Anmerkungen zu einer Krise

Im Zentralorgan des deutschen Kapitals, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24. Mai 2012), tiriliert im „Leitartikel“ (so viel war’s ihnen dann doch wert) die zuständige Schreiberin, Frau Mechthild Küpper, über den „Abschied vom Lafontainismus“. Zugleich denunziert sie Kritik an derlei Schreiberei als „Legende … von der angeblich feindseligen ‚bösen bürgerlichen Presse‘ (BBP)“. Es soll sich also niemand trauen, zum Wesen des Gesagten etwas zu sagen. Ich tue es dennoch.
 Zugleich lobt sie Dietmar Bartsch und die „Reformer“, die aus der PDS kamen. Das aber ist ein vergiftetes Lob. Hier lohnt es, noch einmal auf die Geschichte zu schauen. Die „Reformer“, die angeblich so erfolgreich waren, hatten die PDS 2002 fast ins Aus geführt. Nach dem Abtreten von Gregor Gysi und Lothar Bisky von der Parteitribüne im Gefolge des Münsteraner Parteitages (2000), nachdem der Antrag gescheitert war gegebenenfalls auch Militäreinsätzen zuzustimmen, und der Wahl von Gabi Zimmer zur Parteivorsitzenden, hatte der Bundesgeschäftsführer Bartsch schon einmal gegen den Vorsitz intrigiert, weil er voll des Bewusstseins war, dass ihm der Vorsitz eigentlich zustehe. Er scheiterte. Das politische Ergebnis jedoch war das Bild einer zerstrittenen Partei mit einer unfähigen Führung, die nicht wählbar war. Bei den Bundestagswahlen 2002 erhielt die PDS vier Prozent und hatte keine Fraktion mehr im Bundestag. Lediglich Gesine Lötzsch und Petra Pau hatten in Berlin ihre Direktmandate errungen, saßen im Bundestag und wurden von der SPD auf Strafstühle gesetzt. Dietmar Bartsch, der auch den Wahlkampf geleitet hatte, war maßgeblich dafür verantwortlich. Er verschwand allerdings in „der Wirtschaft“, und als der Tagesspiegel ihn später fragte, was er denn jetzt mache, sagte er, er wolle „nie wieder so wenig verdienen“, wie als Abgeordneter des Bundestages.
Durch eine neue politische Dynamik veränderte sich die politische Lage. Die PDS war im Osten in den Ländern und den Kommunen noch stark. Und die SPD, die im Bund gemeinsam mit den Grünen regierte, zerstörte mit ihrer „Aganda 2010“- und „Hartz IV“-Politik ihre Verbindungen zur Tradition der sozialdemokratischen Vertretung der Interessen der „kleinen Leute“, so dass sich mit der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) eine neue Parteiformation links von der SPD herausbildete. Beide, WASG und PDS, erkannten 2005 jedoch, dass sie einzeln keine Chance hatten, und vereinbarten die Vereinigung zur neuen Partei DIE LINKE. Durch das Hinzutreten von Oskar Lafontaine und die Reaktivierung von Gregor Gysi gewann der Prozess seine zusätzliche Dynamik. Alle diese Faktoren zusammen bewirkten, dass Die Linke bei der Bundestagswahl 2005 8,7 Prozent und 2009 11,9 Prozent erhielt. Parallel dazu zog die Linke auch im Westen Deutschlands in eine Reihe von Landtagen ein.
Seither jedoch ging es eher abwärts. Die Herrinnen und Herren dieses Landes und ihre Medien freuen sich schon darauf, dass die Linke als relevante bundesweite Kraft wieder verschwindet. Die ökologische Frage, für die die Grünen stehen, lässt sich gut in die Logik der Kapitalverwertung einbauen, die soziale Frage nicht – da ist es aus Kapitalsicht logisch, sinnvoll und wünschenswert, wenn es niemanden gibt, der diese im politischen Raum vertreten kann. Und die SPD reibt sich ihrerseits die Hände und hofft, dass die Kraft links von ihr wieder verschwindet. Deshalb verfolgt sie bereits seit zwei Jahren einen Konfrontationskurs und lehnt Kooperationsangebote der Linken ab. Die Linke schaffte den Einzug in weitere Landtage nicht mehr, flog in Berlin aus der Landesregierung und nun auch aus den Landtagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
Hier wirkten mehrere äußere Faktoren: Die SPD und die Grünen, wieder in der Opposition, erwecken den Anschein, als würden sie „wieder“ linke Politik machen wollen, und viele Wähler, die beiden von Herzen zugetan sind, hoffen, dies glauben zu dürfen, und wählen sie wieder. Die „Piraten“, die kein politisches Programm haben und eher eine virtuelle Erscheinung sind, tun so, als seien sie „der Protest“, und die Karawane der so genannten „Protestwähler“, die erst bei den Grünen und dann bei der Linken waren, ist weiter gezogen. Alle anderen Parteien wiederum haben politische Positionen der Linken übernommen, etwa Abzug aus Afghanistan oder Mindestlohn, den jetzt sogar wachsende Teile der CDU fordern – alles wird getan, wozu also noch die Linke? Das fragen nicht nur die bürgerlichen Medien, sondern auch etliche Wähler.
Und nun die inneren Faktoren, die in der Partei und gegen sie wirken. Oskar Lafontaine, der nach den ursprünglichen Verabredungen der Vereinigung der alleinige Parteivorsitzende geworden und der zweite Fraktionsvorsitzende geblieben wäre, hat 2009 krankheitsbedingt alle Ämter auf Bundesebene niedergelegt. Zugleich wurde Dietmar Bartsch, der wieder Bundesgeschäftsführer war, veranlasst, wegen Illoyalität zum Parteivorsitz dieses Amt aufzugeben. Das hatte maßgeblich Gregor Gysi mitbewirkt, und er hatte auch eine neue Parteiführung unter Berücksichtigung aller Strömungen und Richtungen in einer Winternacht ausverhandelt. Die erwies sich als nur bedingt handlungsfähig. Äußere Angriffe auf die beiden Vorsitzenden, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, in Sachen Privatleben, Kommunismus, Antisemitismus und so weiter, fanden von innen heraus nicht genug Solidarität. Ja, etliche freuten sich offensichtlich über deren Demontage, könnten dadurch doch andere organisations-arithmetisch stärker werden, auch wenn die Partei als Ganze darunter leidet.
Hier spielte denn das „Forum Demokratischer Sozialismus“ (fds) eine oft unterschätzte Rolle. Unter dem Titel eines strömungspolitischen Zusammenschlusses ist dies zuerst ein machtpolitisches Konstrukt. Teile der PDS-Funktionäre, die vor allem auf Ebene der ostdeutschen Länder eine Rolle spielen, wollten die Entscheidungen trotz Westausdehnung und Lafontaine in der Hand behalten. Deshalb seit 2009 das Gerede vom „Lafontainismus“, im Sommer 2011 die Denunziation, Lafontaine sei im tiefsten Inneren „Stalinist“. Man wollte den Westen als Wahlvolk und den Lafontaine als Wahlkämpfer, aber im Kern die Sache wieder kontrollieren. Deshalb wurde die kompliziert zusammengesetzte Parteiführung nicht gestärkt, sondern absichtsvoll geschwächt.
Und die Kandidatur von Dietmar Bartsch für den Parteivorsitz sollte das vollenden. Nur wissen wir vom „Peter-Prinzip“ aus der Soziologie – das da lautet: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“, – dass aus einem früher bürokratisch funktionierenden Geschäftsführer nicht notwendig ein guter Parteiführer wird. Das Experiment jetzt aber könnte das letzte für die gesamtdeutsche Die Linke sein. Obwohl Bartsch nie mit irgendeiner eigenen Reformidee aufgefallen war, sondern immer nur als Strippenzieher und Intrigenspinner, wurde er plötzlich zum Vorkämpfer des Reformismus erklärt, der nun seinerseits den „Pluralismus“ in der Partei beschwört, als dessen Vorkämpfer er zuvor nie in Erscheinung getreten war. Nachdem Oskar Lafontaine sich bereit erklärt hatte, den Vorsitz noch einmal zu übernehmen, wurde er zielstrebig öffentlich demontiert, bis er resignierte.
Rettung der Partei aus der Krise? Bartsch steht für Scheitern und vier Prozent Wähleranteil, Lafontaine für Erfolg und zwölf Prozent. Jetzt gibt es den Vorschlag einer Frauenspitze. Das könnte ein Neuanfang sein. „Mister Vier Prozent“ nicht.