Tight is right

Intimchirurgie und die Vorstellung der richtigen Genitalien

„Mein Bauch gehört mir!“ - einst kollektiver, feministischer Schlachtruf gegen den Abtreibungsparagraphen §218 und für weibliche Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität. Heute (vermeintlich?) immer noch Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung - doch in Transformation, individualisiert und „im Management-Modus rhetorisch befeuert durch Autonomie-Imperative“ (Villa 2008, S. 261). „Mein Bauch gehört mir“ kann nun genauso gut bedeuten, sich für einen Kaiserschnitt zu entscheiden, um den Vaginalgang vor den Strapazen einer ‚natürlichen‘ Geburt zu schützen. Im Mittelpunkt steht dabei die Angst, dass das (heterosexuelle) Sexualleben durch die Geburt nachhaltig beeinträchtigt wird: „Save your love channel - have a Caesarean“ lautet der entsprechende Werbeslogan in den USA. Überhaupt ist die chirurgische Selbstoptimierung im weiblichen Intimbereich angekommen. Unter dem Stichwort „Intimchirurgie“ oder Female Genital Cosmetic Surgery (FGCS) wird eine Vielzahl kosmetischer Eingriffe an Vulva und Vagina angeboten, die jegliche Spuren von Geburt, (sexueller) Erfahrung und Alter zu tilgen versprechen: Frauen lassen sich die Vagina straffen, den G-Punkt aufspritzen, am Venushügel Fett absaugen und die Schamlippen verkleinern. Im Paket gibt es die Eingriffe als „Geburtsfolgenkorrektur“.

Die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e.V. (GÄCD) vermeldet, dass 2009 allein von ihren Mitgliedern über 1400 Eingriffe im weiblichen Intimbereich durchgeführt wurden. Jährliches Wachstum seitdem: 30 Prozent. Nicht mit berücksichtigt werden in dieser Statistik allerdings Eingriffe von Ärzt_innen, die nicht in der GÄCD organisiert sind. Daher dürfte die Zahl realiter deutlich höher sein.[i] Doch die Statistik ist für das Phänomen und dessen Beschreibung gar nicht entscheidend. Interessant ist vielmehr die diskursive Normierung des weiblichen Körpers, die ihren Ausdruck in der Werbung von Intimchirurg_innen ebenso findet wie in TV-Dokumentationen und Presseartikeln.

Mit „Tight is right“ beschreibt Dr. David Matlock, amerikanische Intimchirurgie-Koryphäe das vaginale Ideal. Und geht es nach dem deutschen Spezialisten Dr. Stefan Gress ist das „junge Mädchen“ das Optimum, wie sich die perfekte Vagina anfühlen und die perfekte Vulva aussehen soll. Als implizite Negativfolie dient hier das Bild der hässlichen Alten, die aus dem abendländisch-philosophischen Ekel-Diskurs bekannt ist: Mit Falten, großen Öffnungen im Unterleib, eingefallenen statt praller Körperstellen, unangenehmem Körpergeruch, ekligen Praktiken und unstillbarem sexuellem Verlangen (Menninghaus 1999, S. 132f.). Die Spuren des Ekels finden sich in den Regeln der Schönheit wieder (ebd., S. 150) und werden mittels Skalpell und Spritzen in den weiblichen Körper eingeschrieben. Die Idee eines Zuviel an Weiblichkeit, das es zu domestizieren gilt, schwingt dabei stets mit.

Verschiedene Studien belegen, dass Frauen selbst höchst verunsichert darüber sind, ob ihre Genitalien ‚normal‘ sind und die ‚richtige‘ Form und Größe haben.[ii] Gleichzeitig wird die FGCS jedoch nicht als Resultat von Verunsicherung beschrieben, sondern vielmehr als Akt der Befreiung, Autonomie und selbstbestimmten Optimierung. Interessant ist dabei, wie ästhetische Eingriffe zunehmend über das Motiv der Funktionssteigerung begründet werden: Straffere Genitalien sehen nicht nur besser aus, sie steigern auch das sexuelle Empfinden und verschaffen ungeahnte Höhepunkte sowie die ultimative Befriedigung im heterosexuellen Akt der Penetration. Ob der Wunschkaiserschnitt zum Schutz des love channels, die Vergrößerung des G-Punktes oder die Vaginalverengung: All diese Techniken antworten nicht nur auf ein ästhetisches, sondern auch auf ein funktionales Ideal, das an der heteronormativen Sexualpraktik der Penetration orientiert ist. Statt also die sexuelle Praktiken an die körperlichen Veränderungen im Lebensverlauf anzupassen, wird der weibliche Körper „vermittelt über eine bestimmte Intimästhetik an eine bestimmte sexuelle Praxis“ (Borkenhagen 2008, S. 28) angepasst. Der weibliche Körper erscheint damit früher oder später als beinahe notwendig defizitär, optimierbar und optimierungsbedürftig.

Dass diese Medikalisierung von Körper und Sexualität nicht allein Frauen trifft, zeigt sich im - heteronormativ gedacht - funktionalen Äquivalent der Penisvergrößerungen und Potenzmittel. Doch während die Penisvergrößerung von der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen als problematisch und risikoreich beschrieben wird und auch andere Fachgesellschaften darauf hinweisen, dass es sich um rein ästhetische Eingriffe handelt, gilt die Intimchirurgie am weiblichen Körper als weitgehend komplikationslos, risikoarm und ‚funktionell notwendig‘. Gesicherte Erkenntnisse und Langzeitstudien, die dies belegen, fehlen allerdings.

Nichts desto trotz ist die FGCS mehr als nur Ausdruck kultureller Vorstellungen von ‚richtigen‘ und ‚falschen‘ weiblichen Genitalien. Sie ist auch Ausdruck all jener Prozesse, die im soziologischen Diskurs unter dem Stichwort „Biopolitik“ verhandelt werden. Die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Heilung und Enhancement verschwimmen zunehmend. Ab wann wird erschlaffende Beckenbodenmuskulatur zur Krankheit und behandlungsbedürftig? Erst bei Inkontinenz oder bereits bei vermindertem Empfinden während des Sexualaktes? Hilft die G-Punkt-Aufspritzung bei sexueller Dysfunktion oder ist sie Ausdruck einer kapitalistischen Steigerungslogik auch im Sexualleben? Gerahmt von der neoliberalen Marktidee, die uns alle zu Unternehmer_innen unserer Selbst macht,[iii] optimieren wir alles - unseren Twitter- und facebook-Account, unsere Beziehungen und nicht zuletzt unser Hirn und unseren Körper. Mit den Worten Foucaults[iv] gesprochen: Die Grenzen zwischen Fremd- und Selbstführung verschwimmen - wir führen, regieren und normieren uns selbst. Gewendet auf Intimchirurgie haben Frauen (Trans* und Männer) die Anforderungen einer patriarchalen Reproduktionslogik, Ästhetik und Sexualpraxis so sehr verinnerlicht, dass sie bereit sind, ihre Körper daran anzupassen. Eine Patientin bringt dies mit den folgenden Worten auf den Punkt: „Wenn einen etwas stört im Leben, dann ändert man das ja auch. Und dann ändere ich eben meinen Körper. Eklig finde ich es nicht, aber es ist halt nicht perfekt.“[v]

Ambivalent ist nicht nur die Praktik als solche, sondern auch die Debatte darüber. Schönheitschirurg_innen stellen gerne einseitig und ohne Hinweis auf mögliche Risiken das ‚Patientinnen-Wohl‘ in den Mittelpunkt. Von Seiten der Kritiker_innen hingegen wird zumeist auf die notwendige Unversehrtheit des weiblichen Körpers rekurriert. Eine Kritik der kulturellen Umstände vaginaler Optimierung ist in jedem Fall notwendig - zumal von feministischer Seite. Doch allzu oft verfangen sich Auseinandersetzungen mit der Thematik in erneuten Normierungen, Biologismen und Anrufungen eines unberührten und ‚reinen‘ Frauenkörpers. Zum Beispiel dann, wenn ein Verbot intimchirurgischer Eingriffe gefordert wird oder Frauen pauschal dafür verurteilt werden, dass sie Schönheitschirurgie in Anspruch nehmen. Hier kommt es schlicht zu einem Re-Entry der Normierung weiblicher Körper. So unliebsam das Argument, so unvermeidlich ist es: Bereits die Möglichkeit des Eingriffes macht noch die Unversehrtheit des Körpers zur Entscheidung. Wir werden es zunehmend mit einer Gleichzeitigkeit von Kritik an Körpermodifikationen und ihrer Inanspruchnahme zu tun haben - bisweilen vereint in einer Person, wie das Buch „surgery junkies“ der US-amerikanischen Soziologin Victoria Pitts-Taylor zeigt. Neben die Kritik tritt die Möglichkeit all den konfligierenden und komplexen Anforderungen, all den körperlich spürbaren Marktlogiken und individualisierten Entscheidungszwängen zu entgehen, indem wir uns ihnen fügen. Frauen sind dabei keine entmündigten Subjekte, die sich hirnlos noch jeder Normierung freudestrahlend unterwerfen, sondern handlungsmächtig. Bisweilen erscheint es leichter, den Körper zu ändern als gegen kulturelle Vorstellungen anzukämpfen, die bereits unsere eigenen Köpfe bewohnen und die bereits unseren eigenen Blick in den Spiegel prägen. Die Ambivalenz und Gleichzeitigkeit von Selbstermächtigung und Selbstzwang, die jeder Schönheitsoperation inne wohnt, können wir nicht auflösen - wir müssen sie aushalten lernen. Ein feministischer Umgang mit Schönheitschirurgie kann daher nur bedeuten: Es braucht eine kollektive Kritik, die zugleich individuelle Entscheidungen respektiert.

Literatur:
[i] Wie hoch die tatsächliche Zahl intimchirurgischer Eingriffe ist, kann kaum abgeschätzt werden. Hier wird ein generelles Problem evident: Der Titel Schönheitschiurg_in (oder auch Intimchirurg_in) sind nicht geschützt, d.h. jede_r approbierte Facharzt_in kann in Deutschland unter diesem Titel Eingriffe vornehmen. Das hat zweierlei zur Folge: Erstens gibt es keinen Überblick über die tatsächliche Anzahl schönheitschirurgischer Eingriffe in Deutschland. Zweitens entsteht hier eine Grauzone, die vor allem unter dem Stichwort „Verbraucherschutz“ dringend diskutiert werden müsste.

[ii] Nappia, Rossella E./Liekens, Goedele/Brandenburg , Ulrike (2006): Attitudes, perceptions and knowledge about the vagina: the International Vagina Dialogue Survey, In: Contraception 73, S. 493–500.

[iii] Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

[iv] Foucault, Michel (1987): Das Subjekt und die Macht, In: Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul (Hrsg.): Michel Foucault: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt/Main: Surhkamp, S. 253-261.

[v] „Operation: Intimbereich – Der Schnitt im Schritt.“ In der Sendereihe 30 Minuten Deutschland. Ausgestrahlt am 13.07.2009 auf RTL.