Spielball Betroffenheit

PatientInnengruppen in der Auseinandersetzung um Patente

Während sich manche PatientInnenorganisationen seit Jahren gegen Patente engagieren, beanspruchen andere selbst Eigentumsrechte an Genen. In der Auseinandersetzung um die EU-Biopatent-Richtlinie Mitte der 1990er Jahre haben sich diverse PatientInnengruppen gar von der Industrie instrumentalisieren lassen. Im Streit um Patentierung sind Verbände von PatientInnen und anderen Betroffenen genetischer Risiken ganz unterschiedlich eingebunden.

 

Wir wollen nicht unsere Taschen füllen”, so Patrick Terry, Mitbegründer der US-amerikanischen PatientInnenvereinigung PXE International, „wir wollen einfach nur eine Behandlung.“(1) So und ähnlich lautete die Begründung dafür, dass die Organisation 1997 gemeinsam mit der Universität von Hawaii ein Patent auf das Gen für PXE angemeldet hatte. Um die genetische Basis der äußerst seltenen Erkrankung Pseudoxanthoma elasticum (PXE) aufzuklären, hatten Betroffene 1996 kurz nach der Gründung von PXE International mit dem Aufbau einer Sammlung ihrer DNA-Proben begonnen und dann mit ForscherInnen an der Universität Hawaii Konditionen für den Zugang zu der Biobank und für die Forschung mit den Proben ausgehandelt.(2)

Zu diesen Bedingungen gehörte auch die Beteiligung des PatientInnenverbandes an der Nutzung etwaiger therapeutisch oder ökonomisch bedeutsamer Forschungsergebnisse. Als die WissenschaftlerInnen 1997 mit Hilfe der Probensammlung ein Gen für PXE entdeckten, beteiligte sich der PatientInnenverband an der Erstellung der Patentschrift, in der unter anderem auch der Name der Mitbegründerin von PXE International, Sharon Terry, als Miterfinderin aufgeführt wurde.(3) Seit der Erteilung des Patentes fließen die aus den Rechten an dem Gen resultierenden Einnahmen zu gleichen Teilen an Universität und PatientInnenverband; außerdem entscheidet PXE International bei der Vergabe von Forschungslizenzen für das patentierte Gen mit.

Diese Strategie war nicht darauf ausgerichtet, die Kommerzialisierung von Genen aufzuhalten; vielmehr haben hier von einer genetischen Kondition Betroffene ihre Interessen wahrgenommen. Innerhalb eines Systems, in dem ökonomische Motive Forschungsprioritäten bestimmen und deren Ergebnisse in der Regel kommerzialisiert werden, sind gerade seltene Erkrankungen - und damit die allermeisten Konditionen, die hauptsächlich durch eine einzelne genetische Mutation verursacht werden - allenfalls für Fragen der Grundlagenforschung interessant. Um Forschungsprojekte zu Krankheitsursachen oder die Entwicklung von Behandlungsansätzen zu ermöglichen, werfen Betroffenengruppen daher häufig einiges in die Waagschale, um Interesse an ihrer Erkrankung zu wecken und zu erreichen, dass an der Entwicklung von Behandlungen geforscht wird.

 

Von Hoffnung getragene Kooperationen…

Ihrer Marginalisierung in der medizinischen Forschung haben Betroffene seltener Erkrankungen in den letzten zwanzig Jahren zwar auch nationale und EU-weite Organisationen entgegengesetzt, die sich politisch und übergreifend für die Berücksichtigung dieser Erkrankungen und der von ihnen Betroffenen in Forschungsprojekten einsetzen. Weil ihr Hauptaugenmerk zumeist auf der Entwicklung von Diagnostik und Behandlung liegt, kooperieren diese Gruppen in der Regel außerdem - bisweilen außerordentlich eng - mit Institutionen der biomedizinischen Forschung und auch mit VertreterInnen pharmazeutischer oder biotechnologischer Unternehmen.

Hier ist eine Menge Hoffnung im Spiel, und so sind diese Beziehungen auch keinesfalls unproblematisch. Denn aus diesem Verhältnis kann eine Instrumentalisierbarkeit von PatientInnengruppen erwachsen, die in der europäischen Debatte um die Patentierbarkeit menschlicher Gene, namentlich im Entstehungsprozess der EU-Richtlinie „Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen“, der so genannten EU-Biopatent-Richtlinie (98/44 EC), offen zutage trat: 1995 hatte das Europäische Parlament (EP) entgegen dem Willen von EU-Ministerrat und EU-Kommission eine entsprechende Gesetzesvorlage vollständig abgelehnt. Damals hatten auch PatientInnenverbände sich gegen die Richtlinie und die befürchtete Monopolisierung menschlicher Gene ausgesprochen. Drei Jahre später nahm das Parlament mit großer Mehrheit einen neuen Richtlinienentwurf an, der im Inhalt weitgehend mit dem zuvor abgelehnten übereinstimmte. Dieser Meinungswandel im Parlament erklärt sich auch damit, dass verschiedene PatientInnengruppen sich für die Patentierung von Genen eingesetzt hatten. Sie waren vor der zweiten Abstimmung über die Richtlinie, zwischen 1995 und 1998, regelrecht in Stellung gebracht worden, um die Interessen der Industrie durchzusetzen, und zwar von dem damals frisch gegründeten Dachverband der Europäischen Biotechnologie-Industrie EuropaBio, dem europäischen Dachverband der pharmazeutischen Industrie (European Federation of Pharmaceutical Industrie´s Associations, EFPIA) und dem Pharmaunternehmen Smith Kline Beecham.(4)

 

…instrumentalisierbare Ängste…

Die Strategie der Unternehmensseite, Organisationen von PatientInnen in die Kampagne für Bio-Patente einzubinden, hatte zum Ziel, glaubhaft zu machen, dass es bei der EU-Biopatent-Richtlinie nicht nur um die ökonomischen Interessen der Industrie ging, sondern sollte dem Vorgehen der Industrie auch einen gemeinnützigen Anstrich geben.. In einer lesenswerten Dokumentation aus dem Jahr 1999 wird dieses Vorgehen minutiös nachverfolgt.(5) Eine Schlüsselrolle für die Zustimmung zur EU-Biopatent-Richtlinie 1998 spielten danach die European Alliance of Genetic Support Groups (EAGS) und die Genetic Interest Group (GIG), ein Dachverband englischer PatientInnenorganisationen zu seltenen Erkrankungen. Diese Verbände änderten ihre Position in der Frage der Patentierung menschlicher Gene innerhalb kürzester Zeit vollständig: 1995 opponierten EAGS und GIG gegen die Verabschiedung der Richtlinie, weil sie die Patentierung menschlicher Gene verhindern wollten. 1997 traten sie vor der ersten Lesung der Richtlinie dann an die Spitze der Befürworter der Gen-Patente.

Zeitgleich mit diesem Positionswechsel hatte die Industrie aufwendig gestaltete Broschüren in Umlauf gebracht mit der klaren Botschaft: Ohne Patente auf menschliche Gene kommt medizinischer Fortschritt zum Stillstand. Die zentrale Aussage, vom damaligen Pharmakonzern SmithKline Beecham geprägt, lautete plakativ: „No Patents No Cure!“ Dass EAGS und GIG sich nach ihrem Positionswechsel mit „Patents for Life!“ einen inhaltlich ähnlichen Slogan zu eigen machten, verweist auf die oben angedeuteten Abhängigkeiten, die mit der Hoffnung auf Behandlung und Heilung durch Forschung verknüpft sind.

 

…und zivilgesellschaftliche Manipulation

Im Rahmen der Kampagne für die Biopatent-Richtlinie hatte die Beziehung allerdings auch eine handfeste finanzielle Dimension. Die beteiligten PatientInnenverbände jedenfalls bestritten nicht, dass die Pharmaindustrie zum Beispiel Anreise und Unterkunft von RollstuhlfahrerInnen zu Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments bezahlte. Auch die Vielzahl von Veranstaltungen in Brüssel und Straßburg, auf denen einige PatientInnenverbände sich als eigenständige Bewegung für Bio-Patente zu profilieren suchten, wurden von professionellen Beratungsfirmen durchgeführt und von der Industrie finanziert, ebenso wie die Demonstration von PatientInnen - als TrägerInnen von Erbkrankheiten - am Tag der Abstimmung in Straßburg. Damals machte ein eigens engagierter Fotograf Aufnahmen von Abgeordneten zusammen mit Menschen im Rollstuhl, die T-Shirts mit dem Motto „Patents for Life!" trugen.

Erst unmittelbar vor der endgültigen Abstimmung im Mai 1998 gewannen die GegnerInnen der Patentierung in den europäischen PatientInnenorganisationen ihre Stimme wieder und sprachen sich öffentlich gegen Textteile der Richtlinie aus.(6) Nachdem ihr bisheriger Hauptvertreter, Alastair Kent, sich zurückgezogen hatte, veröffentlichte selbst die GIG kurz vor der Abstimmung noch eine Stellungnahme, in der sie die Patentierung von Gensequenzen ablehnte.(7) Den allgemeinen Eindruck, den die Kampagne von EAGS und GIG monatelang vermittelt hatte - dass PatientInnenorganisationen für Patentierung sind - rückten diese Äußerungen aber nicht mehr zurecht: Die Richtlinie wurde bekanntlich im Mai 1998 verabschiedet.

 

Brustkrebs: Eine erfolgreiche Koalition gegen BRCA-Patente…

Die lange Liste der Gruppen, Institutionen und Verbände, die sich kurz vor ihrer Verabschiedung gegen die EU-Biopatent-Richtlinie in ihrer heutigen Form ausgesprochen hatten, belegt, dass es auch einen gemeinsamen Widerstand von Betroffenen und ForscherInnen gegen Patente auf Gene gibt, nicht nur einen geteilten Opportunismus.(8) Ganz grundsätzlich kann wohl gesagt werden, dass die Haltung vieler PatientInnenorganisationen zur Patentierung nicht unerheblich von der Interessenlage in denjenigen Forschungsinstitutionen abhängt, mit denen sie kooperieren.

Ein - wenn nicht das Beispiel - für geteilten Widerstand sind die Patente des US-amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens Myriad Genetics auf die beiden so genannten Brustkrebs-Gene BRCA 1 und 2, die das Unternehmen seit deren „Entdeckung“ Mitte der 1990er Jahre für sich beansprucht. Die erteilten Patente bezogen sich nicht nur auf die Gensequenzen selbst und diverse Mutationen, sondern auch auf Diagnose-Verfahren und Rechte zur Verwendung des Gens für Therapien und für die Herstellung von Arzneimitteln.

Dieses Monopol rief eine bisher beispiellose Koalition aus WissenschaftlerInnen, Fachgesellschaften, Patientinnen-Organisationen, Greenpeace, Ärztekammern und dem Europäischen Parlament auf den Plan. Die gemeinsame Kampagne sehr unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure kam auch deshalb zustande, weil Myriad von seinem Ausschlussrecht tatsächlich Gebrauch machte. So hatte das Unternehmen fast alle US-Labors erfolgreich am Angebot anderer Tests gehindert und lediglich einem Dutzend eine Lizenz erteilt. Die Folge für Angehörige von Familien, in denen gehäuft Brustkrebs auftritt und die deshalb wissen wollen, ob sie ein erhöhtes Risiko haben: Die diagnostischen Tests wurden wesentlich teurer. Aber nicht nur das erwies sich als problematisch für Betroffene, sondern auch die Tatsache, dass der Myriad-Test viele in den Folgejahren gefundene BRCA-Mutationen, die das Brustkrebsrisiko ebenfalls erhöhen, nicht erfasste - er war schlicht veraltet. Ob das allein einen so breiten Widerstand gegen die BRCA-Patente hätte hervorrufen können, sei hier dahingestellt. Was die verschiedenen Akteure verband, war vor allem das Argument, dass das Myriad-Monopol, insbesondere bei den Testverfahren, die Forschung an den beiden Genen behindert - ein Einwand, der auch die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes überzeugte: Die Patentierung der Testverfahren wurde zurückgenommen.

 

…und die Ökonomie der Eigentumsrechte

Diese Entscheidung wurde sowohl von PatientInnen wie auch von WissenschaftlerInnen als Erfolg für eine öffentlichen Interessen verpflichtete Forschung gewertet. Wer damit allerdings die Illusion verband, dass universitäre Forschung vor kommerziellen Ansprüchen schützt, wurde spätestens in diesem Sommer eines Besseren belehrt. Denn da erwarb Myriad Genetics die Rechte an dem Gen RAD51C. Die Annahme, dass Mutationen auf diesem DNA-Abschnitt die Entstehung von Brust- und Eierstockkrebs befördern, ist Ergebnis einer gemeinsamen Studie von 24 Wissenschaftlern unter Federführung der beiden deutschen HumangenetikerInnen Alfons Meindl von der TU München und Rita Schmutzler von der Universität Köln. Beide sind erklärtermaßen gegen Patente und haben sich unter anderem vor dem europäischen Patentamt gegen die Myriad-Patente engagiert. Konsequenterweise verzichteten sie deshalb auf ihre Rechte an RAD51C, was formal bedeutete, sie an die Universität Köln abzutreten. Die aber meldete gemeinsam mit dem dritten federführenden Autor, Helmut Hanenberg, und der Universität Düsseldorf, an der er tätig ist, die Rechte an und verkaufte dann für 3,7 Millionen Dollar eine Exklusivlizenz an Myriad.(9) Weder die individuelle Ablehnung von Patenten auf menschliche Gene noch die Forschung an öffentlichen Universitäten schützen also offensichtlich vor Patentierung. Sollte gemeinsamer Protest von PatientInnengruppen und Forschungsinstitutionen sich im Angesicht dieses Coups da nicht doch auch grundsätzlich gegen die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen richten?

 

Uta Wagenmann ist Soziologin und Redakteurin des GID. Sie betreut den Bereich Medizin im GeN. Christoph Then ist Geschäftsführer von Testbiotech und engagiert sich seit vielen Jahren gegen Patente auf Gene.

 

Fußnoten:

(1) Coghlan, A.: Patient Power, New Scientist, 21.02.01; Übersetzung: Uta Wagenmann.

(2) Sie bestand aus 1.500 DNA- und 100 Gewebeproben sowie detaillierten epidemiologischen Informationen zu mehr als 600 Einzelpersonen; ihren Aufbau finanzierte PXE International fast vollständig selbst. Vgl. Stockdale, A. und Terry, S.F. (2002): Advocacy groups and the new genetics. In Joseph S. Alper, Catherine Ard, Adrienne Asch, John Beckwith, Peter Conrad und Lisa N. Geller (Hg.): The double-edged helix. Social implications of genetics in a diverse society. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press, S. 80-101.

(3) Marshall, E. (2004): Patient advocate named co-inventor on patent for the PXE disease gene, Science 305(5668), S.1226.

(4) Heute Teil des Unternehmens GlaxoSmithKline.

(5) Christoph Then und Thomas Schweiger: Gene, Monopole und „Life Industry". Eine Dokumentation über die Patentierung von Leben, (1999), www.kurzlink.de/GID215_a, S.97 ff.

(6) Konkret widersprachen sie vor allem der Patentierbarkeit menschlicher Gene.

(7) GIG position on the European Biotechnology Directive, 19.11.97.

(8) Die Liste findet sich bei Then und Schweiger, a.a.O., S. 100 f.

(9) Vgl. Süddeutsche Zeitung, 30.05.12.