Günter Ullmann: Sein Leid ist Gedicht geworden

in (06.05.2012)

Günter Ullmann, der 1946 in Greiz geboren wurde und dort 2009 auch starb, hat nie viel Aufhebens um sich und seine Person gemacht. Er war ein bescheidener Mensch, der es nicht mochte, mit seiner DDR-Biografie, die tragisch genug war, hausieren zu gehen. Doch was dieser redliche Charakter wegen seiner Gedichte und seiner Zivilcourage durch die Stasi an Repressalien erleiden musste, sprengt den Rahmen des Vorstell- und auch Aushaltbaren. Zu diesem Schluss kommt, wer Udo Scheers verdienstvolle Biografie über Günter Ullmann liest, der auf dem Cover mit gutmütig-blauen Augen, aber sichtbar gezeichnet, zu lächeln versucht.
Wer sich über den Lyriker informieren wollte, musste bislang Bücher von Birgit Lahann und Christiane Baumann zu Rate ziehen, die 1992 beziehungsweise 2009 Biografien über Manfred „Ibrahim“ Böhme vorlegten. Böhme lebte zwischen 1965 und 1977 in Greiz. Als eifriger Informant berichtete er dem MfS über den „Greizer Kreis“, wie die lose Gruppe von Literaten um Reiner Kunze genannt wurde, zu der auch Günter Ullmann gehörte. Dass ihnen die Stasi so übel mitspielte, war vor eine Folge jener Spitzelberichte, die Böhme verfasst hatte. Dennoch konnte und wollte Günter Ullmann nicht glauben, dass sein Freund Manfred ein Verräter war.
Die Zersetzungsmaßnahmen des MfS führten bei Günter Ullmann – der, wie anklingt, wohl eine Disposition dafür hatte – zu schwerer psychischer Erkrankung. Bei Stasi-Verhören mit seinen geheimsten Gedanken konfrontiert, war er überzeugt, dass ihm das MfS Mikrofone implantiert habe. Eine Folge dieser „Zustände von Verfolgungswahn“ (Scheer) war, dass er sich alle Zähne ziehen ließ. Und in Ost-Berlin, wo Günter Ullmann einige Zeit als Ökonom auf Baustellen tätig war, ging er eines Tages los, den König Salomo zu finden. Er folgte, wie es in seinem autobiografischen Gedicht „Ich suche den König Salomo“ heißt, „den Zeichen des Augenblicks“ und sah den Namen tatsächlich auf einem Klingelschild der Hauptstadt.
Zu DDR-Zeiten schrieb Günter Ullmann – sieht man von den Liedtexten für seine Jazz-Band „media nox“ einmal ab – nur für die Schublade. Einige Texte konnte er über Umwege in der BRD veröffentlichen. Daraus drehte ihm das MfS ebenso einen Strick wie aus dem erkennbar DDR-kritischen Unterton seiner meist spruchhaften Gedichte. Nicht alle lyrischen Texte sind gelungen, aber als Dokument wichtig. Auch Udo Scheers Buchtitel ist einem Ullmann-Gedicht entlehnt: „der winter / bleibt klein // die sonne hat / vier ecken“, heißt es in „hinterhof“. Für den Biografen ist die Ullmannsche Lyrik so unverwechselbar, weil in ihr „Wahrnehmungen sich auf ihren Kern reduzieren und so den Raum für Assoziationen schaffen“. Das trifft es.
Die neunzehnhundertneunundachtziger Wende war für Günter Ullmann ein „befreiendes Erlebnis“. Er bekannte: „Ich weiß nicht, ob ich die DDR länger überstanden hätte.“ Nun konnte er ungehindert publizieren. Zunehmend auch Gedichte und Geschichten für Kinder. Besonders gefreut habe sich Günter Ullmann, so der Autor, dass Texte von ihm in Schullesebücher und auch in den „großen Conrady“, die wohl wichtigste deutschsprachige Lyrik-Anthologie, aufgenommen wurden.
Die Günter-Ullmann-Biografie von Udo Scheer ist der Lebensbericht über einen Menschen, den die DDR und ihr Geheimdienst zwar gebrochen haben, der dennoch standhaft und im Lande blieb und sich, wie Biermann sang, in jenen harten Zeiten nicht verhärten ließ. Günter Ullmanns Leid ist, wenn schon nicht Lied, so doch Gedicht geworden. Das wird bleiben.