Thiazi über den Mauern Asgards

Chefmoderator des neonazistischen Thiazi-Forums war Deeskalationstrainer und Pflegestationsleiter

in (10.07.2012)

Das größte und wichtigste deutschsprachige Neonaziforum thiazi.net wurde am 14. Juni nach BKA-Razzien abgeschaltet. Gegen 26 mutmaßlich Verantwortliche ermittelt die Polizei wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Hiervon betroffen ist auch der Thiazi-Chefmoderator Marian Rohde aus dem nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg.
Rund 25.000 Personen waren bei Thiazi registriert, doch auch unangemeldet waren die meisten Inhalte lesbar. Das Forum diente dem Austausch von Informationen, der Vernetzung und Mobilisierung. Auf Thiazi wurden Veranstaltungen beworben, Naziaufmärsche nachbereitet und mit indizierter Nazimusik im großen Stil gehandelt. Teilweise diente das Forum als Einstieg in die organisierte Szene. Benannt wurde es nach dem Sturmriesen Thiazi aus der germanischen Mythologie. Er ist der Vater von Skadi, der Göttin der Jagd und des Winters.

Ursprünge des Thiazi-Forums
Die Ursprünge von thiazi.net gehen auf das Ende der 1990er Jahre gegründete Nazi-Musik-Forum WPMP3 (White Power MP3) zurück. Einer der wichtigsten Köpfe hinter Thiazi, Klaus Ruthenberg (Username „WPMP3“), war bereits an der Gründung dieses Vorläufers beteiligt. Das WPMP3-Forum fusionierte später mit der Sturmseite zum Nationalen Forum und ging 2004 als deutschsprachige Sektion innerhalb des englischsprachigen Skadi-Forums auf. Von skadi.net gab es mehrere Abspaltungen, darunter das deutschsprachige Forum grossdeutsches-vaterland.net. Dieses wurde vom Skadi-User „Gestapo Müller“ 2005 mitgegründet, der sich später in „Thule“ und dann in „Patria“ umbenannte. Die Domain grossdeutsches-vaterland.net lag zusammen mit über 50 weiteren Websites, darunter auch die österreichische Seite alpen-donau.info, auf einem Server des Anbieters Dreamhost in den USA. Dieser Server wurde bis zur Abschaltung von alpen-donau.info am 22. März 2011 vom Hamburger Neonazi Robert Marquardt verwaltet. Gegen Marquardts Geschäftspartner Wilhelm Christian Anderle wurde am 21. Mai 2012 in Wien ein Prozess wegen „nationalsozialistischer Wiederbetätigung“ eröffnet. Marquardt und Anderle betreiben gemeinsam mit Anderles Lebensgefährtin die auf Anonymisierung im Internet spezialisierte Firma Perfect Privacy. Anderle soll zusammen mit Gottfried Küssel und Felix Budin alpen-donau.info samt angeschlossenem Forum betrieben haben. Alle drei sitzen seit über einem Jahr in Österreich in U-Haft. Marquardt erwartet ein Prozess in Deutschland, doch die Hamburger Staatsanwaltschaft schweigt bisher auf Presseanfragen zum Ermittlungsverfahren.
Marquardt ist zudem Vorstandsmitglied im Betreiberverein des Attraktor, einer Örtlichkeit für Computerbegeisterte und TechnikbastlerInnen in Hamburg, in dem sich auch dem Chaos Computer Club (CCC) verbundene Menschen treffen. Nachdem der CCC von AntifaschistInnen informiert wurde, teilte dieser mit, dass Marquardt nicht länger Mitglied des Clubs sei. Dennoch wurde der Neonazi am 13. Juni 2012 als Attraktor-Vorstand bestätigt. Eine öffentliche Stellungnahme des CCC gibt es bis dato nicht.

Das Rückgrat von Thiazi
Auch thiazi.net war eine Abspaltung von skadi.net. Aufgebaut wurde das Forum Anfang 2007 von Ruthenberg und Daniela Wagner, die sich auf skadi.net noch „Renee88“ nannte und später zu „Fjörgyn“ wurde. Unterstützung bekamen sie dabei von „Patria“. Nach eigenen Angaben ermittelt das BKA seit 2009 gegen Thiazi. Im Juni ließ es 24 Wohnungen in elf Bundesländern und in England durchsuchen. Es gab vier Festnahmen. In NRW wurde die Wohnung des Thiazi-Moderators Marian Rohde alias „Krafft“ durchsucht. Zusammen mit Ruthenberg und Wagner gehörte Rohde zu den drei Thiazi-Moderatoren, die als „Betreuer für alle Foren“ als einzige über Änderungsrechte in sämtlichen Forenbereichen verfügten. Sie bildeten mit dem Kassenwart „Weddigen“ das Rückgrat von thiazi.net. „Weddigen“ aus Chichester in der Grafschaft West Sussex in England ist nach eigenen Angaben im bürgerlichen Leben als Finanzdienstleister tätig. Auch die anderen Köpfe hinter Thiazi haben eine bürgerliche Existenz. Ruthenberg aus Barth in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet als Erzieher in einer Kita. Hausfrau Wagner aus Untereisesheim in Baden-Württemberg ist in der Nachbarschaft höchstens durch ihre Vorliebe für Katzen aufgefallen. Marian Rohde, der Forums-Moderator aus Selfkant (Kreis Heinsberg/NRW) hat ohne Frage die dreisteste bürgerliche Fassade aller bisher identifizierten Thiazi-Verantwortlichen.

Pflegestationsleiter, Antirassismusbeauftragter und Polizeiausbilder
Marian Rohde war bis zum 20. Juni 2012 Pflegeleiter der Michael-Station, einer psychiatrischen Akutstation des Fachkrankenhauses für Psychiatrie und Psychotherapie der Gangelter Einrichtungen Maria Hilf. Rohde hat Fachbücher zu den Themen „Deeskalation in der Pflege“ und „Kommunikative Deeskalation“ geschrieben und lehrt „Deeskalation von Gewalt und Rassismus“. Noch am 8. Mai 2012 wurde er vom Berufskolleg Ernährung-Sozialwesen-Technik des Kreises Heinsberg in Geilenkirchen eingeladen, um die interkulturelle Kompetenz von Lehrkräften zu fördern. Doch der „Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Psychiatrie, Zusatzqualifikation Maßregelvollzug/Forensik, Deeskalationstrainer und Schutztechnikentrainer“ hat auch beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Polizei in Münster ausgebildet. Zudem war Rohde Geschäftspartner mehrerer DeeskalationstrainerInnen und fungierte als Ansprechpartner im Falle von Verstößen gegen die „humanistischen Werte“ des Deutschen Vereins für Gewaltprävention, der mit SOS Rassismus NRW kooperiert. Seine VereinskollegInnen reagierten nach antifaschistischen Warnungen prompt und beendeten die Zusammenarbeit mit ihrem „Antirassismusbeauftragten“. Auch die Gangelter Einrichtungen haben ihren Angestellten entlassen, was Rohde im Falle eines Outings bereits befürchtete:: „Naja, um meinen Arbeitsplatz zu verlieren reichts locker aus, was ich so schreibe. Auch ohne ‚Heil Hitler’ oder Hakenkreuze. Und nebenberuflich würde ich auch keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen“, schrieb er 2010 auf thiazi.net.

»Überwachungsinspekteurfür Volksgesundheit und Euthanasie«
Seine beruflichen Fähigkeiten versuchte Rohde auch zur Verbesserung der internen Organisation von thiazi.net einzusetzen: „Habe mich heute im Rahmen einer beruflichen Fortbildung (mal wieder) mit dem Thema Kommunikation/Deeskalation beschäftigen dürfen. Die typischen Inhalte: Defizitorientierung (wir bemerken eher negatives als positives), Rückmelderegeln (positives zuerst, Verbesserungsvorschläge usw), positives Verstärken und so weiter und so fort“, schrieb er in einem Beitrag. Er habe sich die Frage gestellt: „‘wie kann man solche Inhalte für Thiazi nutzen?’ Ich finde, auch wir sind stark defizitorientiert. Bei Verfehlungen oder Verstößen werden wir schnell tätig. Regelkonformes oder vorbildliches Verhalten nehmen wir oft als selbstverständlich hin. Ich finde, das könnte man ändern, um positives Verhalten der Mitglieder zu verstärken.“
Niemand von Rohdes KollegInnen will etwas von seinen extrem rechten Aktivitäten mitbekommen haben. Umgekehrt war einigen auf Thiazi schreibenden Neonazis Rohdes beruflicher Hintergrund gut bekannt. So fragt etwa Arnulf Priem alias „Stabschef“ in dem von ihm mit „Heil Hitler Kameradinnen und Kameraden“ eröffneten Thread nach „Berufswünschen oder Berufung – wenn morgen das Reich neu ersteht“ und schlägt „Krafft“ als „Überwachungsinspekteur für Volksgesundheit und Euthanasie“ vor. Dieser „bedankt“ sich für diesen Beitrag und antwortet: „Lustiges Thema! Ich nehme die Wahl gerne an!“
Nachdem AntifaschistInnen 2010 erstmals Informationen über einige BetreiberInnen von Thiazi veröffentlichten, gab „Krafft“ zwar seinen Rückzug aus dem Forum bekannt, durch die zeitgleiche Abschaffung personalisierter Moderations-Accounts kann er jedoch weiterhin anonym als Moderator für Thiazi tätig gewesen sein. Und so richtig vorstellen konnte er sich ein §129-Verfahren gegen die ModeratorInnen mit den blauen Usernamen noch nie. Im geschlossenen „Mitarbeiterbereich“ adaptierte Marian Rohde den Hitlerstellvertreter Rudolf Heß: „Nee, ich denke, auch, daß kaum jemand Interesse daran haben könnte, so eine lustige blaue Runde zu stören. Warum auch? Soll uns dann in Nürnberg der Hauptinternetkriegsverbrecherprozess gemacht werden? Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder tippen, wie ich tippte.“


Zum Autor
Nicola Pantera ist Mitglied der Autonomen Antifa Freiburg.

Der Artikel erschien in LOTTA #48, Sommer 2012