fuck you all

Guter Sex und schlechte Zeiten — Thesen der Redaktion

Die Thesen leiten den Schwerpunkt des Heftes ein und situieren die folgenden Beiträge. Sie umreißen Kontroversen und markieren Diskussionen der Redaktion. Die folgenden Thesen gehören zum Heft 12 mit dem Schwerpunkt Sexualität.

1. Die sexuelle Revolution frisst ihre Kinder

Wir leben in postrevolutionären Zeiten. Während in den 1970er Jahren die Frauenbewegung für das Recht am eigenen Körper kämpfte, die Schwulenbewegung eine erste Reform des § 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, erstritt und die „Befreiung der Sexualität“ als Teil einer gesellschaftlichen Utopie verstanden wurde, scheint es heute keine heiß umkämpften Utopien und nur noch wenige politische Kämpfe um den Sex zu geben. Stattdessen widmet sich zumindest die urbane, finanziell unabhängige Mittelschicht dem je nach Geschmack hetero- oder homosexuellen Normalvollzug. Relativ unbelästigt von strafrechtlicher Verfolgung wird gefickt, gevögelt, geleckt, gefistet und auch einsame Herzen erfreuen sich und ihre Körper an der Darstellung und Vermittlung von Sex an den kleinteilig kategorisierten Begehren auf YouPorn oder GayRomeo. Es scheint, als wäre A-Sexualität das letzte Tabu. Gibt es für ein politisches Magazin also nichts Langweiligeres als über Sex zu schreiben?

 

2. Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten …

Wir meinen: Nö. Gesellschaftliche Aufbrüche waren wie angedeutet immer auch mit sexualpolitischen Revolten verknüpft. Revolutionärinnen wie Rosa Luxemburg oder Olga Benario waren auch Kämpfende in Sachen sexueller Selbstbestimmung. Autoren wie Karl Kraus waren auch vor über hundert Jahren schon engagierte Streiter gegen Moralismus und die Lakenschnüffelei von Sittenpolizei und Sensationspresse. In seinem Buch „Sittlichkeit und Kriminalität“ benennt er, ohne den Begriff des Patriarchats zu kennen, wessen Herrschaft die „Hetzjagd auf das Weib“ und die Nachstellerei gegen die gleichgeschlechtlich Liebenden und Fickenden zementierte. Der Kampf gegen die AIDS-Epidemie achtzig Jahre später, aus dem maßgeblich die Queer-Bewegung hervorging, war eben anders als von manchem Traditionslinken behauptet kein Kampf um Nebenwidersprüche. Abgesehen von der Unsäglichkeit einer solchen Hierarchisierung von Kämpfen, ging es hier um die handfesten, tödlichen Auswirkungen einer (medial vorangetriebenen) Hetzjagd auf Schwule in der BRD und deren Zusammenwirken mit heteronormativer Politik und einer gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber den Deklassierten und Kriminalisierten.

Kurz nach der emanzipatorischen Aufbruchstimmung der Lesben- und Schwulenbewegung in den 1970er Jahren, sahen sich Schwule nun mit dem Kampf ums eigene Überleben konfrontiert – sowohl faktisch als auch gesellschaftlich.

Die Verweigerung der Behandlung und Pflege von an AIDS-Erkrankten war in westdeutschen Krankenhäusern an der Tagesordnung und wurde in ihrer Schärfe nur durch die Internierungspolitik Schwedens oder das deregulierte und marktförmig organisierte Gesundheits- und Sozialsystem in den Vereinigten Staaten getoppt. Dies schuf ein gesellschaftliches Arrangement, das für die infizierten Junkies und Fixer, die Tunten, Stricher und Sexarbeiter, die Knastbrüder und infizierte GhettobewohnerInnen tödlich war. Die Kehrseite dieser Polarisierung von Aufklärung und Ausgrenzung war eine Öffnung des Diskurses über Sex. Wer von HIV und AIDS sprach, konnte über's Vögeln nicht schweigen.

Nur: Wie sehen die sexualpolitischen Kämpfe des 21. Jahrhunderts aus?

 

3. Sex and Drugs and Politics!

Auch wenn das Diktum von Karl Kraus, dass sich der Gesetzgeber darauf beschränken solle, „die Vergewaltigung zu strafen, die Unmündigkeit und die Gesundheit“ zu schützen oberflächlich gesehen in Deutschland verwirklicht scheint, es gibt immer noch genug Gründe den Sex nicht nur im Bett, sondern auch im Kopf stattfinden zu lassen. Denn Sex ist immer politisch. Sowohl als Ware als auch als Anrufung an die Subjekte ist er allgegenwärtig. Es lohnt sich daher Kritik von Macht und Herrschaft auch in diesem Feld zu verfolgen. Die Herausforderung dabei ist fortgeschrittenes Kamasutra, schließlich gilt es eine gleich dreifache Frontstellung einzunehmen.

 

4. Gegen Neovernagelte und Frühverdummte

Zum einen gegen jene Kräfte, welche die Rücknahme der emanzipatorischen Effekte der sexuellen Revolution und einen neokonservativen Rollback wollen. Das sind neovernagelte Pop- und Altchristen, denen alles nicht heterosexuell, monogam, innerehelich und vaginalverkehrt erlebte Sex-Glück satanisch erscheint. Kritik gilt es also sowohl an den als SozialarbeiterInnen verkleideten MoralpredigerInnen à la Bernhard Siggelkow zu üben, die in Bild und Stern die sexuelle Verwahrlosung der Unterschicht beklagen als auch an den rastagelockten fundamentalistischen Jung-Evangelikalen, die mit der Bibel herumziehen, um Homosexuelle zu heilen. Heilt Euch selbst! Genauso gilt es sich mit jenen zu verbünden, die sich gegen die Anhänger eines konservativen Islam und VertreterInnen eines Islamismus erwehren. Selbstverständlichkeit und doch hohe Kunst ist dabei nicht mit den rechtspopulistischen Neo-Rassisten, die auf einmal Frauen- und Schwulenrechte für sich entdecken, im Bett zu landen.

 

5. Gegen die LinksmoralistInnen

Es gilt auch gegen die Frauen, Männer und andere Geschlechtscharaktere in den eigenen Reihen zu diskutieren, die bereit sind, emanzipatorische Kämpfe zu verraten, wenn sie glauben, dass sie hegemonialen Moralvorstellungen widersprechen. Mag sein, dass es Ängste auslöst, wenn die sexuelle Revolution symbolisch auch an die eigene Schlafzimmertür klopft. Ihnen sei gesagt: Seid furchtlos! Die letzte Kissenschlacht ist erst geschlagen, wenn der DGB und DIE  LINKE auch außerhalb der BAG Queer so selbstverständlich für die Rechte von SexarbeiterInnen, also von Nutten, Strichern, StripperInnen, Nachtclub-TänzerInnen sowie Pornokings und –queens eintreten, wie für andere Berufsgruppen.

 

6. Gegen die falschen Befreiungsversprechen

Die dritte Front gilt es gegen jene zu halten, die in einer analytischen Verkürzung die Befreiung der Gesellschaft vulgärpsychologisch oder mit einem naiven Freudomarxismus begründet über die Beendigung einer vermeintlichen Triebunterdrückung erreichen wollen, und die sich dabei in den Fallstricken modernisierter Machtverhältnisse verfangen oder von der eisernen Hand der anonymen Domina Neoliberalismus fesseln lassen. … und die in der Regel noch nicht einmal mehr die Begriffe kennen, die ihre Vorstellungen prägen. Hier gilt es nicht nur bei den sich vermeintlich als unpolitisch verstehenden Polyamourösen kritisch nachzufragen, sondern auch verschiedene Praktiken queeren Aktivismus solidarisch auf ihren emanzipatorischen Gehalt zu prüfen. Denn sexualpolitische Kämpfe bewegen sich in einem knisternden Spannungsverhältnis. Die Infragestellung von Heteronormativität, also der Orientierung an heterosexuellen Beziehungen als Norm und Ideal, erfordert immer auch Kämpfe um Repräsentation. Also sowohl die Sichtbarmachung nichtheterosexueller Lebensentwürfe als auch die Organisierung von Interessen. Auf der anderen Seite ist die Neuzeit, wie Michel Foucault u. a. in seiner bahnbrechenden Studie Sexualität und Wahrheit feststellte, gerade dadurch gekennzeichnet, dass in der Reflektion über Sexualität, als Kreuzungspunkt von Wünschen, Begehren, individueller und gesellschaftlicher Reproduktion die einzelnen Subjekte in ein Machtregime eingebunden sind. Sie erarbeiten sich in der Reflektion über die Kategorisierung des eigenen Begehrens eine anrufbare Identität als von Herrschaftsinstitutionen ansprechbare Subjekte. Sexualität ist darüber hinaus ein Ansatzpunkt für Strategien von Biomacht und Bevölkerungspolitik, die auf die Regulierung, Vermehrung und Beschränkung von Bevölkerungen zielen. Das von Foucault historisch nachgezeichnete Regime von Institutionen und Praktiken, die vermeintlich repressiv wirken, tatsächlich aber in erster Linie eine Anreizung zum Diskurs und des beständigen Sprechens über den Sex sind, haben sich modernisiert. Zwar gibt es die klassischen Institutionen Beichte, Psychiatrie, Psychoanalyse und das pastorale Gespräch noch immer. Doch der Geständniszwang ist mittlerweile noch radikaler in die Individuen hinein verlagert. Die Preisgabe und Selbstkategorisierung von Wunsch und Begehren ist noch viel stärker selbstorganisiert und selbstreguliert. So erfinden sich die postmodernen Subjekte im Medium selbstgedrehter Pornographie oder in der permanenten Reflektion des eigenen Begehrens mit Hilfe der allgegenwärtigen Ratgeber-Literatur, den magazinförmigen Lebensführungsanweisungen und im Medium des Beziehungsgesprächs.

 

7. PorNo? PornYes? Porn yes, but …!

Damit werden aber auch die Gewissheiten einer einst durchaus emanzipatorischen Bewegungsrichtung brüchig. PornYes- und sex-positiver Feminismus waren einst eine notwendige Gegenbewegung gegen einen Feminismus à la Alice Schwarzer und Andrea Dworkin. Schwarzer erklärte in EMMA und mit ihrer PorNo-Kampagne selbstbewusste Frauen und feministische Künstlerinnen wie Grace Jones zu Opfern und hirngewaschenen Zombies eines Patriarchats, das sie in ihren schwächeren Texten nur als Männerverschwörung zu analysieren im Stande war. Der sexpositive Feminismus formulierte eine andere Antwort auf die sexistischen Darstellungen der sexuellen Kulturindustrie. Nicht Porno ist das Problem, sondern die Art und Weise wie Pornos gemacht werden und wie sie aussehen, so dachte man in den 1980er Jahren. Im Zeitalter der übers Internet hergestellten absoluten Sichtbarkeit und Transparenz stellt sich die Frage, welchen emanzipatorischen Gehalt die weitere Proliferation von Bildern und vermeintlichen Gegenbildern noch haben kann. Vielleicht stellt sich der paradoxe Effekt ein, dass das subversive Potential queerer Pornofilm-Festivals, das Spiel mit Burlesque und Slutwalks sich möglicherweise langsam verbraucht. Waren die Statements von Pro-Sex-FeministInnen wie Gayle Rubin oder Annie Sprinkle Teil eines feministischen Diskurses, verändert sich der Status in Zeiten, in denen dem sexpositiven Feminismus sein PorNo-Pendant abhanden gekommen ist. Die Irritation, die in Zeiten des Patriarchat 1.0 mit der selbstbewussten Zurschaustellung von weiblicher oder gerade eben auch nicht weiblicher Sexualität von Frauen erreicht werden konnte, funktioniert so nicht mehr. In neoliberalen Zeiten und dem Patriarchat 2.0 dürfen Frauen nicht nur Spaß an Sexualität haben. Sie müssen Sex haben, der muss aufregend sein, sie müssen dabei glücklich, fit und gesund sein. Aktuelle queere und feministische Politik darf sich daher nicht im Abfeiern vermeintlich devianter Sexualität erschöpfen.

 

8. No Queen, no King — Quing!

Die Instrumente hierfür stehen bereit. Denn queere Politik streitet nicht für die Installation besserer oder neuerer hegemonialer Normen. Sie ist der Geist, der stets verneint — die institutionalisierte Normkritik. Erfunden wurde „queer“ als Kampfbegriff und die Verweigerung, sich auf eine eindeutige Identität festzulegen. Anders als frühere Emanzipationskämpfe wie die der Frauen- oder der Schwulenbewegung will „queer“ sich einer Festschreibung auf einen Körper (Frau) oder sexuelle Identität (schwul) verweigern. Neben den „klassischen“ Kämpfen abweichende sexuelle Orientierungen vor Diskriminierung zu schützen und gleiche Rechte einzufordern, macht queere Politik eine weitergehende Kritik an herrschenden Normalitäts- und Identitätszwängen.

 

9. (Not so)Fucking different?! Gegen Identitätsgelaber!

Eine normalisierte Partei kann nur schwer Normalisierungskritik üben. Will DIE LINKE ein Ort für normalisierungskritische Initiativen sein, darf sie Geschlechter- und Sexualitätsfragen nicht als Nebenwidersprüche behandeln. Normalisierungskritik in die Normalität einschreiben, bedeutet auch feministisches und queeres Wissen im Bereich der parteilichen Bildungsarbeit zu verbreitern. Inhaltlich bedeutet dies stärkere Bezugnahme der Partei auf Anti-Diskriminierungspolitik. Innerparteilich muss Identitätsgelaber und positive und negative Sanktionierung aufhören. Leute dürfen nicht abgewählt werden, weil sie SM-Studios besitzen (Wir nennen keine Namen), als Prostituierte (Nein, immernoch nicht) arbeiten oder ihr Geschlecht wechseln (Immernoch nicht). Statt neuer linker Moral gilt es, im Feld der Geschlechterpolitik Kritik an allen moralisierenden Argumentationen zu leisten.

 

10. Die Wahrheit ist immer konkret

Queere Politik muss sich nicht im Gender-Studies-Seminar beweisen, sondern in der Realität. Das gute alte „Staat raus aus unseren Betten“ muss rechts-, gesundheits-, familien- und sozialpolitisch ausbuchstabiert werden. Jede Diskriminierung von nichtheterosexuellen und nichtmonogamen Allianzen gilt es zurückzudrängen. Kategorien wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung haben weder im Meldewesen noch im Sozialgesetzbuch oder andernorts etwas zu suchen. Der einzige Ort, an dem sie eine Berechtigung haben, sind in Antidiskriminierungsgesetzen und in Artikel 3 des Grundgesetzes,  wo sie unumgänglich sind, um Diskriminierungen zu beschreiben, die an diesen Kategorien andocken. Deutschland sollte in der Verfassungspolitik Ländern wie Südafrika, Ecuador und den Fiji Inseln endlich folgen und das Verbot der Diskriminierung auf Grund sexueller Identität in die Verfassung aufnehmen. Sexualpolitik ist auch Kampf für reproduktive Rechte. Dieser richtet sich nicht nur auf ein Gesundheitssystem, das sichere Abtreibungen ermöglicht, sondern auch auf eine Gesellschaft, die allen Menschen, die dies wollen, die Reproduktion ermöglicht und nicht in lebenswertes- und lebensunwertes Leben unterteilt. Der Schutz vor Risiken wie AIDS oder ungewollter Schwangerschaft hat auch eine Dimension, die über Aufklärung hinausgeht. Dort wo DIE LINKE mitregiert, sollte sie ihre sozialdemokratischen Koalitionspartner an gute Ideen erinnern, die sie selbst einmal eingeführt hatten. Die längst abgeschaffte kostenfreie Pille für (damals noch Sozialleistungsbeziehende) in Brandenburg wäre dann durch den Zugang zu Analkondomen, Flutsche und Latextuch zu ergänzen.

 

11. Warum wir (in diesem Heft) zu sexualisierter Gewalt schweigen ...

Sexualisierte Gewalt ist keine gewalttätige Form von Sexualität, sondern eine sexualisierte Form von Gewalt. Auch wenn die Grenzen mitunter fließend sind, ist diese Abgrenzung wichtig. In diesem Heft geht’s um Sex, nicht um Gewalt.