Hindenburgs letzte Schlacht?

Die Kontroverse um den Hindenburgplatz in Münster – Eine vorläufige Bilanz

in (16.10.2012)


Zahlreiche PassantInnen trauten ihren Augen nicht, als am Nachmittag des 26. Juni eine mit Pickelhauben ausstaffierte Gruppe vor dem Historischen Rathaus in Münster ein Transparent mit der Parole „Wer Hindenburg nicht liebt, soll Münster verlassen“ entrollte. Die rund zehn AktivistInnen gaben sich als Angehörige einer bislang unbekannten „Hindenburgjugend“ (HJ) zu erkennen. Nach dem Neonaziaufmarsch im März und der pro NRW-Kundgebung Anfang Mai nun also die dritte extrem rechte Provokation in Münster innerhalb weniger Wochen?


Die Flugblätter der HJ nahmen Bezug auf einen am 23. März mit großer Mehrheit getroffenen Stadtratsbeschluss, den zentral vor dem Hauptgebäude der Universität gelegenen Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen. Die HJ forderte nun, diese Entscheidung rückgängig zu machen, die Verantwortlichen „ihrer politischen Ämter dauerhaft“ zu entheben und darüber hinaus dem vormaligen Reichspräsidenten ein „angemessen dimensioniertes Denkmal“ zu errichten. Auf Pappschildern wurde das Anliegen in die prägnante Formel gegossen: „Hindenburgplatz – alles andere ist Bolschewismus“. Waren einige BeobachterInnen durch den Auftritt der Hindenburgjugend verunsichert und empört, stießen deren ProtagonistInnen bei anderen auf große Resonanz. Die HJ-Mitglieder durften sich über anerkennendes Schulterklopfen freuen, und so mancher Passant erklärte gegenüber den AktivistInnen freimütig, für die Demokratie kaum Sympathien zu hegen. Der Verdacht, dass es sich bei dem bizarren Aufmarsch um eine Satireaktion handeln könnte, kam nur bei wenigen jener augenscheinlich meist gut situierten BürgerInnen auf, die in aller Offenheit ihren ressentimentgeladenen Haltungen freien Lauf ließen. Deren Argwohn wurde auch nicht durch die unverkennbar angeklebten, schlecht sitzenden Kaiser-Wilhelm-Schnurrbärte in den Gesichtern der HJ-Mitglieder geweckt.

Diese Episode war nur eine von vielen Facetten der seit Ende letzten Jahres in Münster geführten Auseinandersetzung um die Umbenennung des Hindenburgplatzes, die am 16. September in einem Bürgerentscheid, an dem sich rund 95.000 Wahlberechtigte beteiligten, ihr vorläufiges Ende fand. Mit 59,4 Prozent verwarfen die BürgerInnen den Vorstoß der von der örtlichen Jungen Union unterstützten Bürgerinitiative Pro Hindenburgplatz, den zweitgrößten Innenstadtplatz Europas erneut jenem Mann zu widmen, der als Reichspräsident am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zur Macht verholfen hatte. War der Streit um den Hindenburgplatz in der Öffentlichkeit zunächst als Provinzposse wahrgenommen worden, entwickelte sich die Kontroverse zu einem über Münster hinausweisenden, nicht nur geschichtspolitischen Konflikt.

Neuplatz – Hindenburgplatz – Schlossplatz

Die Auseinandersetzung um den Hindenburgplatz war keineswegs neu. Bereits im November 1946 hatte das NRW-Innenministerium Bürgermeister und Landräte angewiesen, eine Direktive des alliierten Kontrollrats umzusetzen und jene Straßennamen zu tilgen, die nach „bekannten Militaristen“ benannt seien. Als solcher galt nach Auffassung des Münsteraner Regierungspräsidenten auch der 1934 verstorbene ehemalige Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg, dem im Oktober 1927 der Platz vor dem Fürstbischöflichen Schloss gewidmet worden war. Innenminister Walter Menzel (SPD) erinnerte daran, dass Hindenburg die nationalsozialistische Machtübernahme durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sowie die Unterzeichnung des Ermächtigungsgesetzes im März 1933 unterstützt habe. Demnach seien „die Beibehaltung der Straßen-, Platz- und Schulbezeichnungen mit dem Namen Hindenburg […] mit den […] Bestimmungen des Kontrollratsgesetzes nicht zu vereinbaren“.

Eine Umbenennung des Platzes fand jedoch nicht statt, obwohl eine solche im Juni 1947 vom städtischen „Ausschuss zur Umbenennung von Straßen“ beschlossen worden war. Daran änderte sich auch in den folgenden Jahrzehnten nichts. Stand bei den ersten Versuchen noch eine Rückbenennung in „Neuplatz“ im Vordergrund, setzte ab Mitte der 1970er Jahre eine kritische Auseinandersetzung mit dem Namensgeber des Platzes ein, die vorwiegend von linken und antifaschistischen Gruppen sowie Initiativen aus dem Spektrum der Neuen Sozialen Bewegungen getragen wurde. Insgesamt gab es seit 1965 ein gutes Dutzend Versuche, den Hindenburgplatz umzubenennen, die jedoch allesamt im Rat der Stadt scheiterten und bei den jeweiligen OberbürgermeisterInnen aus verschiedenen Gründen auf Ablehnung stießen.

Erst als die Ratsfraktion der SPD im Januar 2008 einen Antrag auf „Rückbenennung des Platzes“ in Neuplatz stellte, gewann der Konflikt erneut an Dynamik. Der Ältestenrat der Stadt und die BezirksbürgermeisterInnen beschlossen die Einrichtung einer Kommission, die „Straßenbenennungen in ihren historischen Zusammenhängen prüfen und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen in der Namensgebung geben“ sollte. Dem Gremium gehörten neben dem Oberbürgermeister und VertreterInnen aller Ratsfraktionen die beiden Historiker Hans-Ulrich Thamer und Alfons Kenkmann an. Zudem wurde im Auftrag des Stadtarchivs ein Gutachten erstellt, das über den Hindenburgplatz hinaus die NamensgeberInnen Münsteraner Straßen auf deren NS-Belastung hin untersuchen sollte. Auf Basis dieser Studie sprach sich die Kommission im Juni 2011 bezüglich des Hindenburgplatzes mehrheitlich sowie im Hinblick auf acht weitere Straßen einstimmig für eine Umbenennung aus.

»Umbenennungswillkür«? Die Eskalation der Kontroverse

Bereits der tumultartige Verlauf einer Veranstaltung, die im Januar 2012 über NS-belastete Straßennamen im Osten der Stadt informieren sollte, vermittelte einen Eindruck von der Schärfe der sich abzeichnenden Konflikte. Vor rund 80 ZuhörerInnen erläuterten Thamer und Kenkmann die Vorschläge der Kommission, die den SchriftstellerInnen Agnes Miegel, Friedrich Castelle und Hermann Stehr gewidmeten Straßen umzubenennen. Eine Initiative „Bürger gegen Umbenennungswillkür“, der neben AnwohnerInnen auch Roswitha Möller, die rechtslastige Kreisvorsitzende des BdV angehörte, hatte jedoch zum Protest aufgerufen. Mehrfach wurden die Statements von Thamer und Kenkmann durch Zwischenrufe unterbrochen und die Ergebnisse des Gutachtens teilweise in Frage gestellt. So wusste etwa ein Besucher der Veranstaltung zu berichten, dass der Heimatdichter Friedrich Castelle, der, wie die Studie nachwies, 1933 zur „Ausrottung“ des „Untermenschentums“ aufgerufen und in den folgenden Jahren zahlreiche völkische Texte publizierte hatte, vollkommen unverschuldet in „den Schlamassel“ „hineingezogen“ worden sei. Die Mühe, ihre Aussagen auch nur annähernd zu belegen, machten sich die wenigsten UmbenennungsgegnerInnen. Sie begnügten sich zumeist mit der Behauptung, dass es sich bei dem Gutachten um eine von „linken Tendenzhistorikern“ ausgeführte „Auftragsarbeit“ handeln würde – ein zumindest für Hans-Ulrich Thamer vollkommen neuer Vorwurf, hatte er sich doch stets als Kritiker der 68er-Bewegung beziehungsweise der „Neuen Linken“ verstanden. Im Windschatten der Debatte um den Hindenburgplatz lehnte im August eine Mehrheit aus CDU und Unabhängiger Wählergemeinschaft (UWG) in der Bezirksversammlung die Umbenennung der fraglichen Straßen ab.

Ein aggressiver Stil und die teilweise geschichtsrevisionistischen Argumentationsmuster kennzeichneten auch die Agitation für den Hindenburgplatz, die sich von Beginn an der Topoi und Ressentiments aus dem Baukasten rechtspopulistischer Rhetorik bediente. Kaum verwunderlich also, dass die im Gutachten der Kommission zitierten und in der seriösen Geschichtswissenschaft unumstrittenen Forschungsergebnisse, denen zufolge Hindenburg „aktiv und schrittweise an der autoritären Verformung der parlamentarisch-demokratischen Verfassungsordnung mitgewirkt und schließlich auf deren Zerstörung hingearbeitet“ habe, von dessen FürsprecherInnen nahezu vollständig ignoriert wurden. Mehr noch: In deren Perspektive erschien die Initiative zur Umbenennung des Hindenburgplatzes geradezu als Komplott zwischen einem scheinbar entrückten politischen Establishment und angeblich ideologiegeleiteten Intellektuellen.

Die »Bürgerinitiative Pro Hindenburgplatz«

Ein Beispiel für diese Sichtweise lieferte der Kolumnist und selbst ernannte „Berufs-Münsteraner“ Carsten Krystofiak in einem Beitrag für die Zeitschrift Westfalium, in dem er „hundertfünfzigprozentige Ideologen“ aus dem „Milieu der Hochschulen“ identifiziert haben wollte, die im Auftrag des Oberbürgermeisters, „den alten Hindenburg“ ins „Bräunungsstudio“ geschickt hätten. Als eigentliches Ziel unterstellte Krystofiak den „Sittenwächtern“, den Hindenburgplatz „politisch korrekt“ „desinfizieren“ zu wollen.

Dieser Deutungsrahmen kennzeichnete auch die Argumentationsmuster der Bürgerinitiative Pro Hindenburgplatz, die sich unmittelbar nach der Entscheidung des Rates konstituierte. Die Initiatoren, der Rechtsanwalt Stefan Leschniok, CDU-Mitglied und Unterstützer der Aktion Linkstrend stoppen, der pensionierte Richter Klaus Gottwald sowie der frühere Verwaltungsdirektor der Universität, Herbert Kober, reklamierten, dass der Ratsbeschluss „nicht den Bürgerwillen widerspiegeln“ würde. Die Informationspolitik der Stadtverwaltung sei einseitig gewesen, demgegenüber gelte es, ein „vertrautes Stück Münster“ zu verteidigen.

Die Initiative versuchte sich somit als Sprachrohr einer vermeintlich von der kommunalen Politik übergangenen gesellschaftlichen Mehrheit zu präsentieren, der keineswegs an der Verklärung Hindenburgs, wohl aber an der Bewahrung städtischer Erinnerungskultur gelegen sei. Diese Beteuerungen erschienen jedoch wenig glaubwürdig. Schon auf der ersten Pressekonferenz schwadronierten Sprecher der Initiative „vom größten deutschen Nationalhelden nach Bismarck“. Die zentrale Rolle, die Hindenburg bei der Verbreitung der „Dolchstoßlegende“ gespielt hatte, blieb ebenso unerwähnt wie die von ihm als Reichspräsident mitverantworteten Schritte zur Beseitigung der Weimarer Demokratie, die von der Etablierung autoritärer Präsidialkabinette über die staatsstreichartige Entmachtung der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung (den so genannten Preußenschlag am 20. Juli 1932) bis hin zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler reichten.

Für ihr erklärtes Ziel, die Umbenennung des Hindenburgplatzes durch ein Bürgerbegehren beziehungsweise einen Bürgerentscheid rückgängig zu machen, versuchte die Initiative eigenen Aussagen zufolge, bevorzugt unter „CDU-Anhängern, Vertriebenen und Bundeswehr-Reservisten“ UnterstützerInnen zu gewinnen. Parteien, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften sowie die lokalen Medien gingen jedoch auf Distanz. Einzig die Junge Union schlug sich auf die Seite der FürsprecherInnen des Hindenburgplatzes – und wusste sich damit in bester Gesellschaft mit ProtagonistInnen des extrem rechten Spektrums.

Die extrem rechte Partei pro NRW rief, obgleich in der Stadt organisatorisch nicht verankert, die „Bürger in Münster“ dazu auf „für ein selbstbewusstes Geschichtsbild zu stimmen und den penetranten Gutmenschen eine deutliche Abfuhr zu erteilen.“ Drei Tage vor dem Bürgerentscheid kündigte der pro NRW-Vorsitzende Markus Beisicht für den Fall eines Abstimmungserfolgs ein „großes politisches Volksfest […] auf dem Hindenburgplatz“ an. Auch Neonazigruppen wollten da nicht abseits stehen und so haderte der Freie Widerstand Oberhausen sprachlich „etwas“ ungelenk mit dem herrschenden Zeitgeist: „Wieso wagen es sich Menschen an Unserem kulturgut- und Erbe zu vergreifen? Jeder soll an unsere Geschichte erinnern können! […] Schlimm genug das Gedanken aufkommen solche Strassen umzubenennen.“

In ähnlicher Weise, wenn auch in geschliffeneren Formulierungen beklagte die Junge Freiheit eine in Münster bevorstehende „Große Säuberung“. Die Abgrenzung der Initiative zum rechten Rand fiel eher halbherzig aus, wenn überhaupt. Der stellvertretende Vorsitzende der JU-Münster, Christoph Sluka, ließ es sich sogar nicht nehmen, der Jungen Freiheit ein Interview zu geben, in dem er darauf insistierte, „das Leben Hindenburgs nicht auf die Jahre 1933 und 1934“ zu beschränken. Für die Junge Union gelte es, „klares Profil zu zeigen und nicht wie ein Fähnlein im Wind zu wehen.“

Derweil ließen andere Hindenburg-AnhängerInnen in zahllosen Blog- und Facebook-Kommentaren ihrem Hass freien Lauf. BefürworterInnen der Umbenennung wurden hier als „Berufsdemonstrierer, Schreihälse, Plakatkleber und Graffitikünstler vom äußerst linken Teil des Spektrums“ denunziert und als „verpeilte Vollpfosten“, „Idioten“ und „Pissnelken“ beschimpft. Auch Gewaltandrohungen blieben nicht aus. In einem Facebook-Beitrag wurde etwa dazu aufgerufen, den CDU-Bundestagsabgeordneten Ruprecht Polenz, einen entschiedenen Befürworter der Umbenennung zu „schächten“. Der Tonfall verschärfte sich weiter, als die Initiative zwei Wochen vor dem Bürgerentscheid in Meinungsumfragen ins Hintertreffen geriet. Hatten deren Sprecher bis dahin stets behauptet, die Bevölkerungsmehrheit zu repräsentieren, schlug nun die Stunde der VerschwörungstheoretikerInnen. Während Sluka der städtischen Informationspolitik totalitäre Züge attestierte, sprach Leschniok kurz nach dem verlorenen Bürgerentscheid von einer „Angstkampagne“. Andere UmbenennungsgegnerInnen stellten Mutmaßungen über mögliche Manipulationen bei der Stimmauszählung an und klagten über „Gleichschaltung“ im Dienste der „Political Correctness“. Für die Niederlage machten sie die „GEZ-Medien“ verantwortlich, haderten aber auch mit konservativen Blättern wie etwa der FAZ, die in einem spöttischen Kommentar, ganz im Sinne der Hindenburgjugend, vorgeschlagen hatte, die Berliner Siegessäule auf den Münsteraner Schlossplatz zu verlegen. Alles Lamentieren und trotzige Durchhalteparolen nützten nichts. Mit beinahe 60 Prozent votierten die BürgerInnen am 16. September für Schlossplatz.

Die CDU und der Aufstand der verklemmten Verbindungsstudenten

Die örtliche Politik ist seither bemüht, die Wogen zu glätten. Auch die CDU erklärte in einer von 57 FunktionsträgerInnen unterzeichneten Mitteilung, künftig wieder „gemeinsam und geschlossen“ agieren zu wollen. Ob dies gelingt, wird sich zeigen. Denn die Verwerfungen der letzten Monate verweisen auf grundlegende Spannungen innerhalb der Union. Ruprecht Polenz brachte diese Wahrnehmung noch am Abend des Bürgerentscheids auf den Punkt, indem er die Frage aufwarf, wo Münsters CDU künftig die „Grenze nach rechts“ ziehen werde.

Der parteiinterne Konflikt um den Hindenburgplatz war Ausdruck eines innerhalb der Union insgesamt schwelenden Konflikts um die angebliche Preisgabe konservativer Inhalte. Stefan Leschniok räumte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unumwunden ein: „Es gibt in der CDU ein verbreitetes Unwohlsein darüber, dass der konservative Flügel unterrepräsentiert ist. In Münster ist Hindenburg ein Ventil dafür.“

In der Tat haben sich in den vergangenen Jahren mit Stefan Mappus, Karl Theodor zu Guttenberg und Roland Koch eine Reihe von HoffnungsträgerInnen des rechten Unionsflügels freiwillig oder gezwungenermaßen aus der großen Politik verabschiedet. Familienministerin Kristina Schröder taugt offenkundig ebenso wenig als charismatische Stichwortgeberin für den konservativen Unionsflügel wie die beiden Dampfplauderer aus Bayern, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und Finanzminister Markus Söder, die sich mit ihrer scharfen Anti-Griechenland-Rhetorik am rechten Rand zu profilieren versuchen. Der Politikwissenschaftler Franz Walter konstatiert demnach, dass der „Konservatismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten […] lediglich den Typus des linkischen und verklemmten Verbindungsstudenten hervorgebracht“ habe, der „als Kreisvorsitzender der Jungen Union weinerlich über 68er-Lehrer, Emanzen, Heiner Geißler und Ursula von der Leyen lamentiert“.

Genau dieser Personenkreis probte in Münster den Aufstand gegen das Establishment des eigenen politischen Lagers und weichte dabei teilweise wohlkalkuliert die Grenzen nach rechtsaußen immer stärker auf. Dieses Beispiel könnte auch an anderen Orten Schule machen, an denen sich ähnliche Kontroversen um Straßenumbenennungen entzünden.

Münster zwischen Schlussstrichmentalität und kritischer Erinnerungskultur

Verlauf und Ergebnis der Auseinandersetzung in Münster waren aber auch unter einem anderen Aspekt bemerkenswert. Obgleich die indifferente Haltung der Initiative für den Hindenburgplatz zum rechten Rand mehrfach thematisiert wurde, gelang es ihr, knapp 39.000 Stimmen zu mobilisieren. Die Gründe hierfür mögen unterschiedlich gewesen sein. Viele sahen in ihrer Stimmabgabe für den Hindenburgplatz wohl tatsächlich die Möglichkeit, ihren Unmut gegen „die da oben“ zum Ausdruck zu bringen. Die Argumente für oder gegen eine Umbenennung des Platzes spielten in diesem Kontext eine eher untergeordnete Rolle. Andererseits spiegelte sich in der Zustimmung zum Hindenburgplatz offenkundig auch eine weit verbreitete Schlussstrichmentalität. So stimmten nach Erhebungen des Münster Barometers 54 Prozent der AnhängerInnen des Hindenburgplatzes der Aussage zu, es leid zu sein, immer wieder mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert zu sein. Rund 80 Prozent von ihnen teilten diese Ansicht „mehr oder weniger“.

Diese Befunde stellen eine Herausforderung für eine lebendige und kritische Erinnerungskultur dar. Die zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen, die sich in der Schlossplatzinitiative zusammengefunden hatten, um für die Umbenennung des Platzes zu werben, sind hier mit ihren vielfältigen und phantasievollen Aktionen einen richtigen Weg gegangen. Deutlich wurde aber auch, dass eine kritische lokale Erinnerungskultur, die mehr Menschen erreichen will als nur die jeweils eigenen Szenen, nicht in anlassbezogene Kampagnen und kurzfristige Reaktionen auf rechte Provokationen aufgeht, sondern immer auch Bestandteil des eigenen politischen und sozialen Alltags sein muss.
 

Aus: LOTTA - antifaschistische Zeitung aus NRW, RLP und Hessen, Ausgabe 49 www.lotta-magazin.de