Werkzeugkasten

Beispiele einer neuen sozialen Idee

In der Schwerpunktausgabe „neue soziale Idee“ umkreisen unsere Autorinnen emanzipatorische Ideen zu einer sozialökologischen Gesellschaftstransformation. Die Thesen der Redaktion sollen an dieser Stelle in sechs Transformationsprojekte übersetzt werden.

Ökobonus

Die Idee des Ökobonus ist, Energie zunächst mit hohen Energieverbrauchsteuern zu belasten und diese Mehreinnahmen schließlich gleichmäßig unter allen Bürger_innen aufzuteilen. Wer unterdurchschnittlich Energie verbraucht, wird belohnt, weil sein Energiesteuerbeitrag geringer ist, als die durchschnittliche Steuer, die er über den Ökobonus erhält. Wer hingegen überdurchschnittlich Energie verbraucht, zahlt mehr als sein Ökobonus beträgt.
Ein Beispiel: Die Einnahmen aus den Energiesteuern in Deutschland liegen heute bei 50 Mrd. €. Pro Kopf könnten also 610 € jährlich als Ökobonus ausbezahlt werden. Denkbar wäre aber, statt den Betrag auszuschütten, ein Kontingent des Energieverbrauchs in einem Grundtarif frei zu stellen. So benötigt eine Person bspw. ca. 1.000 Kw/h Strom pro Jahr in einem Vierpersonenhaushalt oder ca. 1 € pro Quadratmeter für Heizung und Warmwasser. Es wäre also möglich, mit den 50 Mrd. € einen günstigen Grundtarif anzubieten, der diesen Grundbedarf beinhaltet, aber darüber hinausgehenden Mehrverbrauch durch Besteuerung massiv verteuert. Auf diese Weise könnte der Grundbedarf sozial gesichert sein, hoher Verbrauch würde hingegen sanktioniert.
 

Europäische Sozialklausel
Das Kapital agiert global, aber die sozialen Rechte werden nur national gedacht. Die Folge: ein Dumpingwettlauf um die geringsten Steuern und in deren Folge um den schwächsten Sozialstaat. Die Idee ist zwar nicht ganz neu, aber umso notwendiger wäre es deshalb, auf eine stärkere Sozialstaatlichkeit bei der EU-Integration zu setzen. Der €päische Stier müsste bei den Hörnern gepackt werden: Bedarfsdeckung ab erstem Tag, Universalität, Wohnortprinzip, Übertragbarkeit und Rahmensetzung der sozialen Rechte. Grundsätzlich müssen allen Unionsbürger_innen die jeweils am Wohnort geltenden sozialen Grundsicherungssysteme offen stehen. Ein attraktives linkes Modell eines Solidarsystems im Zeichen des EU-Binnenmarkts verbindet soziale Lagen durch einen Korridor von nicht durch nationale Gesetzgebung zu verändernden EU-Sozialstaatsrahmen. Wie wäre es konkret mit Regelungen, dass eine Mindestsicherung zwischen 800 und 1.200 €, die maximale Arbeitszeit zwischen 30 und 40 Stunden die Woche und der verbindliche Mindestlohn bei Vollerwerbszeit zwischen 1.000 und 1.500 € liegen muss?
 

Einkommenskorridor
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat in einer Studie für die Vorstandsgehälter von DAX-Konzernen für das Jahr 2011 festgestellt, dass mit 3,14 Millionen € Gesamtvergütung ein DAX-Vorstand inzwischen das 54-fache dessen erhält, was ein durchschnittlicher Angestellter eines DAX-Unternehmens verdient. Mitte der 1990er Jahre war es übrigens „nur“ das 20fache. Auf der anderen Seite sehen wir wachsende Armut. Als die Hartz-IV-Regelsätze im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht beanstandet wurden, wurden diese gerade einmal um 5 € erhöht. Für eine funktionierende Demokratie aber ist die Planbarkeit des eigenen Lebens, Angstfreiheit vor Behördenwillkür und real vorhandene Gestaltungsperspektiven wichtig. Deshalb muss jede und jeder in jeder Lebenssituation wenigstens 1.000 € haben. Zudem ist nicht ersichtlich, welche Leistung es rechtfertigt, mehr als das Vierzigfache des Mindesteinkommens zu erhalten. Deshalb sind wir für ein Maximaleinkommen von 40.000 € monatlich.


Aufenthaltsstatus
Wir schlagen zwei radikale Reformkomplexe im Rahmen des so genannten Ausländerrechts vor: Erstens gilt es das Aufenthaltsrecht zu einem menschenwürdigen Recht des Aufenthalts umzustrukturieren. Dazu gehörte mindestens die Wiederherstellung des Asylrechts samt der Gewährleistung der Freizügigkeit auch für Nicht-EU-Bürger_innen (vor allem die Korrektur der Dublin-II-Verordnung). Wer in der EU lebt, muss den gleichen Anspruch auf Sozialleistungen und den gleichen Zugang zur öffentlichen Daseinsvorsorge haben wie die Staatsbürger_innen des jeweiligen Staates. Wer arbeiten möchte, muss dies im vollen Umfang legal tun können. Die Gewährung eines Aufenthaltstitels darf nicht weiter an die Markttauglichkeit des Antragstellers geknüpft sein. Abschiebeknäste und gemeinsame Unterkünfte müssen der Vergangenheit angehören. Zweitens fordern wir die Abkehr vom Ius Sanguis, wonach sich die Staatsbürger_innenschaft nach der Abstammung bemisst, zugunsten des Ius Soli mit der Option einer doppelten Staatsbürgerschaft: Wer etwa in Deutschland geboren ist, erhält qua Geburt mindestens die deutsche Staatsbürger_innenschaft. So einfach kann’s gehen.

Arbeitszeitverkürzung für alle
Heute braucht man im Vergleich zu 1960 nur noch ein 1/10 zu arbeiten, um sich von einem Durchschnittslohn 250 Gramm Butter kaufen zu können. Dieses Beispiel zeigt, dass die Produktivität unserer Arbeit in den vergangenen fünfzig Jahren enorm gestiegen ist. Dennoch senken wir weder die Wochen- noch die Lebenserwerbsarbeitszeit. Statt die vorhandene Arbeit so aufzuteilen, dass das Leben für alle entspannt ist, nehmen Stress im Job und psychische Krankheiten zu. Hinzu kommt, dass in Deutschland nur 17 Stunden bezahlt und 25 Stunden unbezahlt gearbeitet werden. Bei Frauen ist die Differenz besonders groß. Das zeigt: Wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung. Warum nicht die 20-Stunden-Woche? Warum keine Elternfreitage, um stressfrei mit den Kleinen u.a. zu ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen gehen zu können. Warum haben Beschäftigte nicht die Wahl, alle fünf Jahre zwischen einem jährlichen Grundeinkommen oder dem Recht, fünf Jahre lang bei vollem Lohn 20 Prozent weniger zu arbeiten? Wir brauchen individuelle Ideen für die Reduzierung der Erwerbsarbeit. Dann haben auch diejenigen, die gerade vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, dort wieder bessere Chancen.

Alternativen zum bestehenden Urheberrecht
Steve Jobs, der legendäre Apple-Gründer, wusste, wie gute Ideen entstehen: „Gute Künstler kopieren, großartige Künstler stehlen“. Im jüngst posthum veröffentlichten „The Lost Interview“ offenbarte er, wie er sich verstand: „Und wir haben immer schamlos gute Ideen geklaut.“
Eine sozialistische Linke sollte sich dieser Erkenntnis nicht verschließen. Der legale Diebstahl mehrt den Profit, doch er hindert zugleich die Entfaltung immaterieller Produktion und damit die Entwicklung von Wissenschaft und Gesellschaft. Eine moderne Linke muss ein Urheberrecht entwickeln, das die emanzipativen Kräfte der Wissensarbeit beflügelt. Für den Anfang lässt sich ein halbkapitalistisches Übergangsrecht denken. Es gestattet jedem, die Ideen eines jeden anderen Menschen zu verwenden doch verpflichtet zugleich dazu, diese Verwendung auch zu bezahlen. Der Leistungsanspruch der Urheber_innen wird gleichzeitig abgeschmolzen von 100 Prozent im 1. Jahr nach dem Urheberakt bis auf so ungefähr gar nichts mehr ab dem fünften Jahr. Für die Ideenproduzent_innen – darauf haben die Programmierer_innen vom Chaos Computer Club zu Recht hingewiesen – ist die faire Bezahlung ihrer Arbeit sowieso wichtiger, als ein an Verlage und Labels abgetretenes Nutzungsrecht.
 

Dieser Text ist der Ausgabe 14 des Magazins prager frühling entnommen. Die Ausgabe kann hier bestellt werden.