung jenseits der eigenen nationalstaatlichen Grenzen sicherzustellen.

Allerdings wird nicht nur die Nahrungsmittelpreiskrise als Auslöser für die aktuellen Dynamiken gesehen. Die meisten BeobachterInnen verstehen die gegenwärtigen Entwicklungen wie großflächige, kommerzielle Agrarprojekte, wachsende Investitionen in Land, sich wandelnde Landbesitzverhältnisse und ‑nutzungsformen als Ergebnis multipler, miteinander verschränkter Krisenphänomene (Daniel & Mittal 2009; Land Research Action Network 2011; Rosset 2011): Neben der Nahrungsmittelpreiskrise seien die Finanz‑, Klima‑ und Energiekrise ursächlich dafür (vgl. Hoering 2011). Im Zuge der Finanzkrise avanciert Land zum begehrten Objekt von Finanzspekulationen (vgl. Hoering 2009; Smaller & Mann 2009; Zeller 2010). Die Energiekrise führt dazu, dass Industrie‑ und Schwellenländer zunehmend versuchen, ihren Energie‑ und Kraftstoffbedarf durch Agrarkraftstoffe zu decken – mit der Folge, dass große Flächen vor allem in Subsahara-Afrika, Lateinamerika und Asien für den Anbau von entsprechenden Nutzpflanzen umgenutzt werden (etwa Zuckerrohr, Jatropha oder Ölpalmen). Und auch internationale Bemühungen zur Bekämpfung der Klimakrise resultieren in Veränderungen der Landnutzung: etwa, wenn im Zuge des UN-Programms zur Emissionsreduzierung REDD (Reducing Emissions from Deforestation Degradation) Waldflächen für die Generierung von CO2-Emissionszertifikaten unter Schutz gestellt werden und somit nicht mehr zur freien Nutzung für die lokalen Bevölkerungen zur Verfügung stehen (vgl. den Beitrag von Seiwald & Zeller in diesem Heft: 421ff).

Obgleich wenig systematische und verlässliche Daten vorliegen, gehen praktisch alle Studien davon aus, dass in den letzten Jahren ein signifikanter Anstieg grenzüberschreitender Landinvestitionen zu beobachten ist, sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch des Umfangs der umgenutzten Flächen. Unterschiedliche Schätzungen sprechen von 20 bis 45 Millionen ha Landfläche, für die sich seit 2005 die Nutzungsrechte durch bereits abgeschlossene oder noch verhandelte Landtransaktionen geändert haben bzw. ändern werden.[8] In der Mehrzahl werden mit den Investitionen zwei Nutzungsziele verfolgt: die Nahrungsmittelproduktion (etwa 40 Prozent) sowie die Produktion von Agrarkraftstoffen (über 20 Prozent). Insbesondere in Afrika werden Flächen dabei meist verpachtet und seltener verkauft. Pachtverträge werden in der Regel zwischen nationalstaatlichen Institutionen (Ministerien, Investitionsbehörden) und in‑ oder ausländischen privatwirtschaftlichen oder staatlichen Unternehmen für eine unterschiedliche Zeitdauer (von zehn bis 99 Jahren) geschlossen (Cotula 2011; Vermeulen & Cotula 2010).

Die meisten Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass Flächengrößen und Investitionen überwiegend auf nationalstaatlicher Ebene aggregiert ausgewiesen werden, oft ohne weitere Angabe, wo innerhalb eines Staates Landnutzungswandel konkret stattfindet (als Ausnahmen: Nhantumbo & Salomão 2010; Rahmato 2011; Sulle & Nelson 2009). Dies stellt insofern ein Defizit dar, als eine Analyse der gesellschaftlich-regional ungleichen Betroffenheit von Landnutzungswandel damit nicht möglich ist. Außerdem beschränkt sich die Diskussion zumeist auf die Frage ausländischer Direktinvestitionen. Jedoch wird der größere Teil der Vorhaben von den jeweils nationalen Regierungen und Unternehmen betrieben. Für diejenigen, deren Landnutzungen bzw. deren Anspruchsrechte auf Land eingeschränkt werden, weil auf einer Fläche Zuckerrohr angebaut werden soll, mag es allerdings zweitrangig sein, ob der Anbau durch ein ausländisches oder nationales Unternehmen betrieben wird oder durch eine staatseigene Firma. Entscheidend ist, dass die Fläche nicht mehr als Weide‑ oder Ackerland für die ursprünglichen NutzerInnen zur Verfügung steht oder etwa durch die Zuckerrohrplantage der direkte Zugang zu Wasserquellen versperrt wird. Kennzeichnend für die gegenwärtig bestehende Literatur zu land grabbing sind einerseits Versuche, umfassende und verlässliche Daten über das Phänomen zu generieren sowie andererseits Aussagen hinsichtlich ihrer sozialen Auswirkungen und politischen Steuerbarkeit zu treffen. Theoretische Ansatzpunkte zur Analyse fehlen zumeist ebenso wie eine Rückbindung an bestehende Arbeiten zum Wandel von Landbesitzverhältnissen und Landnutzungen.

Erst in jüngster Zeit finden sich Arbeiten, in denen explizit versucht wird, die polarisierten Darstellungen mit theoretisch rückgebundenen Ansätzen zu überwinden (etwa Friis & Reenberg 2010; Rahmato 2011). Dennoch bleiben eine Reihe von Fragen offen: etwa die Bedeutung von sich wandelndem Landbesitz und veränderten Landnutzungen für politische Macht und Herrschaft sowie die sozial unterschiedlichen Wirkungsweisen dieser Veränderungsprozesse. Hieran knüpft die Arbeit von Saturnino Borras und Jennifer Franco an, die eine empirisch fundierte, politisch-ökonomische Auseinandersetzung mit der Landfrage fordern (Borras & Franco 2010). Sie weisen darauf hin, dass Landnutzungswandel viele Gesichter habe, die mit dem allumfassenden Begriff des land grabbing eher verschleiert als sichtbar würden (vgl. auch Hall 2011). Sie plädieren deshalb für kontextualisierte und desaggregierte Analysen unter Berücksichtigung etwa von Klassen‑ und Machtstrukturen, Besitzverhältnissen und Geschlechteraspekten – eine Forderung, die aus der in diesem Beitrag entwickelten politisch-ökologischen Perspektive unterstützt wird.

Mit Blick auf die Zahl der Vorhaben und den Umfang der betroffenen Flächen stellen die gegenwärtigen Agrarinvestitionen und der damit verbundene Landnutzungswandel eine quantitativ neue Entwicklung dar. In ihrer Qualität werden sie jedoch nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Geschichte der gesellschaftlichen Nutzung von Natur verständlich. Dazu bietet sich in Anlehnung an Borras und Franco (2010; Borras u.a. 2011) der Rückgriff auf Ansätze der Politischen Ökologie an. Bereits seit den 1980er Jahren analysieren zahlreiche AutorInnen aus dieser Perspektive Landnutzungswandel vor dem Hintergrund umfassender sozialer und politisch-ökonomischer Entwicklungen (u.a. Blaikie & Brookfield 1987).

Die Politische Ökologie der Landfrage

Grundlegend für eine politisch-ökologische Analyse von Landnutzungswandel und Landkonflikten ist eine dialektische Sichtweise auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur. Eine solche basiert auf der Marx’schen Überlegung, dass Menschen zur Befriedigung existenzieller Bedürfnisse Natur aneignen und transformieren müssen. In dem Prozess der Aneignung und Transformation von Natur verändert sich jedoch nicht nur Letztere, sondern auch Gesellschaft selbst. Dieser reziproke Transformationsprozess ist stets mit politisch-ökonomischen Strukturen, asymmetrischen Machtverhältnissen und kulturellen Repräsentationen verbunden (Swyngedouw 2004: 130; vgl. Görg 2003). Über die (ungleiche) Verteilung von Landnutzungsrechten entlang sozialer Kategorien wie Geschlecht, race und Klasse schreiben sich gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse in Natur ein. Gleichzeitig sind die Transformation, Aneignung und Kontrolle von Natur ihrerseits konstitutiv für soziale Herrschaft (Wissen 2008: 74). Was heute in allen Weltregionen als „Land“ wahrgenommen wird, ist in weiten Teilen das Ergebnis von gesellschaftlich organisierten, historisch spezifischen und politisch-ökonomisch beeinflussten Prozessen von Produktion und Konsumtion, etwa durch die Bewirtschaftung oder Rodung von (Regen‑)Wäldern, das Anlegen von monokulturellen Agrarplantagen, die Ausbeutung mineralischer Rohstoffe oder die Umsetzung von Landpolitiken mit unterschiedlichen Verteilungseffekten. Die „natürlichen“ Ausgangsbedingungen für menschliche Reproduktion unterliegen somit einem permanenten Wandel. Hierüber werden die kontextspezifischen Handlungsspielräume sozialer Akteure fortwährend neu strukturiert. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Formen, Praktiken und Regeln der aktuellen Landnutzung auf lokal-regionaler Ebene in Lateinamerika, Afrika und Asien mehrheitlich das Ergebnis kolonialer und post-kolonialer Verteilungspolitiken, politisch-ökonomischer Transformationsprozesse (Nationenbildung, Privatisierung, Liberalisierung) sind. Von besonderer Bedeutung ist hierbei in jüngster Vergangenheit die Phase der (Neo‑)Liberalisierung der Agrar‑ und Entwicklungspolitik, die sich in den meisten Staaten Lateinamerikas und Afrikas in den 1980er und 1990er im Zuge der Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und IWF vollzog. Zentrale Merkmale sind der Abbau staatlicher Förderpolitiken und Subventionen für die kleinbäuerliche Produktion, die Etablierung von Land‑ und Bodenmärkten, eine damit einhergehende Privatisierung von Landbesitz und Zerstörung kollektiver Besitzformen, die Etablierung von Landtitulierungsprogrammen sowie die Verfestigung der Exportorientierung in der staatlichen Agrar‑ und Wirtschaftspolitik. Das zentrale Argument dieser modernisierungstheoretisch begründeten Politik lautet, dass individuelle Eigentumsrechte sichere Landtransaktionen sowie die Integration in den Markt ermöglichten – und damit zu Wachstum und Armutsreduzierung führen würden (de Soto 2000). Die aktuelle Neubewertung von Land findet also nicht in einem geschichtslosen Raum statt. Die Kontrolle über und der Zugriff auf Land hatte mit Blick auf den globalen Süden historisch schon immer besondere machtpolitische und ökonomische Relevanz.

Arbeiten aus dem Feld der Politischen Ökologie bieten ein geeignetes Instrumentarium für eine Analyse von land grabbing vor dem Hintergrund sich wandelnder Praktiken und Formen gesellschaftlicher Landnutzung. Sie fragen nach den vielfältigen Machtstrukturen, die den dialektischen Natur-Gesellschaft-Verhältnissen inhärent sind. Umweltfragen werden als Verteilungsfragen zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen verstanden und in Verbindung mit gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen von der lokalen bis zur globalen Ebene gebracht. Natur wird nicht als externe Kategorie im Sinne einer von menschlichem Handeln und sozialen Strukturen unabhängige Materie verstanden. Vielmehr wird darauf verwiesen, dass Natur sozial verfasst ist und der Zugang zu, die Verteilung von und die Kontrolle über natürliche Ressourcen umkämpft sind. Umweltwandel stellt aus dieser Perspektive einen inhärent politischen Prozess dar. Raymond Bryant und Sinead Bailey (1997: 27-47) sprechen deshalb von einer „politisierten Umwelt“. Ziel ist es, anhand empirisch basierter Forschung die Bedingungen und den Wandel gesellschaftlicher Nutzung von Natur aus einer machtsensiblen und akteursorientierten Perspektive zu erklären (Robbins 2004: 12).

Die Politische Ökologie stellt dabei kein kohärentes Theoriegebäude dar, sondern umfasst eine Vielzahl von disziplinären und theoretischen Ansätzen.[9] In den 1980er Jahren richtete sich der Fokus aus neo-marxistischer Perspektive und in Anlehnung an marxistisch inspirierte Entwicklungstheo­rien (Dependenztheorie, Weltsystemtheorie) darauf, Umweltprobleme im globalen Süden als Ergebnisse der Integration peripherer Weltregionen in den kapitalistischen Weltmarkt zu erklären. Konzepte wie „Unterentwicklung” und „dependencia“ wurden auf Fragen der Ressourcenextraktion und Landdegradation angewandt und um Fragen klassenbezogener Verteilung im lokalen Kontext ergänzt (Blaikie 1985; Bunker 1985; Garcia 1981). In den politisch-ökologischen Debatten der 1990er Jahre wurde diese Perspektive um akteurszentrierte sowie postrukturalistische Ansätze erweitert.

Eine poststrukturalistisch orientierte Politische Ökologie erkennt die Kämpfe um die Verteilung materieller Güter an, betont aber gleichzeitig ihre kulturelle Dimension (Escobar 1996; 2008). Arbeiten aus diesem Feld analysieren die Wissensproduktion im Bereich Natur: dominante Naturdeutungen und Konzepte, konkurrierende Deutungsmuster und Repräsentationen. Arturo Escobar spricht in diesem Zusammenhang von einer „politischen Ökologie der Differenz“ und betont die kulturelle Seite ökologischer Verteilungskonflikte (Escobar 2008). Demnach sind Verteilungskonflikte um Land nicht nur als von ökonomischen, sozialen und politischen Machtasymmetrien strukturiert zu verstehen, sondern auch von der relativen Macht, die an unterschiedliches Wissen und kulturelle Praktiken gekoppelt ist. Zentral ist hierbei, Landtransformationen im globalen Süden als eingebettet in eine „imperiale Globalität“ (ebd.) zu begreifen, über die eurozentristische Vorstellungen von Modernität und Entwicklung zunehmend globale Gültigkeit erlangen. Das heißt jedoch nicht, dass lokal nicht mehr gehandelt wird oder gehandelt werden kann.

Arbeiten der feministischen Politischen Ökologie betonen, dass die politisierte Umwelt nicht geschlechtsneutral ist (Agarwal 1998; Rocheleau u.a. 1996). Die feministische Kritik richtet sich auf soziale Praktiken im Umgang mit Natur und den damit verbundenen, nicht immer sichtbaren geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Anspruchs‑ und Zugangsrechte auf Land werden über formale und informelle Institutionen der Landnutzung oftmals ausschließlich den männlichen Haushaltsangehörigen zugesprochen. Eine feministische Perspektive auf die Politische Ökologie der Landfrage verdeutlicht, dass es analytisch verkürzt ist, lokale Gemeinschaften als homogene Gruppen zu fassen. Denn auch innerhalb lokaler Gemeinschaften bestehen strukturelle Unterschiede und Hierarchien, wie etwa Geschlechterdifferenzen, die dazu führen, dass Veränderungen in der Landnutzung wie etwa die Vergabe großer Flächen an Investoren niemals alle Mitglieder gleichermaßen betreffen.

Land grabbing in Äthiopien: Ansatzpunkte zur politisch-ökologischen Analyse

Im Folgenden skizzieren wir anhand des Beispiels äthiopischer Landpolitik[10] eine politisch-ökologisch angeleitete Analyse von land grabbing.Umnutzungen landwirtschaftlicher Flächen zugunsten kommerzieller Agrarproduktion haben in Äthiopien seit der ersten Hälfte der 2000er Jahre deutlich zugenommen. Entfiel noch Ende der 1990er Jahre der ganz überwiegende Teil landwirtschaftlicher Investitionen auf nationale Akteure, so wurden seit 2002 zunehmend auch transnational tätige Unternehmen aktiv – zuerst vor allem im Anbau von Schnittblumen, in jüngster Zeit verstärkt auch von Nahrungsmitteln wie Reis, Sesam oder Gemüse sowie von Zuckerrohr und Jatropha für die Herstellung von Agrartreibstoffen.[11] Neben den bereits skizzierten Gründen für die Zunahme solcher kommerzieller Großprojekte im Agrarbereich allgemein haben in Äthiopien insbesondere wirtschafts‑ und agrarpolitische Leitlinien der Regierung das Interesse an ausländischen Direkt­investitionen vorangetrieben (MoARD 2002; vgl. auch MOFED 2003). Die Entwicklung landwirtschaftlicher Großprojekte durch Investitionen ist ein zentraler Bestandteil der wirtschafts‑ und entwicklungspolitischen Strategie der äthiopischen Regierung, wie in ihrem zentralen Strategiedokument für 2010-2015, dem Growth and Transformation Plan (GTP), formuliert wird (MoFED 2010). Die Angaben über die Gesamtgröße der bislang an Investoren vergebenen Flächen variieren. Dessalegn Rahmato (2011: 25) spricht von über drei Millionen Hektar und schätzt, dass bis Ende 2015 insgesamt sieben Millionen Hektar vergeben werden sein. Die meisten Investoren im äthiopischen Agrarsektor kommen nach wie vor aus dem Inland. Die Vorhaben mit den größten zusammenhängenden Flächen werden jedoch von transnational tätigen Unternehmen durchgeführt, insbesondere dem indischen Nahrungsmittelkonzern Karaturi Global und dem saudischen Unternehmen Saudi Star Agricultural Development Plc., die jeweils mehrere Hunderttausend Hektar Land in Äthiopien gepachtet haben.[12]

Die äthiopische Regierung erhofft sich von diesen ausländischen Investitionen eine Steigerung ihrer Deviseneinnahmen, wachsende Energie­sicherheit und Technologietransfer; zudem würden Arbeitsplätze und soziale Infrastruktur für die lokalen Gemeinden geschaffen. KritikerInnen halten dem entgegen, dass für die Investoren keine Verpflichtung zum Aufbau sozialer Infrastrukturen bestände. Lokale NutzerInnen würden vor der Vergabe der Flächen an die Unternehmen in der Regel nicht konsultiert, oft nicht einmal darüber in Kenntnis gesetzt.[13] Vermeintlich ungenutzte Flächen werden für eine Vielzahl überlebensrelevanter Aktivitäten durch die lokale Bevölkerung genutzt, insbesondere als Weideflächen. Mobile TierhalterInnen würden, so beklagen ihre Interessenvereinigungen, von fruchtbaren Flächen zugunsten der kommerziellen Agrarproduktion vertrieben.[14] Zu den umstrittenen Maßnahmen im Zuge des GTP zählt ein groß angelegtes Um‑ und Ansiedlungsprogramm (villagization programme), dessen Ziel es nach Regierungsangaben ist, die weit verstreut lebende und in ihren ökonomischen Aktivitäten hochgradig mobile ländliche Bevölkerung in günstiger gelegenen Dörfern anzusiedeln und damit ihren Zugang zu sozia­ler Infrastruktur, insbesondere Bildung, medizinischer Versorgung und sauberem Trinkwasser, zu verbessern. Anschuldigungen, es handele sich um Zwangsumsiedlungen für Landumnutzungen, weisen die äthiopischen Behörden zurück; ein räumliches Zusammentreffen von Umsiedlungen und der Vergabe von Flächen an Großunternehmen sei rein zufällig.[15]

Für die Frage von Landbesitz und Landnutzungsrechten ist zentral, dass die äthiopische Verfassung privaten Landbesitz im engeren Sinne nicht zulässt (vgl. Gebreselassie 2006: 3; vgl. Tamrat 2010). Investitionsflächen werden nicht verkauft, sondern verpachtet. Der Staat bleibt somit alleiniger Eigentümer von Land, – erkennt aber die sich teilweise überlagernden individuellen und kollektiven Nutzungsrechte an. Die Formen und Institutionen von Landbesitz und Landnutzungsrechten sind für die politische Einschätzung gegenwärtiger Umnutzungen sowie die Analyse der Bedeutung und (möglichen) Wirkungen der Investitionsvorhaben von Relevanz. Sie werden erst vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklungen nachvollziehbar, die im äthiopischen Fall mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.

Zuvor sahen die Formen der Landnutzung kein exklusives Eigentum oder Nutzungsrecht an Land vor. Besitzen im engeren Sinne konnte man nicht das Land, sondern nur, was man darauf durch Arbeit produziert hatte. Dagegen verfügten verschiedene NutzerInnen über gleichzeitig bestehende Rechte auf ein und dasselbe Stück Land: ein erbliches Recht, das Land zu bestellen; ein Recht, es nach der Ernte als Weideland zu nutzen; Durchzugsrechte sowie das Recht auf einen Teil der Erträge (und damit an der Arbeit anderer, die das Land bebauten). Das Recht der Bauern/Bäuerinnen auf Landnutzung (rist) und das Recht des Adels auf einen Teil der Erträge (gult) bezogen sich jedoch nur auf die Ackerflächen. Wald, Weide‑ und andere Flächen waren stets Gemeinschaftsland. Rist-Land im äthiopischen Kaiserreich war gemeinschaftliches Land, das individuell bestellt wurde. Die Verteilung innerhalb der Gemeinschaft wechselte ständig und war entsprechend umstritten. Das Recht des Adels auf den gult war ursprünglich nicht erblich, sondern an ein Amt gebunden, welches Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft mit sich brachte. Als Kaiser Menelik II Ende des 19. Jahrhunderts die Region im Süden des heutigen äthiopischen Staatsgebietes eroberte, wurde das Adelssystem dorthin gewaltsam transferiert – ohne soziale Basis und ohne die dazu gehörigen Verpflichtungen. Das damit neu entstandene System riste-gult war – im Unterschied zur im heutigen Norden des Staatsgebiets bestehenden Praxis – ein erbliches Recht auf Abgaben, das vom Kaiser an verdiente Soldaten vergeben wurde und keine Amtsverpflichtungen umfasste (Pausewang 1977).

Als im 20. Jahrhundert unter der Herrschaft Kaiser Haile Selassies (1930-1974) Privateigentum an Land etabliert und Besitztitel vergeben wurden, erhielten sie diejenigen, die im Steuerregister eingetragen waren. Da der Adel die Abgaben von den Bäuerinnen/Bauern bekam und davon Steuern zahlte, erlangte dieser nun auch den formalen Landbesitz. Die Bäuerinnen/Bauern nutzten das Land häufig ohne Kenntnis der veränderten Besitzverhältnisse weiter (und zahlten weiter Abgaben). Die Institution des privaten Landbesitzes setzte sich durch, als ausländische Investitionen und Entwicklungsprojekte große Flächen beanspruchten und Land einen kommerziellen Wert zugeschrieben bekam. Im rist/gult-System war Land nur mit den Bauern, die es bestellten und von ihren Erträgen Abgaben zahlten, etwas wert. Formal wurde ein am europäischen Vorbild orientiertes Landrecht ab Mitte der 1940er Jahre unter Haile Selassie eingeführt. Schon zu dieser Zeit lagen den grundlegenden Änderungen im Landrecht Ideen ökonomischer Entwicklung und Modernisierung zugrunde (Pausewang 1977: 21). Ein prominentes Beispiel ist der Zuckerrohranbau im Awash Valley, der überwiegend als gemeinsame Vorhaben des äthiopischen Staates mit transnationalen Unternehmen, beispielsweise der niederländischen Handelsvereniging Amsterdam, auf Flächen realisiert wurde, die bis dahin von lokalen TierhalterInnen als Weideland genutzt wurden (Gebre 2009; Keller 1988: 124; vgl. Bondestam 1974). In jüngerer Zeit findet eine Expansion des Zuckerrohranbaus in dieser Region statt – erneut zu Lasten lokaler NutzerInnen, denn der großflächige Anbau schränkt die Reserveflächen massiv ein, die vor allem in trockenen und Dürreperioden von Wanderweidewirtschaft betreibenden Gruppen genutzt werden (Berhanu & Gebre-Egziabher 2006; Hundie 2010; Ölund 2011).[16]

Die stärkste Opposition gegen Kaiser Haile Selassie stellten die Studierenden der Universität von Addis Abeba dar, die bereits 1965 mit dem Slogan „land to the tiller“ („Das Land dem, der es bestellt“) gegen die Unterdrückung der bäuerlichen Bevölkerungsgruppen demonstrierten.[17] Nach dem Sturz des Kaisers 1974 griff der Derg, eine marxistisch-leninistisch ausgerichtete Militärregierung, diese Forderung auf und proklamierte 1975 eine umfassende Landreform, ohne die er weder die Unterstützung der bäuerlichen Bevölkerungsgruppen noch der studentischen Opposition hätte absichern können. Land wurde zum nationalen Gemeinschaftsgut erklärt, das nicht verkauft oder verpfändet werden kann. Der private Landbesitz wurde abgeschafft, Abgaben, Pacht‑ und Arbeitsverpflichtungen wurden aufgehoben. Die landwirtschaftlichen Großbetriebe wurden verstaatlicht, Weideland zur Nutzung durch die TierhalterInnen vorbehalten erklärt.[18] Obgleich die Befreiung von Abgabenlast und Schulden für die bäuerliche Bevölkerung grundsätzlich zu einer Verbesserung ihrer Lebensbedingungen beitrug, führte die praktische Umsetzung der Landreform im Lauf der Zeit zu einer Verschlechterung derselben. Implementiert wurde die Landreform durch Studierende, die von der Regierung in die ländlichen Gebiete entsandt wurden. Indem der Derg die Vorsitzenden der neu gegründeten Bauernvereinigungen austauschte und durch junge Studierende und HochschulabsolventInnen ersetzte, verlor er seine Bindung in die bäuerlichen Bevölkerungsgruppen.

1991 stürzte ein Bündnis aus regional organisierten Rebellenbewegungen den Derg, übernahm als Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) die Regierung und ist bis heute in Form einer faktischen Einparteienherrschaft[19] an der Macht. Der mit der Landreform 1975 eingeführte Grundsatz, dass alles Land im Besitz des Staates ist, wurde beibehalten und in der neuen Verfassung der föderalen Bundesrepublik Äthiopien verankert.

Kennzeichnend für die Agrar‑ und Landpolitik der EPRDF sind die strategischen Leitlinien, die auf wirtschaftliche Entwicklung durch Produktivitätssteigerung ausgerichtet sind. Veränderungen in der Landnutzung zugunsten kommerzieller landwirtschaftlicher Großproduktion werden durch die äthio­pische Regierung diskursiv über den Rekurs auf ökonomischen Wachstum und Modernisierung legitimiert. Andere Nutzungsformen, die nicht marktorientiert sind, werden als unproduktiv und deshalb „rückständig“ gerahmt, etwa mobile Tierhaltung, Honiggewinnung oder das Sammeln von Früchten. In diesem Sinne kombiniert auch der politische Diskurs zur Begründung des Umsiedlungsprogramms Bezüge zu den wirkmächtigen Diskursen über Entwicklung als Wirtschaftswachstum einerseits und menschliche Entwicklung andererseits. Produktivitätssteigerung und Wirtschaftswachstum werden als Lösung für unterschiedliche Probleme wie Armut, Verlust natürlicher Ressourcen und bewaffnete Konflikte präsentiert.[20] Mobilität und weit verstreute Siedlungsformen würden die Versorgung im Bereich Bildung und Gesundheit unmöglich machen.

Die Institutionen des äthiopischen Staats und die Parteistrukturen der EPRDF sind systematisch miteinander verwoben. Positionen im öffentlichen Sektor einschließlich der staatseigenen Unternehmen sind bis auf die lokale Ebene mit Parteimitgliedern besetzt. Die Partei fungiert mithin als Struktur, über die Land, aber auch landwirtschaftliche Produktionsmittel (etwa Dünger) verteilt werden.[21]

Welche Schlüsse lassen sich aus politisch-ökologischer Perspektive aus dem Beispiel äthiopischer Landpolitik ziehen? Zunächst wird deutlich, dass sich Annahmen zur kolonialen Verankerung von Landverhältnissen auf Äthiopien, das keine Kolonie[22] war, nicht ohne Weiteres übertragen lassen. Dennoch haben auch typische transnational tätige Unternehmen des Kolonialzeitalters die Gestaltung der Landverhältnisse in Äthiopien – wie das Beispiel der Entwicklungen im Zuckerrohrsektor zeigt – historisch mit beeinflusst. Deutlich wird hieran, dass fallbasierte Analysen nicht ohne den jeweils spezifischen historischen Kontext auskommen können. Das äthiopische Beispiel verdeutlicht, dass dieser Kontext nicht auf die Ebene heutiger Nationalstaaten zu beschränken ist, denn die mit Landnutzung verbundenen sozialen Verhältnisse waren historisch im Norden und Süden des heutigen Äthiopien unterschiedlich ausgestaltet.

In der historischen Entwicklung gebührte das Nutzungsrecht an Land den Individuen und Gemeinden, wenn sie Steuern auf die Erträge dessen zahlten, was sie aus der Landnutzung erwirtschafteten. Dieses Konzept hat aus Sicht vieler lokaler LandnutzerInnen in Äthiopien nach wie vor Bestand (Rahmato 2011: 21). Die regional unterschiedlichen, historisch gewachsenen und sich überlagernden Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte bestehen auch heute fort (vgl. Reisenberger 2011; The Oakland Institute 2011). Privates Eigentum als exklusiver Anspruch auf Land entwickelte sich erst im 20. Jahrhundert sukzessive mit dem Voranschreiten kapitalistischer Vergesellschaftung. Die gegenwärtige Umnutzung großer Flächen für die kommerzielle Landwirtschaft stellt sich aus dieser Perspektive als Zuspitzung eines historischen Prozesses der Durchsetzung kapitalistisch vergesellschafteter Naturverhältnisse dar. Auf deutlich größeren zusammenhängenden Flächen als zuvor wird das Recht auf die Nutzung von Natur exklusiv; Mehrfachrechte auf ein und dasselbe Stück Land gibt es dort in der Regel nicht mehr. Die Argumentation der äthiopischen Regierung zugunsten der großflächigen kommerziellen Landwirtschaft, die Produktion von Cash Crops bringe Deviseneinnahmen und schaffe Arbeitsplätze, impliziert eine Präferenz von Lohnarbeit gegenüber der Subsistenzwirtschaft. In den Dokumenten, welche die Landinvestitionen in Äthiopien regeln, bestehen keine Regelungen zur Gewährleistung lokaler Ernährungssicherheit. Die politische Argumentation folgt hier insofern der Logik kapitalistischer Inwertsetzung, als über die Kommerzialisierung von Land Ernährungssicherheit geschaffen werden soll: Der Staat erhält Deviseneinnahmen und die lokale Bevölkerung Arbeitslöhne, so dass Nahrungsmittel gekauft (anstatt selbst produziert) werden können.

Das äthiopische Beispiel zeigt, dass land grabbing keine neue Erscheinung ist. Landbesitzverhältnisse und Landnutzungen haben sich historisch stets gekoppelt an soziale und politische Macht‑ und Herrschaftsverhältnisse verändert – spätestens seit dem 20. Jahrhundert auch zugunsten kommer­zieller Landwirtschaft. Jedoch sind bei den gegenwärtigen Investitionen im äthiopischen Agrarsektor ebenso jene Merkmale zu beobachten, die aktuelle Landnahmen von früheren unterscheiden[23]: die Beteiligung von Akteuren aus Schwellen‑ und Erdölländern (im Fall Äthiopiens von Unternehmen aus Indien und Saudi-Arabien) sowie der Anbau von Grundnahrungsmitteln zum Zweck des Exports in die Herkunftsländer der investierenden Staaten und Unternehmen.

Bereits im rist-System in den nördlichen Gebieten des heutigen Äthiopiens im 19. Jahrhundert waren Landnutzungsverhältnisse ein Spiegel sozialer Kräfteverhältnisse:

„Die Verteilung innerhalb eines Dorfes war nicht gleich […] Was einer pflügte, hing ab davon, was die Dorfältesten als seinen ‘fairen’ Anteil ansahen. Das Rist-System erlaubte einem Mann mit großem Einfluß, erheblichen Landbesitz zu beanspruchen.“ (Pausewang 1977: 19f)

Als das Konzept des Landbesitzes eingeführt wurde, bestimmten die zu diesem Zeitpunkt herrschenden Machtverhältnisse, wessen bzw. welches der bestehenden Nutzungsrechte zum Besitz wurde. Landbesitzverhältnisse stellen aus dieser Perspektive die Festschreibung einer spezifischen historischen Konstellation dar. Die Verstaatlichung im Zuge der Landreform von 1975 spiegelt nicht nur die Macht des Derg zu diesem Zeitpunkt wider, sondern auch den Einfluss der studentischen Opposition. Obwohl der Staat als alleiniger Eigentümer von Land unter der EPRDF erhalten bleibt, kommt darin, dass gegenwärtig das Recht auf exklusive Nutzung großer Flächen privatwirtschaftlich organisierten Akteuren (Unternehmen in Hand des äthio­pischen Staates ebenso wie ausländische bzw. transnationale Konzerne) zugesprochen wird, erneut eine Verschiebung der sozialen Kräfteverhältnisse zum Ausdruck.

Landbesitz als Spiegel sozialer Kräfteverhältnisse umfasst nicht nur die Machtverhältnisse zwischen individuellen und kollektiven Akteuren, sondern auch deren Strukturierung entlang sozialer Kategorien. Nicht zufällig konnte im rist-System ein Mann in entsprechender Position Anspruch auf Landbesitz erheben.[24] Entsprechend ist auch bei Analysen heutiger Veränderungen von Landnutzung zu fragen, welche Individuen und sozialen Gruppen davon profitieren. Erste Untersuchungen der landwirtschaftlichen Großprojekte in Äthiopien deuten daraufhin, dass die dort entstehenden Arbeitsplätze entlang sozialer Kategorien ungleich verteilt werden, wobei insbesondere Ethnizität und regionale Herkunft relevante Kategorien darstellen. Führungspositionen werden überwiegend mit Personal aus dem Ausland, höhere Qualifikationen voraussetzende Positionen mit Arbeitskräften aus dem äthiopischen Hochland besetzt.[25] Und selbst prekäre, saisonale und teilweise schlecht bezahlte Arbeit[26] wird innerhalb der lokalen Bevölkerung meist von denjenigen Gruppen übernommen, die bereits in der Landwirtschaft tätig waren. Für Tätigkeiten in den landwirtschaftlichen Großprojekten werden bestimmte Qualifikationen (wie formale Schulbildung, technische Qualifikation, Führerschein oder Erfahrungen in der Landwirtschaft) benötigt und demzufolge gegenüber anderen (wie Erfahrungen in der Tierhaltung oder Honiggewinnung, Kenntnisse lokaler Nutz‑ und Heilpflanzen) bevorzugt. Dadurch werden bestehende Ungleichheitsstrukturen entlang sozia­ler Kategorien (Ethnizität, regionale Herkunft, Nationalität, Geschlecht, Klasse, Generation) verfestigt, denn manche Aktivitäten werden vor allem von bestimmten sozialen Gruppen ausgeübt. Teilweise stellen bestimmte Strategien der Lebenssicherung und ‑führung auch ein zentrales Merkmal der Konstruktion sozialer Kategorien dar, insbesondere von Ethnizität. Im äthiopischen Beispiel ist dafür vor allem die mobile Tierhaltung relevant, denn „pastoralists“ stellt im äthiopischen Kontext eine bedeutende, häufig mit Diskriminierung verbundene Kategorie sozialer Identität dar (vgl. Elias & Abdi 2010; Helland 2006).

Landpolitik diente im äthiopischen Fall in allen historischen Phasen der Etablierung und Absicherung von Herrschaft: bei der Eroberung der südlichen Gebiete durch Menelik II, der Land an ihm gegenüber loyale Soldaten vergab; im Fall der Landreform 1975, mit welcher der Derg sich die Unterstützung der Studierenden sowie der bäuerlichen Bevölkerung zu sichern versuchte und gleichzeitig durch die Verteilung der Studierenden in die ländlichen Regionen die oppositionellen studentischen Strukturen schwächte; und heute unter der EPRDF, die durch die Vergabe von Land und Düngemitteln die machtvolle Position der Parteistrukturen bis auf die lokale Ebene hin absichert. Zunächst unabhängig von ihren „tatsächlichen“ Wirkungen hinsichtlich ökonomischen Wachstums, der Entstehung von (Lohn‑)Arbeitsplätzen und auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln stellen die aktuellen Veränderungen in der äthiopischen Landpolitik aus politisch-ökologischer Perspektive vor allem Dreierlei dar: die Fortsetzung einer kontinuierlichen Durchsetzung kapitalistisch vergesellschafteter Naturverhältnisse, die Perpetuierung sozialer Ungleichheit entlang von Differenzkategorien wie Ethnizität und Geschlecht, sowie die Absicherung politischer Herrschaft.

Schlussfolgerungen

Ziel unseres Beitrags war es, eine Perspektive zur Analyse gegenwärtiger Transformationen im Bereich Landbesitz und Landnutzung aufzuzeigen, welche diese als gesellschaftlich-politisches und seit jeher umkämpftes Phänomen zu fassen in der Lage ist. Ausgehend von der Annahme eines dialektischen Gesellschaft-Natur-Verhältnisses stehen dabei die Strukturen, Institutionen und Praktiken im Mittelpunkt der Analyse, die das Verhältnis von Gesellschaft und Natur vermitteln. Entscheidungen über die Nutzung und Verteilung von Land, Zugangs‑ und Anspruchsrechte sind nicht aus dem politisch-gesellschaftlichen Prozess herauszulösen, aus dem sie hervorgehen und auf den sie ebenso wieder zurückwirken. Aus politisch-ökologischer Perspektive sind Macht‑ und Herrschaftsverhältnisse für die Analyse von Landnutzungsfragen von entscheidender Bedeutung.

Gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse sind entlang von Differenzkategorien strukturiert, insbesondere Klasse, Geschlecht, Ethnizität und Generation. Diese spiegeln sich in der Verteilung und Nutzung von Land systematisch wider. So bleibt Frauen Landbesitz durch formelle und informelle Barrieren vielfach verwehrt. Bestimmte Nutzungen von Natur werden gesellschaftlich Männern und Frauen bestimmter Altersgruppen zugeschrieben, wobei diese Zuordnungen kontextspezifisch unterschiedlich gestaltet sind (zum Beispiel obliegen das Sammeln und die Verarbeitung von Heilpflanzen in manchen Kontexten älteren Männern, in anderen Frauen). Geschlechtlich strukturierte Macht‑ und Herrschaftsverhältnisse werden durch die Verteilung und Nutzung von Land produziert und reproduziert, indem bestimmte Tätigkeiten höher bewertet werden als andere und sich diese Bewertungen in die Institutionen und Praktiken der Landnutzung einschreiben. Aus dieser Perspektive ist es kein Zufall, dass landwirtschaftliche Anbauflächen als „genutzt“ beschrieben, Flächen dagegen als „ungenutzt“ beschrieben werden, wenn dort andere Nutzungsformen wie das Sammeln von Feuerholz, Früchten oder Heilpflanzen sowie das temporäre Weiden von Vieh bestehen. Die Kategorie Ethnizität ist gleichfalls systematisch mit den Formen der Naturnutzung verschränkt. So stellen Formen der Naturnutzung wie beispielsweise die Wanderweidewirtschaft ein wichtiges Merkmal der Konstruktion ethnischer Identitäten dar. Die Bewertung nicht primär über den Markt vermittelter Nutzungen als „unproduktiv“ und „rückständig“ wird hierüber auch zur Zuschreibung an ethnisch definierte soziale Gruppen. In der Konsequenz sind die Gewinne und Vorteile, die aus der Verpachtung und dem Verkauf von „ungenutztem“ Land zum Zweck der großflächigen kommerziellen Agrarproduktion potenziell resultieren, gesellschaftlich entlang von Kategorien wie Ethnizität, Geschlecht und Klasse ungleich verteilt. Denn infolge dieser Verpachtungen und Verkäufe steht Land bestimmten NutzerInnengruppen und Nutzungen nicht mehr zur Verfügung. Aus dieser Perspektive erscheint es wahrscheinlich, dass solche Umnutzungen soziale Ungleichheiten perpetuieren werden.

Soziale Gruppen, deren kollektive Identitäten und gesellschaftlich-politische Organisationsstrukturen nicht territorial gebunden sind wie bei vielen Gemeinschaften, deren Lebensgrundlagen auf mobiler Tierhaltung basieren, haben es in nationalstaatlich organisierten Systemen und unter den Tendenzen der zunehmenden Inanspruchnahme großer Landflächen zur kommerziellen Agrarproduktion schwer, ihre Anspruchsrechte durchzusetzen (vgl. Helland 1997 für Südäthiopien). Denn die kollektive Nutzung von Land innerhalb von Staaten ist typischerweise an territorial verankerte Identitätszuschreibungen geknüpft. Dem Staat kommt dabei eine Doppelfunktion zu. Zum einen stellt er selbst einen machtvollen Akteur dar, der eine zentrale Rolle bei Entscheidungen über Landbesitz und Landnutzug einnimmt. Vielerorts beansprucht er das alleinige Recht auf Eigentum an Land, fast überall die Entscheidungshoheit über Landvergabe und Landnutzung. Deshalb basieren die aktuellen großflächigen kommerziellen Agrarprojekte, sofern sie von ausländischen bzw. transnationalen Investoren realisiert werden, auf Verträgen zwischen diesen und den jeweiligen nationalen Regierungen (manchmal auch anderer nationalstaatlicher Verwaltungsebenen wie Regionalbehörden). Zum anderen fungiert der Staat als Ressource; der Zugang zu staatlicher Herrschaft ist gleichbedeutend mit der Verfügungsgewalt zu Ressourcen und den Mechanismen ihrer Umverteilung. Doch diese Mechanismen sind lokal und regional aufgrund historischer Entwicklungen unterschiedlich ausgestaltet. Obwohl transnationale Unternehmen und ausländische Investoren ohne Zweifel zentrale Akteure für das aktuelle land grabbing darstellen, müssen Analysen desselben das Handeln staatlicher und nichtstaatlicher Akteure aufeinander beziehen. Der Trend zur kommerziellen Agrarproduktion, die große Flächen beansprucht und an der komplexe Akteurskonstellationen aus transnational tätigen Unternehmen, internationalen Organisationen (wie der Weltbank oder FAO), nationalen Regierungen und lokalen Bevölkerungen beteiligt sind, hält an. Aus politisch-ökologischer Perspektive stellen differenzierte, lokal verankerte Studien das dringendste Desiderat der Forschung über diese Entwicklung dar.

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Anschrift der Autorinnen:
Bettina Engels
bettina.engels@fu-berlin.de

Kristina Dietz
kristina.dietz@fu-berlin.de



*           Wir danken der Redaktion der Peripherie sowie den GutachterInnen für ihre hilfreichen Anmerkungen zu früheren Fassungen.

[1]      Vgl. etwa die Schwerpunktausgaben „Global Land Grabs“ der Zeitschrift Development, Bd. 54, Nr. 1 (2011) und „Forum on Global Land Grabbing“ des Journal of Peasant Studies, Bd. 38, Nr. 2 (2011) sowie eine Vielzahl von jüngst erschienen Publikationen, unter anderem Cotula 2011; Cotula u.a. 2009; Hoering 2009; Oppeln & Schneider 2009; Rudloff 2009.

[2]      Friends of the Earth 2010; Friis & Reenberg 2010; Fritz 2010; INKOTA 2010.

[3]      Peak soil verweist in Anlehnung an peak oil (s. Fn. 6) auf die Begrenztheit weltweit verfügbarer landwirtschaftlicher Nutzflächen, die durch Übernutzung und den wachsenden Druck auf Flächen zum Ausdruck kommt (vgl. Fritz 2009).

[4]      Wir verwenden den Begriff „land grabbing“ in diesem Beitrag für die Umnutzung großer Landflächen zugunsten kommerzieller Agrarproduktion im globalen Süden – durch ausländische Investoren ebenso wie durch nationale staatliche und privatwirtschaftliche Akteure. Obgleich der Begriff analytisch unscharf bleibt, hat er sich insbesondere in der kritischen wissenschaftlichen und politischen Debatte durchgesetzt (vgl. das Peripherie-Stichwort von Uwe Hoering in diesem Heft: 497ff).

[5]      „Post-kolonial“ meint hier zunächst eine räumliche und zeitliche Kategorie, die sich geografisch auf die ehemaligen Kolonien und historisch auf den Zeitraum nach dem formalen Ende der kolonialen Herrschaft bezieht (im Unterschied zu „postkolonial“ als theoretisch-wissenschaftlicher Perspektive, vgl. Aikins & Bendix 2010; Castro Varela & Dhawan 2005; Randeria & Eckert 2009).

[6]      Peak oil beschreibt den Höhepunkt der globalen Erdölförderung (Altvater 2005). Eine Mehrzahl der BeobachterInnen geht davon aus, dass dieser Punkt bereits überschritten ist oder in nicht allzu weiter Ferne liegt. Peak oil dient in aktuellen Debatten um eine Transformation der Kraftstoffversorgung als zentrale Argumentation für eine Ausweitung der Beimischungsquoten von Agrarkraftstoffen. Dafür notwendige Umwandlungen von Wald‑, Agrar‑ oder Weideflächen in Energieproduktionsflächen stehen also zumindest diskursiv in einem Zusammenhang zu peak oil.

[7]      Die diskursive Konstruktion von Land als ungenutzt ist kontextuell mit unterschiedlichen politischen und ökonomischen Zielen verbunden. Landlosen‑ und KleinbäuerInnenbewegungen in Lateinamerika beziehen sich bei ihren Forderungen nach Zugang zu Land und Umverteilung und Begrenzung von Landbesitz ebenfalls auf ungenutzte Flächen. Allerdings geht es hier meist um solche Flächen, die sich im Besitz von GroßgrundbesitzerInnen befinden.

[8]      vgl. Braun & Meinzen-Dick 2009; Cotula u.a. 2009; Deininger u.a. 2011; Friis & ­Reenberg 2010; Mbow 2010; Visser & Spoor 2011.

[9]      Unterschiedliche Ansätze aus dem Bereich der politischen Ökologie sind etwa die wissenschaftskritisch angelegte Critical Political Ecology (Forsyth 2003), die an feministischen Theorien orientierte Feminist Political Ecology (Rocheleau u.a. 1996) und die entwicklungsgeografisch orientierte Third World Political Ecology (Bryant & Bailey 1997).

[10]    Die Ausführungen zu Äthiopien beziehen sich neben der wissenschaftlichen Literatur auf jüngere Medienberichte äthiopischer und internationaler Quellen sowie auf Interviews mit VertreterInnen äthiopischer NGOs, Entwicklungsagenturen, der politischen Opposition in Äthiopien sowie von äthiopischen Bundesministerien, die zwischen Januar und Mai 2011 in Addis Ababa im Rahmen eines von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) geförderten Forschungsvorhabens von Bettina Engels geführt wurden.

[11]    Rahmato 2011: 12; vgl. Friends of the Earth 2010; The Oakland Institute 2011; Weissleder 2009.

[12]    Ethiopian News, 16. 4. 2011, http://www.ethiopian-news.com/ethiopia-of-land-food-and-entitlement/, letzter Aufruf: 16. 9. 2011.

[13]    Vgl. auch IRIN, 25. 3. 2011, http://www.irinnews.org/report.aspx?reportid=92292, letzter Aufruf: 17. 9. 2011.

[14]    Interview, Addis Ababa, 24. 3. 2011.

[15]    The Guardian, 21. 3. 2011, http://www.guardian.co.uk/global-development/video/2011/mar/21/ethiopia-land-rush, letzter Aufruf: 17. 9. 2011; Ethiopian News, 16. 4. 2011.

[16]    Interview, Vereinigung von mobilen TierhalterInnen, Addis Ababa, 30. 4. 2011.

[17]    Ahmed 2006; Balsvik 2009; Helland 1997; 1999; Pausewang 1977.

[18]    Pausewang 1977: 24f; Brietzke 1976; Jemma 2004; Rahmato 1985.

[19]    Nach den Wahlen von 2010 hält die EPRDF 545 von 547 Sitzen im nationalen Parlament. Zu den umstrittenen Bedingungen der äthiopischen Wahlen der letzten Jahre vgl. Abbink 2006; ICG 2009.

[20]    Interview, Ministry of Federal Affairs, Addis Ababa, 3. 5. 2011.

[21]    Pausewang 2011; Interview, Oppositionspolitiker, Addis Ababa, 4. 5. 2011; Interview, Vereinigung von mobilen TierhalterInnen, Addis Ababa, 16. 3. 2011.

[22]    Von 1935-1941 war Äthiopien von italienischen Truppen unter Mussolini besetzt.

[23]    Siehe das Peripherie-Stichwort von Uwe Hoering in diesem Heft: 497ff.

[24]    Der Zugang zu Land ist für Frauen – trotz formal-rechtlicher Gleichstellung – faktisch auch heute noch stark eingeschränkt (Reisenberger 2011).

[25]    Interview, internationale Entwicklungs-NGO, Addis Ababa, 15. 3. 2011.

[26]    Den wenigen bestehenden Studien zufolge variieren die Angaben über die Höhe der gezahlten Tageslöhne stark. Rahmato gibt für das von ihm untersuchte Saudi-Star-Projekt in Gambella Tagessätze von 17 bis 23 äthiopischen Birr an (derzeit etwa 0,71-0,91 €). In einem Projekt des indischen Unternehmens Karaturi im Bundesstaat Oromia erhielten Tagelöhner nur zwölf Birr (0,50 €) – weniger, als ein Bauer/eine Bäuerin im Producitve Safety Net Program, dem größten äthiopischen Food for Work-Programm, erhält (Rahmato 2011: 22, 25; vgl. auch Reisenberger 2011: 26).