„Das Problem liegt ganz woanders“

Praena-Test: Rechtliche Rahmenbedingungen

 

Seit Ende August ist der lang angekündigte Bluttest nun auf dem Markt, mit dem ohne große Risiken für die Schwangere und die Schwangerschaft und angeblich mit hoher Genauigkeit das Down-Syndrom beim Embryo festgestellt werden kann.(1) KritikerInnen der pränatalen Diagnostik fürchten, dass mit der Einführung des „Praena-Test“ die letzten Hürden für die Selektion fallen und wollen das Verfahren verbieten. Der GID sprach mit Oliver Tolmein über konkrete rechtliche Rahmenbedingungen und argumentative Hintergründe dieser Forderung sowie die Balance zwischen dem Recht von Frauen auf Selbstbestimmung und dem Schutz Behinderter vor Diskriminierung.

 

 

Interview mit Oliver Tolmein

 

Oliver Tolmein ist als Journalist und Rechtsanwalt seit vielen Jahren mit Fragen rund um Medizin, Humangenetik und Behinderung beschäftigt - sowohl in Blogs, Artikeln und Aufsätzen wie auch im Rahmen von Prozessen und Gutachten. 2005 gründete er gemeinsam mit KollegInnen in Hamburg die „Kanzlei Menschen und Rechte“, die sich insbesondere auf das Behinderten- und Antidiskriminierungsrecht spezialisiert hat.

 

Herr Tolmein, der Bundesbeauftragte für Behinderte Hubert Hüppe fordert ein Verbot des Praena-Tests und beruft sich dabei auf ein Gutachten, nach dem das Verfahren mit dem Gendiagnostikgesetz (GenDG) unvereinbar sei. Der Gutachter, Klaus F. Gärditz, Professor für Öffentliches Recht in Bonn, verweist insbesondere auf Paragraph 15 GenDG, nach dem Untersuchungen am Embryo ausschließlich zu medizinischen Zwecken zu­lässig sind, nicht aber zur Feststellung von Eigenschaften des Embryos. Wie interpretieren Sie die Rechtslage?

Es ist relativ klar, dass nach dem, was der Gesetzgeber sich vorgestellt hat beim Gendiagnostikgesetz, Untersuchungen auf Trisomie 21 wie auch viele andere pränataldiagnostische Tests möglich bleiben sollen - auch wenn sie nicht dazu führen, dass man therapeutisch während der Schwangerschaft oder unmittelbar nach der Geburt dadurch eine Behandlungsoption bekommt. Der Gesetzgeber wollte die Pränataldiagnostik nicht effektiv begrenzen.

 

Aber im Gendiagnostikgesetz gibt es doch immerhin eine Beratungspflicht nach Pränataldiagnostik...

Ja, und? Wer berät denn? Heute gilt in diesem Kontext die humangenetische Beratung als Standard - was aufgrund der ausbildungsbedingten Fixierung auf genetische Normvorstellungen und der fehlenden psychologischen und sozialmedizinischen Kenntnisse vieler HumangenetikerInnen schon zweifelhaft genug ist. Aber selbst dieser Standard wird nur selten erfüllt. Wegen Fachärztemangels darf jeder Gynäkologe mit dürftiger Zusatzqualifikation beraten. Sogar die ärztlichen Standesvertreter monieren, dass so die Beratung nicht ausreichend qualifiziert gemacht wird. Selbst die wenigen gesetzlichen Mechanismen, die vor Diskriminierung via Pränataldiagnostik schützen sollen, funktionieren also nicht. Nein - das Gendiagnostikgesetz als rechtliche Grundlage für die Problematik pränataldiagnostischer Tests können wir uns auch mit einem Gutachten nicht schön reden. Von daher führt uns die Argumentation von Professor Gärditz nicht auf den Pfad der richtigen Kritik.

 

Warum nicht?

Wir befinden uns hier ja an einer ganz problematischen Schnittstelle, an der die Frage im Raum steht, wie weit das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau reichen soll. Letztlich geht es darum, ob eine Frau gezwungen werden darf, ein Kind mit einer Behinderung zur Welt zu bringen. Meine Position ist da klar: Wir sollten es zwar nicht erleichtern, dass Schwangerschaftsabbrüche wegen einer Behinderung des Fötus gemacht werden, aber es ist ein höchst problematischer und auf lange Sicht auch nicht gangbarer Weg, die Fortsetzung solcher Schwangerschaften mit Zwangsmitteln und Verboten durchzusetzen. Professor Gärditz setzt, so erscheint es mir, mit seinem Gutachten aber genau auf diesen repressiven Kurs. Meines Erachtens müssen wir vielmehr die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen erhöhen, was natürlich - selbst im besten Fall - viel mühseliger und von weniger Erfolgen gekrönt sein wird. Es gibt einen gesellschaftlichen Erwartungsdruck, dass Kinder mit Behinderung nicht zur Welt gebracht werden, und der ist das eigentliche Problem.

 

Was ist gefährlich an der Verbotsforderung?

Wir haben ja eine strafrechtliche Regelung dieses ganzen Bereiches, den Paragraphen 218a, Absatz 2 Strafgesetzbuch (STGB). Der sagt: Wenn es um die Gesundheit der Schwangeren geht, und zwar die physische und die psychische Gesundheit, dann ist es bis zum Ende der Schwangerschaft möglich, sie abzubrechen. Das ist im Grunde auch richtig - man kann in einer liberalen Rechtsordnung nicht von einer Frau verlangen, dass sie um den Preis ihrer eigenen Gesundheit ein Kind zur Welt bringt. In vielen Fällen wird die absehbare Behinderung des Kindes als Argument genommen, um zu sagen, das verkraftet die Frau psychisch nicht. Und das ist natürlich letzten Endes eine Umgehung der Norm, denn wer so denkt, interessiert sich weniger für die potenzielle Gesundheitsschädigung der Frau als für die angenommene Behinderung des Kindes. Wie aber kann das unterschieden werden? Die Antwort, die das Gärditz-Gutachten gibt, ist im Prinzip: Was die Frau nicht weiß, kann sie auch nicht schädigen. Das halte ich für bedenklich. Und das ist auch nicht wahr, denn die Geburt eines behinderten Kindes kann bei einer Frau eine enorme psychische Belastung und auch Schädigung hervorrufen.

 

Kommt das denn häufig vor?

Nein, das ist vermutlich extrem selten. Es gibt eine Fallgruppe, die illustriert das auf ihre Weise, nämlich die so genannten „Kind-als-Schaden“-Fälle. Da geht es darum, dass Frauen ein behindertes Kind bekommen haben, bei denen keine Pränataldiagnostik gemacht oder der Arzt bei der Diagnose die Behinderung nicht erkannt hat. Wenn diese Frauen einen Haftungsprozess führen gegen den Arzt, dann müssen sie nachweisen, dass sie nach Paragraph 218a, Absatz 2 legal hätten abtreiben dürfen - dass also in der Schwangerschaft anzunehmen war, dass ihre psychische Gesundheit Schaden genommen hätte durch die Behinderung des Kindes. Und das Interessante ist, dass solche Haftungsansprüche nicht selten abgewiesen werden, weil die Richter sagen: Die Frau wollte kein behindertes Kind, der Arzt hat einen Fehler gemacht, aber das reicht nicht, denn: Die Gesundheit der Frau war nicht wirklich gefährdet, der Schwangerschaftsabbruch wäre also nicht legal gewesen.

 

Aber Spätabbrüche nach tatsächlich stattgefundener pränataler Diagnostik sind doch legal, oder?

Von den Paaren, die Pränataldiagnostik machen und dann erfahren, dass das Kind behindert sein wird, brechen weit über neunzig Prozent die Schwangerschaft ab, und dabei gibt es nie ein rechtliches Problem. Dass die wenigen, die aufgrund einer pränatal nicht erkannten Beeinträchtigung Haftungsansprüche geltend machen, dann nur sehr selten nachweislich einen gesundheitlichen Schaden genommen haben, ist ein starker Hinweis darauf, dass der Paragraph 218a im Zusammenhang mit pränataldiagnostischen Befunden wohl in den allermeisten Fällen als verdeckte eugenische Indikation genutzt wird - weil es eben doch außerordentlich seltene Einzelfälle sind, in denen eine Behinderung des Kindes tat­sächlich zu krankheitswertigen psychischen Schäden bei der Mutter führen würde. Dennoch: Es gibt sie, und die Kritik daran, dass der Paragraph 218a STGB gesellschaftlich missbraucht wird, hilft auch nicht weiter, wenn entschieden werden muss, ob die einzelne Frau legal einen Abbruch machen darf. Man kann ihr ja diese Statistik nicht vorhalten. Das ist die ganz große Problematik: Wie geht man damit um? Repressiv gegenüber der einzelnen Frau vorzugehen ist indiskutabel. Und Verfahren wie den Praena-Test zu verbieten, beziehungsweise nicht zuzulassen, wäre zwar eine Art gesellschaftliche Antwort auf die Problematik, aber dafür bräuchte man eine Rechtsgrundlage. Und die gibt es meines Erachtens nicht. Zudem ist fraglich, ob es wirklich richtig wäre, den Test nicht zuzulassen. Denn wenn andere Verfahren wie etwa die Amniozentese legal sind, sagt man damit ja im Grunde: Wir wollen riskante Verfahren beibehalten und nicht durch einen ungefährlicheren Test ersetzen, weil wir so die Leute am ehesten davon abhalten können, solche Untersuchungen zu machen. Eine solche Strategie wäre doch ziemlich befremdlich!

 

Ungefährlicher mag der Test ja sein, aber wie ist das denn mit seiner Aussagekraft? Wer prüft das überhaupt?

Es gibt doch kein Zulassungsrecht für Tests...

Ja, das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Die für solche Tests zuständige Regelungsmaterie ist das Medizinproduktegesetz, und das ist völlig veraltet, denn es hat ganz andere Medizinprodukte im Sinn. Für die Prüfung solcher Tests und für deren Zulassung ist das Gesetz untauglich, weil es keine inhaltliche Prüfung voraussetzt. Bei einem Skalpell oder einem Beatmungsgerät brauche ich das auch nicht, aber bei den vielen genetischen und molekularen Tests, die noch auf uns zukommen - und die wir möglicherweise dann auch noch selber machen sollen - ist eine inhaltliche Prüfung durchaus notwendig. Der Berufsverband der deutschen Humangenetiker beispielsweise hält den Praena-Test unterm Strich nicht für besser als die herkömmlichen pränataldiagnostischen Verfahren - zumal er sie ja nicht ersetzt, denn wenn sein Ergebnis positiv ausfällt, muss zur Absicherung trotzdem noch eine invasive Diagnostik gemacht werden.

 

Im Grunde ist der Praena-Test also nur ein zusätzlicher Schritt zwischen Ultraschall und Fruchtwasseruntersuchung?

Genau. Möglicherweise wird damit einer Reihe von

Frauen eine invasive Diagnostik erspart, aber die, bei

denen es wirklich kritisch ist, haben am Ende nicht zwei, sondern drei Tests gemacht. Das ist der eine Punkt, warum man sich darüber streiten kann, ob der Praena-Test überhaupt sinnvoll ist. Der zweite Punkt ist einer, den ich auch für rechtlich problematisch halte: Der Test ist auf eine einzelne Beeinträchtigung begrenzt, er leitet quasi eine Trisomie-21-Fahndung ein. Das ist zumindest irritierend, weil ja sonst - zum Beispiel in der Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (PID) - immer argumentiert wird, es ginge nicht um eine „harmlose Behinderung“ wie Trisomie 21, sondern um „wirklich schlimme“ Behinderungen.

 

Wären solche Verfahren denn bei „wirklich schlimmen“ Beeinträchtigungen zu befürworten? Der Praena-Test zum Beispiel soll ja bald auch Trisomie 13 und 18 tes­ten, beides Konditionen, mit denen das Leben maximal wenige Jahre dauert und die oft mit einer Totgeburt verbunden sind.

Zuerst einmal möchte ich zwischen PID und Pränataldiagnostik sehr deutlich unterscheiden. Bei der PID ist der Selektionsgedanke geradezu zwingend, dazu macht man sie ja. Deshalb bin ich auch der Auffassung, dass das Verfahren nicht hätte zugelassen werden sollen. Bei der Pränataldiagnostik geht es dagegen von vornherein um einen individuellen Schwangerschaftskonflikt, der tatsächlich auch ein Konflikt ist, zumindest für die Schwangere - das kann man nicht leugnen. Und manchmal können in diesem Konflikt durch pränataldiagnostische Verfahren gewonnene Kenntnisse durchaus Sinn machen, und zwar nicht unter einem Selektionsgedanken, sondern als Vorbereitung auf eine ganz andere Geburt und Nachsorge. Ich weiß das aus Konstellationen bei uns in der Kanzlei, wo sich Eltern mit einem Kind mit Trisomie 13 oder 18 gegen einen Abbruch entschieden haben, zum Beispiel, weil die Geburt wichtig dafür war, sich von dem Kind zu verabschieden. Sie konnten mit dem Wissen aus der Pränataldiagnostik Vorsorge treffen dafür, was sie nicht wollten, zum Beispiel nicht in einer Universitätsklinik zu landen und einen großen apparativen Aufwand zu betreiben, sondern lieber eine palliativmedizinisch begleitete Hausgeburt zu machen.

 

Ein Verbot des Praena-Tests ist also nicht nur juristisch unmöglich, sondern auch ethisch fragwürdig?

Wenn wir eine Rechtsgrundlage hätten, dann hätte ich mit einem Verbot kein ethisches Problem. Ich persönlich lehne Pränataldiagnostik ab, weil sie (und solange sie) Behinderte diskriminiert. Meiner Meinung nach haben Frauen - oder auch Paare - das Recht, über eine Schwangerschaft zu entscheiden, aber nicht über die Eigenschaften eines zu­künf­tigen Kindes. Deshalb ist die derzeitige rechtliche Situation äußerst unbefriedigend. Besser wäre, wenn das Gendiag­nostikgesetz formulieren würde: Eine Pränataldiagnostik findet grundsätzlich nicht statt, außer in Konstellationen, in denen sie therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen kann oder in Konstellationen, wie sie jetzt der Paragraph 218a, Absatz 2 formuliert - nur dass es dann eben vor der Pränataldiagnostik um eine drohende psychische Erkrankung gehen würde; Pränataldiagnostik dürfte also nur dann gemacht werden, wenn klar ist: Diese Frau hält es psychisch nicht aus, ein behindertes Kind zu bekommen.

 

Also in Abhängigkeit davon, ob sie sich einem behinderten Kind gewachsen fühlt?

„Sich gewachsen fühlen“ ist schon wieder eine kritische Formulierung. Es müsste tatsächlich eine krankheitswertige Überforderung sein. Und wenn das von vornherein fest stünde, dann könnte eine Pränataldiagnostik gemacht werden. Oder eben aufgrund konkreter Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung, auf die in der Schwangerschaft oder unter der Geburt besonders reagiert werden kann, wo man also irgendetwas tun kann. Nur müss­te bei einer solchen Einschränkung der Pränataldia­gnos­tik dann auch eine andere Situation für Familien hergestellt werden, die behinderte Kinder haben. Zu uns in die Kanzlei kommen ja sehr viele Eltern mit behinderten Kindern - wenn ich mir anschaue, wie die um jeden Rollstuhl, um jede Schulbegleitungsstunde, um jeden Kitaplatz vor dem dritten Lebensjahr kämpfen müssen, ist das eine Situation, die wirklich schwer zumutbar ist. Deshalb: Die Aufregung über den Praena-Test kann ich nachvollziehen, ich finde diesen Test durchaus bedenklich. Falsch finde ich vor allem, dass das Forschungsministerium die Entwicklung dieses Tests gefördert hat - eine absurde Entscheidung. Aber: Der Test ist nur Ausdruck eines Problems, das Problem selbst liegt ganz woanders. Und das wird nicht dadurch gelöst, dass wir unsere Energie auf das Verbot des Praena-Tests richten.

 

Herr Tolmein, der GID dankt für dieses Gespräch!

 

Das Interview führte Uta Wagenmann.

Fußnote:

(1) Vgl. zu dem Test GID 208 (Oktober 2011), S. 41-43 und den Schwerpunkt in GID 211 vom Februar diesen Jahres.