Freiheit als Ideologie

Eigentum in der Zivilrechtsdogmatik

Der Rechtspositivist Hans Kelsen und der marxistische Philosoph Ernst Bloch stellten Prämissen der herrschenden Zivilrechtslehre in Frage: Kelsen als Gegner der Naturrechtstheorie, Bloch als politischer Verfechter einer „konkreten Sozialutopie“. Vor dem Hintergrund neoliberaler Interpretationen des Eigentumsrechts besitzt ihre Kritik große aktuelle Relevanz.

In § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wird Eigentum als das Recht definiert „soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen“. Die aktuelle juristische Literatur charakterisiert das privatrechtliche Eigentum im Anschluss an das römische Recht und die Pandektistik des 19. Jahrhunderts als „unbeschränktes Herrschaftsrecht an einer Sache”[1]. Als dingliches Recht, welches absolut gegenüber jedermann wirkt, wird es von den relativen Rechten des Schuldrechts, welche nur Befugnisse gegenüber einer bestimmten Person begründen, abgegrenzt. Es wird außerdem als klassisches subjektives Privatrecht vom objektiven Recht der Rechtsordnung unterschieden. Subjektive Rechte werden dabei als Raum „unabhängiger Herrschaft des individuellen Willens“ und als „juristische Grundlage der Freiheit der Persönlichkeit“ aufgefasst.[2]

Die Reduzierung des Privateigentums auf eine Mensch-Sach-Beziehung in der Zivilrechtslehre, welche die gesellschaftliche Dimension von Eigentumsverhältnissen ausblendet, war seit Entstehung des BGB umstritten. Die Gegenansicht zur Sachherrschaftstheorie vertrat die so genannte Ausschließungstheorie, welche den wahren Kern des Eigentums in der Berechtigung sah, alle anderen Menschen an der Verfügung über eine Sache zu hindern.[3] In den 1980er Jahren wurde die Debatte um den Eigentumsbegriff in juristischen Fachzeitschriften erneut geführt und gegen die Mehrheitsmeinung kritisch eingewandt, dass das Recht eine verbindliche Ordnung zwischen Menschen darstelle. Daher könne es Rechtsverhältnisse zwischen Personen und Sachen nicht geben.[4]

Ein Blick zurück: UntertanInnen als Besitz

Während in Frankreich mit Inkrafttreten des Code Civil bereits 1804 ein modernes bürgerliches Privatrecht eingeführt wurde, herrschte in Deutschland bis zur Kodifikation des BGB fast ein Jahrhundert später ein Zustand der Rechtszersplitterung und teilweise noch vom Feudalismus geprägter Rechts- und Eigentumsverhältnisse. Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 (ALR) war vom heutigen Eigentumsbegriff weit entfernt und noch am Ständestaat des Mittelalters, bestehend aus Adel, Klerus, Bürgertum und Bauernstand, orientiert. Freier Eigentumserwerb für das Bürgertum war nicht gewährleistet. Insbesondere das Grundeigentum unterlag vielfältigen Bindungen und Veräußerungsbeschränkungen. Das ALR unterschied nicht zwischen Sach- und Leibherrschaft und behandelte die UntertanInnen als Teile des Guts, zu dem sie „geschlagen“ waren. Es enthielt zudem die für das Lehenswesen typische Figur des geteilten Eigentums, bei dem das Recht zur Nutzung und das Recht zur sonstigen Verfügung über die Sache verschiedenen EigentümerInnen zugewiesen wurden.[5]

Erst mit Inkrafttreten des BGB 1900 wurde ein einheitliches, das Privilegiensystem des Mittelalters überwindendes, deutsches Zivilrecht geschaffen. Der wirtschaftsliberale Geist der Kodifikation und die einseitige Ausrichtung der Eigentumsnormen an den ökonomischen Interessen des Besitzbürgertums stießen in der Rechtswissenschaft der damaligen Zeit teilweise jedoch auf heftigen Widerspruch. So kritisierte von links der Wiener Rechtsprofessor Anton Menger die individualistische Ausgestaltung des Eigentumsrechts und forderte gesetzliche Beschränkungen zum Schutz der besitzlosen Klassen. Ein weiterer, aus heutiger Sicht reaktionär erscheinender Kritiker war der konservative Berliner Juraprofessor Otto von Gierke, der dem römisch-rechtlich geprägten liberalen Eigentumsbegriff eine deutsch-rechtliche Tradition entgegensetzen wollte. Gierke favorisierte ein genossenschaftlich ausgestaltetes, dem altgermanischen Sippen- und Stammesrecht entlehntes Eigentumsrecht.[6] Rechtsphilosophisch standen die Verfasser des BGB unter dem Einfluss der Naturrechtstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts, welche das Privateigentum in der menschlichen Natur und den ihr innewohnenden unveränderlichen Eigenschaften begründet sahen.

Und heute?

Auch in der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung klingt ein Verständnis vom Privateigentum als vorgesellschaftlichem, natürlichem Recht noch an. So wird beispielsweise in einem Beschluss des Großen Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) unter expliziter Bezugnahme auf die Naturrechtslehre ausgeführt, dass „der in den Staat eingegliederte Einzelne, um unter seinesgleichen als Person, d.h. frei und selbstverantwortlich leben zu können, [ ] um seiner Freiheit und Würde willen, einer streng gesicherten Sphäre des Eigentums“ [7] bedürfe.

In der aktuellen rechtswissenschaftlichen Diskussion wird die Existenz privater Eigentumsrechte teilweise mit neoliberalen Denkmustern gerechtfertigt. So heißt es in einem Lehrbuch zur Rechtstheorie, die Idee subjektiver Rechte sei verbunden mit der Vorstellung der „invisible hand“ des Marktes nach Adam Smith. Danach trägt der/die Einzelne, der/die eigennützig handelt, mehr zum Allgemeinwohl bei als derjenige/diejenige, der/die sich an der Allgemeinheit orientiert. Subjektive Privatrechte stellten das Grundmodell der freien Marktwirtschaft dar, in der die MarktteilnehmerInnen unter Freisetzung des Eigeninteresses erfolgreich agieren und zum gegenseitigen Vorteil kooperieren könnten. Die vermeintliche gesellschaftliche Notwendigkeit privater Eigentumsrechte wird in diesem Kontext unter Berufung auf die Neue Institutionenökonomie der Volkswirtschaftslehre folgendermaßen veranschaulicht: „Steht eine Gemeindewiese allen Bauern eines Dorfes zur Nutzung für ihr Vieh zur Verfügung, kommt es zur Übernutzung der Wiese mit der Folge, dass die Wiese in kurzer Zeit abgegrast ist. Da die Nutzung der Wiese frei ist, besteht für die Bauern ein Anreiz, immer mehr Tiere auf die Wiese zu treiben, ohne auf die Kosten für die Gemeinschaft (Zerstörung der Wiese) Rücksicht zu nehmen. Es besteht außerdem für sie ein Anreiz, keinerlei Investitionen in das Gemeinschaftseigentum (z.B. Bewässerung) zu tätigen. Das liegt daran, dass sie befürchten müssen, als einzige Mittel zum Erhalt der Wiese aufzubringen, während alle anderen davon nur profitieren wollen (Trittbrettfahrerproblematik). [...] Lösen lässt sich die Situation durch die Zuerkennung von subjektiven Rechten, in diesem Fall durch Eigentumsrechte an einen oder mehrere der Bauern”[8]. Weshalb die AllmendebäuerInnen zwangsläufig das aus ihrer Sicht unvernünftigste tun sollten, nämlich die Wiese in kurzer Zeit abzugrasen, bleibt jedoch völlig unklar und ist historisch im Übrigen nicht belegt.

Ideologiekritik nach Kelsen

Gegen die auch heute noch verbreiteten naturrechtlichen Anschauungen wandte sich der österreichische Verfassungsrechtler und Rechtspositivist Hans Kelsen (1881-1971), der die Begriffe der traditionellen Zivilrechtsdogmatik von seiner theoretischen Grundprämisse aus, „eine reine, das heißt: von aller politischen Ideologie [...] gereinigte”[9] Rechtswissenschaft zu entwickeln, grundlegend in Frage stellte. Kelsen lehnte die herkömmliche Gegenüberstellung von subjektivem und objektivem Recht, hinter der sich die Annahme überpositiver, dem Menschen eingeborener Rechte verberge, strikt ab. Für Kelsen existierte demgegenüber nur eine Rechtsordnung: das objektive Recht, das wesentlich durch die mit staatlichem Zwang sanktionierte Rechtspflicht gekennzeichnet ist.[10] Der Sachherrschaftstheorie, die privatrechtliches Eigentum als ausschließliche Herrschaft einer Person über eine Sache definiert, attestierte Kelsen „ausgesprochen ideologischen Charakter”[11]. Eigentum könne rechtlich nur in einem bestimmten Verhältnis eines Menschen zu anderen Menschen bestehen und stelle nur sekundär eine Beziehung zu einer Sache dar. In den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Bekämpfung sozialistischer Theorien, sah Kelsen den maßgeblichen Grund dafür, dass an der althergebrachten Terminologie der römischen Jurisprudenz weiterhin festgehalten wurde.

Die Zivilrechtslehre wolle in diesem Kontext die „sozialökonomisch entscheidende Funktion des Privateigentums verhüllen“, eine Funktion, die, so Kelsen weiter, „sofern es sich um Eigentum an den Produktionsmitteln handelt [...] als ,Ausbeutungʽ bezeichnet wird, eine Funktion, die jedenfalls gerade in der Beziehung des Eigentümers zu allen anderen Subjekten besteht, die vom Zugriff auf seine Sache ausgeschlossen, vom objektiven Recht zur Respektierung der ausschließlichen Verfügungsgewalt des Eigentümers verpflichtet sind.“[12] Die juristische Vorstellung von EigentümerInnen als TrägerInnen von subjektiven Rechten sei ebenfalls politisch motiviert und impliziere, dass Privateigentum eine gegenüber dem positiven Recht transzendente Kategorie sei, eine Institution, an der die inhaltliche Gestaltung der Rechtsordnung eine unüberwindliche Schranke findet. Kelsen verstand demgegenüber ein die Institution des Privateigentums gewährleistendes Recht als geschichtlich „sich stets wandelnde, durch menschliche Willkür geschaffene und nicht auf dem ewigen Willen der Gottheit, auf der Vernunft oder auf der Natur ruhende Ordnung”[13].

Insbesondere in diesem Punkt erweist sich Kelsen als anschlussfähig für linke Rechtskritik an der Zivilrechtslehre. Indem er das bestehende Recht nicht als natürlich sondern als historisch und potentiell veränderlich begreifbar macht, eröffnet sich die Perspektive für alternative Rechtsinhalte, die solidarischer und weniger stark an den Eigentumsinteressen von KapitaleignerInnen und großen Unternehmen orientiert sind.  Kelsen lehnte es ab, andere Ausgestaltungen des Eigentumsrechts als Unrecht und als Nicht-Rechtsordnung zu stigmatisieren.[14] Letzteres war für ihn politisch intendiert und damit von seinem Standpunkt aus unwissenschaftlich. Mit seiner Kritik an der dogmatischen Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Recht hebt sich Kelsen ebenfalls fortschrittlich von der juristischen Literatur ab, die dazu neigt, Fragen des Sozialstaats und der Sozialbindung des Eigentums aus dem Privatrecht heraushalten zu wollen und in die „fremde“ Sphäre des objektiven öffentlichen Rechts zu verweisen.

Blochs widersprüchliches Naturrecht

Von einem ganz anderen theoretischen Blickwinkel aus kritisierte der Philosoph Ernst Bloch (1885-1977) das privatrechtliche Eigentum. Bloch sah die Naturrechtstheorien nicht nur negativ. Er differenzierte vielmehr zwischen einem konservativen, gesellschaftliche Machtverhältnisse legitimierendem Recht einerseits und einem oppositionellen, die „konkrete Utopie” einer „besseren Zukunftsgesellschaft” in sich bergendem Naturrecht andererseits.[15] Zu der für ihn positiven Traditionslinie des Naturrechts zählte Bloch auch die vom Bürgertum 1789 gegenüber der Monarchie eingeforderten Grund- und Menschenrechte. Diese betrachtete er nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung zu geschichtlichen Sozialutopien: „Die Naturrechtstheorien gehen […] überwiegend auf Würde, auf Menschenrechte, auf juristische Sicherheit oder Freiheit als Kategorien des humanen Stolzes“. Die „Sozialutopie [richtet sich] vor allem auf die Abschaffung des menschlichen Elends [...]“[16].

Das Recht auf Privateigentum fiel für Bloch aus den übrigen Grundrechten heraus: „Sofern das Naturrecht seinen Freiheitsschild aus dem Lager des Privatrechts bezog, war es dem Privateigentum verfallen und blieb individualistisch. Sofern es die Marke dieses Ladens am Schild lässt, versieht es den Männerstolz mit dem vollen Geldbeutel und verhindert, mindestens beschränkt so, was es verkündet“.[17] Die Garantie des Privateigentums stellte für Bloch im Anschluss an Marx die bürgerliche Schranke in den Menschenrechten dar. Diese träten „dadurch desto abgebrochener hervor“[18]. Indem es, insbesondere in seiner kapitalistischen Form, soziale Machtverhältnisse und ökonomische Abhängigkeiten reproduziere, stehe das Eigentum im realen Spannungsfeld zur Freiheit.

Die rechtsdogmatische Gegenüberstellung von subjektivem und objektivem Recht bewertete Bloch somit grundlegend anders als Kelsen. Subjektive Rechte waren für ihn nicht auf die Privatrechte von EigentümerInnen und GläubigerInnnen zu reduzieren. Auch die wirtschaftlich Schwachen meldeten, etwa in Arbeitskämpfen, subjektive Rechte an. Für Bloch wiesen die subjektiven Rechte somit ebenso wie das Naturrecht einen widersprüchlichen, doppelten Charakter auf: einerseits konservativ und gesellschaftliche Machtverhältnisse rechtfertigend, andererseits tendenziell herrschaftskritisch und über bestehende Verhältnisse hinausweisend.

Interessant ist vor allem der von Bloch aufgezeigte Gegensatz zwischen privatrechtlichem Eigentum und individueller Freiheit, stellt er doch die geläufige Auffassung der Zivilrechtslehre in Frage, dass gerade das Eigentum Ausdruck der freien Entfaltung der Persönlichkeit sei.

Tatsächlich stellt sich, auf heutige Verhältnisse übertragen, ein als wirtschaftsliberales Ausschlussrecht konzipiertes zivilrechtliches Eigentum für Hartz-IV-EmpfängerInnen oder prekär Lebende nicht als Freiheitsrecht, sondern eher als Behinderung der Handlungsfreiheit und Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten dar. So unterschiedliche Denker wie Bloch und Kelsen bieten somit Anregungen für eine linke Rechtskritik am privatrechtlichen Eigentumsbegriff.

 

Sonja Mangold ist Rechtsreferendarin in Berlin.

 

 

Weiterführende Literatur

Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage, 1960.

Peter Römer, Hans Kelsen, 2009.

Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, 1961.



[1]             Wolfgang Brehm / Christian Berger, Sachenrecht, 2006, § 5 Rn. 1.

[2]             Vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl., 2008, § 2 Rn. 66.

[3]             Fritz Baur / Rolf Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., 2009, 196 ff.

[4]             Walther Hadding, Rechtsverhältnis zwischen Person und Sache?, Juristenzeitung 1986, 926 (926).

[5]             Brehm / Berger (Fn. 1), § 5 Rn. 4.

[6]             Ebenda.

[7]             Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 1952, BGHZ 6, 270  ff.

[8]             Rüthers (Fn. 2), § 2 Rn. 68.

[9]             Kelsen, 1960, Vorwort, III.

[10]          Vgl. dazu Römer, 2009, 60 ff.

[11]          Kelsen (Fn. 9), 135.

[12]          Ebenda, 136.

[13]          Ebenda, 175.

[14]          Ebenda, 176.

[15]          Vgl. dazu Andreas Fisahn, Herrschaft im Wandel, 2008, 87 ff.

[16]          Bloch, 1961, 234.

[17]          Ebenda, 216.

[18]          Ebenda, 203.